Vorratsdatenspeicherung: Bürgerrechtler zerpflücken Stellungnahme des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof
presse at vorratsdatenspeicherung.de
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Mo Mär 17 10:41:42 CET 2014
Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 17. März
2014:
Vorratsdatenspeicherung: Bürgerrechtler zerpflücken Stellungnahme des
Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof
Im Vorfeld der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die
Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten übt der Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung massive Kritik an der Stellungnahme[1] des
Generalanwalts Cruz Villalón. Dessen Empfehlung, die monatelange
Speicherung aller unserer Verbindungsdaten mit geringfügigen
Einschränkungen aufrechtzuerhalten, verstehe den Begriff der
Datenverarbeitung falsch und lasse eine "ausreichende Würdigung der
weitreichenden Auswirkungen einer flächendeckenden
Vorratsdatenspeicherung auf die Meinungs- und Informationsfreiheit im
Netz vermissen".
Drei Hauptkritikpunkte an dem Gutachten des Generalanwalts nennt die
29-seitige Stellungnahme[2] des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung
an den Europäischen Gerichtshof:
1. Die EU dürfe zwar Wettbewerbsverzerrungen im
Telekommunikationsmarkt entgegenwirken. Die EU-Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung habe aber "zu einem weit größeren Flickenteppich
an nationalen Gesetzen geführt als sie ohne die Richtlinie existiert
hätten". Zur Marktharmonisierung genüge es, nationale Gesetze zur
verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung EU-weit zu verbieten oder an eine
staatliche Kostenerstattung zu koppeln. Ein EU-weiter Zwang zur
Vorratsdatenspeicherung selbst in Staaten, in denen dieses Mittel von
Parlamenten, Bevölkerung und Verfassungsgerichten abgelehnt werde, lasse
sich mit der rein wirtschaftlichen Kompetenz der EU zur
"Marktharmonisierung" nicht rechtfertigen.
2. Die verdachtslose Aufzeichnung jedes Telefon- und E-Mail-Kontakts
einschließlich des Standorts mobiler Geräte, bloß weil die Informationen
für mögliche zukünftige Ermittlungen nützlich sein könnten, sei
keineswegs ein "vollkommen legitimes Ziel" und als "erforderlich
anzusehen", wie der Generalanwalt schreibe. Internationale
Kriminalitätsstatistiken belegten, dass Staaten mit Hilfe gezielter
Instrumente wie dem verdachtsbezogenen Aufzeichnen von Daten Straftaten
ebenso wirksam verfolgten. Es gebe es nicht einen einzigen
EU-Mitgliedstaat, in dem die verdachtsunabhängige und wahllose
Vorratsdatenspeicherung einen statistisch signifikanten Einfluss auf die
Begehung oder Aufklärung von Straftaten gehabt habe.
3. Verstoße die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung jedenfalls
in ihrer gegenwärtigen Fassung gegen die Grundrechte, dürfe sie
keinesfalls dennoch aufrecht erhalten werden, wie der Generalanwalt
fordere. Eine solche Entscheidung würde einen "gefährlichen
Präzedenzfall" schaffen und die Wirksamkeit der Grundrechte aushöhlen.
Eine vollständige Ungültigerklärung sei nötig, damit sich die EU
erstmals ernsthaft mit Alternativen zu einer flächendeckenden
Vorratsdatenspeicherung wie dem verdachtsbezogenen Aufzeichnen von Daten
befassen könne.
Uli Breuer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kommentiert: "Die
verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die am
tiefsten in die Privatsphäre eingreifende und unpopulärste
Überwachungsmaßnahme, die die EU bis heute hervorgebracht hat. Die
EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet alle EU-Staaten
zur wahllosen Erfassung und Sammlung sensibler Informationen über
soziale Kontakte (einschließlich Geschäftsbeziehungen), Bewegungen und
das Privatleben (z.B. Kontakte zu Ärzten, Rechtsanwälten und
Strafverteidigern, Betriebsräten, Psychotherapeuten, Beratungsstellen
usw.) von 500 Millionen Europäern, die sich keines Fehlverhaltens
verdächtig gemacht haben. Der Europäische Gerichtshof muss dem jetzt
endlich ein Ende setzen! Die EU sollte Verdächtige schwerer Straftaten
ins Visier nehmen, anstatt alle 500 Millionen EU-Bürger unter
Generalverdacht zu stellen."
Laut Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung habe sich die
verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung "für viele
Bereiche der Gesellschaft als höchst schädlich erwiesen. Sie
beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen, in denen
Menschen berechtigterweise auf Nicht-Rückverfolgbarkeit angewiesen sind
(z.B. Kontakte zu Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten,
Betriebsräten, Eheberatern, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen
Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische
Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen in
ihrem Umfeld. Dass Journalisten Informationen nicht mehr elektronisch
über nicht rückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet die
Pressefreiheit und beeinträchtigt damit Funktionsbedingungen unserer
freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Eine verdachtsunabhängige
und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft Risiken des Missbrauchs und
des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen
Kontakte, Bewegungen und Interessen. Telekommunikationsdaten sind
außerdem besonders anfällig dafür, Unschuldige in den falschen Verdacht
einer Straftat zu bringen und diese ungerechtfertigt strafrechtlichen
Ermittlungen auszusetzen."
Der Europäische Gerichtshof hat noch keinen Termin zur Verkündung seines
Urteils bekannt gegeben. Das Verfahren haben die irische
Bürgerrechtsorganisation Digital Rights Ireland sowie der
österreichische Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung angestrengt. In
Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2010 das schwarz-rote
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt, nachdem über 30.000
Bürgerinnen und Bürger dagegen Beschwerde erhoben hatten. Die aktuelle
schwarz-rote Koalition ist sich uneins, ob im Fall der Aufhebung der
EU-Vorgabe zur Vorratsdatenspeicherung gleichwohl eine unterschieds- und
verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten wieder
eingeführt werden soll. Nach Meinungsumfragen[3] wird eine verdachtslose
Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten von einer großen Mehrheit
abgelehnt. Am 12. April ist in Köln eine Demonstration gegen
Massenüberwachung geplant.[4]
Nachweise:
[1] Stellungnahme des Generalanwalts im Volltext:
http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=145562&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=295646
[2] Stellungnahme des AK Vorrat (englisch):
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/comments-ag-opinion-rev.pdf
[3] Meinungsumfragen:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/77/180/lang,de/#Umfrage
[4] Demonstration gegen Massenüberwachung am 12. April in Köln:
http://cologne.stopwatchingus.info/demo-12-april.html
Mehr Informationen über die Mailingliste AKV-Presseverteiler