[IPK] Keine Streubomben - auch nicht für die Ukraine

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Mi Sep 6 21:39:50 CEST 2023


Ukraine:

Keine Streubomben - auch nicht für die Ukraine
Online unter: https://www.inprekorr.de/622-ukr-streu.htm

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Fred Leplat setzt sich im Namen von Anti*Capitalist Resistance kritisch mit
der umstrittenen Lieferung von Streumunition aus den USA an die Ukraine zur
Bekämpfung der russischen Invasion auseinander. Dabei wägt er die
Notwendigkeit eines bewaffneten Widerstands gegenüber den potenziellen
humanitären Risiken dieser international geächteten Waffen ab.

 

 

Von Fred Leplat

 

 

Die Lieferung von Streumunition durch die USA an die Ukraine muss abgelehnt
werden. Antikapitalisten und Internationalisten unterstützen vorbehaltlos
das ukrainische Volk in seinem bewaffneten Widerstand zur Befreiung seines
Landes von der völkermörderischen russischen Invasion. Aber die
Unterstützung für die Ukraine ist nicht unbedingt unkritisch. Wir haben den
Angriff der Selenski-Regierung auf die Arbeitnehmerrechte im Lande und ihre
Unterstützung der neoliberalen Politik kritisiert. Jetzt müssen wir ihren
Einsatz von Streumunition kritisieren.

 

Der Einsatz von Streumunition in Gebieten, in denen sich Zivilist*innen
aufhalten, bedeutet einen unkalkulierbaren Angriff und eine Verletzung des
Völkerrechts. Streumunition öffnet sich beim Anflug und verteilt Dutzende
oder sogar Hunderte kleinerer sog. Bomblets über ein Gebiet von der Größe
eines Häuserblocks. Viele dieser Bomblets explodieren beim ersten Aufprall
nicht und hinterlassen Blindgänger, die wie Landminen wirken und noch Jahre
oder sogar Jahrzehnte danach eine Gefahr für die Zivilbevölkerung
darstellen. Aus diesem Grund wurde Streumunition von über 100 Ländern, die
dem Übereinkommen über Streumunition [https://www.clusterconvention.org/]
beigetreten sind, komplett verboten. Russland, die Ukraine und die USA haben
das Übereinkommen jedoch nicht unterzeichnet.

 

Man kann verstehen, dass die Ukraine alle Waffen haben möchte, die für einen
schnellen und entscheidenden Sieg gegen die russische Armee notwendig sind.
Aber Sozialist*innen setzen sich seit Jahrzehnten für das Verbot von
Streumunition sowie von Atom- und Chemiewaffen ein, und wir sollten unsere
Position jetzt nicht ändern.

 

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow erklärt
[https://twitter.com/oleksiireznikov/status/1677410470108471298], dass
Streumunition in erster Linie dazu dienen soll, die russischen
Verteidigungslinien zu durchbrechen, dass sie nicht in städtischen Gebieten
eingesetzt werden soll und dass nach dem Sieg die ukrainischen Gebiete
entmint werden sollen. Er verweist auch darauf, dass Russland in der Ukraine
in großem Umfang Streubomben eingesetzt hat, und es daher für die Ukraine
akzeptabel ist, sie ebenfalls einzusetzen. Diese Argumentation ist
gefährlich, da sie zur Rechtfertigung des Einsatzes anderer
Massenvernichtungswaffen wie nuklearer oder chemischer Waffen oder von
umweltschädlichen Waffen wie Napalm oder Agent Orange verwendet werden
könnte. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass auch die Ukraine
Streumunition eingesetzt hat, wenn auch in viel geringerem Umfang. Sie wurde
zwar nicht in Städten eingesetzt, hat aber dennoch Tote und Verletzte unter
der Zivilbevölkerung verursacht.

 

Human Rights Watch zufolge „ist die Streumunition, die die USA in die
Ukraine zu schicken gedenken, mehr als 20 Jahre alt, streut über ein großes
Gebiet und hat eine notorisch hohe Ausfallrate, was bedeutet, dass sie noch
jahrelang tödlich sein kann.“ Das weitgehende Verbot von Streumunition kommt
den USA entgegen, um alte Bestände loszuwerden, die nicht verkauft werden
können und deren Entsorgung gefährlich und teuer ist. Für die Ukrainer*innen
hinterlässt sie jedoch ein gefährliches Erbe. Noch immer sterben jedes Jahr
Hunderte von Menschen [https://news.un.org/en/story/2021/09/1099922] auf der
ganzen Welt durch nicht explodierte Streumunition.

 

Unabhängig von den militärischen Argumenten wird die Ablehnung der
Bestimmungen des Übereinkommens über Streumunition es der Ukraine
erschweren, mit völkerrechtlichen Prinzipien zu argumentieren. Wenn die
Ukraine Waffen erhält, für die die meisten UN-Mitgliedsstaaten
(einschließlich des Vereinigten Königreichs) ein Verbot anstreben, werden
sie sich schwerer tun, die Solidarität und Verurteilung der illegalen
russischen Besetzung durch diese Staaten zu gewinnen.

 

Solange die russische Armee nicht aufhört zu kämpfen und sich nicht
zurückzieht, haben die Ukrainer*innen keine andere Wahl, als ihren
bewaffneten Widerstand fortzusetzen. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland
die Kämpfe in absehbarer Zeit einstellt, wenn man die von Putin erklärten
Ziele bedenkt, nämlich die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der
Ukraine und damit die Integration in die russische Einflusszone. Deshalb
unterstützen wir ihr Recht, konventionelle Waffen und Minenräumungshilfe
[https://www.halotrust.org/latest/halo-updates/news/the-fields-sown-with-bom
bs/] zu erhalten. Sie braucht auch nichtmilitärische Hilfe, insbesondere
medizinische Hilfe und Unterstützung für die Flüchtlinge.

 

Viele Länder, die von einem viel größeren Land überfallen wurden, haben
dennoch gesiegt, aber nicht nur mit militärischen Mitteln. Wenn die Ukraine
die weltweite Solidarität aufrechterhalten will, sollte sie das von über 100
Ländern verhängte Verbot von Streumunition nicht brechen. Die Ukraine muss
auch Kriegsgegner*innen in Russland unterstützen und Deserteure aus deren
Armee aufnehmen. Der Wiederaufbau nach dem Krieg muss auf eine andere
Ukraine mit wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit abzielen, nicht auf
eine, in der die Reichtümer des Landes dem westlichen Kapitalismus
überlassen werden. Ein solcher Wiederaufbau würde den Ukrainer*innen die
Hoffnung geben, dass die Befreiung ihres Landes mehr sein wird als nur ein
Sieg über die russische Armee. Und die Ukraine braucht auch eine breite
internationalistische Solidaritätsbewegung, die ihren bewaffneten Widerstand
unterstützt, aber gleichzeitig den wachsenden Militarismus im Westen
bekämpft.

 

 

aus Anti*Capitalist Resistance vom 10. Juli 2023
[https://anticapitalistresistance.org/ban-cluster-bombs-ukraine-is-no-except
ion/]

Übersetzung MiWe

 

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Aus:   die internationale Nr. 5/2023 

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