Offener NGO-Brief an SPD, Grüne und FDP: Keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen!

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung presse at vorratsdatenspeicherung.de
Mo Sep 19 15:51:35 CEST 2022


Pressemitteilung des Arbeitskreises gegen Vorratsdatenspeicherung vom 
19.09.2022

Offener NGO-Brief an SPD, Grüne und FDP: Keine anlasslose 
Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen!

Über 20 zivilgesellschaftliche Organisationen wie Datenschutz- und 
Berufsverbände warnen heute in einem Brief an die Ampel-Koalition, die 
von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) geforderte Vorratsspeicherung von 
Internetadressen (IP-Adressen) wäre zum Schutz von Kindern ungeeignet 
und ein schwerer Eingriff in Grundrechte, weil IP-Adressen zur 
umfassenden Nachverfolgung der von einem Internetnutzer besuchten 
Internetseiten und infolgedessen seiner Online-Aktivität genutzt werden 
können. Es drohten das Ende der Anonymität im Internet und unzumutbare 
Folgen etwa für Opfer von Gewalt- oder Sexualdelikten sowie 
Presseinformanten.

Morgen wird der EU-Gerichtshof mit einem Grundsatzurteil entscheiden 
inwieweit das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung mit EU-Recht 
vereinbar ist. Eine generelle IP-Vorratsdatenspeicherung ist 
europarechtlich nicht verboten, wird jedoch vom Koalitionsvertrag abgelehnt.

Mit dem Offenen Brief wendet sich der Arbeitskreis gegen 
Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) gemeinsam mit 26 
Nichtregierungsorganisationen und Expert:innen an Innenministerin 
Faeser, Justizminister Buschmann, Familienministerin Paus sowie an 
Bundesvorsitzende von SPD, Grüne und FDP. Zu den Erstunterzeichnenden 
gehören unter anderem die Deutsche Aidshilfe, die Deutsche Vereinigung 
für Datenschutz, der Deutsche Fachjournalisten-Verband, die 
Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die 
Neue Richtervereinigung, Reporter ohne Grenzen und der Republikanischer 
Anwältinnen- und Anwälteverein.

Aktuell herrscht beim Thema Vorratsdatenspeicherung Streit in der Ampel. 
Innenministerin Faeser will an dem Konzept einer anlasslosen 
Massenspeicherung von Kommunikationsdaten festhalten, während FDP und 
Grüne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung abschaffen wollen. Ein 
Entwurf für eine neues deutsches Gesetz wird bereits zeitnah erwartet.

Der Offene Brief im Wortlaut:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/s/ipbrief

19. September 2022
Offener Brief
des Arbeitskreises gegen Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat)
und unterzeichnender Organisationen und Personen

Sehr geehrte Frau Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat,
sehr geehrter Herr Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz,
sehr geehrte Frau Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, 
Frauen und Jugend,
sehr geehrter Herr Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender der SPD,
sehr geehrter Herr Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE 
GRÜNEN,
sehr geehrte Frau Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE 
GRÜNEN und
sehr geehrter Herr Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP

Die unterzeichnenden Organisationen und Personen dieses Briefs lehnen 
die anlasslose Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen aller 
Bürger:innen ab und fordern Sie auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen, 
die Freiheitsrechte der Bevölkerung zu schützen und langfristig den Weg 
einer massenüberwachungsfreien Politik einzuschlagen.
Stoppen Sie die Vorratsdatenspeicherung, schützen Sie Telefon- und auch 
Internetnutzer:innen!

Sie finden die Erstunterzeichnenden am Ende dieses Briefs.


Privatsphäre ist Grundrecht
Keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen!

Die aktuellen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung, deren Anwendung 
seit Juli 2017 nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts 
Nordrhein-Westfalen ausgesetzt sind, verpflichten öffentlich zugängliche 
Internetzugangsdienste zur pauschalen Speicherung aller IP-Adressen, die 
den Endnutzer:innen für eine Internetnutzung zugewiesen wurden, 
inklusive einer eindeutigen Kennung des Anschlusses, einer zugewiesenen 
Benutzerkennung sowie Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der 
Internetnutzung. Im Falle von Internet-Sprachkommunikationsdiensten 
müssten auch die IP-Adressen des anrufenden und des angerufenen 
Anschlusses und die zugewiesene Benutzerkennungen gespeichert werden.

Am 20. September wird der Gerichtshof der Europäischen Union seine 
Entscheidung über das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 
verkünden. In den darauf folgenden Monaten geht es um die Erfüllung des 
Koalitionsvertrags [1]. Die Bundesregierung will sich laut Vertrag von 
der Überwachungspolitik der Vorgängerregierung konsequent abwenden und 
die „Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten 
rechtssicher anassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert 
werden können.“

Koalitionsvertrag einhalten!
Der Koalitionsvertrag schließt jede Form der anlasslosen Speicherung der 
Kommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger aus. Das betrifft auch 
die von der Bundesinnenministerin erhobene Forderung [2] nach der 
Einführung einer anlasslosen und pauschalen IP-Vorratsdatenspeicherung. 
Wir rufen Sie auf, die Versprechen des Koalitionsvertrags gegenüber den 
Bürgerinnen und Bürgern einzuhalten!

Schwerer Eingriff in die Grundrechte: IP-Daten bedingen Verfolgung und 
Profilbildung von Menschen
Regierungen, Parlamente und große Teile der Bevölkerung unterschätzen 
das Risiko von IP-Adressen für das tägliche Leben. In seinem Urteil aus 
Oktober 2020 (La Quadrature du Net) betont der EU-Gerichtshof die 
Sensibilität von IP-Daten: „Da die IP-Adressen jedoch insbesondere zur 
umfassenden Nachverfolgung der von einem Internetnutzer besuchten 
Internetseiten und infolgedessen seiner Online-Aktivität genutzt werden 
können, ermöglichen sie die Erstellung eines detaillierten Profils 
dieses Nutzers. Die für eine solche Nachverfolgung erforderliche 
Vorratsspeicherung und Analyse der IP-Adressen stellen daher schwere 
Eingriffe in die Grundrechte des Internetnutzers aus den Art. 7 und 8 
der Charta dar und können abschreckende Wirkungen wie die in Rn. 118 des 
vorliegenden Urteils dargelegten entfalten.“
Zuletzt bestätigte eine Studie[3] zu Privatsphäre und IPv6-Adressen, 
dass IP-Adressen trotz Vorkehrungen zum Datenschutz eindeutige und 
dauerhafte Tracking-Identifikatoren sein können.

IP-Vorratsdatenspeicherung ist ungeeignet für den Schutz von Kindern
In Deutschland werden Forderungen nach massenhafter Speicherung von 
Kommunikationsdaten hauptsächlich mit dem Schutz von Kindern und 
Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt begründet. Im November 2021 hatte 
der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung gemeinsam mit zehn 
weiteren Bürgerrechts- und Berufsverbänden dargelegt, warum 
Vorratsdatenspeicherung zum Schutz von Kindern ungeeignet [4] ist. Im 
Januar 2022 bestätigte eine Antwort der Bundesregierung auf eine 
schriftliche Frage zudem, dass Vorratsdatenspeicherung nicht notwendig 
ist. Laut Daten des Bundeskriminalamts [5] konnten nur 3 % alle Fälle 
der „Nutzung, des Handels oder der Verbreitung von Kinderpornographie in 
den Jahren 2017 bis 2021“ aufgrund nicht vorhandener IP-Adressen nicht 
weiter verfolgt werden.
Im April 2022 kritisierte gegen-missbrauch e.V. [6]: „(…) das Problem 
ist nicht die [fehlende Vorratsdatenspeicherung], sondern, das[s] die 
Ermittlungsbehörden vom Personal und der Ausstattung noch im 19. 
Jahrhundert sind, und Täter:innen tatsächlich im Jahr 2022“.

Vorratsdatenspeicherung hilft nicht für mehr Sicherheit
Der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (AKV) betont in seiner 
Analyse [7] einer Studie[8] des Max-Planck-Instituts aus 2011:
„Dass Straftäter heutzutage oftmals elektronisch statt wie früher 
mündlich oder postalisch kommunizieren, bedeutet also nicht, dass die 
Benutzung der Kommunikationsnetze total nachvollziehbar sein müsste, wie 
es auch bei der mündlichen und postalischen Kommunikation nie der Fall 
gewesen ist.“ Der AKV hebt hervor: „Im Jahr 2020 wurde die Verbreitung 
pornografischer Schriften laut Kriminalstatistik zu 91,3% aufgeklärt - 
ohne dass eine Pflicht zur IP-Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist!“
Die Studie kommt daher zu dem Ergebnis: „Insbesondere gibt es bislang 
keinen Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller 
Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten, 
sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden kann.“ (221f)
Umgekehrt gilt, dass anonyme Kommunikation Kinder schützt, indem sie 
anonyme Beratung, Selbsthilfe und Strafanzeigen ermöglicht.

Kinderschutz geht ohne Massenüberwachung
Anstelle von Massenüberwachung sind es gezielte und unmittelbare 
Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche schützen können. Dazu gehören 
bessere und schnellere gezielte Ermittlungen, Schutz- & 
Präventionskonzepte an Schulen und kirchlichen Einrichtungen sowie die 
Stärkung der Kompetenzen von Kontaktpersonen in Behörden, 
Beratungsstellen und öffentlichen Einrichtungen.

Vorratsdatenspeicherung trifft unschuldige Bürger:innen
Während sich Kriminelle technisch vor Massenüberwachung schützen können, 
würde eine pauschale Vorratsdatenspeicherung vor allem rechtstreu 
lebenden Menschen erfassen und schwer in ihren Grundrechten verletzen. 
Überwachung muss in einer Demokratie die Ausnahme bleiben und darf 
niemals zum Standard werden.

Recht auf vertrauliche Internetnutzung
Die vertrauliche und anonyme Internetnutzung ist für die Meinungs- und 
Informationsfreiheit unerlässlich. Eine generelle und verdachtslose 
Vorratsspeicherung unserer Identität und IP im Internet würde das Ende 
der Anonymität im Internet bedeuten. Sie würde es den meisten 
Bürger:innen unmöglich machen, das Internet frei vom Risiko staatlicher 
Beobachtung (z.B. auch wegen eines falschen Verdachts), missbräuchlicher 
Offenlegung durch Mitarbeiter:innen des Anbieters und versehentlichen 
Datenverlustes zu nutzen. Dadurch hätte eine IP-Vorratsdatenspeicherung 
unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität überhaupt 
bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen zu lassen 
(z.B. Opfer und Täter:innen von Gewalt- oder Sexualdelikten), ihre 
Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände bekannt zu 
machen (Presseinformanten, anonyme Strafanzeigen, ausländische
Dissidenten). Bürger:innen müssen die Möglichkeit haben, sich anonym mit 
Journalist:inn:en, Behörden, Anwaltskanzleien, Beratungsstellen und 
Ärzt:inn:en auszutauschen, ohne dabei rückverfolgt werden zu können.

Massenüberwachungsfreie Politik
Wir fordern Sie auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen, die 
Freiheitsrechte der Bevölkerung zu schützen und langfristig den Weg 
einer massenüberwachungsfreien Politik einzuschlagen.
Stoppen Sie die Vorratsdatenspeicherung, schützen Sie Telefon- und auch 
Internetnutzer:innen!

Erstunterzeichnende Organisationen und Personen
    •   Aktion Freiheit statt Angst e.V.
    •   AlgorithmWatch
    •   Deutsche Aidshilfe
    •   Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
    •   DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
    •   DieDatenschützerRhein-Main
    •   Digitalcourage e.V.
    •   Digitale Gesellschaft e. V.
    •   Dr. Rolf Gössner, Jurist/Publizist, Kuratoriumsmitglied der 
Internationalen Liga für Menschenrechte
    •   Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche 
Verantwortung e. V.
    •   freiheitsfoo / freiheitsfoo.de
    •   Humanistische Union e.V.
    •   Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
    •   mailbox.org – Heinlein Hosting GmbH
    •   Monique Hofmann – Bundesgeschäftsführerin Deutsche 
Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
    •   Netzwerk Recherche
    •   Neuen Richtervereinigung e.V., Bundesvorstand
    •   openPetition
    •   Peter Leppelt – Mitglied des Digitalrat Niedersachsen
    •   Prof. Dr. Clemens Arzt – FÖPS Berlin - Forschungsinstitut für 
öffentliche und private Sicherheit (Gründungsdirektor)
    •   Prof. Dr. Fredrik Roggan – Hochschule der Polizei des Landes 
Brandenburg
    •   Prof. Dr. Ira Diethelm – Carl von Ossietzky Universität
    •   Prof. Dr.-Ing. Tibor Jager – Bergische Universität Wuppertal
    •   Prof. Thorsten Holz – CISPA Helmholtz Center for Information 
Security
    •   Reporter ohne Grenzen e. V. / Reporters Without Borders (RSF) 
Germany
    •   Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)

Fußnoten:
1 https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
2 
https://www.deutschlandfunk.de/nancy-faeser-spd-innenminister-konferenz-sicherheit-katastrophenschutz-100.html
3 https://dl.acm.org/doi/10.1145/3544912.3544915
4 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/799/1/lang,de/
5 https://dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000534.pdf#page=39
6 https://twitter.com/echo_pbreyer/status/1518620276648558592
7 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/537/55/lang,de/%20
8 https://grundrechte.ch/2013/MPI_VDS_Studie.pdf


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