[IPK] Venezuela entscheidet die Zukunft der ganzen Region

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Do Feb 14 01:00:51 CET 2019


Venezuela:

Venezuela entscheidet die Zukunft der ganzen Region

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Die Selbsternennung von Guaidó ist der lächerlichste und gefährlichste
Putschversuch der letzten Jahre. Mit der dreisten Unterstützung aus
Washington beabsichtigt die Rechte, einen Unbekannten im obersten Staatsamt
zu platzieren.  

 

 

Von Claudio Katz

 

 

Dieses Mal war das Startsignal nicht ein terroristischer Akt und auch kein
weiterer Mordversuch an Maduro. Trump hat in seinen Reihen diverse
Verschwörungsexperten installiert (Abrams, Pence, Bolton, Rubio) und
entschied, die in den Vereinigten Staaten operierende venezolanische Firma
zu beschlagnahmen (CITGO [1]). Er beerdigte alle Prinzipien der
Rechtssicherheit, um die Aneignung des Erdöls desjenigen Landes zu beginnen,
das die bedeutendsten Reserven der Welt besitzt. 

 

Die rechten Regierungen Südamerikas befürworten den Putsch aus anderen
Gründen. Duque [Präsident Kolumbiens] beabsichtigt, die
Friedensvereinbarungen mit der Guerilla zu begraben, nachdem er die
Schwächung von UNASUR [2] angeführt hatte. Er beherbergt in Kolumbien
bereits das Kontingent der US-Marines, das nun zur Begleitung jeglicher
Provokation benötigt wird.

 

Bolsonaro identifiziert Venezuela weiterhin mit all dem Unglück des
"Populismus". Mit dieser Rhetorik verbirgt er sein improvisiertes Debüt in
der Präsidentschaft und verschiebt durch Ablenkung die unvermeidliche
Enttäuschung seiner Wähler in die Zukunft.

 

Macri ist ein Kreuzzügler der ersten Stunde, der mit anderen Dienern des
Imperiums konkurriert. Deswegen verstärkt er seine Unterwerfungsgesten,
indem er eine Funktionärin seines eigenen Teams zur Botschafterin Guaidós in
Argentinien ernennt. Die venezolanischen Immigrant*innen werden hier von der
sonst üblichen Xenophobie gegen Ausländer ausgenommen, damit nicht von der
Inflation, der Arbeitslosigkeit und steigenden Lebenshaltungskosten die Rede
ist. Außerdem spaltet er die argentinische Opposition, indem er sich bei der
Verunglimpfung von Venezuela mit Führungspersönlichkeiten des offiziellen
Peronismus einig ist (Urtubey, Massa, Pichetto).

 

Ohne die Unterstützung des nordamerikanischen Auftraggebers sind Duque,
Bolsonaro und Macri aber völlig ineffektiv. Ihre "Lima-Gruppe" [3] konnte
nicht einmal Maduros Amtseinführung boykottieren. An dieser Zeremonie nahmen
mehr ausländische Delegationen teil als bei der Investitur des neuen
wahnwitzigen brasilianischen Kapitäns.

 

Derweil klammert sich die zersplitterte venezolanische Rechte an einen
Fantasie-Präsidenten. Sie konnte die Präsidentschaftswahlen niemals gewinnen
und scheiterte bei allen Versuchen, die verlorenen Abstimmungen infrage zu
stellen. Sie akzeptierte ohne zu zögern das Yankee-Veto für die
Verhandlungen mit dem Chavismus und übt sich in regelmäßigen Abständen in
brutalen Gewalttaten. Im Moment fungiert sie als einfache Marionette des
US-Außenministeriums und ist von Trumps Twitter-Humor abhängig.

 

 

DOPPELTE MASSSTÄBE

 

Die Putschführer der Karibik sind in den Medien als große Stars
wiederaufgetaucht. Sie haben die Komplizenschaft von Journalisten, die
Maduro eine Vielzahl von Sünden zuschreiben, die auch in anderen Regierungen
der Region sichtbar sind. Wenn sie diese Ähnlichkeit wahrnehmen könnten,
würde ihre Verschwörung unvertretbar oder sie müssten in vielen Ländern den
gleichen Regierungswechsel einfordern.

 

Der illegitime Charakter der venezolanischen Regierung wird hervorgehoben,
als wäre diese aus Wahlbetrug hervorgegangen. In Wirklichkeit kann sie sich
jedoch auf eine Unterstützung von 67 % der Bevölkerung bei den Wahlen
berufen, das heißt auf höhere Zustimmungsraten als bei den letzten Wahlen in
Chile oder Kolumbien. Die dortige geringe Wahlbeteiligung lässt übrigens
keinen Kommentator den Sturz von Piñera oder Duque vorschlagen.

 

Zwar forderte ein Teil der Opposition den Boykott der Wahlen [4], aber ein
anderer beteiligte sich und das Endergebnis wurde nicht infrage gestellt. In
einem Wahlsystem, das von mehreren internationalen Organisationen (Carter)
und Persönlichkeiten (Zapatero) gelobt wurde, wurden auch keine Beweise für
Betrug vorgelegt. Mit derselben Abstimmungsmethode wurden 2015 die
Abgeordneten der von der Opposition dominierten Nationalversammlung gewählt.
Obwohl zweimal die gleichen Wahlgrundsätze galten, wird Maduro abgelehnt und
Guaidó anerkannt.

 

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die chavistische Regierung 24 Wahlen
abgehalten, bei denen es auch um mögliche Beschränkungen der Kompetenzen des
Präsidenten ging. Dieses Recht gilt in keinem anderen Land der Region. Die
Teilnahme der Wähler*innen ist nicht obligatorisch, liegt jedoch
normalerweise über dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Die Opposition
erkennt die Niederlagen nie an und rechtfertigt die für sie nachteiligen
Ergebnisse immer mit Betrugsvorwürfen.

 

Mit ihren zwei Maßstäben bemängeln die Korrespondenten diese Abstimmungen
und finden gleichzeitig die brasilianischen Wahlen normal, während Lula im
Gefängnis sitzt. Sie fechten das venezolanische Rechtssystem an und
verherrlichen gleichzeitig den Richter Moro, der den brasilianischen Führer
verfolgen ließ. Sie lehnen nicht einmal die Belohnung Bolsonaros ab, der
Moro für seine Verdienste zum Justizminister ernannte. 

 

Die Medien verurteilen auch die Verhaftung von Oppositionsführern (Carmona,
Ledesma, López), die Ursachen für diese Inhaftierungen präzisieren sie
lieber nicht. Sie wurden nicht eingesperrt, weil sie von ihrem Recht auf
kritische Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben, sondern wegen
Vorbereitungen zum Staatsstreich und ihrer Teilnahme an den blutigen
/guarimbas/ [5]. Dem Chavismus wird hierzu eine tolerante Haltung
abverlangt, die so nirgendwo in Lateinamerika existiert. Man erwartet, dass
er Verständnis für den versuchten Mord an Amtsträgern haben solle.

 

Die Korrespondent*innen erwähnen auch nicht die brutale Verletzung der
Menschenrechte, die von den Regierungen mit der größten Feindschaft
gegenüber Venezuela ausgeübt wird. Seit der Unterzeichnung des
Friedensabkommens haben kolumbianische Paramilitärs (geschützt durch die
Regierungspartei) Hunderte Führer der sozialen Bewegung ermordet. In
Argentinien nehmen die politischen Gefangenen zu und es herrscht
Straflosigkeit für die Verantwortlichen an den Verbrechen gegen Santiago
Maldonado und Rafael Nahuel. In Brasilien nahmen die Angriffe gegen die
Mitglieder des MST [6] zu und die Verbindungen der Mörder der Kämpferin
Marielle Franco mit Bolsonaros Sohn wurden aufgedeckt.

 

Der Chavismus wird auch wegen imaginärer Verbindungen zum Drogenhandel
angeprangert. Aber die Ankläger verbergen die nachgewiesene Finanzierung der
Rechten durch diese Mafia in Kolumbien. Auch bestraft keine internationale
Körperschaft dieses Land für den illegalen Drogenanbau. Und was in Mexiko
passiert, ist noch viel schlimmer. Das gesamte Territorium wurde durch ein
Massaker mit 200 000 Toten zerrissen [7], ohne dass die Organisation
Amerikanischer Staaten irgendeine regionale Intervention unterstützte.

 

Venezuela leidet sicherlich unter der massiven Auswanderung als Folge des
wirtschaftlichen Dramas. In ähnlichen Zusammenhängen wurden diese Bewegungen
jedoch auch in anderen Ländern nachgewiesen. Das Elend drängt immer dazu, in
sicherer Nachbarschaft Zuflucht zu suchen.

 

Wenn diese Katastrophe eine "humanitäre Krise" darstellt, würde dieselbe
Charakterisierung für gleichwertige Migrationen gelten. Aber niemand
interpretiert in diesem Sinne die schreckliche Flucht zentralamerikanischer
Familien in den Norden. Diese Plage führt nicht zu Hilfssammlungen durch
fromme Helfer. Sie führt nur dazu, eine schreckliche Grenzmauer zu
errichten. Während des Bürgerkrieges, den Kolumbien erlebte, kam es auch zu
massiver Migration von Menschen, deren Schicksal aber keine Aufrufe zur
ausländischen Intervention provozierte.

 

Die großen Medien krönen ihre Berichterstattung über Venezuela immer mit
einem Beispiel der Verletzung der Pressefreiheit. Die Störungen, die sie
darstellen, sind jedoch irrelevant, verglichen mit dem systematischen Mord
an Journalist*innen, den diese in Mexiko und anderen zentralamerikanischen
Ländern erleiden müssen. Die Verbreiter von Lügen wenden doppelte Maßstäbe
an.

 

 

WIDERSPRÜCHE UNTER DER OBERFLÄCHE

 

Es reicht aus, sich zu erinnern, was im Irak und in Libyen passiert ist, um
den Ernst der gegenwärtigen Bedrohung zu verstehen. Der Imperialismus kann
unvorstellbare Zerstörungen verursachen. Wenn er eine groß angelegte
Intervention wagt, wird Lateinamerika nicht länger vor biblischen
Katastrophen wie in Afrika oder im Nahen Osten geschützt sein.

 

Die Rechte sieht diese Gefahr nicht und geht davon aus, dass sie ohne
Zugeständnisse einen schnellen Sieg erringen wird. Sie kündigt bereits den
Rückzug des Chavismus, die Isolation von Maduro und die nächste Desertion
innerhalb der militärischen Führung an. Sie unterstreicht auch den eigenen
Zusammenhalt und die einstimmige internationale Unterstützung für ihre
Sache. Diese Fabeln halten aber nicht auch nur der geringsten Analyse stand.

 

Das Kommandozentrum in Washington ist selbst durch scharfe Uneinigkeit und
einen schwierigen politisch-juristischen Kontext geprägt, dem sich Trump
stellen muss. Das Fiasko im Nahen Osten hat Vorbehalte gegen jegliche
auswärtige Feldzüge potenziert. Die Yankee-Militärs sind ratlos und sehen
sich gezwungen, ihre Truppen aus Syrien und Afghanistan abzuziehen.
Vorschläge einer erneuten Besetzung wie früher in Granada oder Panama werden
verworfen und das typische Ultimatum, das dem Angriff auf Hussein oder
Gaddafi vorausging, wird lieber verschoben. Derzeit überprüft das Pentagon
nur begrenzte Operationen, die unter dem fadenscheinigen Vorwand der
humanitären Hilfe beginnen sollen. 

 

Auch die europäischen Partner sind nicht zu bellizistischen Abenteuern
bereit. Sie beteiligen sich am Komplott gegen Venezuela, jedoch ohne
weitreichende Drohungen. Es gibt innerhalb der westlichen Führung
Meinungsverschiedenheiten, die eine einheitliche Anwendung von Sanktionen
innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten oder der Vereinten
Nationen verhindern, während die Neutralität des Vatikans fortbesteht.

 

Die Verschwörer haben auch die wachsende Rolle Russlands bei der Versorgung
der venezolanischen Armee zur Kenntnis genommen. Diese Präsenz kann das
Spiel von Trump um die Ölvorkommen verkomplizieren, wenn der Besitz
russischer Aktien an CITGO bestätigt wird. Außerdem ist noch nicht bekannt,
wer das Hauptopfer dieser Enteignung sein wird. Einige Experten vertreten
die Meinung, dass es den Vereinigten Staaten gelungen ist, den
venezolanischen Anteil der Ölimporte durch eigene Ressourcen zu ersetzen.
Die Einkäufe machen jedoch bisher immer noch 13 % der US-Importe aus und
ihre Annullierung könnte sich grundsätzlich auf den Energiepreis auswirken.

 

Alle Schwierigkeiten, denen die Putschisten gegenüberstehen, werden von den
Medien streng unterschlagen. Sie setzen auf eine triumphalistische
Berichterstattung, die das Fehlen bedeutender Errungenschaften der Rechten
in den ersten vierzehn Tagen der Verschwörung mit Schweigen bedenkt. Solange
die Bestechungsgelder, Drohungen und Versprechen der Yankees die Loyalität
der Streitkräfte nicht untergraben, wird Guaidó weiterhin ein geisterhaftes
Mandat ausüben.

 

 

SCHLACHTEN AN ZWEI FRONTEN

 

Es stimmt, dass die Rechte ihre Mobilisierungsfähigkeit wiedererlangt hat,
aber der Chavismus hat mit ebenso massiven Demonstrationen reagiert. Auf dem
Höhepunkt der sozialen Krise hat die Regierung eine bemerkenswerte
Durchsetzungskraft. Alle wissen, dass die Macht nicht durch die simple
Wiederholung von Aufmärschen übergeben werden wird. Die aktuelle unklare
Situation kann für die Opposition noch sehr problematisch werden. 

 

Ihre Führer werden sich erneut dem Dilemma stellen müssen, entweder wieder
auf Gewalt zu setzen (was sie 2017 isoliert hat) oder den Status quo zu
akzeptieren (was sie ermüden wird). Derzeit vermeiden sie die Wiederholung
der /guarimbas /in den wohlhabenden Vierteln, wohingegen einige
Provokationen in den ärmeren Stadtteilen ausprobiert werden.

 

Auch die Regierung hat aus früheren Konfrontationen gelernt und handelt mit
Vorsicht. Sie toleriert die fotogenen Erscheinungen von Guaidó und setzt auf
dessen allmähliche Demoralisierung. Der Zusammenbruch der Wirtschaft wirft
jedoch ernste Fragen nach der Unterstützung durch das Volk im Kampf gegen
die Rechte auf. Die gesamte venezolanische Gesellschaft wird von einem
riesigen Rückgang der Einkommen zerrissen.

 

Der Rückgang der in den letzten fünf Jahren registrierten Wertschöpfung hat
bereits 30 % des BIP zerstört. Diese Rezession hat die gleiche Tragweite wie
die Weltwirtschaftskrise der Vereinigten Staaten von 1929 bis 1932. Das
Debakel trifft alle Sektoren.

 

Das auf dem Erdöl basierende extraktivistische Modell hat sich um die Hälfte
reduziert und die monetäre Finanzierung des Haushaltsdefizits verursachte
die größte Hyperinflation des 21. Jahrhunderts. Die Preissteigerung stieg
von 300 % (2016) auf 2000 % (2017) und ist aktuell nicht einmal genau
definierbar. 

 

Durch diese Größenordnung wird das Lohnwesen zerstört, der Tauschhandel
etabliert sich und es kommt zu akutem Mangel an Lebensmitteln und
Medikamenten. Die täglichen Leiden sind schrecklich und das Überleben hängt
von offiziellen Versorgungsstrukturen ab (CLAPS [8]).

 

Die Medien präsentieren diesen Zusammenbruch als unaufhaltsame Konsequenz
des "chavistischen Populismus". Sie lassen jedoch die direkte Verantwortung
der Architekten des Wirtschaftskrieges aus. Die äußere Blockade und die
innere Sabotage brachten die Ölförderung zum Einsturz, reduzierten die
internationalen Devisenreserven und verteuerten die Importe. Ausländische
und lokale Kapitalisten haben diesen Zusammenbruch verursacht, um den
Antritt eines politischen Regimes zu erleichtern, das ihren Geschäften
nahesteht.

 

Diese unbeschreiblichen wirtschaftlichen Widrigkeiten wurden durch
Improvisation, Unfähigkeit und staatliche Komplizenschaft verschärft. Maduro
hat den Zusammenbruch der Produktion zumindest passiv toleriert. Er lehnte
alle Vorschläge des kritischen Chavismus ab, die korrupten Bürokraten und
ihre millionenschweren Partner zu bestrafen.

 

Diese Vorschläge bilden aber den Ausgangspunkt, um den Zusammenbruch der
Produktion zu stoppen. Dazu gehören eine wirksame Kontrolle der Banken zur
Verhinderung von Kapitalflucht, radikale Änderungen bei der Zuweisung von
Devisen an den privaten Sektor, progressive Abgaben auf Reichtum und Besitz,
Anreize für die lokale Nahrungsmittelproduktion und zahlreiche Maßnahmen, um
die Bevölkerung in die Kontrolle der Preise einzubinden.

 

Dieses Programm verlangt außerdem nach einer Neuverhandlung der Schulden, um
die Währung zu stabilisieren und die Hyperinflation einzudämmen. Kein "Petro
[9]" oder "Bolívar Soberano [10]" wird funktionieren, solange unter
offiziellem Schutz die Boli-Bourgeoisie [11] existiert. Diese schmale Anzahl
an Privilegierten verteuert die Importe, transferiert ihren Besitz ins
Ausland und bereichert sich an Wechselspekulationen und Unterversorgung. Die
Rechte ist nicht der einzige Sektor, der zur Beerdigung des Chavismus
bereitsteht. Ähnliche Kräfte wirken auch innerhalb der Regierung, wenn diese
nicht die Zerstörung der Wirtschaft bremst.

 

 

SOLIDARITÄT ODER NEUTRALISMUS

 

Angesichts der Verschärfung des Konflikts schlagen viele Stimmen vor, neue
Bedingungen zu schaffen, damit die Venezolaner ihre Zukunft demokratisch
lösen können. Die Legitimität dieses Prinzips ist unbestritten. Das große
Problem besteht jedoch darin, festzulegen, wie es umgesetzt werden soll,
denn wenn der Putsch siegt, wird dieser Anspruch endgültig begraben werden.
Die Gültigkeit der Souveränität des Landes und die Verteidigung der Rechte
des Volkes erfordern in erster Linie die Niederlage der Putschisten.

 

Der anhaltende Konflikt hat bereits seinen Status als "innere Angelegenheit"
Venezuelas verloren. Die Konfrontation übersteigt diesen territorialen
Ausgangspunkt und betrifft derzeit die gesamte Region. Die beiden
wichtigsten Interessenten an der Krise haben sehr genaue Ziele. Die
Vereinigten Staaten beabsichtigen, die volle Kontrolle über ihren
/Hinterhof/ wiederzugewinnen, und die lokalen venezolanischen Eliten
versuchen, alle Forderungen der Bevölkerung, die im letzten Jahrzehnt
entstanden sind, zu begraben.

 

Wenn es den Putschisten gelingt, den Chavismus zu stürzen, werden sie sofort
über Bolivien und Kuba vorstoßen, um den neoliberalen Autoritarismus auf den
gesamten Kontinent auszudehnen. In Venezuela entscheidet sich, ob die
reaktionäre Welle gestoppt wird oder sich ausbreitet.

 

Diese Wegscheide wurde von den Parteien, Organisationen und Intellektuellen,
die den Putsch kategorisch ablehnen, richtig wahrgenommen und als Erkenntnis
durch den Impuls zu antiimperialistischen Mobilisierungen bestätigt. Das
Zögern, das während der /guarimbas/ von 2017 beobachtet wurde, hat deutlich
abgenommen. Die Absichten der Rechten treten klar zu Tage, und die
irreparablen Schäden, die ein Bolsonaro in der venezolanischen
Präsidentschaft verursachen würde, sind offensichtlich.

 

Die Dramatik dieser Aussichten mildert keinen der Einwände gegen die von der
chavistischen Regierung eingeschlagene Richtung. Es ist jedoch wichtig,
diese kritischen Fragen in dem gemeinsamen Kampf gegen die Putschisten zu
stellen.

 

Dieser Kampf erfordert auch die Überwindung der Positionen mehrdeutiger
Neutralität, die in bestimmte Verlautbarungen zum Ausdruck kommen. Denn
diese Aussagen distanzieren sich von den Protagonisten des Konflikts, indem
sie auf derselben Ebene angeordnet werden. Sie hinterfragen mit den gleichen
Maßstäben Maduro und Guaidó, die auf eine gemeinsame Illegitimität beider
hinweisen. Sie kritisieren gleichzeitig den Autoritarismus des Regimes und
die Abenteuer der Opposition. Sie wenden sich sowohl gegen die militärische
Bedrohung der USA als auch gegen die geopolitische Präsenz Russlands.

 

Aber beinhaltet die Verurteilung von Maduro und Guaidó die Nichtanerkennung
beider Protagonisten? Ist das ein Aufruf zur Nichtteilnahme an den Märschen
der Regierung und der Opposition? Bedeutet das die wahllose Verurteilung von
den US-Marines und dem bolivarischen Heer? 

 

Die Neutralisten loben die Haltung der Regierungen von Mexiko und Uruguay,
die die sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen beiden Parteien
befürworten. Diese Initiative eröffnet einen Dialog, den Maduro bereits
akzeptiert hat, den Guaidó jedoch ablehnt.

 

Es ist offensichtlich, dass die Ausgestaltung der Verhandlungen vom Ergebnis
des derzeitigen Kampfes abhängen wird. Die Rechte wird Verhandlungen nicht
akzeptieren, solange sie irgendeine Möglichkeit der direkten Machtübernahme
sieht. Diesen Plan zu verhindern ist die Voraussetzung für dann folgende
Verhandlungen. Die Ergebnisse dieser Gespräche würden dann auch das
Kräfteverhältnis widerspiegeln. Die Rechte zu besiegen hat momentan die
entscheidende Priorität. Denn in dieser Schlacht wird das Schicksal
Lateinamerikas entschieden.

 

 

05.02.2019

 

Claudio Katz ist Wirtschaftswissenschaftler und lehrt an der Universität von
Buenos Aires (Argentinien)

 

 

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 2/2019 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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[1]  Citgo ist ein in den USA tätiges Erdölunternehmen und 100-%-Tochter der
staatlichen venezolanischen PDVSA

[2]  dt. Union Südamerikanischer Nationen

[3]  Die Lima-Gruppe ist ein Zusammenschluss von 14 amerikanischen Ländern.
Ziel ist angeblich die Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela.

[4]  Gemeint sind die Präsidentschaftswahlen in Venezuela vom Mai 2018.

[5]  Gewalttätige Straßenproteste der Opposition.

[6]  pt. /Movimento dos Sem Terra/: Massenbewegung der Landlosen in
Brasilien.

[7]  Gemeint ist die Opferzahl im mexikanischen Drogenkrieg seit 2006, als
der damalige Präsident Felipe Calderón den Kampf gegen die Drogen ausgerufen
hatte.

[8]  dt. Lokales Komitee für Versorgung und Produktion.

[9]  Staatliche Kryptowährung Venezuelas.

[10]  Bezeichnung für den Währungsschnitt vom 20. August 2018 im Verhältnis
1:100.000.

[11]  Kofferwort aus /Bolívar /und /Bourgeoisie/ zur Bezeichnung der
Neureichen aus der Maduro-Administration.

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