[IPK] Zbigniew Marcin Kowalewski: Arbeiter und Bürokraten

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Geschichte:

Arbeiter und Bürokraten
Online unter: https://www.inprekorr.de/628-kowal.htm

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Wie sich im Sowjetblock Ausbeutungsverhältnisse herausgebildet haben und wie
sie funktionierten

 

 

Von Zbigniew Marcin Kowalewski

 

 

Die Oktoberrevolution schuf die unumgänglichen Voraussetzungen für die
Machtergreifung der Arbeiterklasse im gerade entstehenden Sowjetrussland.
Indes, bevor die Arbeiterklasse die Macht, die sie da ergriff, konsolidieren
konnte, entglitt ihr diese schon wieder. Die Tatsache, dass die erste
siegreiche Arbeiterrevolution der Welt in einem wenig entwickelten Land
stattfand und dass sie isoliert blieb - das heisst, dass ihr, entgegen den
Erwartungen ihrer Anführer, keine siegreichen Revolutionen in den
hochentwickelten Ländern folgten, die Sowjetrussland sozusagen in ihr
Schlepptau hätten nehmen können - war dabei ein entscheidender Faktor. Durch
den Weltkrieg ausgelöst, wurde die äußerst schwere sozio-ökonomische Krise,
die zur Revolution geführt hatte, durch den auf diese folgenden Bürgerkrieg
noch einmal deutlich verschärft.

 

Die Arbeiterklasse war in Russland zahlenmäßig schwach und die
Industriearbeiterschaft, wenngleich sehr konzentriert, in ihren Reihen
ihrerseits eine Minderheit. Ihre Zahl hatte sich im Laufe des Weltkriegs
zeitweilig verdoppelt, bis sie Mitte 1918 auf ihr Vorkriegsniveau zurückfiel
und in den vier Jahren danach noch weiter sank. Viele Industriearbeiter
schlossen sich der Roten Armee an und kamen im Bürgerkrieg um, viele
übernahmen Aufgaben im Partei- und Staatsapparat, nicht wenige verstreuten
sich auf der verzweifelten Suche nach Mitteln zum Überleben über die Dörfer
oder gingen auf den Schwarzmarkt.

 

In einer Diskussion unter Historikern schrieb Sheila Fitzpatrick einmal, die
Zahl der Industriearbeiter habe gegen Ende des Bürgerkriegs nur noch bei
einem Drittel gelegen, bei etwa einer Million. "Im Laufe des Bürgerkriegs
haben sich vielleicht eine Million Arbeiter in Bauern verwandelt und damit
die von den Bolschewiki vorgebrachte Behauptung von der Reife der
Arbeiterklasse widerlegt." Ronald Suny hielt ihr damals entgegen: "Muss man
eine solche Abwanderung von der Stadt aufs Land, von der Fabrik auf den Hof
so kategorisch als Übergang von einer Klasse zu einer anderen verstehen,
ohne dass die Erfahrungen in Rechnung gestellt werden, die diese
proletarisierten Männer und Frauen dabei mit sich nahmen?" In der Sache
lagen beide m.E. falsch. Das Gros derer, die damals aufs Land gingen, war
erst während des Weltkrieges von dort zum Arbeiten in die Industrie
gekommen.

 

Juri Larin, einer der wichtigsten Wirtschaftsadministratoren in der Zeit des
"Kriegskommunismus", schrieb, gestützt auf Angaben von Anfang 1920: Die
allgemeine Veränderung des Industrieproletariats "ist darauf zurückzuführen,
dass seine Zahl, verglichen mit der Vorkriegszeit, um ein Viertel reduziert
wurde und das vor allem aufgrund des Rückgangs der Textilindustrie und der
gesunkenen Zahl der ungelernten Arbeiter in anderen Branchen, wohingegen
fast der gesamte Kern des qualifizierten Proletariats erhalten geblieben
ist. Was das Wesenselement der Produktion angeht - die qualitativ gut
ausgebildete lebendige menschliche Arbeitskraft - so haben wir es mit einem
Organismus zu tun, der geschrumpft und geschwächt ist, aber nicht zerstört."
Dieser sollte bis zum Abschluss des Jahres 1921 weiter schrumpfen und am
Ende hatte sich die Zahl der Industriearbeiter, verglichen mit der
Vorkriegszeit - und diese muss man zum Vergleich heranziehen und nicht die
Kriegsjahre - um mehr als die Hälfte verringert.

 

Den gesamten Text stellen wir als PDF-Datei
(https://www.inprekorr.de/Kowalewski%20Arbeiter%20und%20B%C3%BCrokraten.pdf)
bereit. 

Die Kapitel im einzelnen:

 

1) Ein irreparabler Bruch im Arbeiterstaat

2) Von der Arbeiterbürokratie zur thermidorianischen Bürokratie

3) Aufbau einer stalinistischen Bürokratie und Konsolidierung der
Ausbeutungsformen

4) Stalinistische strukturelle Assimilation der osteuropäischen Peripherie

5) Der Sowjetblock und die Problematik der Produktions- und
Ausbeutungsweisen

6) Kampf um das Mehrprodukt und um die Kontrolle über die Arbeitsprozesse

7) Es gab einen Ausweg aus diesem Teufelskreis

 

 

Zbigniew Marcin Kowalewski ist ein polnischer Autor von Forschungsarbeiten
über die Geschichte der revolutionären Bewegungen und der Arbeiterbewegung,
über die nationale Frage und über bürokratische Herrschaft. 1981 war er
Mitglied des Präsidiums der Regionalleitung der Gewerkschaft Solidarnosc in
Lódz, Delegierter auf dem ersten nationalen Kongress der Gewerkschaft und
Führer der Bewegung für Arbeiterselbstverwaltung. Im französischen Exil
leitete er die Solidaritätskampagne mit Solidarnosc, veröffentlichte
/Rendez-nous nos usines! Solidarnosc dans le combat pour l'autogestion
ouvrière/ (Paris: La Brèche 1985) und beteiligte sich an der Redaktion von
/Inprekor/, einer polnischsprachigen Zeitschrift der Vierten Internationale,
die während der 1980er Jahre illegal im Land verbreitet wurde. Derzeit ist
er stellvertretender Chefredakteur der polnischen Ausgabe von /Le Monde
diplomatique./

 

 

 

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