[IPK] Die Frauen der Commune

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Mi Mär 3 18:42:59 CET 2021


Die Frauen der Commune

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Am 18. März 1871 erhebt sich in Paris das Volk gegen die Regierung Thiers.
Mit einer Reihe fortschrittlicher Maßnahmen wollen die Aufständischen eine
demokratische Herrschaftsform begründen, die die Interessen der einfachen
Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt. Welche Rolle gerade die Frauen auf
den Barrikaden der Commune [1] gespielt haben, beleuchtet das folgende
Interview mit der Historikerin *Mathilde Larrère*. Der Interviewer war
*Yohann Emmanuel.*

 

 

Interview mit Mathilde Larrère

 

 

 

?? Was kann man über die Rolle der Frauen während der Ereignisse des 18.
März, die den Beginn der Commune markieren, sagen? Lässt sich eine Parallele
zu anderen revolutionären Ereignissen ziehen, in denen die Frauen eine
zentrale Rolle innehatten, wie dem Marsch auf Versailles am 5. und 6.
Oktober 1789 oder der Demonstration zum Internationalen Frauentag am 8. März
1917, der die Russische Revolution einleitete? [2]

 

Mathilde Larrère: Am 18. März machten sich sehr viele Frauen auf den Weg zum
Hügel Montmartre, um die Soldaten daran zu hindern, die Geschütze dort zu
beschlagnahmen. Die Erklärung dafür liegt einfach darin, dass es früh am
Morgen war und die Frauen zuerst aufgestanden sind, um Wasser, Brennholz
etc. zu holen. Aber es waren auch Männer dabei -- wenn auch nur, weil die
Frauen Alarm schlugen -- und vor allem die Föderierten der Nationalgarde,
die bloß aus Männern bestand und für Frauen nicht zugelassen war. Insofern
war es ein recht gemischtes Volk, das sich mit den Soldaten auf dem Champs
des Polonais auf Montmartre verbrüderte.

 

Am 5. und 6. Oktober 1789 waren die Frauen die treibende Kraft (es war ein
Frauenverband, die Dames de la Halle -- die Frauen aus den (Markt-)Hallen
--, die die Bewegung ins Leben rief), bevor sich die Nationalgarde ihnen
anschloss; und am 8. März 1917 war es der Internationale Frauentag (seither
ist dieser Tag auf den 8. März festgelegt). In all diesen Fällen wird bloß
der Rolle der Frauen an diesen jeweiligen Tagen gedacht und für die übrige
Zeit ausgeblendet, obwohl sie auch am 10. August 1792 und im weiteren
Verlauf der Ereignisse von 1871 und der Russischen Revolution etc. präsent
waren. Ihre Präsenz wird also bloß in Verbindung mit ihrer sozialen und
hauswirtschaftlichen Rolle -- besonders bei der Beschaffung von
Nahrungsmitteln -- sichtbar gemacht: Der 5. Oktober 1789 war ein
Getreideaufstand, bei dem die Frauen nach Versailles gingen, um Brot zu
holen, auch wenn sie am Ende den König nach Paris zurückbrachten; und der 8.
März 1917 war für einen großen Teil der Petersburger Frauen, nämlich derer
aus den Arbeitervierteln, weniger eine Demonstration für die Rechte der
Frauen als eine Demonstration für Brot und Frieden. Daher darf die Sicht auf
ihre Teilnahme an den revolutionären Ereignissen nicht auf diese wenigen
Tage eingeengt werden, auch wenn diese die Initialzündung waren.

 

 

?? Danach waren sie aber nicht in den offiziellen Institutionen der Commune
vertreten. Haben sie das nicht eingefordert?

 

Es war kein Wahlrecht der Frauen bei der Wahl der Commune am 26. März
vorgesehen und tatsächlich erhoben sie auch kaum Anspruch darauf. Das
Wahlrecht war zu dieser Zeit keine vorrangige Forderung der Frauen: Anderes
ging vor, erst recht bei den Kommunardinnen, von denen die meisten
Sozialistinnen oder "Montagnardes" (Sozialdemokraten) waren. Auf ihre
Forderungen werden wir noch zurückkommen. Übrigens verhielt es sich genauso
in der Französischen Revolution: Wohl ist oft die Rede von Olympe de Gouges
und ihrer Erklärung der Rechte der Frauen und Bürgerinnen, mit der sie
indirekt (aber nie explizit) das Wahlrecht einforderte, aber wie Dominique
Godineau in ihren Werken über die revolutionären Frauen nachweist, forderten
sie viel eher, der Nationalgarde beitreten zu können, als wählen zu dürfen.

 

 

?? Ist die Beteiligung von Frauen an den Kämpfen eine Besonderheit der
Commune?

 

Nein, schon immer waren Frauen in Kämpfe involviert, aber hier muss man
unterscheiden. Mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, war in den Aufständen
vor der Commune eher unüblich, weil Frauen nicht unbedingt wussten, wie man
mit Waffen umgeht, und weil die Mentalität vorherrschte, wonach es einfach
unvorstellbar war, dass Frauen den Tod und zugleich das Leben gaben. So
wurden sie von Waffen ferngehalten. Andererseits nahmen sie an
Barrikadenkämpfen teil (besonders 1830 und 1848). Eine Barrikade soll eine
Straße versperren, damit die anstürmenden Soldaten aufgehalten werden. Die
Kämpfe finden dann auf zwei Ebenen statt: Zum einen kommt es zu einer
direkten Konfrontation zwischen den Soldaten und den bewaffneten Männern auf
der Barrikade, zum anderen wirft die Bevölkerung verschiedene Gegenstände
aus den Fenstern -- und das sind vorwiegend Frauen. Diese zweite Ebene ist
ebenso wichtig (Untersuchungen haben gezeigt, dass es während der Aufstände
gegen die Julimonarchie mehr Schädelbrüche als Schussverletzungen unter den
Truppen gab), wird aber oft vergessen. Außerdem luden die Frauen auch die
Gewehre nach, versorgten die Verwundeten und richteten die Barrikaden wieder
auf etc. Die Besonderheit der Commune war, dass Frauen häufiger mit der
Waffe in der Hand an den Kämpfen teilnahmen, vor allem auf Barrikaden, die
von männlichen Kämpfern verlassen worden waren.

 

 

?? Eine der bedeutendsten Frauenorganisationen in der Commune war auch
direkt in die Kämpfe involviert: die Frauenunion für die Verteidigung von
Paris und die Pflege der Verwundeten. Können Sie dazu etwas sagen? Und in
welchen Zusammenhängen konnten sich Frauen sonst organisieren?

 

Dies ist eine Organisation, die von Elisabeth Dmitrieff gegründet wurde, die
von der IAA [Internationale Arbeiterassoziation, der offizielle Name der
Ersten Internationale] von London nach Paris delegiert worden war.
Ursprünglich waren zwei Männer delegiert worden, aber einer von ihnen war
wegen Krankheit verhindert, sodass sie ihn kurzerhand ersetzte. Diese
Organisation ist wegen ihrer Doppelfunktion interessant: die Verteidigung
von Paris, womit die Frauen den Tabubruch einforderten, Waffen tragen zu
dürfen; und die Versorgung der Verwundeten, die dem gegenüber der
klassischen Rolle der Frau in der geschlechtlichen Arbeitsteilung
entspricht. Es ist die am besten strukturierte und ziemlich zentralisierte
Organisation mit drei Ebenen: lokale Komitees in jedem Bezirk, in denen
Vertreterinnen für ein übergeordnetes Komitee gewählt wurden, und
schließlich ein Zentralkomitee, das von Elisabeth Dmitrieff geleitet wurde.

 

Aber es gab auch andere Organisationen, vor allem Klubs, wie den
Montmartre-Klub, in dem André Léo mitwirkte. Auch zwischen diesen
Organisationen gab es gewisse Spannungen: Als André zum Beispiel auch der
Frauenunion zur Verteidigung von Paris und der Pflege der Verwundeten
beitrat, zeigte sich Elisabeth Dmitrieff über diese Doppelmitgliedschaft
stark verärgert. Diese verschiedenen Organisationszusammenhänge waren "nicht
gemischt" (auch wenn der Begriff anachronistisch ist), von Frauen geführt
und organisiert, genau wie die Frauenklubs in der Französischen Revolution
oder im Jahr 1848 (und auch die Zeitungen von 1848), auch wenn in einigen
Fällen Männer unterstützend tätig werden konnten. Die Frauen verstanden,
dass sie sich so organisieren mussten, um handeln zu können und Gehör zu
finden!

 

 

?? Gab es weitere "prominente" Kommunardinnen?

 

Außer Louise Michel sind alle weitgehend in Vergessenheit geraten. Und auch
sie -- und vielleicht noch [Victorine] Brocher -- sind hauptsächlich wegen
ihrer Schriften in Erinnerung geblieben. Daneben gab es aber sehr viel mehr
erwähnenswerte Frauen. Etwa André Léo, Verfasserin einer großartigen
Kampfschrift /La guerre sociale/, in der sie kritisierte, dass man seit 100
Jahren "die Revolution ohne die Frauen machen" will; Dmitrieff, deren
weiteres Leben nach der Commune weitgehend unbekannt ist; Paule Minck oder
auch die etwas bekanntere Nathalie Lemel, die mit Eugène Varlin
zusammenarbeitete und mit ihm eine Gastronomiegenossenschaft für das
einfache Volk (La Marmite) gegründet hat. Aber über die meisten
Kommunardinnen gibt es keine Aufzeichnungen, abgesehen von ein paar
namentlichen Erwähnungen auf Plakaten oder in den nachfolgenden
Gerichtsakten aus Versailles. Davon abgesehen gilt dies mehr oder minder
auch für die meisten Männer, die in der Commune kämpften, sieht man von
Vallès, Courbet, Pottier und einigen anderen ab.

 

 

?? Außer dem Beitritt in die Nationalgarde oder darüber hinaus dem Recht,
Waffen tragen zu dürfen, welche wichtigen Forderungen haben die Frauen der
Commune noch gestellt?

 

Ihre Forderungen waren die, die schon von den Frauen 1848 erhoben worden
waren, denen sie sozial und politisch recht nahe standen: das Recht auf
Arbeit, gleiche Bezahlung wie die Männer und damit dieselbe Anerkennung
ihrer Qualifikation. Sie forderten auch das Recht auf Bildung ein, das
Scheidungsrecht, die Anerkennung der unehelichen Kinder, die Anerkennung der
Konkubinen und ihre Gleichstellung mit den verheirateten Frauen. Einige von
ihnen, namentlich Louise Michel, verlangten auch die Abschaffung der
Prostitution.

 

 

?? Welche dieser Forderungen wurden erfüllt?

 

Im Rahmen der Frauenunion für die Verteidigung von Paris und die Versorgung
der Verwundeten stand auch die Frauenarbeit im Mittelpunkt, und Elisabeth
Dmitrieff erreichte die Zusage über eine Lohngleichheit, die sogar per
Dekret für einen bestimmten Beruf garantiert wurde; sie gründete sogar
Produktionsgenossenschaften für Frauen. Zahlreiche Schulen für Jungen und
Mädchen wurden gegründet. Konkubinen wurden anerkannt, da die Commune
verfügte, dass die Ehefrauen oder Konkubinen von im Kampf verwundeten oder
gefallenen Nationalgardisten eine Rente erhalten sollten; auch die
unehelichen Kinder wurden anerkannt. Hingegen wurden die Frauen nicht zur
Föderierten Nationalgarde zugelassen: In der Blutigen Woche griffen sie dann
von sich aus zu den Waffen.

 

 

?? Welche Rolle spielten die Frauen damals in der Arbeiterbewegung?

 

Dies war recht problematisch. Die Arbeiterbewegung war nicht nur
männerdominiert, sondern es gab auch etliche Strömungen, die gegen die
Arbeit von Frauen waren, die ihnen als illoyal galt, weil sie schlechter
bezahlt wurde. Und sie sahen in ihnen auch -- allerdings vor allem in der
Folgezeit --  Streikbrecher, wofür es gar keinen Beleg gab, weil die
Arbeitsteilung so geschlechtsspezifisch war, dass eine Frau nicht die Arbeit
eines Mannes machen könnte.

 

Außerdem hielten sie Fabrikarbeit für amoralisch, und viele in der
Arbeiterbewegung und der Internationale wollten, dass die Frauen,
insbesondere wenn sie verheiratet waren, wieder in den Haushalt zurückkehren
und zu Hause arbeiten sollten, und zwar unter noch schlechteren Bedingungen
als in den Fabriken. In der französischen Arbeiterbewegung kamen noch der
Einfluss des Proudhonismus und Proudhons ausgeprägte Frauenfeindlichkeit
hinzu.

 

Dies galt natürlich nicht für alle Genossen. Eugène Varlin setzte sich
beispielsweise sehr für die Gleichstellung der Geschlechter und insbesondere
für gleiche Bezahlung ein, und als er zusammen mit Nathalie Lemel La Marmite
gründete, waren die organisatorischen Aufgaben gleich verteilt. Aber solche
Genossen waren in der Minderheit: Es gab mehrere Kongresse oder Konferenzen
der Internationale in der Zeit vor der Commune -- vor allem während der
Weltausstellungen --, die mit zutiefst frauenfeindlichen Texten endeten, die
sich gegen die Frauenarbeit richteten. Dagegen kämpften Dmitrieff, André Léo
und Paule Minck schon vor der Commune: Sie führten stark frequentierte
Konferenzen durch, in denen sie das Recht auf Arbeit und gleiche Löhne
propagierten. Der Slogan "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ist ein Slogan
der Pariser Commune.

 

 

?? Kann man sagen, dass es damals eine feministische Bewegung in Frankreich
gab?

 

Das ist schwierig, denn das Zweite Kaiserreich hatte die feministischen
Bewegungen, die sich 1848 gebildet hatten, weitgehend zerschlagen. Es gab
einen langsamen Wiederaufschwung im Gefolge von André Léo oder Paule Minck,
aber auch Maria Deraismes, die die 1869 gegründete Zeitung /Le Droit des
femmes/ leitete und eine zentrale Rolle in der 1870 gegründeten Vereinigung
für die Rechte der Frauen spielte. Aber vor allem innerhalb der
Arbeiterbewegung entwickelte sich ein sozialistischer Feminismus oder
feministischer Sozialismus. Erst später entwickelte sich eine feministische
Bewegung außerhalb der Arbeiterbewegung, im Gefolge der Suffragetten wie
Hubertine Auclert und Marguerite Durand.

 

 

?? Wenn wir uns das Ende der Commune ansehen, gab es eine besondere
Repression der Frauen durch die Versailler?

 

Ja, aber dies war zweischneidig. Einerseits wurden mehr Verfahren gegen
Frauen als gegen Männer eingestellt, was lange Zeit als nachsichtigerer
Umgang der Justiz gegenüber Frauen gewertet wurde. Betrachtet man jedoch die
Urteile, so stellt man fest, dass Frauen härter verurteilt wurden: 13 % der
verurteilten Frauen wurden zum Tode verurteilt, verglichen mit 0,9 % der
Männer; und 13 % wurden zu Zwangsarbeit und 13 % zur Deportation verurteilt,
während die Zahlen bei den Männern 2,3 % bzw. 11 % betrugen.

 

Der Grund dafür war, dass sie alle Tabus gebrochen hatten. Sie galten den
Versaillern als Monster, besonders weil sie Frauen waren. Sie durchbrachen
die Geschlechterordnung, indem sie ihren damalig angestammten Platz (in der
Küche und an der Wiege) verließen und in die Politik gingen, was
zwangsläufig mit einer Revolution einherging. So lässt sich das Bild der
Petroleusen verstehen, als welche die Kommunardinnen stigmatisiert wurden.
Dieses Klischee findet sich seit den ersten Bränden in der Commune. Es
taucht in der Versailler Presse auf, in den Gemälden und in den Prozessen,
in denen immer wieder bewiesen werden sollte, dass Frauen die Brände gelegt
haben (wobei die Versailler vergaßen, dass sie es waren, die die ersten
Brandbomben geworfen hatten!)

 

 

?? Hatte die Niederlage der Commune in den folgenden Jahren nachteilige
Folgen auf die Lage der Frauen und ihre Forderungen?

 

Nicht unbedingt. Es kam zur Wiederherstellung der "moralischen Ordnung"
durch die Versailler, aber das betraf alle und nicht nur die Frauen. Und als
die Dritte Republik ins Leben gerufen wurde, schaffte sie zwar das
Frauenwahlrecht ab, aber das lag daran, dass Frauen als zu klerikal
angesehen wurden, und stand nicht in direktem Zusammenhang mit der Commune.
Es gab also keinen "Gegenschlag" wie nach der Französischen Revolution mit
der Verabschiedung des Code Civil (1804). Natürlich wurden die erzielten
Fortschritte einer nach dem anderen getilgt, aber dies galt auch für das
gesamte Werk der Commune, das einfach ausgelöscht wurde.

 

 

Aus /l'Anticapitaliste la revue/ vom Januar 2021.

 

 

Übersetzer: MiWe

 

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Aus:   die internationale Nr. 2/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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[1] Die kommende Ausgabe der /internationale/ wird anlässlich des 150.
Jahrestags ein ausführliches Dossier zur Pariser Commune enthalten.

[2] Nach dem alten Kalender fiel der Frauentag auf den 23. Februar, daher
der Name "Februarrevolution".

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