[IPK] Libyen: ein weiterer Fall einer selektiven "Kontrollsucht" des Westens

Webmaster Inprekorr webmaster at inprekorr.de
Do Apr 28 01:13:19 CEST 2011


Libyen: ein weiterer Fall einer selektiven "Kontrollsucht" des Westens
----------------------------------------------------------------------


Von Tariq Ali


Tripolis wird bombardiert, während andere arabische Despoten gestützt
werden. Das zeigt den puren Zynismus der von den UN unterstützten Schläge,
um Gaddafi zu vertreiben.

Die vom UN-Sicherheitsrat gedeckte US-Nato-Intervention in Libyen ist Teil
einer abgestimmten Antwort, um Unterstützung für eine Bewegung gegen einen
bestimmten Diktator zu demonstrieren, und so die arabischen Rebellionen zu
beenden, in dem sie unter Kontrolle des Westens gebracht und so ihrer
Schlagkraft und Spontaneität beraubt werden. Ziel ist die Wiederherstellung
des Status quo ante.

Es ist absurd zu glauben, dass der Beweggrund für die Bombardierung von
Tripolis oder die Abschüsse vor Bengasi der Schutz von Zivilisten war.
Dieses Argument wird benutzt, um die Unterstützung der Bürger und
Bürgerinnen von Europa und Amerika und von Teilen der arabischen Welt zu
gewinnen. "Schaut uns an", sagen Obama/Clinton und ihre europäischen
Satrapen, "wir tun Gutes. Wir sind auf Seiten des Volkes." Der schiere
Zynismus raubt einem den Atem. Wir sollen glauben, dass die Führer mit den
blutigen Händen im Irak, in Afghanistan und in Pakistan die Bevölkerung
Libyens verteidigen. Die unsäglichen britischen und französischen Medien
schlucken ja alles, aber es ist bedrückend, dass anständige Liberale auf
diesen Mist hereinfallen. Die Zivilgesellschaft lässt sich leicht durch
Bilder beeinflussen, und Gaddafis Brutalität, seine Luftwaffe zu schicken,
um sein Volk zu bombardieren, wurde von Washington als Vorwand genutzt, um
eine weitere arabische Hauptstadt zu bombardieren. Während dessen arbeiteten
Obamas arabische Verbündete hart daran, die Demokratie voranzubringen.

Die Saudis marschierten in Bahrain ein, wo die Bevölkerung tyrannisiert wird
und Massenverhaftungen stattfinden. Auf Al-Dschasira wird darüber kaum
berichtet. Warum nur? Anscheinend wurde die Sendeanstalt etwas gezügelt und
auf Linie mit der Politik ihrer Geldgeber gebracht.

All das mit aktiver Unterstützung der USA. Der jemenitische Despot, der von
der Mehrheit seines Volkes abgelehnt wird, bringt sie weiterhin täglich um.
Nicht einmal ein Waffenembargo, geschweige denn eine "Flugverbotszone" wurde
über ihn verhängt. Libyen ist ein weiterer Fall der selektiven Kontrollsucht
der USA und ihrer westlichen Kettenhunde.

Sie können sich auch auf die Franzosen verlassen. Sarkozy versuchte
verzweifelt etwas zu tun. Er konnte seinen Freund Ben Ali in Tunesien nicht
retten, und so entschloss er sich, bei der Beseitigung Gaddafis zu helfen.
Die Briten sind immer zu Diensten, und während sie das libysche Regime in
den letzten zwei Jahrzehnten stützten, haben sie sich jetzt dafür
entschieden, auf der richtigen Seite zu sein, um an der Verteilung der Beute
beteiligt zu werden. Was können sie bekommen?

Die Differenzen innerhalb der amerikanischen politisch-militärischen Elite
über diese ganze Operation haben dazu geführt, dass es kein klares Ziel
gibt. Obama und seine europäischen Satrapen reden von Regimewechsel. Die
Generäle halten dagegen und sagen, dass das nicht Teil ihrer Vorstellungen
sei. Das US State Department ist mit dem Aufbau einer neuen Regierung
englischsprachiger libyscher Kollaborateure beschäftigt. Wir werden niemals
erfahren, wie lange Gaddafis zerfallende und geschwächte Armee gegen die
starke Opposition standgehalten hätte. Er verlor Unterstützung in seinen
Streitkräften, weil er ihnen befahl, auf das eigene Volk zu schießen. Jetzt
spricht er vom Wunsch der Imperialisten, ihn zu stürzen und sich des Öls zu
bemächtigen. Und selbst viele, die ihn verachten, können sehen, dass das
wahr ist. Ein neuer Karzai ist im Anmarsch.

Über die Grenzen des armseligen Protektorats, das der Westen einrichten
wird, wird in Washington entschieden. Selbst die Libyer, die aus
Verzweiflung die Nato-Bomber begrüßen, könnten - wie ihre irakischen
Gegenstücke -- diese Entscheidung bereuen.

All das könnte auf einer bestimmten Entwicklungsstufe eine dritte Phase
auslösen: ein wachsender nationalistischer Zorn, der nach Saudi-Arabien
schwappt. Und dort -- daran gibt es keinen Zweifel -- wird Washington alles
tun, um die saudische Königsfamilie an der Macht zu halten. Verlieren sie
Saudi-Arabien, dann verlieren sie auch die Golfstaaten. Das Ziel des
Angriffs auf Libyen, der durch den allumfassenden Schwachsinn Gaddafis sehr
erleichtert wurde, war es, die Initiative von den Straßen zurückzugewinnen,
in dem sie sich als Verteidiger der Menschen- und Bürgerrechte aufspielten.
Das wird die Menschen in Bahrain, Ägypten, Tunesien, Saudi-Arabien und im
Jemen nicht überzeugen, und selbst in Euro-Amerika lehnen mehr Menschen
dieses Abenteuer ab, als dass es Unterstützer gäbe. Die Kämpfe sind
keineswegs vorbei. 

Obama spricht von einem gnadenlosen Gaddafi, aber die Gnade des Westens
fällt nie wie ein leichter Regen auf den Ort darunter. Sie segnet nur die
Mächte, die sie verteilen, die Mächtigsten der Mächtigen.


Übersetzung: W. Weitz



-------------------------------------------------------------------
Aus:   Inprekorr Nr. 474/475   (Internationale Pressekorrespondenz)
Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht
Bestellungen:          Inprekorr, Hirtenstaller Weg 34, 25761 Büsum
E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de
Doppelheft:  4 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR
Jahresabo:            20 EUR (Inland), 12 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%
Artikel im CL-Datennetz:                        cl.medien.inprekorr
Artikel im Internet:                            http://inprekorr.de
-------------------------------------------------------------------



Mehr Informationen über die Mailingliste Inprekorr-l