[IPK] Fidel Castro (1926--2016): Ein neues Kapitel ist aufgeschlagen

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Di Dez 6 08:09:08 CET 2016


Fidel Castro (1926--2016): Ein neues Kapitel ist aufgeschlagen

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Man führe sich vor Augen, wie die Welt damals ausgesehen hat: Der Kalte
Krieg war auf dem Höhepunkt, die internationale Arbeiterbewegung war durch
den Stalinismus wie auf Eis gelegt. Die kubanische Revolution hat die
blockierte Situation aufgebrochen und eine neue Hoffnung geschaffen.

 

 

Von François Sabado

 

 

 

EINE INTERNATIONALISTISCHE REVOLUTIONÄRE DYNAMIK

 

Wie konnte es sein, dass eine "Guerilla" von ein paar Dutzend, dann ein paar
hundert KämpferInnen ein ganzes Volk mit sich ziehen kann, so dass die
blutige Diktatur von Batista gestürzt wird? Wie ist es zu erklären, dass es
einem Volk von 10 Millionen Menschen gelingt, dem US-amerikanischen
Imperialismus die Stirn zu bieten und dadurch die Weltlage zu polarisieren?

 

An dieser Stelle sind die Führungsqualitäten von Fidel Castro anzuerkennen.
Sie stehen in der Tradition von José Martí, dem kubanischen Revolutionär und
Vorkämpfers für die nationale Befreiung gegen den nordamerikanischen
Imperialismus. Es ist aber eine doppelte Besonderheit der kubanischen
Revolution festzuhalten: Während in der damaligen Arbeiterbewegung
Strategien von Bündnissen mit der nationalen Bourgeoisie vorherrschen,
betreiben Fidel und seine MitkämpferInnen eine Strategie des bewaffneten
Kampfs, bei der Aktionen der Guerilla, die Massenbewegung, Demonstrationen
und aufständische Streiks miteinander kombiniert werden. Die zweite
Besonderheit besteht darin, dass die kubanische Führung dadurch, dass sie
sich dem "Yankee-Imperialismus" entgegenstellt, die Souveränität des Landes
sichert. Dazu nationalisiert sie das große kapitalistische Eigentum, vor
allem das nordamerikanische, und beginnt sie das Land aus der
Unterentwicklung herauszuholen, vor allem in den Bereichen Bildung und
Gesundheit.

 

Auch wenn Kuba ein kleines Land ist, treibt Fidel einen revolutionären
Prozess in der westlichen Hemisphäre voran. Die Alchemie zwischen Fidel und
[dem aus Argentinien stammenden] Che Guevara knüpft an die besten
internationalistischen Traditionen der Arbeiterbewegung an. Es gibt
zahlreiche Aufrufe zur Unterstützung der kämpfenden Völker, an erster Stelle
des vietnamesischen Volks. Im Januar 1966 organisieren die KubanerInnen eine
internationale Konferenz der sogenannten "Trikontinentale", zu der die
antiimperialistischen Kräfte aus Afrika, Asien und Lateinamerika
zusammenkommen. Das war eine Premiere seit den großen internationalen
Konferenzen der 1920er Jahre. Diese Politik konkretisiert sich in den
bewaffneten Kämpfen, die der Che in Lateinamerika (Bolivien) und in Afrika
(Kongo) betreibt; auch in den 1970er Jahren, als durch die Entsendung von
Tausenden von kubanischen Soldaten dem angolanischen Volk geholfen wird, die
Angriffe der südafrikanischen Truppen zurückzuschlagen.

 

Wir können -- und wir müssen -- über bestimmte militaristische Irrwege der
kubanischen Strategien diskutieren, das Wesentliche in der damaligen Periode
war aber das Wiederaufleben einer internationalistischen revolutionären
Dynamik.

 

 

SOWJETISCHER DRUCK UND BÜROKRATISCHE DEFORMATIONEN

 

Die kubanische Revolution war ab Ende der 1960er mit der Realität der
Kräfteverhältnisse und des Weltmarkts konfrontiert. Sie macht am "eigenen
Leib" die schmerzhafte Erfahrung, wie sehr die Warnung an die revolutionäre
Bewegung zutrifft, die von der russischen Revolution ausgegangen ist: "Der
Sozialismus lässt sich nicht in einem einzelnen Land aufbauen" ...

 

Das Land ist isoliert, es wird von der nordamerikanischen Blockade und dem
Embargo an der Gurgel gepackt, die kubanische Führung hat immer weniger die
Mittel, um ihre Politik durchzuführen. Die taktischen Vereinbarungen mit der
UdSSR, die gegen den US-Imperialismus notwendig sind, verwandeln sich in
politische Unterordnung. Im August 1968 unterstützt Fidel Castro die
russische Intervention in der Tschechoslowakei. Auf wirtschaftlichem Gebiet
schwächt die Entscheidung, die Zuckermonokultur zu verstärken, das Land
beträchtlich, sie führt 1970 zum Scheitern der "zafra", der Zuckerrohrernte.
Sie steigert die Abhängigkeit Kubas von der UdSSR, und das umso mehr, als
die nordamerikanische Blockade noch strikter wird.

 

Vor diesem Hintergrund dient das sowjetische Modell immer mehr als Vorbild.
Die Konzeptionen einer hierarchischen Ordnung von oben nach unten, die
darauf zurückgehen, dass der Militarismus der kubanischen Revolution den
Stempel aufgedrückt hat, und das sowjetische Modell verstärken die
bürokratischen Deformationen des kubanischen Staats: Einschränkungen der
demokratischen Freiheiten, Fehlen von politischem Pluralismus, Repression
gegen Oppositionelle, Konsolidierung des Regimes der Einheitspartei,
eigenständige soziale oder politische Strukturen des kubanischen Volks gibt
es nicht ...

 

 

WAS NUN?

 

Unter diesen Bedingungen haben viele vorhergesagt, die kubanische Revolution
werde ganz ähnlich wie die UdSSR und die Staaten im Osten zusammenbrechen.
Aber Kuba hat trotz der fürchterlichen Jahre der "Sonderperiode", die durch
das Ende der sowjetischen Hilfe in Verbindung mit dem US-Embargo geprägt
war, durchgehalten! Denn diese Revolution war trotz ihrer Fehler nie ein
russischer Importartikel gewesen. Sie war eine historische Bewegung, eine
eigene Bewegung des kubanischen Volks. Die "Anti-Yankee"-Triebfedern, die
Errungenschaften der Revolution (auch noch die ausgedünnten), die grimmige
Entschlossenheit zur Bewahrung seiner Souveränität sind stärker gewesen.

 

Bis wann? Die Kräfteverhältnisse sind schrecklich ungünstig. Was wird die
nordamerikanische Administration tun: Kuba mit Waren überschwemmen oder das
Embargo fortsetzen? Wie werden die Kräfte innerhalb der kommunistischen
Partei und des kubanischen Volks sich neu organisieren? Werden sich die
AnhängerInnen eines chinesischen oder vietnamesischen Wegs durchsetzen? Wird
das kubanische Volk einmal mehr die Mittel und Wege finden, um seine
Revolution fortzusetzen? Wir hoffen es und wir unterstützen es in diesem
Kampf.

 

 

Aus dem Französischen übersetzt von Wilfried Dubois

François Sabado gehört dem Büro der Vierten Internationale an und ist
Mitglied der NPA. Er ist ein wenig jünger als Alain Krivine, Daniel Bensaïd
oder Pierre Rousset, gehört aber noch zu der gleichen politischen
Generation, die von der Algeriensolidarität, der über Lateinamerika hinaus
ausstrahlenden kubanischen Revolution, der Streitfrage "Frieden für Vietnam"
oder "Sieg der Revolution" in den Jahren, in denen Indochina der "vorderste
Schützengraben" der Weltrevolution und ebenso der Welt-Konterrevolution war,
sowie den "reformkommunistischen" antibürokratischen Bewegungen in Polen und
der ?SSR geprägt worden ist; es war und ist eine Generation, die gründlich
mit der in der Arbeiterbewegung in Frankreich bis 1968 fast unangefochten
hegemonialen Französischen Kommunistischen Partei (PCF), die aber auch schon
vor Mai/Juni 1968 unter den Studierenden und SchülerInnen nicht mehr alles
auf der Linken kontrollieren konnte, gebrochen hat.

Siehe auch: Samuel Farber, "Fidel Castro (1926-2016)" (26. November 2016),
auf der Webseite der Monatszeitschrift /In These Times/ (Chicago),
http://inthesetimes.com/article/19672/fidel-castro-1926-2016-death-history-c
ommunist-party; auf Französisch:
http://alencontre.org/ameriques/amelat/cuba/cuba-fidel-castro-1926-2016.html
.

Dave Kellaway, "Fidel dies" (27. November 2016),
http://socialistresistance.org/fidel-dies/9306.

 

 

 

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