[IPK] Klimawandel und neoliberale Politik: der Fall Bangladesch

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So Jul 3 20:32:55 CEST 2011


Bangladesch:
Klimawandel und neoliberale Politik: der Fall Bangladesch
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Von Danielle Sabaï


Bangladesch liegt mitten im größten Delta der Welt, wo zwei Flüsse aus dem
Himalaya, Brahmaputra und Ganges, sich vereinigen und in den Golf von
Bengalen ergießen; Klimakatastrophen treten hier fast regelmäßig auf. Die
Hälfte des Landes in Bangladesch liegt weniger als 10 Meter über dem
Meeresspiegel Es besteht größtenteils aus Lehm, der durch Flüsse, die aus
den Himalaya-Gletschern abfließen, entwässert wird. Die Schneeschmelze
verursacht regelmäßig kräftige Überschwemmungen. Der Küstenstreifen selbst
wiederum ist Wirbelstürmen und Flutwellen ausgeliefert, die die
Küstengebiete überschwemmen. Unter extremen klimatischen und geografischen
Bedingungen hat Bangladesch im Laufe der Jahrhunderte ein Gleichgewicht
entwickelt, das seiner dichten Bevölkerung erlaubt, dort zu leben. Die durch
neoliberale Politik noch verstärkte Klimaerwärmung hat dieses empfindliche
Gleichgewicht zerstört. Wohl kein Land der Welt ist heute stärker gefährdet,
und die Bevölkerung von Bangladesch steht vor immensen Herausforderungen ...


BEISPIELLOSE KLIMAÄNDERUNGEN 

Keine Region in Bangladesch wird vom Klimawandel verschont.

Im Norden des Landes kann der Sommer, der früher zwei oder drei Monate
dauerte, jetzt fünf oder sechs Monate anhalten, verbunden mit einem
erheblichen Anstieg der Temperatur. Deshalb vertrocknen die fruchtbaren
Böden und die Pflanzen verbrennen. Die Flüsse trocknen aus und die Landwirte
sind abhängig von teuren Bewässerungssystemen, die das Grundwasser herauf
pumpen und allmählich erschöpfen. Seit den 90er Jahren haben die Bauern auch
das Problem der Kontamination des Brunnenwassers mit Arsen, das von Natur
aus in den Böden enthalten ist, jetzt aber durch das Abpumpen des
Grundwassers an die Oberfläche kommt. Im Winter nehmen Kälte und Nebel immer
mehr zu, was zur Zerstörung vieler Gemüse- und Saisonkulturen führt.

Im Süden steigt die Temperatur im Sommer stetig und die Kälte im Winter wird
immer heimtückischer. An der Küste treten Wirbelstürme häufiger und heftiger
auf. Flutwellen, die das fruchtbare Land an den Küsten überschwemmen,
erhöhen dauerhaft den Salzgehalt des Bodens und der Flüsse und machen das
Land ungeeignet für die Bewirtschaftung.

Das Land hat nur noch drei Jahreszeiten, einen Sommer, einen Winter und eine
Regenzeit, während es früher sechs waren. Während dieser Zeiten scheint das
Klima Amok zu laufen: Die Sommer werden immer wärmer und trockener, die
Winter immer strenger und die Regenzeiten immer nasser. Überschwemmungen und
Wirbelstürme, die es in Bangladesch immer gab, treten nun häufiger und vor
allem außerhalb der gewohnten Zeiträume auf.

Der Klimawandel ist definitiv verantwortlich für dieses Chaos, zumindest
teilweise. Die Erwärmung der Atmosphäre beschleunigt das Schmelzen der
Gletscher am Nord- und Südpol und lässt den Meeresspiegel steigen. Die
Küstengebiete von Bangladesch werden nach und nach vom Salzwasser
überflutet. Der dritte Bericht des Weltklimarats (IPCC) schätzte, dass das
Land 10,9 % seiner Fläche verlieren könnte, wenn der Meeresspiegel um 45
Zentimeter steigt.

Im Norden werden die Flüsse, die Bangladesch durchqueren, vom Schmelzwasser
der Himalaya-Gletscher gespeist. Mit der Klimaerwärmung schmelzen die
Gletscher schneller ab, als das Eis neu gebildet werden kann. So verringern
sich die Abflussmengen allmählich, und wenn das Phänomen anhält, könnten die
Flüsse bald versiegen und eine Wüstenbildung im Norden Bangladeschs
verursachen.

Aber derzeit erhöht zunächst die Zunahme der Niederschläge im Monsun
zusammen mit einer Verstärkung der Gletscherschmelze den Wasserablauf. Der
Ablauf dieses Wassers wird aber durch die Erhöhung des Meeresspiegels
erschwert. Die Kombination dieser beiden Faktoren macht Überschwemmungen
häufiger und kräftiger.

Angesichts des Meeresspiegelanstiegs reichen die in den 60er Jahren gebauten
Deiche mit ihrer Höhe von fünf Metern nicht mehr aus, um die Küstenorte vor
den Fluten zu schützen. Die Kombination von steigendem Meeresspiegel und
Ablagerungen von Milliarden Tonnen von Schlamm durch die Flüsse des Nordens
lässt sich das Eindringen von Salzwasser in tiefer liegende Gebiete nicht
mehr verhindern. Die Deiche halten das Regenwasser im Landesinneren zurück
und verstärken dadurch die Überschwemmungen.


DURCH DIE NEOLIBERALE POLITIK WIRD DIE SITUATION NOCH VERSCHÄRFT

Der Klimawandel ist nicht allein verantwortlich für die Umweltzerstörung,
deren ersten Opfer die Menschen in Bangladesch sind. In den 80er Jahren
haben die Regierungen eine Wirtschaftspolitik entwickelt, die sowohl auf
Exporte als auch auf die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion orientiert.
Diese Politik wurde angetrieben und gefördert von internationalen
Organisationen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der
Asiatischen Entwicklungsbank, der US-Entwicklungsbehörde und dem britischen
Entwicklungshilfeministerium.

Wie auch anderswo haben die Strukturanpassungsmaßnahmen in Bangladesch die
Privatisierung großer Staatsbetriebe und die Öffnung des Energiesektors für
ausländisches Kapital favorisiert. Es war das Gleiche im Bereich des
Bergbaus in den 90er Jahren.

Der Rückzug des Staates hat die Krise in den Bereichen Bildung und
Gesundheit beschleunigt und den Weg für private Dienstleistungen geebnet. Im
Namen der Entwicklung haben diese Wirtschaftsreformen erlaubt, den
Landbesitz zu konzentrieren und Millionen von Menschen zu enteignen. Sie
haben einen Teufelskreis der Abhängigkeit geschaffen, aus dem sich die
Bäuerinnen und Bauern in Bangladesch nur schwer befreien können.

An der Küste haben sich die Anlagen zur Garnelenzucht für die Bedienung
eines explodierenden Marktes in den wohlhabenden Ländern vervielfacht.
Bangladesch ist heute weltweit der fünftgrößte Produzent von Garnelen. Etwa
130 Unternehmen teilen sich die Gewinne einer Branche, die fast eine Million
bangladeschischer Arbeiterinnen und Arbeiter für weniger als einen Euro pro
Tag beschäftigt. 190 000 Hektar von Mangrovenwäldern und fruchtbarem Land
wurden in Aquakulturen verwandelt. Das ursprünglich landwirtschaftlich
genutzte Gebiet wurde zu niedrigen Preisen den Kleinerzeugern abgekauft und
dann in Anlegen zur Garnelenzucht umgewandelt, was die Versalzung des Bodens
erhöht und das Land endgültig unbrauchbar für den Anbau macht.

Diese Industrie gefährdet die Existenzgrundlage der Bauern, ohne andere
Arbeitsplätze in ausreichender Zahl zu sichern. In den Sundarbans hat die
Garnelenzucht das fragile Gleichgewicht, das der örtlichen Bevölkerung
erlaubte, von den Ressourcen des größten Mangrovenwalds der Welt zu leben,
zerbrochen. Das Ökosystem kann sich an die Versalzung des Wassers und
Erhöhung der Temperaturen nicht schnell genug anpassen. Die großen Bäume
verschwinden und auch eine große Zahl von Tier- und Pflanzenarten. Die
Bauern, die einst Reis angebaut und keine Arbeit in den Aquakulturen
gefunden haben, wurden zu Fischern in den Sundarbans. Aber die Mangroven
können dem kombinierten Druck der immer bedeutenderen Kleinfischerei und der
Garnelen-Industrie, die von der Verschmutzung zerstörte Seen hinterlässt,
nicht standhalten. Dies bewirkt eine ökologische Katastrophe und verstärkt
die Auswirkungen des Klimawandels, da die Mangroven ein Puffer zwischen Land
und Meer sind. Sie schützen gegen die Erosion, die von den auf die Küste
treffenden Wirbelstürmen verursacht wird.

Im Binnenland hat der Wille, die landwirtschaftliche Produktivität der
Felder rasch zu steigern, zu einem übermäßigen Einsatz von Düngemitteln
geführt. Dies verstärkt den Rückgang der Artenvielfalt und die Bodenerosion.


ERNÄHRUNGSSOUVERÄNITÄT UND KLIMAFLÜCHTLINGE

Die sozialen Herausforderungen sind gewaltig für die 150 Millionen Menschen
in Bangladesch und insbesondere für die Ärmsten. Ein Drittel der Bevölkerung
lebt unterhalb der Armutsgrenze und 70 % sind ohne Land. Klimawandel und
neoliberale Politik bedrohen den Lebensstil von Millionen von ihnen.
Prognosen gehen davon aus, dass fast 40 Millionen Menschen Klimaflüchtlinge
werden könnten. Die Hauptstadt Dhaka wird die massiv verdrängte Bevölkerung
nicht absorbieren können, die zu erwarten ist, wenn ein Teil des Landes
unbewohnbar ist, weil es überflutet oder zur Wüste geworden ist. Sie nimmt
bereits jedes Jahr eine halbe Million Bauern auf, deren traditionelle Umwelt
zerstört wurde. Die Lösung kann auch nicht vom benachbarten Indien kommen,
das mit Bangladesch eine 4000 km lange gemeinsame Grenze hat und einen
doppelten Stacheldrahtzaun von 2,5 Metern Höhe und über 2500 km Länge
errichtet hat. Die indische Regierung behauptet, sich so gegen Terrorismus
und Menschenhandel schützen zu wollen. Tatsächlich unterbindet er den Strom
von Migranten von beiden Seiten der besonders komplexen Grenze. Eine Antwort
muss aber auf Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung beruhen und
ganz sicher nicht auf Sperrung der Grenzen und Repression.

In einem Land, in dem die Landwirtschaft einen Anteil von 20 % des BIP und
65 % der Beschäftigten umfasst, erscheint Ernährungssouveränität als eine
der Schlüsselfragen, die es Bauern ermöglicht, den Klimawandel zu mindern
und sich an seine Folgen  anzupassen, und gleichzeitig eine überwiegend arme
Bevölkerung zu ernähren.

Das Paradigma der Ernährungssouveränität ist das Gegenteil des dominierenden
Modells des Agrobusiness, bei dem die Jagd nach Profit vor den
Nahrungsbedürfnissen der Menschen und der Rücksicht auf die Umwelt kommt.
Dieses Paradigma "bekräftigt das Recht der Menschen vor Ort, ihre eigene
Agrar- und Ernährungspolitik zu definieren, ihren eigenen Markt zu
kontrollieren und die lokale Landwirtschaft durch die Verhinderung des
Abfließens der landwirtschaftlichen Überschüsse zu fördern. Es fördert
vielfältige und nachhaltige Methoden der Landnutzung, die die Erde
respektieren und den internationalen Handel nur als Ergänzung zur lokalen
Produktion betrachten. Ernährungssouveränität bedeutet, die Kontrolle der
natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser, Saatgut an die lokalen
Gemeinschaften zurückzugeben und gegen die Privatisierung des Lebens zu
kämpfen." [1]

Das Scheitern der Konferenz von Kopenhagen sollte uns an die Unfähigkeit der
Regierungen der Großmächte erinnern, konkrete Maßnahmen zu beschließen und
durchzuführen. Die bevorstehende Klimakatastrophe wird sich nicht abwenden
lassen, ohne sich vom kapitalistischen System zu lösen, das auf der Suche
nach Gewinnmaximierung und unbegrenzter Akkumulation basiert -- Zielen, die
mit der Bewahrung der Umwelt und der Befriedigung sozialer Bedürfnisse
unvereinbar sind.

Bauernorganisationen wie Bangladesh Krishok Föderation (BKF) und Kisan Sabha
Bangladesch (BKS) [2] organisieren Workshops mit Landwirten, um Auswirkungen
des Klimawandels zu beurteilen und zu Fragen des Zugangs zu Land und zur
Ernährungssouveränität zu mobilisieren. Für Ende des Jahres 2011 planen die
beiden Organisationen eine Karawane für die Ernährungssouveränität, die von
Land zu Land ziehen soll. Die Veranstalter wollen die am stärksten
gefährdeten Bevölkerungsgruppen informieren und mobilisieren, an den
Erfahrungen der bäuerlichen Basisbewegungen teil zu haben und die
internationale Solidarität zu Fragen des Klimawandels und der
Ernährungssouveränität, vor allem in Südasien, zu entwickeln. Die Rolle
dieser fortschrittlichen und unabhängigen Organisationen ist sehr wichtig.
Sie sind ein wichtiger Teil beim Aufbau einer radikalen globalen
Massenbewegung für Klimagerechtigkeit


Übersetzung: Björn Mertens



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Aus:   Inprekorr Nr. 4/2011    (Internationale Pressekorrespondenz)
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[1] Siehe den Artikel von Esther Vivas, «Alternatives to the Dominant
Agricultural Model», in /International Viewpoint/.
[2] Bangladesh Krishok Federation (BKF) und Bangladesh Kisani Sabha (BKS)
sind zwei Bauernorganisationen, die  Via Campesina in Bangladesch vertreten.
Siehe http://www.krishok.org/



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