[IPK] USA: "We Can't Breathe" -- Rebellion gegen rassistische Polizeigewalt

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Do Jun 4 17:09:42 CEST 2020


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USA:

"We Can't Breathe" -- Rebellion gegen rassistische Polizeigewalt

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Vom Nationalen Komitee von Solidarity

 

 

Auslöser für die Aufstände und Demonstrationen in Minneapolis und anderen
Städten und sogar vor dem Weißen Haus war, dass Polizeibeamte am 25. Mai
George Floyd, einen unbewaffneten schwarzen Mann, brutal töteten und die
Staatsanwaltschaft zögerte, die Polizist*innen, die bei der Tat gefilmt
wurden, sofort zu verhaften. Dem waren etliche weitere medial präsente Fälle
rassistischer Gewalt vorangegangen. Am 30. Mai haben sich diese
Demonstrationen auf zahlreiche Städte ausgedehnt und es haben sich
Demonstrant*innen verschiedener ethnischer Hintergründe beteiligt, viele
davon junge Menschen, die Masken trugen und sich bemühten, Abstände
einzuhalten, während sie durch die Straßen zogen. Es scheint, dass manche
von ihnen von lokalen oder landesweiten Organisator*innen mobilisiert
wurden, während andere von den Bildern der Tötung und der Proteste anderswo
motiviert wurden. Die Ermordung von George Floyd reiht sich ein in eine
Serie von Fällen, in denen Schwarze von Polizist*innen getötet wurden und
die sich mindestens bis zur Ermordung von Michael Brown in Ferguson,
Missouri, im Jahr 2014 zurückverfolgen lässt und noch weiter bis 1991, als
Rodney King von der Polizei von Los Angeles verprügelt wurde, einer der
ersten gefilmten Fälle von Polizeigewalt.

 

Nachdem die Zahlen für Erkrankungen und Todesfälle in Folge der Covid-19
Pandemie in den letzten Wochen und Monaten bedrückende Ausmaße angenommen
haben, ist klar geworden, dass "People of Color" am stärksten betroffen
sind. Die Ermordung von George Floyd erinnert uns daran, dass es auch
während der Pandemie keine Quarantäne für Polizeigewalt gibt.

 

 

"JOGGING WHILE BLACK" UND "BIRDING WHILE BLACK"

 

Im Februar war Ahmaud Arbery gerade zum Jogging in der Nähe seiner Wohnung
in Brunswick im Bundesstaat Georgia unterwegs, als er von drei weißen
Angehörigen einer Bürgerwehr belästigt wurde, darunter war ein ehemaliger
Polizist; sie gaben an, dass sie eine "Jedermann-Festnahme" durchführen
wollten. Einer schoss drei Mal mit einem Schrotgewehr auf ihn, während ein
anderer mit gezogener Pistole daneben stand. Erst das Videomaterial eines
dritten weißen zivilen Beteiligten, der die Szene dokumentiert hatte, führte
dazu, dass die Kriminalpolizei endlich einschritt und zunächst zwei und dann
auch den dritten der Täter festnahm. Die lokalen Seilschaften, die es
möglich machte, dass die Bürgerwehrmänner wochenlang nicht unter Anklage
gestellt wurden, wecken Erinnerung an die Ermordung der
Bürgerrechtsaktivist*innen Cheney, Goodman und Schwerner durch eine
Bürgerwehr und Polizeibeamt*innen in Mississippi während des "Freedom
Summer" im Jahr 1964.

 

Nur wenige Tage, bevor George Floyd getötet wurde, tauchte ein Video auf,
das zeigt, wie ein schwarzer Vogelbeobachter eine weiße Frau auffordert,
ihren Hund anzuleinen, wie es die Parkregeln verlangen, und wie diese
daraufhin droht, die Polizei zu rufen und ihnen zu sagen, ihr Leben sei "von
einem Afro-Amerikaner bedroht worden". Die Frau und ihr potentielles
schwarzes Opfer hatten nicht nur zufällig denselben Nachnamen: Sie wussten
beide genau, wessen Wort die Polizei, die Strafverfolgung und
Mainstream-Presse glauben würden, sollte sie eine solche Anschuldigung
machen. Es ist eine schaurige Ironie, dass dieses Vorkommen in demselben
Park stattfand, in dem 1989 etwas vorgefallen sein soll: Für das Verbrechen,
dass sie angeblich eine weiße Investmentbankerin verprügelt und vergewaltigt
hatten, wurden fünf schwarze Männer, die "Central Park Five", zu Unrecht
beschuldigt, verurteilt und eingesperrt. Die schamlose Ausnutzung des
Unterschieds in Bezug auf ethnische Herkunft und Gender im Rahmen der
US-Gesellschaft durch eine privilegierte weiße Person ist an und für sich
bereits ein Skandal, der noch mehr Sprengstoff in das Pulverfass, dass in
Minneapolis explodiert ist, schütten konnte. Ungefähr zur gleichen Zeit
wurde Breonna Taylor, eine schwarze Notfallsanitäterin, in ihrem Bett
erschossen, als die Polizei eine Durchsuchung an der falschen Adresse
durchführte. Die Ermordung von Arbery, Floyd und die neuen Fälle im Central
Park wären vielleicht nie an eine größere Öffentlichkeit gelangt, hätte es
keine Videoaufzeichnung gegeben.

 

Die aufgezeichneten Hilferufe von George Floyd -- "Ich kann nicht atmen" --
erinnern auf schmerzhafte Weise an die Ermordung von Eric Garner durch die
New Yorker Polizei im Jahr 2014. Lynchmobs mit Beteiligung lokaler
Polizeieinheiten, die Bereitschaft von Weißen, ihre Privilegien zu nutzen,
um die Polizei für die kleinsten eingebildeten Vergehen von Schwarzen zu
rufen, bis hin zu deren bloßer Anwesenheit, sowie der -zigste Polizistenmord
an unbewaffneten schwarzen Personen sind nur einige wenige Beispiele dafür,
welche Behandlung schwarze Menschen in den USA Tag für Tag ertragen müssen.

 

Das politische Klima, das Menschen zu diesen Taten ermutigt wird noch
geschürt von einem Präsidenten, der offen mit den rassistischsten und
reaktionärsten Kräften des Landes liebäugelt, von der stillschweigenden
Komplizenschaft einer regierenden Partei und vom zahnlosen Widerstand und
der Wirkungslosigkeit der anderen.

 

 

THE FIRE THIS TIME

 

Alle paar Jahre erreicht eine Welle der Gewalt gegen Afro-Amerikaner*innen
einen Höhepunkt, und es kommt zu einem Ausbruch von Trauer und Wut, die sich
in spontanen Aufständen manifestieren, die von Brandstiftung und Plünderung
von Läden begleitet werden. Aufstände gab es 1965 in Watts, 1967 in Detroit
und 1968 in verschiedenen Städten, als Dr. Martin Luther King Jr. ermordet
wurde, genauso wie Los Angeles, nachdem die Polizist*innen, die 1991 Rodney
King verprügelten, freigesprochen wurden.

 

Dass in Minneapolis eine Polizeiwache abgebrannt wurde und dass dort die
umliegenden Straßen zeitweilig den Demonstrant*innen überlassen wurden, ist
von großer symbolischer Bedeutung. Polizeihauptquartiere in farbigen
Gemeinden erinnern beständig daran, dass die Polizei eine Besatzungsmacht
ist, keine Institution der öffentlichen Sicherheit. Demonstrant*innen
tanzten zu den Flammen der brennenden Polizeiwache Nummer 3 in Minneapolis,
einem physischen Symbol ihrer Unterdrückung. Einige wenige Stunden lang
gehörten die Straßen, denen, die dort wohnen.

 

Liberale und konservative Sprachrohre werden ihre übliche Litanei an frommen
Kopfschütteln und erhobenen Zeigefingern ablassen und sich beklagen, dass
der von den Aufständen verursachte Schaden letzten Endes die schwarzen
Gemeinden selbst treffen wird. Auch das ist nur eine Ablenkung. Kommunale
Aufstände sind das Ergebnis, nicht die Ursache für die düstere
Lebenssituation von Schwarzen und anderen People of Color in den
rassengetrennten Städten in den USA. Jahrzehntelanges Ausgrenzen,
Kapitalflucht, Trennung von Wohnorten und andere Kennzeichen des
rassistischen Kapitalismus haben viele schwarze Viertel in Zentren von
Arbeitslosigkeit, Verzweiflung, Gewalt und staatlicher Vernachlässigung
verwandelt, während weiße Innenstadt- und Vorortbezirke dank privater
Kapitalinvestitionen und öffentlicher Bezuschussung aufblühen und reichere
weiße Gegenden über gut finanzierte Schulen und funktionierende öffentlicher
Sicherheit verfügen.

 

So wie die Glut von Wache Nummer 3 weiter schwelt, glimmt auch die Wut einer
Gemeinschaft, die keine Luft zum Atmen mehr hat. Diese Rebellion ist ein
Hilferuf nach dem Sauerstoff sozialer und ethnischer Gerechtigkeit. Die
Quellen von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt des Staats und von
Bürgerwehren, die Afro-Amerikaner*innen in den letzten 400 Jahren ständig
erfahren haben, sind tief und weit, das gilt aber auch für die Lösungen. Das
beginnt damit, dass der Staat für Polizeigewalt zur Verantwortung gezogen
wird und dass die Bürgerwehren, die von den regierenden Politiker*innen
ermutigt werden, strafrechtlich verfolgt werden. Die zentralen Punkte der
Unterdrückung von Schwarzen anzugehen, wird tiefe strukturelle Veränderungen
erfordern; so muss das rassistische Strafverfolgungs- und Gefängnissystem
reformiert werden und ist eine Umverteilung des Reichtums notwendig, die
auch Wiedergutmachung für Verbrechen der Sklaverei beinhalten könnte, wie es
in progressiven Kreisen diskutiert wird. 1963 versah der schwarze
Schriftsteller James Baldwin seine Überlegungen zu rassistischer
Unterdrückung mit dem Titel /The Fire Next Time/ [dt. 1964; Neuübersetzung:
/Nach der Flut das Feuer/, 2019]. Das Feuer ist gekommen und nur eine
Umstrukturierung der Gesellschaft der USA kann die Flammen des Protests
löschen, die sie selbst hervorgerufen hat.

 

 

31. Mai 2020

 

 

Aus dem Englischen übersetzt von Richard

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 4/2020 

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