Koalitionsverhandlungen: Zivilgesellschaft fordert Ende der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung presse at vorratsdatenspeicherung.de
Mi Okt 27 17:34:00 CEST 2021


Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 27.10.2021

Koalitionsverhandlungen: Zivilgesellschaft fordert Ende der 
verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung

SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollen in den 
Ampel-Koalitionsverhandlungen ein Ende des Gesetzes zur verdachtslosen 
Vorratsspeicherung von Verbindungs-, Standort- und Internetdaten 
durchsetzen. Das fordern elf Bürgerrechts- und Berufsverbände in einem 
Offenen Brief an die Verhandler zum Thema Justiz und Inneres - darunter 
der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, die Deutsche Aidshilfe und der 
Deutsche Journalisten-Verband.

Die "verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung" sei den 
Organisationen zufolge die "schädlichste Altlast der Großen Koalition" 
und "die am tiefsten in die alltägliche Privatsphäre eingreifende und 
unpopulärste Massenüberwachungsmaßnahme, die der Staat jemals 
hervorgebracht hat." Eine derart weitreichende "Registrierung des 
Verhaltens der Menschen in ganz Deutschland" sei "für viele Bereiche der 
Gesellschaft höchst schädlich", so für die Arbeit von Ärzten, 
Rechtsanwälten, Psychologen, Beratungsstellen und Journalisten. Die 
verdachtslose Datensammlung begünstige Datenpannen und -missbrauch und 
sei von Gerichten schon wiederholt als grundrechtswidrig verworfen worden.

"Sowohl die FDP als auch Bündnis 90/Die Grünen verstehen sich als 
Verteidiger von Freiheit und Bürgerrechten", erklärt Ute Elisabeth 
Gabelmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Initiative. "Nun 
ist es ihre Aufgabe, den behäbigen Partner SPD in die Spur zu setzen. 
Die aktuell bestehende bloße 'Aussetzung der Vollziehung' der 
Vorratsdatenspeicherung ist nicht akzeptabel. Wir fordern von den 
Koalitionspartnern ein klares Bekenntnis zu Freiheit und unseren 
Grundrechten und damit das verbindliche Ende jeder verdachtslosen 
Vorratsdatenspeicherung. Auch den EU-Plänen zur Wiedereinführung muss 
Deutschland entschiedenen Widerstand entgegen setzen. Die gesamte 
Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen ist unerträglich!"

Hintergrund:

SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen sich heute mit den Themen 
Justiz und Inneres befassen. Liberale und Grüne fordern in ihren 
Wahlprogrammen ein Ende der verdachtslosen Datensammlung. Das 2015 von 
der "Großen Koalition" beschlossene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 
wurde im Juni 2017 vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen für 
grundrechtswidrig befunden und einstweilen ausgesetzt (Az. 13 B 238/17). 
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht aus. Nach dem 
Gesetz soll verdachtslos von der gesamten Bevölkerung aufgezeichnet 
werden, wer mit wem und wo per Telefon oder Handy in Verbindung 
gestanden oder das Internet genutzt  hat.


Wortlaut des Gemeinsamen Briefs an SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 
vom 27. Oktober 2021

Koalitionsverhandlungen: Ende der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

Sehr geehrte Verhandler,

mit unzähligen Überwachungsgesetzen [1] hat die „Große Koalition“ die 
Grund- und Freiheitsrechte schwer beschädigt. Von einem 
"Ampel"-Koalitionsvertrag mit den Parteien SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE 
GRÜNEN erwarten wir eine Beseitigung der schädlichsten Altlast der 
„Großen Koalition“, nämlich der Vorratsdatenspeicherung von 
Telekommunikationsdaten in Deutschland.

Warum?

· Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die 
am tiefsten in die alltägliche Privatsphäre eingreifende und 
unpopulärste [2] Massenüberwachungsmaßnahme, die der Staat jemals 
hervorgebracht hat. Das 2015 beschlossene Gesetz zur 
Vorratsdatenspeicherung verpflichtet Telekommunikationsgesellschaften, 
Informationen über die Verbindungen ihrer sämtlichen Kunden 
aufzuzeichnen. Wochenlang soll nachvollziehbar sein, wer mit wem per 
Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat. Bei 
Smartphone-Nutzung ist auch der jeweilige Standort des Benutzers 
festzuhalten. Die Vorratsspeicherung von Internetkennungen (IP-Adressen) 
soll in Verbindung mit anderen Informationen nachvollziehbar machen, wer 
was im Internet gelesen, gesucht oder geschrieben hat.

· Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in 
ganz Deutschland ist für viele Bereiche der Gesellschaft höchst 
schädlich. Ohne jeden Verdacht einer Straftat sollen sensible 
Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich 
Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle 
Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Psychologen, 
Beratungsstellen) von über 80 Millionen Bürgern gesammelt werden. Damit 
höhlt eine Vorratsdatenspeicherung Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, 
Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen 
und -missbrauch. Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und 
beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern. Sie beeinträchtigt 
insgesamt die Funktionsbedingungen unseres freiheitlichen demokratischen 
Gemeinwesens. Die enormen Kosten einer Vorratsdatenspeicherung sind ohne 
Erstattungsregelung von den Telekommunikationsunternehmen zu tragen. 
Dies zieht Preiserhöhungen nach sich, führt zur Einstellung von 
Angeboten und belastet mittelbar auch die Verbraucher. Auch unter 
Bezeichnungen wie „Quick Freeze Plus“ ist eine anlasslose 
Vorratsdatenspeicherung inakzeptabel. [3]

· Es hat sich herausgestellt, dass eine verdachtsunabhängige und 
wahllose Vorratsdatenspeicherung zur Aufdeckung, Verfolgung und 
Bestrafung schwerer Straftaten überflüssig ist. Untersuchungen belegen, 
dass bereits die gegenwärtig verfügbaren Kommunikationsdaten ganz 
regelmäßig zur effektiven Aufklärung von Straftaten ausreichen. Es gibt 
keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine Vorratsdatenspeicherung 
besser vor Kriminalität schützte. Dagegen kostet sie Millionen von Euro, 
gefährdet die Privatsphäre Unschuldiger, beeinträchtigt vertrauliche 
Kommunikation und ebnet den Weg in eine immer weiter reichende 
Massenansammlung von Informationen über die gesamte europäische Bevölkerung.

· Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung hat sich 
als grundrechtswidrig erwiesen und gerichtlicher Überprüfung wiederholt 
nicht standgehalten. Im Juni 2017 wurde die gesetzliche Regelung zur 
Vorratsdatenspeicherung vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen 
bereits für europarechtswidrig befunden und ausgesetzt (Az. 13 B 
238/17). Die Bundesnetzagentur setzt das Gesetz nicht mehr durch. 
Nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung hat der Europäische 
Gerichtshof schon mehrfach verworfen. Bis zu einem rechtskräftigen 
Abschluss der laufenden Verfahren könnten jedoch noch Jahre der 
Rechtsunsicherheit vergehen.

Als Vertreter der Bürger, der Medien, der freien Berufe, der Justiz und 
der Wirtschaft lehnen wir eine flächendeckende und verdachtsunabhängige 
Vorratsdatenspeicherung geschlossen ab. Wir appellieren an Sie, in den 
Koalitionsverhandlungen ein klares Bekenntnis zur Aufhebung der 
Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten (§113a ff. TKG) in 
Deutschland einzufordern und auch die sogenannte „freiwillige“ 
Vorratsdatenspeicherung der Unternehmen (§100 TKG) auf besondere Anlässe 
und verdächtige Aktivitäten zu beschränken [4]. Die aktuelle Missachtung 
der europäischen Grundrechte-Charta muss beendet und die freie 
Kommunikation wieder hergestellt werden. Seien Sie sich unserer 
Unterstützung dabei versichert.

Mit besten Grüßen
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

sowie die Mitunterzeichner
- Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.
- Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main
- Deutsche Aidshilfe
- Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
- Deutscher Journalisten-Verband e.V.
- Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.
- Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche 
Verantwortung e.V.
- Humanistische Union e.V.
- Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
- Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)

Fußnoten/Nachweise:
[1] Liste von Überwachungsgesetzen: 
http://www.daten-speicherung.de/index.php/ueberwachungsgesetze
[2] Meinungsumfrage zu Überwachungsgesetzen: 
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/infas-umfrage.pdf
[3] Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zu „Quick Freeze Plus“: 
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/ak-vorrat-stellungnahme_qf-e.pdf
[4] Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zur „freiwilligen 
Vorratsdatenspeicherung“: 
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/ak-vorrat-stellungnahme_it-sicherheitsgesetz_oa.pdf


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