[IPK] Klimavereinbarung zwischen China und den USA: zu wenig, zu spät, gefährlich

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So Dez 7 14:21:39 CET 2014


Ökologie:
Klimavereinbarung zwischen China und den USA: zu wenig, zu spät, gefährlich
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Die Klimavereinbarung zwischen den USA und China hat großes Aufsehen erregt.
Doch besonders ehrgeizig sind die Ziele nicht und die Mittel zur Erreichung
sogar gefährlich.


Von Daniel Tanuro


Die Medien haben breit berichtet über die Vereinbarung, in der sich die
Vereinigten Staaten und China zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen
verpflichtet haben, um den Klimawandel zu begrenzen.

Durch seine Veröffentlichung nur wenige Wochen nachdem die EU ihre eigenen
Emissionsreduktionsziele bekannt gemacht hat, erhöht diese Vereinbarung die
Wahrscheinlichkeit, dass die Klimakonferenz in Paris Ende 2015 (COP21) kein
Remake von Kopenhagen (2009) sein, sondern zu einem guten und ordentlichen
internationalen Abkommen führen wird.

Gleichzeitig bestätigt der Inhalt der Verpflichtungen der beiden größten
Emittenten von Treibhausgasen die ohnehin schon hohe Wahrscheinlichkeit,
dass dieses internationale Abkommen ökologisch unzureichend und
technologisch schädlich, also sozial ungerecht sein wird.


CHINESISCHE VERPFLICHTUNGEN

Beginnen wir mit der chinesischen Seite der Vereinbarung. Der in Peking von
Barack Obama und Xi Jinping präsentierte Text sagt zu, dass China spätestens
2030 beginnen wird, seine absoluten Emissionen zu reduzieren und dass
"kohlenstofffreie" Quellen dann 20 % seines Energiebedarfs decken werden.

Um diese Zusage bewerten zu können, muss man wissen, dass diese
"kohlenstofffreien" Quellen in China im Jahr 2013 bereits 9 % des
Primärenergieverbrauchs decken und der zwölfte Fünfjahresplan 15 % im Jahr
2020 vorsieht. Beim Takt der Investitionen wären 5 % mehr in zehn Jahren
keine besondere Leistung: Im Jahr 2012 wurden 65 Milliarden US-Dollar in
"nicht-fossile" Energien investiert.

Man sollte auch wissen, dass "kohlenstofffreie Quellen" nicht "erneuerbare
Quellen" bedeuten. Die Energie der großen Wasserstaudämme und Atomkraftwerke
ist nicht erneuerbar (Stauseen werden von Ablagerungen gefüllt, Uranreserven
sind begrenzt), aber diese Quellen werden als "kohlenstofffrei" oder
"kohlenstoffarm" betrachtet. China hatte im April 2014 20 Kernreaktoren in
Betrieb und 28 in Bau (darunter 2 EPR [1]). Nach Fukushima war das
Atomprogramm eingefroren, ist jetzt aber wieder voll reaktiviert: die
installierte Leistung soll sich bis 2020 mehr als verdreifachen ...

Schließlich sollte man auch wissen, dass laut IPCC zur Einhaltung der
2°C-Grenze unter Berücksichtigung der "differenzierten Verantwortung" der
verschiedenen Ländergruppen ("Industrie-", "Schwellen-" und "andere") Länder
wie China ihre Energieeffizienz um 15 bis 30 % (je nach Entwicklungsstand)
steigern, also ihre relativen Emissionen entsprechend senken müssen. Mit
einem Ziel von 20 % bleibt China deutlich an der Unterseite dieses Bereichs
...


VERPFLICHTUNGEN DER USA

Betrachten wir nun die Verpflichtungen der USA. Der Vereinbarung zufolge
verpflichten sich die USA, ihre Emissionen bis zum Jahr 2025 im Vergleich zu
2005 um 26 bis 28 % zu senken.

Nach Angaben der US-Umweltbehörde (EPA) emittierten die Vereinigten Staaten
im Jahr 2005 7 254 Gigatonnen (Gt) Treibhausgase. Eine Reduktion von 26 % im
Jahr 2025 würde also bedeuten, dass die Emissionen auf 5 368 Gt (5 223 Gt
für 28 %) reduziert werden müssten.

Einige Punkte verdienen in Erinnerung gerufen zu werden, um dieses Ziel
bewerten zu können:

* Nach dem Kyoto-Protokoll (das die USA unterzeichnet, aber nie ratifiziert
haben), sollte Uncle Sam seine Emissionen im Jahr 2012 um 8 % gegenüber 1990
reduziert haben. Das bedeutet, dass die Emissionen von 6 233 Gt (der Wert
von 1990) auf 5 734 Gt hätten fallen müssen (stattdessen stiegen sie um
0,2 % im Jahresdurchschnitt und erreichten 6°526 Gt). Mit anderen Worten:
Obama bemüht sich, in 2025 kaum mehr als das Ziel zu erreichen, dass die USA
bereits vor zwei Jahren hätten erreicht haben sollen.

* Die US-Emissionen sind von 1990 bis 2005 gestiegen, während sie seither um
durchschnittlich 1,4 % pro Jahr zurückgehen. Diese Verringerung ist
insbesondere Ergebnis der Tatsache, dass Schiefergas teilweise Kohle in der
Stromerzeugung ersetzt. Doch nach der Vereinbarung fallen die US-Emissionen
von 6°526 Gt in 2012 auf 5 368 Gt im Jahr 2025 ... das entspricht einer
Verringerung von 96 Gt / Jahr -- genau 1,4 %. Mit anderen Worten: Obama hat
sich einfach verpflichtet, bis zum Jahr 2025 das derzeitige Tempo des
Rückgangs der Emissionen beizubehalten ... durch die katastrophale
Ausbeutung von Schiefergas. [2]

* Nicht zuletzt sollten laut IPCC, um eine realistische Chance zu wahren,
den Temperaturanstieg von 2°C nicht zu sehr zu überschreiten, unter Achtung
des Grundsatzes der "differenzierten Verantwortung" zwischen verschiedenen
Ländergruppen, die Emissionen der Industrieländer bis 2020 um 25 bis 40 %
gegenüber 1990 reduziert werden. Im Fall der USA wäre dies ein Emissionsziel
zwischen 4 665 Gt (-25 %) und 3 740 Gt (-40 %) ... im Jahr 2020. Dazu im
Vergleich die Vereinbarung: 5 368 Gt ... in 2025.



ATOMENERGIE, SCHIEFERGAS, CO2-EINLAGERUNG ...

Sehen wir uns einmal an, wie die Vereinigten Staaten und China ihre Ziele
erreichen wollen. Der Text der Vereinbarung sagt in aller Klarheit: "Die
beiden Parteien beabsichtigen ihren politische Dialog und die praktische
Zusammenarbeit weiter zu vertiefen, einschließlich der Zusammenarbeit auf
dem Gebiet fortschrittlicher Kohletechnologien, der Kernenergie, des
Schiefergases und der erneuerbare Energien, die dazu beitragen, den
Energie-Mix zu optimieren und die Emissionen, einschließlich der von
Kohlenstoff, in den beiden Ländern zu reduzieren.

Der Begriff "fortschrittliche Kohletechnologien" bezieht sich insbesondere
auf die geologische Speicherung von abgetrenntem CO2. Ich lenkte die
Aufmerksamkeit auch auf die Tatsache, dass diese Zauberlehrling-Technologie
dabei ist, sich als DER kapitalistische (also lahme) Kompromiss zwischen dem
Kampf gegen die Erderwärmung und den Interessen der multinationalen
Fossilenergiekonzerne zu etablieren. Die Vereinbarung zwischen China und den
USA bestätigt diese Beurteilung. Sie sieht "die Einrichtung eines neues
Großprojekts zur Einlagerung von Kohlenstoff in China durch ein
internationales öffentlich-privates Konsortium unter Führung der Vereinigten
Staaten und China vor mit dem Ziel intensiver Studien und der Errichtung
einer Pilotanlage zur Kohlenstoffspeicherung unter Nutzung von industriellem
CO2, und auch die gemeinsame Arbeit an einem neuen Pilotprojekt zur
verbesserten Rückgewinnung von Wasser (Enhanced Water Recovery), bei dem
Süßwasser durch Injektion von CO2 in tiefe saline Aquifere [3] produziert
wird."

Ganz klar: die beiden großen Kohlemächte China und die USA wollen auch
weiterhin ihre riesigen Kohlevorräte (200 bis 300 Jahre beim heutigen
Verbrauch) verbrennen, aber das Verbrennungsprodukt CO2 unterirdisch
speichern.

Die Abscheidung und Einlagerung ist eine der Techniken des
"Geo-Engineering", wie sie von einem Dr. Seltsam [4] erdacht sein könnte,
für die das kapitalistische Wachstum ein ebenso unbestreitbares Naturgesetz
ist wie die Anziehung der Massen ... Aber die Risiken der Einlagerung sind
ernst, beginnend mit dem Risiko von massiven CO2-Leckagen im Falle von
Erdbeben (manche meinen sogar, die Einlagerung könne sie selber auslösen!)..

Doch nichts soll die kommende Jagd nach Profit behindern. Die USA stellen
die Technologie zur Verfügung, China bietet Speichermöglichkeiten an. Auf
diese Weise und unter der Führung der "Kommunistischen Partei" wird die
Werkstatt der kapitalistischen Welt auch weiterhin fossile Brennstoffe
verwenden, um Handelswaren billig zu produzieren und massiv auf den
westlichen Märkten zu verkaufen. Darüber hinaus würde die Injektion von CO2
in tiefe saline Aquifere erlauben, Wasser zurückzugewinnen, das nach seiner
Entsalzung eine wertvolle Ressource wäre ... natürlich verwertbar gegen
klingende Münze.


ES SIND VERRÜCKTE, DIE DIE WELT REGIEREN

Für das System ist die Politik des Kampfs gegen den Klimawandel nur denkbar,
wenn und soweit man damit Geschäfte machen kann. Wenn dies der Fall ist,
handelt es sich zwangsläufig um eine gute Politik, nicht wahr? Wie die
Vereinbarung sagt: "Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat deutlich gemacht,
dass menschliche Aktivitäten schon begonnen haben, das globale Klimasystem
zu verändern. Gleichzeitig machen Wirtschaftsdaten immer deutlicher, dass
ein gegen den Klimawandel gerichtetes intelligentes Handeln Innovationen
auslösen, das Wirtschaftswachstum steigern und erhebliche Gewinne bringen
kann." Wenn es um Gewinne geht, lassen sie keine Kassandra-Rufe zu.

Die Klimavereinbarung zwischen China und den USA erinnert an Churchills
berühmten Satz: "Too little, too late". Es ist in der Tat "Zu wenig, zu
spät", und sehr gefährlich und massiv antisozial. Man kann es nicht oft
genug sagen: Es sind die Armen, die die Rechnung für die globale Erwärmung
zahlen werden und schon zahlen, und der Preis wird kolossal sein.
Mobilisieren wir gemeinsam mit unseren Organisationen, unseren
Gewerkschaften, unseren Frauen- und Jugendbewegungen! Gemeinsam können wir
diese Verrückten, die die Welt beherrschen, wieder einfangen. Gemeinsam
können wir eine Energiewende durchsetzen, die sowohl ökologisch wirksam als
auch sozial gerecht ist.


14. November 2014 

Übers. Björn Mertens



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Aus: Inprekorr (Online-Ausgabe) Nr. 1/2015  (Internat.Pressekorrp.)
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[1]  Europäischer Druckwasserreaktor -- d. Üb.
[2] Laut Kevin Anderson, Direktor des Tyndall Center on Climate Change
Research, sollten die Industrieländer unverzüglich ihre Emissionen um
jährlich 11 % bis 2050 reduzieren.
[3]  Salzwasserhaltige Erdschichten -- d. Üb.
[4]  Anspielung an den Wissenschaftler im Film "Dr. Seltsam oder wie ich
lernte die Bombe zu lieben", der bizarre Pläne für das Überleben nach einem
Atomkrieg entwickelt -- d. Üb.



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