[IPK] Buchbesprechung: Ökologischer Leninismus in Zeiten von Corona

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Fr Jan 8 16:24:02 CET 2021


Buchbesprechung:

Ökologischer Leninismus in Zeiten von Corona

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In seinem neuesten Werk /Klima|x/ liefert der schwedische Marxist und
Geograph Andreas Malm eine Aktualisierung seiner ökosozialistischen Analysen
im Lichte der Corona-Pandemie und eine Anklageschrift gegen die Folgen der
kapitalistischen Umweltzerstörung, gepaart mit strategischen Überlegungen
und Vorschlägen. [1]

 

 

Von Julien Salingue

 

 

  Entwaldung, Handel mit Wildtieren und immer kürzere Transportwege für
Waren und Menschen -- für Andreas Malm trägt die Entstehung und Verbreitung
der Covid-19-Pandemie das Siegel des globalisierten Kapitalismus. So
berichtet der Autor von den Auswirkungen der Abholzung, die zu einer
brutalen Verdrängung von Tierarten führt und somit die Orte vervielfacht, an
denen es zum -- eigentlich unwahrscheinlichen -- "Zusammentreffen" von Arten
kommt, die ihrerseits Herde für die Bildung und Verbreitung neuer Viren
sind. Viren, die immer mehr und schneller die Menschen erreichen, weil diese
immer häufiger in Gebiete eindringen, wo sie Kontakt mit "wilden" Arten
haben, aber auch durch den lukrativen Handel mit so genannten "Buschtieren".

 

Alles in allem erleben wir im Gegensatz zu dem, was uns die Apologeten vom
"Ende der Geschichte" und des kontinuierlichen Fortschritts, den der
Kapitalismus mit sich bringen würde, glauben machen wollen, nämlich ein
Wiederaufleben der Epidemien. "Dass seltsame neue Krankheiten aus der freien
Natur hervortreten, ist in gewisser Hinsicht logisch: Jenseits des
menschlichen Herrschaftsgebietes lauern unbekannte Pathogene. Doch könnte
dieses Gebiet auch weitgehend in Ruhe gelassen werden. Ohne die von Menschen
betriebene Wirtschaft, die konstant auf die Wildnis einstürmt, sich auf sie
stürzt, in sie eingreift, sie zerstückelt und mit einem Eifer zerstört, der
an Ausrottungslust grenzt, würden diese Dinge nicht geschehen. Die
Krankheitserreger würden nicht auf den Gedanken kommen, auf uns
überzuspringen, sie wären bei ihren natürlichen Wirten sicher." Covid-19 hat
den Sprung gewagt.

 

 

DER TÖDLICHE IRRTUM DER PRAGMATIKER*INNEN

 

Andreas Malm hinterfragt auch die Strategien, mit denen die Regierungen
versuchen, die Ausbreitung der Covid-Pandemie einzudämmen. Sein Urteil ist
auch hier unerbittlich, nämlich dass die weltweite Aufregung dadurch
erklärbar ist, dass es die reichsten kapitalistischen Länder waren, die
schnell zum Epizentrum der Pandemie wurden. Die drakonischen Maßnahmen
(Ausgangssperren, Lockdown etc..), die aufgrund des maroden Zustands des
Gesundheitswesens verhängt wurden, wertet der Autor als Entscheidungen, die
darauf abzielen, veritable Gesundheitsskandale zu vermeiden (überfüllte
Krankenhäuser am Rande ihrer Kapazität, Hunderttausende von Todesfällen),
aber auch als Zeichen des Egoismus der reichen Länder, die nur dann zu
radikalen Maßnahmen fähig sind, wenn es um "ihre eigene" Bevölkerung geht.

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

 

ONLINE DISKUSSION: PIPELINE-RIOTS: ÖKONOMISCHE UND ÖKOLOGISCHE KÄMPFE IN
EINER ERHITZEN WELT. MIT ANDREAS MALM UND JOSHUA CLOVER

 

 

DONNERSTAG 11.02.2021, 19:00, ONLINE

 

Anlässlich der jüngsten deutschen Veröffentlichung der Bücher von Joshua
Clover über die weltweilte Wiederkehr von Aufständen und Andreas Malms
Büchern über das weltweite Aufkommen von Kämpfen um das Klima wurden beide
Autoren eingeladen, ihre Themen zu verbinden. Es soll über Strategien und
Taktiken im Kampf gegen das "fossile Kapital" und gegen die multiplen und
schon vor Covid pandemieartigen Krisen des globalen Kapitalismus diskutiert
werden.

*Veranstalter:*"Helle Panke" e.V. -- Rosa-Luxemburg-Stiftung
Berlin[http://www.inprekorr.de/https://www.helle-panke.de/] in Kooperation
mit Galerie der abseitigen
Künste[http://www.inprekorr.de/https://www.galerie-der-abseitigen-kuenste.de
/], Matthes & Seitz Berlin und Jacobin Magazin.

Englisch mit Simultanübersetzung ins Deutsche. Die
Veranstaltung[http://www.inprekorr.de/https://www.matthes-seitz-berlin.de/te
rmin/online-diskussion-pipeline-riots-oekonomische-und-oekologische-kaempfe-
in-einer-erhitzen-welt.-mit-andreas-malm-und-joshua-clover.html] findet auf
Zoom statt. 

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Malm zieht eine anregende Parallele zum Kampf gegen den Klimawandel und
zeigt auf, dass die Maßnahmen, die im Frühjahr 2020 bis hin zur faktischen
Unterbrechung des Wirtschaftslebens ergriffen wurden, ernsthaften
Präzedenzfall darstellen. Seit Jahren wird denjenigen, die gegen den
Klimawandel kämpfen, gesagt, ihre Forderungen ließen jedweden "Pragmatismus"
vermissen und sie hätten wirtschaftliche Einbußen zur Folge, von denen sich
die Welt niemals erholen könnte. Und doch hat "kein einziger
vor(geschlagen), den Weltkapitalismus über Nacht anzuhalten, um das Klima zu
retten. Kein einziger empfahl, die Emissionen innerhalb von dreißig Tagen um
ein Viertel zu senken -- selbst die Forderung nach fünf oder zehn Prozent
pro Jahr wurde als völlig inakzeptabler Extremismus abgetan. Kein einziger
behaupte, dass eine Ausgangssperre über der Menschheit verhängt werden
sollte. (...) Und dennoch wird uns immer und immer wieder gesagt, wir seien
unrealistisch, unpragmatisch, Träumer*innen oder Panikmacher*innen." 

 

 

ÖKOLENINISMUS

 

Im letzten Teil des Buches kommt Andreas Malm auf die Haltung der russischen
Revolutionär*innen, insbesondere von Lenin, angesichts der "drohenden
Katastrophe" im Gefolge des Ersten Weltkrieges zu sprechen: "Der Krieg hat
eine so unermeßliche Krise hervorgerufen, hat die materiellen und
moralischen Kräfte des Volkes so angespannt, hat der ganzen modernen
Gesellschaftsorganisation solche Schläge versetzt, daß sich die Menschheit
vor die Wahl gestellt sieht: entweder untergehen oder ihr Schicksal der
revolutionärsten Klasse anvertrauen, um auf dem schnellsten und radikalsten
Wege zu einer höheren Produktionsweise überzugehen." [2]

 

Nach Meinung des Autors müssten die antikapitalistischen
Umweltaktivist*innen eine solche Herangehensweise auf den heutigen Stand
bringen und einen Ökoleninismus ausprobieren, der als "Prinzipienleitlinie"
verstanden wird und so radikal und ultimativ auftritt, wie es die
unmittelbar drohende Auslöschung der Menschheit erfordert. Auch soll er
einen Klassenstandpunkt und entsprechende Mobilisierungsbereitschaft
einnehmen und aufzeigen, dass die ökologischen Forderungen ernsthafte
Konflikte hervorrufen werden und dass es unmöglich ist, Kompromisse mit den
Kapitalist*innen zu schließen.

 

 

Übersetzung aus l'Anticapitaliste la revue vom November 2020: MiWe

 

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Aus:   die internationale Nr. 1/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

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[1] Andreas Malm,
Klima|x[http://www.inprekorr.de/https://www.matthes-seitz-berlin.de/autor/an
dreas-malm.html], aus dem Englischen übersetzt von David Frühauf, Berlin:
Matthes & Seitz, 2020, 263 S., ISBN 978-3-7518-0307-6, 15,00 EUR.

[2] W. I. Lenin, "Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen
soll"[http://www.inprekorr.de/http://www.mlwerke.de/le/le25/le25_327.htm#Abs
chn13], in: /Werke/, Bd. 25, S. 327f.

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