[IPK] AfD: Gegen Rechts hilft nur Links

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Fr Sep 1 12:18:50 CEST 2023


AfD:

Gegen Rechts hilft nur Links
Online unter: https://www.inprekorr.de/622-afd.htm

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Die radikal rechte „Alternative für Deutschland“ (AfD) erlebt gegenwärtig
bei den Wahlumfragen ein Allzeithoch, sowohl in den Ost- als auch in den
West-Bundesländern.

 

 

Von Thies Gleiss

 

 

Die folgende Tabelle fasst die neuesten Werte zusammen. Stimmungen sind
bekanntlich noch nicht Stimmen bei den Wahlen, aber die jüngsten Wahlen in
Berlin und mit Besonderheit Bremen, wo die AfD nicht antreten durfte, dafür
aber die gleichgesinnte Partei „Bürger in Wut“ kandidierte, zeigen, dass die
AfD gegenwärtig ihr Umfragepotential auch sehr stark in Wahlergebnisse
umwandeln kann. Der während der Corona-Pandemie entstandene Rückgang der
Nichtwahlteilnahme, der überproportional die AfD traf und den bürgerlichen
Parteien CDU, SPD, FDP und GRÜNE ein kurzes Hoch bei der Wahlteilnahme
bescherte, hat sich wieder umgedreht: Die Wahlteilnahme sinkt auf 60 und
weniger Prozent und die AfD gehört zu den Kräften, die am wenigsten darunter
leiden, sondern ihr Potenzial gut mobilisieren können.

 

Die Mitgliederentwicklung der AfD spiegelt ebenfalls das Auf und Ab: Bei
ihrer Gründung 2013 waren es gut 17 000 Mitglieder. Deren Zahl wuchs bis
2019 auf 35 000. In der Corona-Pandemie sank die Zahl auf unter 30 000 und
ist jetzt wieder auf über 33 000 gestiegen.

 

Wenig erfolgreich ist die AfD bisher beim Aufbau von der Partei
vorgelagerten Organisationen in der Jugend, bei den Frauen und vor allem in
eigenen Betriebsstrukturen, die bei Betriebsratswahlen antreten, aber
entsprechende Zielsetzungen gibt es.

 

Die AfD lebt zu großen Teilen von staatlichen Geldern. Neben den 12
Millionen Euro Wahlkampfkostenerstattung hat z. B. die „Rheinische Post“
errechnet, dass sie für eine Legislaturperiode gut 400 Millionen Euro in
Form von Diäten und Gehältern für Abgeordnete, Fraktionen und deren
Beschäftigte in den Ländern und im Bund einstreicht. Dazu kommen Gelder für
die AfD-nahe politische Desiderius-Erasmus-Stiftung.

 

Die AfD ist mittlerweile aber auch Spitzenreiterin aller Parteien bei den
privaten Spenden. Zum Europaparteitag Ende Juli in Magdeburg wurde eine
Summe von 10 Millionen Euro Spendeneinnahmen im Haushalt der Partei
angegeben. Im Jahr 2023 hat die Partei eine gute Viertelmillion Euro
geschenkt bekommen. Dazu wurden ihr Goldbestände in Millionenhöhe
überschrieben.

 

 

STRAMM RECHTS

 

Zehn Jahre Parteientwicklung haben aus der AfD eine stramm rechte,
nationalistische und rassistische Partei geformt. Alle Kräfte, die eine
offene wirtschaftsliberale rechtskonservative Partei haben wollten, sind
ausgetreten oder verdrängt worden. Die Hauptstreitigkeiten in der AfD gehen
nicht mehr über inhaltlich-programmatische Fragen, sondern nur noch über
Posten und Personen, höchstens über tagespolitische Taktiken. Die offiziell
aufgelöste, faschistische Strömung „Der Flügel“ um den Thüringer
AfD-Vorsitzenden Höcke existiert ungebrochen weiter und beherrscht den
gesamten Bundesverband. Über ihn werden auch die Reste der in Deutschland
operierenden neo-nazistischen Kräfte (militante Stiefelnazis ebenso wie
Hitler-Nostalgie-Gruppen) rechts außerhalb der AfD umgarnt, eingebunden und
in die AfD-Politik integriert.

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

 

ÜBERSICHT DER UMFRAGEWERTE ZU BUNDES- UND LANDTAGSWAHLEN

 

 

*Parlament*      *Stand*               *Aktuelle Umfrage*       *Letzte
Wahl*   *Vergleich*         *Position*

*Europawahl*   31.07.23             23,0 %  11,0 %  +12        2

*Bundestag*     31.07.23             20,0 %  10,3 %  +9,7       2

*Ba-Wü*             24.07.23             20,1 %  9,7 %     +10,4    3

*Bayern*             31.07.23             14,5 %  10,2 %  +4,3       3

*Berlin*               05.,04.23            9,0 %     9,1 %     -0,1       5

*Brandenbg.*   04.07.23             28,0 %  23,5 %  +4,5       1

*Bremen*           26.05.23             n.a         6,1 %     n.a.
n.a.

*Hamburg*        26.10.22             5,0 %     5,3 %     -0,3       4

*Hessen*            23.07.23             20,0 %  13,1 %  +6,9       2

*Meck-Pomm* 06.07.23             29.0 %  16,7 %  +12,3    1

*Niedersachs.* 12.07.23             14,0 %  11,0 %  +3           3

*NRW* 18.06.23             14,2 %  5,4 %     +8,8       4

*Rhein.-Pfalz*   20.07.23             16,0 %  8,3 %     +7,7       3

*Saarland*         23.03.23             10,0 %  5,7 %     +4,3       3

*Sachsen*          12.06.23             32,5 %  27,5 %  +5,0       1

*Sachsen-Anh.*               27.06.23             29,0 %  20,8 %  +8,2
2

*Schlesw.-Hol.* 27.04.23             7,5 %     4,4 %     +3,1       5

*Thüringen*      13.07.23             32,9 %  23,4 %  +9,5       1

 

 

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Die tragenden ideologischen Elemente der AfD sind die Propaganda (in Wort
und oft in Tat in Form von rassistischen Verbrechen) gegen Nichtdeutsche,
vor allem Geflüchtete; der Kampf gegen die Liberalisierung der Gesellschaft
seit den späten 60er Jahren („links-grün-versiffte 68er“); Nationalismus und
„Deutschland zuerst“-Politik; Ablehnung der Europäischen Union und Forderung
nach einem „Europa der Vaterländer“ einschließlich Aufbau der „Festung
Europa“; für Bundeswehr, Wehrpflicht und Aufrüstung, aber gegen Geld für die
Kriege anderer Nationen; Kritik und Teilnahme an Boykottaktionen gegen
zentrale politische Maßnahmen der Regierung in der Gesundheitspolitik
(Corona-Pandemie-Maßnahmen), Klimaschutz und Bildungspolitik.

 

Auf ihrem jüngsten Europa-Parteitag hat sich die AfD mehrheitlich gegen
einen Austritt aus der EU, gegen eine Rückkehr zur DM und für den Beitritt
in die Fraktionsgemeinschaft der rechten Parteien im Europaparlament
ausgesprochen.

 

In der aktuellen Debatte über die Ukraine-Unterstützung gehört die Mehrheit
der AfD zu den Gegner*innen von Waffenlieferungen und Sanktionen,
gleichzeitig werden Kontakte zu russischen rechtsradikalen Gruppen gesucht.

 

Bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD diese ideologischen Versatzstücke
ziemlich populär mit der Wahlkampf-Losung „Deutschland – aber normal“
zusammengefasst.

 

 

POLITIK MIT DER ANGST

 

Wie bei anderen rechten Parteien vor und neben ihr ist der zentrale
Ansatzpunkt der AfD die Politik mit einer unspezifischen Angst. Sie spricht
damit nicht die von der kapitalistischen Realpolitik schon real Betroffenen
an – die gehören überwiegend zum großen Block der Nichtwähler*innen –,
sondern die Mittel- und unteren Schichten, die Angst vor Absturz und
Verschlechterung ihrer ökonomischen Lage haben, diesen Absturz aber noch
nicht real erlebt haben. Ihnen werden zwei Narrative präsentiert: Erstens
sei die Ursache für diese Absturzgefahr eine unkontrollierte Zuwanderung. Es
wird als Alternative zu linken Theorien des Widerspruchs zwischen Unten und
Oben das Bild eines verschärften Gegensatzes zwischen Drinnen und Draußen
gemalt. Die alles überragende politische Maßnahme dagegen sei die
Verhinderung weiterer Zuwanderung und Koppelung aller sozial- und
wirtschaftspolitischen Maßnahmen an ein rassistisches Abstammungsrecht.

 

Die zweite Erzählung bezieht sich auf die Durchsetzung dieser Politik mit
Hilfe eines autoritären Staates, der den „gesunden Volkswillen“ vollstrecken
soll.

 

Diese politischen Ideen finden sich bei FDP, CDU/ CSU und Teilen der
konservativen SPD auch. Die AfD spielt die klassische Rolle faschistischer
Gruppierungen, die Unentschlossenheit und Inkonsequenz der anderen (der
„Altparteien“) Parteien anzuprangern und das auszusprechen und zu fordern,
was „eigentlich alle Vernünftigen“ wollen. Ideologischer Hauptgegner der AfD
sind deshalb die GRÜNEN (die Linken sowieso, aber die sitzen im anderen
Lager), deren Anspruch, die kapitalistische Gesellschaft zu modernisieren
und für die Herausforderungen der Gegenwart fit zu machen, ihnen am meisten
im Wege steht.

 

Nach acht Jahren fast ununterbrochener Wahlerfolge stockte der Höhenflug der
AfD in der Zeit der Corona-Pandemie. Der Hauptgrund dafür ist, dass es eine
Situation nicht der unbestimmten, sondern der konkreten Angst der
Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden gab. In einer solchen Lage werden
Wahlen von den Parteien, und auch von den Regierungen und ihren Chefs, der
politischen Exekutive gewonnen. Die Macher:innen waren gefragt. Das trieb
die Quote der Wahlteilnahme nach oben und brachte die Mobilisierung der AfD
ins Stocken. Mit dem neuen Großthema Russenkrieg, Aufrüstung und
Nato-Dominanz haben sich diese Verhältnisse wieder zugunsten der AfD
verändert.

 

 

PROTESTWAHL ODER WAS?

 

Es ist müßig, heute noch darüber zu spekulieren, ob die große Zustimmung für
die AfD Ausdruck von Protestwahlverhalten oder eines festsitzenden
rechtsradikalen Massenbewusstseins ist. Tatsache ist, dass die
gesellschaftlichen Mittelschichten ökonomisch und politisch immer mehr
erodieren und dass in diesen Milieus sowohl das in Deutschland seit Langem
vorhandene rechte Bewusstsein als auch tagespolitisches Protestverhalten
mobilisiert wird. Es ist leider der Erfolg der AfD, diese gemeinsame
Mobilisierung hinzubekommen.

 

Die mit der „Proteststimmen-Theorie“ in der Regel verbundene Vorstellung,
die Stimmen für die AfD wären nur vorübergehend und könnten mit einer
anderen Sozialpolitik „zurückgeholt“ werden, ist deshalb ein Trugschluss.
Eine andere Sozialpolitik kann nur ein Teil einer umfassenden linken
Alternative sein.

 

Für die bürgerlichen Parteien bedeutet dies, sie werden immer mehr unter
Druck geraten, mit der AfD in exekutiver Verantwortung und
Koalitionsprojekten zusammenzuarbeiten. Auf kommunaler Ebene geschieht dies
schon länger. Das wird die kommenden Wahlkämpfe in Deutschland prägen.
Sowohl Übernahme konkreter AfD-Positionen, insbesondere in der Flüchtlings-
und Migrationspolitik, als auch ideologische Offensiven mit mehr oder
weniger offenen Zusammenarbeits-Versprechen werden zunehmen.

 

 

POLITIK DER HOFFNUNG

 

Für die Partei DIE LINKE und für die Linke allgemein bedeutet der massive
Aufschwung der Rechten eine große, existenzielle Herausforderung. Ihnen muss
klar sein, dass nur ein umfassendes Angebot einer linken Politik der
Hoffnung und des Vertrauens auf die eigenen Kräfte die Politik mit der Angst
zurückdrängen kann.

 

Dabei muss die Linke die zentralen Themen der AfD eigenständig aufgreifen
und in eine linke Gesamtpolitik integrieren: Verteidigung der Arbeitsplätze
und Einkommen, höhere Ausgaben für alle Bereiche der Daseinsvorsorge,
Umverteilung von Oben nach Unten. Nicht der Abbau der Demokratie, sondern
deren Ausweitung muss das Programm der Linken werden.

 

Es wird dabei partielle Gemeinsamkeiten in der Kritik geben – an der
Europäischen Union, an der aktuellen Kriegs- und Rüstungspolitik und bei
anderen Themen, aber es darf keine Gemeinsamkeiten in der Aktion oder in
gemeinsamen politischen Initiativen geben.

 

Zu keinem Zeitpunkt dürfen die viel gewichtigeren Nicht-Gemeinsamkeiten
verschwiegen werden: Internationalismus statt rassistischer Nationalismus;
Solidarität statt Ausgrenzung, offene Grenzen statt Festung Europa,
Klimarettung statt Leugnung der Klimakatastrophe und vieles mehr.

 

Unsere Mobilisierung besteht aus Kämpfen der Selbstermächtigung und
Selbstorganisation statt Konkurrenzkämpfe innerhalb der Unterklassen. Wir
stehen für umfassende Demokratie und Selbstbestimmung statt Hoffen auf einen
starken Staat.

 

Gegen Rechts hilft nur Links – das muss die zentrale Parole einer breiten
Palette von Aktionen gegen die AfD und ihr Umfeld werden. Das ist das
moderne Gesicht einer Einheitsfrontpolitik, mit der auch die Wahlerfolge
linker Parteien wieder zunehmen werden.

 

 

Köln, 01.08.2023

 

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Aus:   die internationale Nr. 5/2023 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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