[COMM-Rundbrief] Bleiberecht | Atom(waffen)recht | Versammlungsrecht

carsten carsten at comm-ev.de
Sa Mär 10 22:22:03 CET 2018


Liebe Freund*innen des COMM e.V.,

unabhängig von Fragen nach den Grenzen der Fähigkeit und Bereitschaft
<https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fb2/c-systematischetheologie/christlichesozialwissenschaften/heimbach-steins/ics-arbeitspapiere/ics-ap_2_fluechtlinge_und_fluechtlinspolitik.pdf>
der deutschen Bevölkerung zur Aufnahme von Geflüchteten und der
Verantwortung Deutschlands als einer der weltgrößten Waffenexporteure
<http://www.waffenexporte.org/> für die Fluchtgründe
<http://www.fluchtgrund.de/> - zu beiden Fragen liessen sich bei
sachlicher Diskussion ohne emotionale Aufheizung durch hetzende
Politiker*innen und Massenmedien eigentlich schnell
verantwortungsbewusste Lösungen finden - sollte klar sein: Die Menschen,
die es unter teilweise lebensgefährlichen und fast immer entwürdigenden
Umständen bis zu uns geschafft haben, müssen angemessen behandelt
werden. Angemessen heißt unter anderem, dass sie nach den
Traumatisierungen, die sie vor und/oder während ihrer Flucht erlebt
haben, hier in einem Gefühl der Sicherheit zur Ruhe kommen und
"menschenwürdig" leben können und in ihrem Aufnahmeverfahren gut
begleitet und beraten werden. Das ist aber in viel zu vielen Fällen in
den Sammelunterkunfts-Einrichtungen nicht möglich und von den Behörden
offensichtlich auch gar nicht gewollt. Die scheinen nur eine lästige
Menschenmasse zu verwalten, die bis zur möglichst baldigen Abschiebung
halbwegs "artgerecht" aufbewahrt werden muss. Da das auch noch meist von
der Öffentlichkeit abgeschirmt passiert, so weit gehend, dass
Unterstützer*innen Hausverbot bekommen, haben wir uns Ende Januar /
Anfang Februar an der einwöchigen Mahnwache von Pro Bleiberecht M-V
<http://bleiberecht-mv.org/de/2018/01/23/mahnwache-vor-horst/> vor der
Erstaufnahmeeinrichtung
<https://de.wikipedia.org/wiki/Erstaufnahmeeinrichtung_%28Deutschland%29>
(EAS) für Mecklenburg–Vorpommern in Nostorf–Horst bei Boizenburg
beteiligt. Ein Ziel dieser öffentlichen Aktion war es, "auf diese
„offene Wunde für uns als Zivilgesellschaft“ aufmerksam zu machen, um
die Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Zustände in dieser
abgeschotteten Einrichtung zu erhöhen." Für mich war das eine
begegnungsreiche Woche mit vielen beeindruckenden Erlebnissen. Erwähnen
möchte ich hier diese zwei Dinge: Ich fand die scheinbare Ruhe und
Gelassenheit sowie den - trotz aller Sprachbarrieren - freundlichen und
friedlichen Umgang miteinander dieser Menschen, die mehr als genug
Gründe hätten, zu verzweifeln, wütend zu sein, auch mal "auszurasten",
imponierend. Und mir fiel die Ablehnung, fast schon Feindseligkeit uns
gegenüber von einigen (nicht allen) in der Einrichtung Beschäftigten
auf, die für mich ein Indiz für deren schlechtes Gewissen ist.
Diese einwöchige Präsenz war wegen des Aufwands eine Ausnahme. Für
jeweils einen Sonntagnachmittag sind aber alle zwei Wochen
Unterstützer*innen von Pro Bleiberecht und dem Flüchtlingsrat Hamburg
<http://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/content/eua_290118_Mobi_VA_Mahnwache_Horst.html>
vor Ort, und am Sonntag nächster Woche sind wir auch wieder dabei...


An ein anderes, aber auch zunehmend von der Öffentlichkeit weniger
beachtetes Unrecht, das zur Abwechslung mal auch in den sog.
hochentwickelten und reichen Industrieländern eine Fluchtwelle auslösen
könnte, sollen die beiden Gedenktage der Anti-Atom-Bewegung erinnern.
Morgen, am 11. März, vor 7 Jahren begann die Katastrophe von Fukushima
<https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Fukushima>, und 
in gut sechs Wochen, am 26. April, wird es 32 Jahre her sein, dass der
Reaktor in Tschernobyl explodierte
<https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Tschernobyl> und
eine radioaktive Wolke und ihr Fallout in Nord- und Mitteleuropa zu
gravierenden Veränderungen führten. Trotzdem konnten danach in
Deutschland noch 7 Akw in Betrieb genommen werden. Im Jahr 2000, als 19
Akw in der BRD in Betrieb waren, beschloss die erste rot-grüne
Bundesregierung einen "Atomkonsens" genannten, zwar viel zu langsamen,
aber immerhin 2002 Gesetz gewordenen "Atomausstieg". Was der wert war,
erlebten wir 2010, als die schwarz-gelbe Bundesregierung gegen massiven
Protest der Anti-Atom-Bewegung den "Ausstieg aus dem Ausstieg" beschloss
und den Akw-Betreibern "Laufzeitverlängerung
<https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Laufzeitverl%C3%A4ngerung&redirect=no>"
für viele Jahre bescherte. Kurz danach, nämlich unter dem Eindruck von
Fukushima und wieder massenhaften Protesten, wurde die
Laufzeitverlängerung zurückgenommen, die acht ältesten Akw in
Deutschland stillgelegt und die Laufzeit der neun verbleibenden
begrenzt. Obwohl sieben davon noch heute in Betrieb sind ^1) und -
abgesehen von der Betriebsgefahr - täglich hochgefährichen Müll
produzieren und ausserdem die Brennelemente-Fabrik in Lingen
<https://weltweit.nirgendwo.info/atomstadt-lingen/die-brennelementefabrik/>
und die Urananreicherungs-Anlage in Gronau
<https://urantransport.de/hintergrund/transporte-zur-und-von-der-urananreicherungsanlage-in-gronau/>,
die beide unbefristet weiter produzieren für den Betrieb von Akw in
aller Welt, davon gar nicht betroffen sind, scheint für die deutsche
Öffentlichkeit das Thema erledigt zu sein, nach dem Motto "wird schon
gut gehen..." 
Das letzte - bis Mitte 2011 waren es drei - laufende Akw in unserer
Nähe, nämlich das in Brokdorf, wird momentan nicht nur "im Blindflug"
betrieben (das Zitat aus dem Aufruf zur Demo
<http://www.brokdorf-akut.de/wp-content/uploads/2018/02/HighRes03_180216_Protest_Kulturmeile_Brokdorf_2018_Flyer.pdf>
von Brokdorf-akut <http://www.brokdorf-akut.de/> bezieht sich auf die
nach wie vor nicht bekannten Ursachen für gefährliche Veränderungen an
Brennelementen, die bei der letzten Revision festgestellt wurden) und
läuft für unsere Stromversorgung nicht nur unnötig, sondern es verstopft
<https://www.ausgestrahlt.de/aktionen/netzverstopfer/> die Leitungen
nach Süden und behindert massiv die Einspeisung von Windstrom. Mehr als
genug Gründe für uns, am 22. April vor Ort zu sein und mit Tontechnik
und Heißgetränken die Demo zu unterstützen...

^1) Philippsburg bis Ende 2019; Brokdorf, Grohnde, Gundremmingen bis
Ende 2021; Emsland, Isar/Ohu, Neckarwestheim bis Ende 2022.


Auch die andere Seite der "Medaille" Atomenergie
<http://www.atomwaffenfrei.de/fileadmin/user_upload/pdf_Dateien/Materialien/bombenrisiko_atomkraft_aufl1_web.pdf>,
nämlich Atomwaffen, bekommt längst nicht die öffentliche Aufmerksamkeit,
die sie bekommen sollte. Obwohl mittlerweile die internationalen
Wissenschaftler*innen des /Bulletin of the Atomic Scientists
<https://de.wikipedia.org/wiki/Bulletin_of_the_Atomic_Scientists>/
(„Berichtsblatt der Atomwissenschaftler“) die "Atomkriegsuhr
<https://de.wikipedia.org/wiki/Atomkriegsuhr>" auf zwei Minuten vor
Zwölf gestellt haben und aktuell ein neues atomares Wettrüsten läuft,
gehen nicht, wie Anfang der 80er Jahre zu Hochzeiten der
Blockkonfrontation mit der Androhung der vielfachen gegenseitigen
Vernichtung, Hunderttausende auf die Straßen, um für ein Ende dieses
Wahnsinns und die endgültige Abschaffung von Atomwaffen zu
demonstrieren. Das ist schwer zu verstehen und die Gründe sind sicher
vielfältig und komplex. Dabei gibt es ein "Licht am Ende des Tunnels":
Im vergangenen Jahr haben sich in New York bei den Vereinten Nationen
<https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinte_Nationen> rund 120
Nicht-Atomwaffenstaaten auf einen Atomwaffenverbots-Vertrag
<https://nuclearban.de/der-vertrag/> geeinigt. (Für diesen Erfolg ihrer
jahrelangen Arbeit bekam die Internationale Kampagne zur Abschaffung der
Atomwaffen ICAN <http://www.icanw.org/> den Friedensnobelpreis.) Seit
September 2017 kann er unterzeichnet werden und wartet darauf, in Kraft
zu treten, sobald 50 Staaten ihn ratifiziert
<https://de.wikipedia.org/wiki/Ratifikation> haben. Die deutsche
Regierung hat sich mit fadenscheiniger Begründung lieber auf die Seite
der Atommächte gestellt und die Verhandlungen boykottiert und weigert
sich, dem Vertrag beizutreten. Wer mag, kann hier die Forderung "Die
künftige Bundesregierung muss das Verbot unterzeichnen und die
US-Atomwaffen aus Deutschland abziehen!" unterschreiben
<https://aktion.nuclearban.de/node/9>.

Apropos "US-Atomwaffen in Deutschland
<https://de.wikipedia.org/wiki/Fliegerhorst_B%C3%BCchel>": Ende März
wird wieder die 20-wöchige Aktionspräsenz in Büchel beginnen. Wir werden
wieder zur IPPNW <https://www.ippnw.de/>-Aktionswoche im Juni dort sein
und sie logistisch und technisch unterstützen. Aber dazu in einem der
nächsten Rundbriefe mehr, so wie auch zu unserem "Auftritt" während der
Kulturellen Landpartie im Wendland
<https://www.kulturelle-landpartie.de/> in Gedelitz mit Veranstaltungen
im Zirkuszelt.

Jetzt noch ein paar Worte zu juristischen "Nachspielen" im Zusammenhang
mit unseren Camps und Aktionen:

  * In der Bußgeld-Sache wegen angeblich unerlaubten Betretens des
    Truppenübungsplatzes Altmark im Zusammenhang mit dem War starts here
    Camp <http://www.war-starts-here.camp/> 2016 warte ich gespannt auf
    die Reaktion des Amtsgerichts Bonn, das ich mit der eindeutigen
    Stellungnahme des Vorsitzenden Richters des Oberlandesgerichts Köln
    ("das Amtsgericht hätte das Verfahren einstellen müssen")
    konfrontiert habe, und insbesondere darauf, dass es die
    Staatsanwaltschaft "zurückpfeift", die unbeirrt die Vollstreckung
    der fast 900 € betreibt.
  * Wegen des Verbots der ursprünglich angemeldeten Demo-Route im
    Zusammenhang mit Camp und Aktionen am Rheinmetall-Standort Unterlüß
    <http://www.aufschrei-waffenhandel.de/termine-aktionen/aktionsberichte/aktionsberichte-2017/150517-aktionstage-rheinmetall-unterluess/>
    im Mai 2017 haben wir Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
    Momentan geht es noch nicht wirklich zur Sache, sondern darum, dass
    das Gericht gegen unseren Willen Rheinmetall "beigeladen" hat (das
    treibt das Kostenrisiko in die Höhe) und um den Nachweis der
    Eigentumsverhältnisse an den umstrittenen Straßen, wobei das gar
    nicht unser Ansatz war.
  * In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit RAV
    <http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/verfassungsbruch-durch-hamburger-senat-und-polizei-beim-g20-gipfel-551/>,
    Grundrechtekomitee <http://www.grundrechtekomitee.de/node/905>,
    attac
    <http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/verfassungsbruch-durch-hamburger-senat-und-polizei-beim-g20-gipfel/>
    und der Orga des Antikapitalistischen Camps
    <https://g20camp.noblogs.org/> machten wir öffentlich, dass wir alle
    uns gegen die zahlreichen und eklatanten Rechtsbrüche durch Hamburgs
    Senat und Polizei im Zusammenhang mit den G20-Camps und
    Protestaktionen juristisch wehren werden. Vier Klagen sind
    eingereicht ...

Die Versammlungsfreiheit wird gerne - auch von Politik, Polizei und
Justiz - als ein wesentlicher Grundpfeiler unserer
"freiheitlich-demokratischen Grundordnung" und sehr hohes "Rechtsgut"
bezeichnet, aber die Auslegung des Versammlungsrechts wird wieder
restriktiver, und da, wo es richtig stört, wird es einfach missachtet.
Dagegen werden wir uns weiter wehren...

Schöne Grüße   Carsten Orth

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