[IPK] Frankreich: Auf dem Weg iin den starken Staat

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Sa Feb 27 18:59:03 CET 2016


Frankreich:

Flexicurity à la française

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"Das Land kommt nicht so schnell voran, wie ich es gerne möchte", sagt
Präsident Hollande und meint damit mehr Flexibilisierung im Sinne der
Unternehmer bei gleichzeitiger sicherheitsstaatlicher Aufrüstung und
Einschränkung der Arbeiterrechte.

 

 

Von MiWe

 

 

Mit dem Rücktritt der Justizministerin Christiane Taubira und ihrer
Ersetzung durch Jean-Jacques Urvoas ist ein weiterer Schritt im Umbau zum
autoritären Staat gemacht. Bereits als Berichterstatter des unter seiner
Regie entstandenen und 2015 verabschiedeten Geheimdienstgesetz, dem Patriot
Act à la française, hatte Urvoas sich einen Namen als "Monsieur sécurité"
gemacht. Dieses Gesetz autorisiert die geheimdienstliche Überwachung ohne
vorherige richterliche Anordnung, u. a. wenn "essentielle ökonomische und
wissenschaftliche Interessen Frankreichs" betroffen sind, die die
öffentliche Ordnung stören könnten. Wann ökonomische und wirtschaftliche
Kerninteressen berührt werden, darüber befinden hauptsächlich die
politischen Maßgaben, nicht juristische. Dies zeigt die eigentliche
Stoßrichtung des Gesetzes, denn unter den sieben dort genannten Gründen, die
die Anwendung solcher Maßnahmen rechtfertigen, gilt nur einer der
"Verhinderung von Terrorismus".

 

Zugleich war damit die Richtung für die weitere Verschärfung der
Law-and-Order-Politik vorgegeben: Die Anschläge im Dezember 2015 lieferten
den Vorwand und Urvoas steuert sein Rechtsverständnis bei, wonach
administratives Vorgehen über juristischen Abwägungen steht. Somit ist er
der perfekte Vollstrecker der von der Regierung vorgelegten
Verfassungsänderung, die am 10.2.2016 vom Parlament gebilligt wurde und nun
noch vom Kongress verabschiedet werden muss.

 

Parallel dazu soll das französische Arbeitsrecht reformiert werden, weil es
nach Ansicht der Regierung "zu schwerfällig und kompliziert" sei, um den
Bedürfnissen der Unternehmen und den Erfordernissen der Kapitalkonkurrenz
auf dem Weltmarkt zu genügen. Die neue Arbeitsministerin El Khomri legte
einen Entwurf vor, wonach Abweichungen von der gesetzlichen Norm mittels
Betriebsvereinbarungen ermöglicht werden. Damit sollen Urlaubsansprüche,
Feiertagsarbeit, Überstundenzuschläge, Arbeitszeit etc. an die "Bedürfnisse
der Unternehmen" angepasst, also u. a. die 35 h-Woche ausgehebelt werden.
Zugleich soll das Vetorecht der Gewerkschaften dagegen stark beschnitten und
der Kündigungsschutz gelockert werden -- eine alte Forderung der
Unternehmer, vor der selbst die einstige Regierung unter Chirac
zurückgeschreckt war. Parallel dazu werden Kürzungen für Erwerbslose
verhandelt. El Khomri droht wegen des zu erwartenden Widerstands, auch aus
den Reihen der Sozialdemokraten, das Gesetz mithilfe eines Sonderparagraphen
der Verfassung in Kraft zu setzen.

 

Bisher läuft der Widerstand gegen die Einschränkung der Arbeiterrechte und
die Verstetigung des Notstands, die auf die Spaltung und Einschüchterung der
Bevölkerung zielen, um sie vom aktiven Protest gegen Sozialabbau etc.
abzuhalten, eher ambivalent. Zwar gibt es diverse und breit befolgte Aufrufe
gegen das Notstandsgesetz und die vorgesehene Ausbürgerung, die bis weit in
die Reihen der Regierungspartei hineinreichen (stellvertretend findet sich
im Dossier ein Kommuniqué einer Richtergewerkschaft); und auch die Petition
der CGT gegen die Haftstrafen für Goodyear- Beschäftigte wegen radikaler
Widerstandsformen gegen die Betriebsschließung fand bisher 150 000
UnterzeichnerInnen. Aber auf den Straßen sind die Proteste bisher eher
zögerlich und zudem durch konkurrierende Plattformen mitunter gespalten. Der
Kampf gegen Rassismus und Islamophobie wiegt nicht unter allen Beteiligten
gleich schwer, obwohl Moslems im bevorzugten Visier der Verfolgungsmaßnahmen
stehen. Damit erschwert es sich die Opposition, die am stärksten Betroffenen
in die Bewegung einzubeziehen. Auch die linke parlamentarische Opposition
ist gespalten. Während weite Teile der (zerstrittenen) Grünen die
Notstandsmaßnahmen ablehnen, haben sich namhafte VertreterInnen wie die
bisherige Generalsekretärin Emmanuelle Cosse wieder in die Regierung
einbinden lassen. Der KP-Vorsitzende Laurent befürwortet "Urwahlen der
Linken" unter Einschluss von Hollande zur Nominierung eines gemeinsamen
Präsidentschaftskandidaten bei den im kommenden Frühjahr anstehenden Wahlen,
während sich Mélenchon von der Parti de gauche (PG, Linkspartei) bereits zum
Kandidaten ausgerufen hat.

 

Themen des folgenden Dossiers sind der geschichtliche Hintergrund des
"starken Staates" in Frankreich und der Rechtsruck der Sozialdemokratie, die
durch ihre Anleihen aus der Requisitenkiste des Front national das
gesellschaftliche Gravitationszentrum nach rechts verschiebt und damit das
Erstarken der Rassisten befördert. Zudem werden die Auswirkungen dieser
Gesetzesinstrumentarien auf die betrieblichen Kämpfe zur Abwehr von
Arbeitslosigkeit, Verarmung und neoliberalen Reformen, die zunehmend Opfer
von Repression und Kriminalisierung sind, beleuchtet.

 

 

 

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Aus:   Inprekorr Nr. 2/2016    (Internationale Pressekorrespondenz)

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