[IPK] Iran: Droht eine US-Intervention?

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Fr Jun 21 07:08:59 CEST 2019


Iran:

Droht eine US-Intervention?

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Unabhängig davon, für wie wahrscheinlich ein direkter Angriff des
US-Militärs auf den Iran gelten kann, ist internationale Solidarität
gefragt. Um einen Angriffskrieg der USA zu verhindern, ist breiter
Widerstand sowohl gegen den US-Imperialismus als auch gegen das repressive
iranische Regime erforderlich.

 

 

Von Frieda Afary

 

 

Mit der Entsendung eines Flugzeugträgers, einer Bomberstaffel mit
B52-Bombern, Flugabwehrraketen und weiterer Arsenale steuert die
US-Regierung auf eine offene militärische Konfrontation mit dem Iran zu. Auf
einem Treffen des Nationalen Sicherheitsstabs wurde einem Bericht der NYT
zufolge ein Plan des Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton --
seinerzeit bereits federführend bei der desaströsen US-Intervention im Irak
2003 -- diskutiert, nach dem bis zu 120 000 Militärs für einen Angriffskrieg
gegen den Iran in den Nahen Osten verlegt werden sollen.

 

Nach jüngsten Erkenntnissen der US-Geheimdienste soll der Iran angeblich
militärische Verbände im Irak und in Syrien mit Stellvertreterangriffen auf
US-Truppenverbände beauftragt haben. Allerdings zweifeln selbst den
Republikanern nahestehende Beobachter und hohe britische Militärs diese
Version an.

 

Die iranische Regierung wiederum hat angekündigt, dass sie sich nach der
einseitigen Aufkündigung des Nuklearabkommens von 2015 durch die USA nicht
länger an die dort getroffenen Vereinbarungen gebunden fühle. Bereits im
April hat der iranische Präsident Hasan Rohani, nachdem die US-Regierung die
iranischen Revolutionsgarden zur terroristischen Organisation erklärt hatte,
in einer Rede zum Jahrestag der "Nationalen Nukleartechnologie" erklärt:
"Wenn es das Ziel Eurer Sanktionen sein sollte, unsere militärische
Schlagkraft zu brechen, solltet Ihr wissen, dass wir im vergangenen Jahr
Raketen und Waffen entwickelt haben, die Ihr Euch nicht einmal vorstellen
könnt. Ihr könnt unsere militärische Macht nicht brechen." Das iranische
Parlament verabschiedete daraufhin einen Gesetzesentwurf, in dem alle
US-Geheimdienst- und Sicherheitskräfte in Vorderasien zu terroristischen
Organisationen erklärt wurden. 

 

Zugleich wurden am 12. Mai Sabotageakte auf mehrere Öltanker -- darunter
zwei saudische -- vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate
durchgeführt, ohne dass bisher jemand die Urheberschaft dafür übernommen
hätte. Dies hält die US-Armee freilich nicht davon ab, den Iran dafür
verantwortlich zu machen. Zudem haben die vom Iran unterstützten
Huthi-Rebellen Drohnenangriff auf eine saudische Ölpipeline durchgeführt. 

 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Explosion oder Konfrontation
kommen kann, die US-Luftangriffe und einen regelrechten Krieg zur Folge
haben wird. Saudi-Arabien und Israel setzen alles daran und verbreiten, dass
der Iran Angriffe auf militärische Einrichtungen der USA in der Region
plane. 

 

 

WAS TREIBT TRUMP ZUM KRIEG? 

 

Obwohl die US-Regierung scheinbar keine kohärente Politik im Nahen Osten
verfolgt, vertritt sie gegenüber dem Iran das Ziel, die beiden engsten
Verbündeten in der Region, Netanjahu in Israel und Mohammed bin Salman in
Saudi Arabien zu stärken. Beide eint die Absicht, einen Krieg gegen ihren
Rivalen in der Region loszutreten. In diesem Zusammenhang steht auch die von
den USA propagierte Gründung einer "Arabischen NATO", der die Golfstaaten
und Jordanien angehören sollen. Damit soll ein Bollwerk gegen den Iran und
dessen Verbündete, Russland und China entstehen. 

 

Zugleich will Trump mit diesem möglichen Krieg von seiner Innenpolitik
ablenken, von den Einschnitten in die Sozial- und Bürgerrechte und die
Rechte der Frauen und von den autoritären Maßnahmen, die er im Namen der
nationalen Sicherheit durchführen will. 

 

Für den angestrebten "Regimewechsel" im Iran beruft sich Washington noch
nicht einmal auf das Prinzip der Demokratie. Außenminister Pompeo machte am
24. April in seiner Rede vor einer Gruppe iranischer Dissidenten in
Washington unmissverständlich klar, dass es den USA bei diesem
"Machtwechsel" darum ginge, Gegner der iranischen Revolution an die
Regierung zu bringen. John Bolton arbeitet eng mit den Volksmudschahedin
(DMG) zusammen, einer militaristischen iranischen Sekte, die aus den USA
finanziell unterstützt wird und für eine Militärintervention der USA wirbt,
so wie sie einst für das Schlächterregime Saddam Husseins im Irak geworben
und dafür Waffen und Unterstützung erhalten hatte. 

 

 

WOHIN STEUERT DIE LINKE OPPOSITION IM IRAN? 

 

Der iranische Journalist Rahman Bouzari schreibt: "Die Bevölkerung leidet
sowohl unter den Maßnahmen der US-Regierung als auch unter der Unterdrückung
durch die eigene Regierung. Ihr bleibt die Wahl zwischen Imperialismus und
dem autoritären Regime. Aber egal wie elend ihre Lage sein mag, sie lehnt
beides ab." 

 

Tatsächlich lasten auf dem Volk die erheblichen Auswirkungen der
US-Sanktionen und die blutige Unterdrückung durch das eigene
staatskapitalistische Regime. Dazu kommen die Folgen der
Hochwasserkatastrophe, vor der Millionen von Menschen flüchten mussten. 

 

Während die Bevölkerung einerseits Angst vor einem Militärschlag der USA
hat, hält ihre Opposition gegen das Regime doch an. Infolge der anhaltenden
Arbeitskämpfe und Streiks sind mittlerweile nahezu alle Führer der
bestehenden Arbeiter- und Lehrergewerkschaften verhaftet worden, darunter
Esmail Bachschi von der Gewerkschaft der Zuckerarbeiter*innen von
Haft-Tapeh, Dschafar Azimzadeh von der Freien Gewerkschaft der Iranischen
Arbeiter*innen oder Esmail Abdi von der Lehrergewerkschaft, um nur einige zu
nennen. 

 

Daneben befinden sich derzeit prominente Frauenrechtlerinnen im Gefängnis
und haben wegen ihrer Betätigung und ihrer schriftlichen Äußerungen lange
Haftstrafen erhalten oder warten auf ihr Verfahren. Dazu gehören Nasrin
Sotudeh, eine Menschenrechtsanwältin, die die Girls of Revolution Street
verteidigt hat (Frauen, die ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abnahmen und
deshalb verhaftet wurden), Narges Mohammadi, führender Aktivist der Kampagne
gegen die Todesstrafe, und Parvin Mohammadi, einer der Vorsitzenden der
Freien Gewerkschaft der Iranischer Arbeiter*innen, um nur einige zu nennen.
[1]

 

Kurdische politische Gefangene verbüßen Haftstrafen, weil sie gegen die
Diskriminierung der kurdischen nationalen Minderheit des Irans kämpfen. Über
tausend arabische Menschenrechtsaktivist*innen sind in der südlichen Provinz
Chuzestan inhaftiert. Aktive Bahai und Sufiten werden als religiöse
Minderheiten verfolgt und eingesperrt. Umweltaktivist*innen riskieren die
Todesstrafe, weil sie eine "Gefahr für die nationale Sicherheit" darstellen.
Oppositionelle Student*innen und Intellektuelle befinden sich entweder in
Haft oder unter strengen Auflagen wieder auf freiem Fuß und riskieren,
jederzeit wieder eingesperrt werden zu können. 

 

Das sind die Kräfte, die zur Entstehung einer fortschrittlichen und auch
revolutionären Bewegung im ganzen Land beitragen könnten, um sowohl die
Islamische Republik zu stürzen als sich auch den Kriegsdrohungen und dem
Imperialismus in der Region zu widersetzen. Angesichts der fatalen
Auswirkungen der US-Wirtschaftssanktionen und der aktuellen Kriegsdrohungen
aus den USA ist das iranische Regime jedoch weiterhin in der Lage, seine
Repressionen zu forcieren und alle Ansätze, dem Regime eine fortschrittliche
Alternative gegenüber zu stellen, zu ersticken. 

 

Die Protestkundgebungen von Feministinnen, Student*innen und
Gewerkschaftsaktivist*innen am 1. Mai in Teheran wurden von
Sicherheitskräften, die viele der Demonstrant*innen verhafteten, brutal
unterdrückt. Ebenso die Proteste von Hunderten von Studentenaktivist*innen
an der Universität Teheran am 13. Mai gegen den Schleierzwang und die
"Sittenpolizei". Zuvor hatten sie die Mitglieder der Basidsch
("Freiwilligentruppe" der Islamischen Revolutionsgarden) verjagt, bevor sie
dann aber doch von ihnen und der Sicherheitspolizei in die Mangel genommen
wurden. 

 

Diese anhaltenden Kämpfe schreien nach internationaler Solidarität seitens
der fortschrittlichen und linken Bewegungen in der ganzen Welt, auch um sich
dem Kriegsgetöse der USA zu widersetzen. Dabei muss der Widerstand sowohl
dem US-Imperialismus als auch den subimperialistischen Interventionen des
Irans in Syrien, Irak und Libanon gelten. 

 

 

SOLIDARITÄT GEFORDERT!

 

Bei den Protesten Ende 2017 und Anfang 2018 trat die Bevölkerung
unmissverständlich für den Sturz des Regimes und die Beendigung der
Militärinterventionen in der Region ein. Die Proteste gegen das Regime
dauern zwar seither unvermindert fort, halten sich in der Frage der
iranischen Militärpräsenz in den Nachbarstaaten jedoch auffallend zurück. 

 

Soweit sich die Proteste gegen Irans militärische Interventionen und das
Raketenprogramm sowie die nukleare Aufrüstung richten, sind monarchistisch
gesinnte Nationalisten tonangebend, auf deren Agenda ein funktionierender
kapitalistischer Staat steht und die einen Angriffskrieg der USA auf den
Iran befürworten. Die Opposition aus den Kreisen reformistischer und linker
Intellektuellen ist zwar gleichermaßen strikt nationalistisch gesonnen, aber
ihre Kriegsgegnerschaft reicht nicht über eine Verurteilung der
US-Angriffspläne hinaus. 

 

Von wenigen Ausnahmen abgesehen gibt es keine systematischen Bemühungen
fortschrittlicher und sozialistischer Kräfte, sich dezidiert gegen die
iranische Militärpräsenz in Syrien, Irak, Libanon und Jemen und gegen das
Raketenprogramm und die nukleare Aufrüstung zu wenden. Es findet noch nicht
einmal eine öffentliche Diskussion über die Risiken der zivilen Nutzung der
Atomenergie und die Lehren aus den GAUs in Tschernobyl und Fukushima statt. 

 

Ein unabhängiges sozialistisches Engagement gegen die militaristische
Außenpolitik und gegen sämtliche imperialistischen Mächte in der Region und
weltweit sowie gegen patriarchalische Strukturen und Rassismus ist jedoch
dringend erforderlich. Damit verbunden ist eine Kritik des Kapitalismus, der
-- ob als Privat- oder Staatskapitalismus -- stets zu Kriegen führt. 

 

Die internationale linke Opposition gegen die imperialistischen
US-Sanktionen und die Kriegsdrohungen gegen den Iran verhält sich
überwiegend unkritisch gegenüber dem iranischen Regime. Daher können sie
sich bei der eigenen Bevölkerung kein Gehör verschaffen und sie dafür
gewinnen, sich mit den Kämpfen der Arbeiter*innen, Frauen und unterdrückten
Minderheiten im Iran zu identifizieren. Auch haben sie selbst offensichtlich
kein tatsächliches Interesse an diesen Kämpfen im Iran. 

 

Nur eine kleine Minderheit der internationalen Linken bekämpft sowohl den
US-Imperialismus als auch die übrigen imperialistischen und
subimperialistischen Mächte im Nahen Osten und versucht aktiv, solidarische
Beziehungen zu den fortschrittlichen Kräften im Nahen Osten und Nordafrika
aufzubauen. Einen gewissen Auftrieb hat die Solidaritätsbewegung durch die
Protestbewegungen im Sudan und in Algerien erfahren, wo die kapitalistischen
(Semi-) Militärregime durch Volksaufstände infrage gestellt werden, die
stark von der Arbeiter-, Frauen- und antirassistischen Bewegung geprägt
sind. 

 

 

FAZIT 

 

Ein direkter Krieg zwischen den USA und dem Iran könnte ein unvorstellbares
Zerstörungspotential haben und nützt letztlich nur der autoritären Agenda
des Trump-Regimes. Selbst wenn das iranische Regime dadurch beseitigt würde,
werden die USA und ihre israelischen und saudischen Verbündeten alles daran
setzen, dass keine fortschrittliche oder gar revolutionäre Alternative auf
die Tagesordnung kommt. Ein denkbares Szenario ist das, was im Irak nach der
US-Invasion 2003 passiert ist. 

 

Um den drohenden Angriffskrieg der USA zu verhindern, ist breiter Widerstand
sowohl gegen den US-Imperialismus als auch gegen das repressive iranische
Regime erforderlich. Konkret erfordert dies Solidarität mit den Kämpfen der
Werktätigen, Feministinnen, Student*innen und unterdrückten Minderheiten im
Iran und deren Einbeziehung in die Befreiungskämpfe dieser Region und der
übrigen Welt. Dafür müssen wir den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und
Kriegen darlegen und aufzeigen, wie eine menschengerechte Alternative zum
Kapitalismus aussehen kann. 

 

 

15. Mai 2019 

aus: /Alliance of Middle East Socialists/

 

Übersetzung: MiWe

 

 

 

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Vorabdruck aus: die internationale Nr. 4/2019 

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[1] Siehe dazu das Iran-Dossier in /Inprekorr/ Nr. 2/2019 (März/April 2019)

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