[IPK] Griechenland im Zeichen der Memoranden -- abhängiges oder imperialistisches Land?

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So Mai 20 21:04:48 CEST 2012


Griechenland im Zeichen der Memoranden -- abhängiges oder imperialistisches
Land?
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Durch die Spardiktate der "Troika" steht Griechenland vor dem Abgrund des
Elends. Ist es zu einem "abhängigen Land", gar zu einer "Kolonie der EU"
geworden, in dem die Forderung des "Ausstiegs aus der EU und der Euro-Zone"
eine Perspektive bieten kann?


Von Andreas Kloke


Die verheerenden Attacken der Troika, d. h. des Banken-Kapitals der EU --
einschließlich des griechischen -- und der USA, aber auch der (bis vor
kurzem) "griechischen Troika", der schwarzen Front aus PASOK, der
rechtsgerichteten Nea Dimokratia und dem rechtsextremen LAOS, sowie des
griechischen Großkapitals auf die Lebensbedingungen der überwiegenden
Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die Arbeitenden, RentnerInnen,
Jugendlichen, auf die Rechte der ArbeiterInnen-Klasse, auf den Begriff der
Demokratie selbst und jede Aussicht auf einen Wirtschaftsaufschwung und
sogar auf das Überleben der Gesellschaft, auf alle, die in Griechenland
leben und arbeiten (oder versuchen, dies zu tun), werden mit unverminderter
Wut fortgesetzt. Das "Memorandum Nr. 2" bedeutet die Auflösung der
griechischen Gesellschaft, wie sie bis 2009 bekannt war. Nichts scheint dem
Orkan widerstehen zu können, Einkommen und Renten gehen verloren, die
Arbeitslosigkeit grassiert, das öffentliche Schul- und Gesundheitssystem
nähert sich dem Nullpunkt, ein ganzes Land steht vor dem Abgrund des Elends
-- wobei zu ergänzen wäre, dass dieser rasante Abstieg zutiefst klassenmäßig
bestimmt ist. Einige profitieren von diesem Niedergang und der Nivellierung.
Auch für viele Ökonomen, deren Zielsetzung nicht die Abschaffung des
Kapitalismus ist, wie Paul Krugman, ist die Politik der Troika irrational
und wird unvorhersehbare und schwerwiegende Folgen nicht nur in
Griechenland, sondern auch in Europa, wo sehr bald die gleiche
Memoranden-Politik in vielen Ländern, beginnend mit den als "PIGS" [1]
apostrophierten, zu erwarten ist, und auf der ganzen Welt haben.

Sowohl in der reformistischen als auch der außerparlamentarischen,
antikapitalistisch-revolutionär griechischen Linken tauchten seit der
Einführung des ersten Memorandums durch die Regierung Papandreou eine Reihe
von Fragen über die Ursachen und Verantwortlichen dieser Politik und die
Möglichkeiten eines Auswegs aus der Diktatur der Kreditgeber und ihren
vorsätzlichen und fortgesetzten Verbrechen auf. Die Diskussion und Analysen
konzentrieren sich weitgehend auf die Beziehungen der EU und der großen
imperialistischen Staaten der Eurozone, vor allem Frankreichs und
insbesondere Deutschlands, das in den vergangenen zwei Jahren inoffiziell
die Führung übernommen hat, zur europäischen Peripherie (Irland, Portugal,
Spanien, Italien), und besonders zu Griechenland. In diesem Artikel kann
nicht auf die ungeheuren Probleme des übrigen Balkans und Osteuropas
eingegangen werden.

Einige Kräfte und Organisationen haben den Schluss gezogen, dass
Griechenland wieder einmal ein "besetztes" Land ist oder in die "erste
Kolonie eines Mitgliedslands der EU" verwandelt wird, wie KOE [2] schreibt.
Dieser Teil der Linken ist der Auffassung, dass die griechischen Politiker
vor allem "Kollaborateure" und an die "ausländischen imperialistischen
Kräfte ausverkauft" sind, vergisst dabei aber, dass das griechische Kapital
und der griechische Staat selbst weiter eine imperialistische Rolle auf dem
südlichen Balkan und im östlichen Mittelmeerraum spielen. Damit wird ein
strategisches Konzept entwickelt, demzufolge sich Griechenland von der
"Abhängigkeit vom Imperialismus" befreien und in erster Linie seine
wirtschaftliche und politische "nationale Souveränität" wiedererlangen muss,
wenn auch in eine "progressive Richtung", mit einer "linken Regierung" und
mit einer Änderung der Machtverhältnisse, mit der es möglich sein soll, das
Land, die Arbeitenden und die Bevölkerung aus der schlimmen Sackgasse der
Memoranden-Politik zu führen. Ein Protagonist dieser Auffassung ist
zweifellos P. Lafazanis, Abgeordneter von SYRIZA [3]. (In diesem Sinne
sprach auch der SYRIZA-Vorsitzende Tsipras am 9.2. von der "Versklavung"
durch die Troika und Merkel und von der Transformation Griechenlands in ein
"Dritte-Welt-Land" etc.)


DIE MEMORANDEN ALS KLASSENKAMPF

Als Ausweg aus der Misere und als Befreiung von den immer gröberen
Erpressungen durch die Troika und die Diktatur des internationalen Banken-
und Finanzkapitals schlagen die meisten linken Kräfte den Austritt aus der
EU (wie z. B. die Führung der Kommunistischen Partei/KKE) oder aus der
Eurozone (wie etwa ein Flügel von SYN und SYRIZA sowie die ANTARSYA [4] und
andere Organisationen) vor. Das Thema dieses Artikels ist, inwieweit die
"Abhängigkeitstheorie" derzeit zutreffend sein und in welchem Umfang der
Slogan des "Ausstiegs aus der EU und der Euro-Zone" eine ernsthafte
Perspektive bieten kann, mit der die ArbeiterInnen-Klasse und die breiten
Volksschichten aus dem Sumpf der Verelendung, den Kapital und Regierungen
ihnen bereitet haben, herauskommen können. 

Zunächst einmal ist es offensichtlich, dass alle Memoranden, und vor allem
seine neueste Version, nicht nur vollkommen auf die Ansprüche der Troika,
d. h. vor allem des ausländischen Bankenkapitals, das nicht vom
Monopolkapital allgemein, d. h. dem "produktiven" Kapital der großen
multinationalen Unternehmen Deutschlands, Frankreichs usw. getrennt werden
kann, zugeschnitten sind, sondern auch auf die Forderungen der griechischen
Bourgeoisie. Die Aufhebung der Branchentarifverträge und der unternommene
Versuch, die ganze Gesellschaft in eine Art rohesten
"Manchester"-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zurückzustoßen, ist in dieser
Hinsicht entlarvend, falls noch weitere Beweise notwendig waren.

Ein zentrales Element ist, dass die Memoranden-Politik von der Regierung
Papandreou auf Initiative des europäischen "Zentrums", d. h. Brüssels und
der Regierungen von Berlin und Paris, eingeführt wurde, um die Einheit der
Euro-Zone, die Interessen des internationalen Bankenkapitals und --
angeblich -- Griechenlands zu retten! Es war absolut vorhersehbar und
geplant, was folgen sollte: die Ausplünderung der Arbeitenden, die eine
bewusst herbeigeführte und verheerende Rezession der griechischen Wirtschaft
und eine nicht unbedeutende Verschlechterung der Position des griechischen
Kapitalismus im internationalen Umfeld, insbesondere innerhalb des
Euroraums, zur Folge hatte. Dennoch behauptet die griechische Bourgeoisie
ihre Stellung in einem imperialistischen Staat gegenüber seinen
Nachbarländern und, was die Türkei betrifft, unter den Bedingungen
imperialistischer Konkurrenz. Das Neue ist, dass ein Land, das selbst auf
der Grundlage der imperialistischen Herrschaft funktioniert, einem
Ausbeutungsprozess der (europäischen) "Peripherie" durch das "Zentrum"
unterworfen wird. Derartige Beziehungen unterhielten die imperialistischen
Staaten in den vergangenen Jahrzehnten mit den Ländern der Dritten Welt und
Osteuropas und waren typisch für die extrem aggressiven Raubzüge des IWF in
Dutzenden von Ländern.

Griechenland ist sicherlich erst der Anfang und das "Versuchskaninchen", und
andere Länder, insbesondere Italien mit der drittgrößten Wirtschaft der
Eurozone, werden folgen. Die Beteiligung des IWF an den griechischen
Memoranden dient nicht nur der beispiellosen Terrorisierung der Arbeitenden
und der Bevölkerung, sondern symbolisiert auch, dass hier etwas
Ungewöhnliches passiert: Es handelt sich den Versuch einer Koordination der
großen imperialistischen Staaten, den Euro und die Stabilität des globalen
Finanzsystems nach dem ersten Zusammenbruch und dem offenen Ausbruch der
globalen kapitalistischen Krise im Jahr 2008 zu "retten". Es versteht sich,
dass in einer derart ernsthaften "Rettungs"-Prozedur die Interessen der
kleineren und peripheren Länder nicht im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen
können, sondern ihre Unabhängigkeit, Demokratie und ihr Wohlstand
unweigerlich schweren Schaden leiden oder einfach eliminiert werden müssen.

So beschlossen die Staats-und Regierungschefs der Eurozone, sich im Sommer
2009, als die Bevölkerung Griechenlands von alledem noch nichts ahnte, mit
den Führungen der (damals noch regierenden) "Nea Dimokratia" und von PASOK
(die ihre "neue Rolle" sofort akzeptierte), den Führungsstäben des
griechischen Kapitals und dem IWF zu verständigen. Es wurde vereinbart, das
erste Memorandum über Griechenland zu verhängen. Zweifellos war dies eine
unerhörte und gewalttätige Einmischung der späteren "Troika" in die "inneren
Angelegenheiten" der griechischen Politik, und die Ergebnisse der nationalen
Wahlen im Jahr 2009 waren von vornherein total gefälscht, weil die
WählerInnen nicht wussten, für welche Art von Politik sie abstimmten, vor
allem was die PASOK-Stimmzettel betraf. Diese zunächst lautlose Einmischung
wurde in den folgenden beiden Jahren immer dreister und erreichte
schließlich die Ebene roher Erpressung, z. B. im Vorschlag, ein Konto
einzurichten, auf das große Teile des Staatshaushalts Griechenlands
einzuzahlen sind und das ausschließlich von der Troika kontrolliert werden
soll.


DIE AUSPLÜNDERUNG ZUGUNSTEN DER TROIKA

Auch steht außer Frage, dass "Griechenland", d. h. natürlich die arbeitende
Bevölkerung, bluten und zum Nutzen des internationalen Bankenkapitals
ausgequetscht werden soll. Dutzende Milliarden Euro sind bereits vom
Reichtum der griechischen Gesellschaft durch Privatisierungen, Lohn- und
Rentenkürzungen, Entlassungen und die Ausbeutungsmechanismen der Memoranden
auf die Konten der Troika transferiert worden und dieser Prozess wird
weiterhin erbarmungslos fortgesetzt. Dies ist der eigentliche Inhalt des
"PSI"-Abkommens, das am 12.2. von den "199" (wahrlich ausverkauften)
Abgeordneten des griechischen Parlaments angenommen wurde. Von dem
angeblichen "Rettungspaket für Griechenland" in Höhe von 130 Mrd. EUR werden
89 Mrd. sofort einkassiert. Von den 350 Mrd. EUR Staatsverschuldung, die
180 % des BIP darstellen, was einen Anstieg von 60 % im Vergleich zu 2008
bedeutet, werden nach dem PSI-"Haircut" 275 Mrd. EUR Schulden übrig bleiben,
d. h. die Verschuldung wird sich weiter auf einem nicht überlebensfähigen
Niveau bewegen. Die ganze Welt weiß das. Im "besten Fall" einer brutal
durchgezogenen Sparpolitik wird der Schuldenstand im Jahr 2020 wieder auf
120 % des BIP sinken, ein "großartiger Erfolg" der in der griechischen
Wirtschaft und Gesellschaft angewandten Schocktherapie!

Aber das ist noch nicht alles. Die Anleihen der Gläubiger, die ihren Wert
verloren hatten, werden erneuert und in "Diamanten" für die Bankiers
verwandelt. Es ist natürlich wieder die griechische Bevölkerung, die die
Zeche zu begleichen hat. Die Griechenland gewährten Kredite müssen wieder
von denselben, d. h. den Werktätigen, RentnerInnen usw., mit einer Rate von
4 bis 6 % zurückgezahlt werden. Dies bedeutet, dass die griechischen
Steuerzahler in den nächsten 20 Jahren oder darüber hinaus mehr als
11 Mrd. EUR jährlich an Zinsen abbezahlen müssen. Das ist der Strafpark, den
Brüssel und die Troika vorbereitet und für die Arbeitenden und die
Bevölkerung Griechenlands vereinbart haben (für Details siehe den
informativen Artikel von S. Kontogiannis, "Die PSI-Märchen", /Ergatikí
Allilengíi/, Zeitung von SEK, Nr. 1003). Dies ist die "Rettung
Griechenlands" durch die Troika und die griechischen Regierung und ihre
Abgeordneten. Es ist in jeder Hinsicht der reine Bankrott und der absolute
Ruin.

Die im Dezember 2011 verabschiedete "politische Resolution" von
OKDE-Spartakos beschreibt die aktuellen Entwicklungen und Ergebnisse der
Memoranden-Politik wie folgt: "Es ist bekannt, dass der Prozess des
Kapitalexports die wirtschaftliche Entwicklung der weniger entwickelten
Länder erstickt, weil er in qualitativ erweiterter Menge die verfügbaren
Ressourcen für die primäre Kapitalakkumulation absorbiert. Was die nationale
Wirtschaft betrifft, vollzieht sich eine ständige Enteignung der
einheimischen sozialen Überschüsse im Interesse des ausländischen Kapitals,
was offensichtlich die Reduzierung der verfügbaren Mittel für die
inländische Kapitalakkumulation zur Folge hat. Die restlichen Mittel fließen
dann in Bereiche wie Außenhandel, Vermittlungs-Dienstleistungen für
internationale Unternehmen, Immobilien-Spekulation, Wucher, Glücksspiele,
Tourismus und Lebensmittelindustrie. Die erweiterte Reproduktion des
Kapitals, die in den fortgeschrittenen Ländern den Prozess der fortlaufenden
primären Kapitalakkumulation fördert, behindert also diesen Prozess in den
weniger entwickelten Ländern. Wo das Kapital im Überfluss vorhanden ist,
dort akkumuliert es sich in hohem Tempo, wo es nur geringfügig zur Verfügung
steht, geht seine Investition und Akkumulation nur langsam und
widersprüchlich vonstatten."


GRIECHENLAND ALS EIN SCHWACHES GLIED IN DER IMPERIALISTISCHEN KETTE

Dieser Trend ist nicht vom Himmel gefallen, obwohl die Einführung der
Memoranden-Politik ohne Zweifel einen unglaublichen Einschnitt darstellte,
der alle überraschte. Ihr "Erfolg" beruhte auf der Bürokratisierung und der
politischen Spaltung der ArbeiterInnen-Bewegung, die den massiven Angriffen
von Kapital und Regierungen nicht widerstehen konnte. Die unaufhaltsame
Durchsetzung dieses Trends, der die Machtverhältnisse allmählich zu
Ungunsten des schwächeren griechischen Kapitalismus verschob, war das
Ergebnis der strategischen Entscheidungen der griechischen Bourgeoisie, die
der EU beitrat, den Vertrag von Maastricht unterzeichnete und meinte, dass
Griechenland als Teil der Eurozone "stark" wäre. Das Triumph-Gerede von
Simitis [5] und dem gesamten Establishment des Landes ist noch nicht
vergessen. Tatsächlich diente die Einführung des Euro in erster Linie den
Interessen der großen multinationalen Konzerne und dem Finanzkapital der
wirtschaftlich mächtigsten Staaten Europas. Das Gleiche gilt für die
"Großprojekte" vor den Olympischen Spielen von 2004, die astronomischen
Kosten des griechischen Staates für die Rüstung und die unvermeidliche
Öffnung des griechischen Inlandsmarkt für die großen multinationalen
Unternehmen in der gleichen Periode, also für die Entwicklungen, die in den
wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte dominierten.

Gleichzeitig sollte nicht übersehen werden, dass Griechenland nicht mit den
armen Ländern der Dritten Welt zu vergleichen ist. In einem bemerkenswerten
Artikel hat P. Papakonstantinou darauf hingewiesen, dass das BIP
Griechenlands im Jahr 2010 nach Angaben von EUROSTAT 232 Milliarden EUR
betrug und ausreichen würde, allen Berufstätigen ein Einkommen von 2580 EUR,
jedem Arbeitslosen 900 EUR und allen RentnerInnen je 1500 EUR pro Monat zu
garantieren. Und hier ist nicht die Rede von der Lösung der grundlegenden
Probleme der Arbeitenden, sondern nur von Hilfsmaßnahmen im Rahmen des
Systems ("Sind wir dazu verdammt zu hungern?", PRIN, 11.12.11). Dies zeigt
erneut, dass das Problem der Memoranden ausschließlich eine Klassenfrage
ist. Und wir lassen hier die rund 560 Mrd. EUR, die die reichen Griechen auf
Konten im Ausland deponiert haben, sowie das Eigentum der orthodoxen Kirche
unberücksichtigt.

Auf jeden Fall ist hinzuzufügen, dass die ganze tragische Einebnungs- und
Auflösungspolitik nicht möglich gewesen wäre, wenn sie nicht auf dem vollen
Einverständnis der griechischen Kapitalisten-Klasse mit der Troika beruhen
würde. Es handelt sich also um ein fortgesetztes Verbrechen aufgrund einer
Übereinkunft der Troika mit der griechischen Bourgeoisie. Die einzige
logische Schlussfolgerung ist, dass Griechenland das charakteristische --
wenn auch sicherlich nicht das einzige -- "schwache Glied" in der
imperialistischen Kette der Eurozone und der EU darstellt. Das bedeutet
auch, dass Griechenland in eine Periode eingetreten ist, wo "Unruhen",
Revolten oder eine authentische Revolution immer wahrscheinlicher werden.
Ebenso ist wahr, dass die Memoranden-Politik in Griechenland in eine
Strategie der herrschenden Klassen eingebettet ist, um den Lebensstandard
der Arbeitenden nach und nach in ganz Europa so drastisch zu senken, dass
produktive Investitionen wieder profitabel können. Diese Strategie scheint
ihr einziger Ausweg aus der Krise sein. Aus dieser Perspektive ist das
soziale Schlachtfest, das in Griechenland stattfindet, nur der Anfang des
allgemeinen Angriffs auf die Rechte und den Lebensstandard der arbeitenden
Bevölkerung in der Eurozone und der EU. Dies ist nur ein weiteres Indiz
dafür, dass alle Probleme nur im europäischen und schließlich globalen
Maßstab gelöst werden können.


DER KAMPF GEGEN EU UND EUROZONE UND SEINE ZIELE

Es ist unbestreitbar, dass sich der von den Arbeitenden und einem Großteil
der Bevölkerung geleistete Widerstand gegen den Block aus Troika und
griechischer Bourgeoisie sowie ihrer politischen Formationen, ihrer Medien
etc. richten muss. Es hat sich gezeigt, dass die EU-Institutionen von
Brüssel unter der Führung des deutschen Kapitals zu Gunsten der
imperialistischen Politik besonders der größeren Mächte funktionieren. Ein
Plan ist entwickelt worden, der auf die Abschaffung der Rechte aller
europäischen Arbeitenden abzielt. Es handelt sich um einen Klassenkrieg, der
seit Jahrzehnten schwelt, aber im Jahr 2009 verheerende Dimensionen
angenommen hat und vor nichts Halt macht. Der Hauptgrund dafür, dass die
deutsche Bourgeoisie Griechenland in der EU und der Eurozone halten will,
ist, dass die Rolle eines "global Player" die wirtschaftliche Dominanz auch
in der europäischen Peripherie erfordert. Daher ist der Kampf gegen die
imperialistische EU und für ihre Auflösung unumgänglich. Es wäre eine
Illusion zu glauben, dass im Rahmen der bestehenden Institutionen "ein
anderes Europa", ein "Europa der Arbeiter und der Völker" etc. erreichbar
wäre.

In der griechischen Linken zirkulieren verschiedene Ideen und
programmatischen Elemente für den "Austritt aus der EU und der Eurozone."
Das Problem mit dieser Forderung ist, dass sie ohne den Stopp und die
Annullierung der Schulden, aber auch ohne die Nationalisierung der Banken
und Großunternehmen ohne Entschädigung und unter Arbeiterkontrolle nur die
reformistische Utopie eines "besseren" Kapitalismus in den Grenzen
Griechenlands bedeutet. Sogar ihre Ergänzung durch ein Programm der
Umverteilung des Reichtums, eines "gerechteren" Steuersystems sowie eine
"progressive linke Regierung" mit "sozialistischer Ausrichtung" oder
"Perspektive" würde nichts Grundlegendes an dieser Feststellung ändern. Es
wäre der Versuch einiger Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Systems
und könnte weder das Funktionieren des Kapitalismus noch den bürgerlichen
Staat, der alle repressiven Mechanismen, Polizei, Armee und Gefängnisse als
Instrumente der Klassenherrschaft in den Händen hält, ernsthaft
herausfordern. Eine solche "linke Regierung" wäre nicht nur eine Geisel der
tatsächlichen bürgerlichen Machtverhältnisse, sondern würde auch die Gefahr
eines konterrevolutionären Putschs wie 1973 in Chile erzeugen.

Die beiden reformistischen Parteien, SYRIZA und die Kommunistische Partei,
hoffen und verbreiten, jede auf ihre eigene Weise, die Illusion, dass durch
Wahlen und andere politische Mehrheiten im Parlament die vorherrschende
Politik besiegt und durch eine bessere, "progressive und linke" Politik
ersetzt werden könnte, die in unbestimmter Zukunft sogar zum "Sozialismus"
führen könnte. Solche vergeblichen Hoffnungen scheitern sowohl an der harten
Realität der bürgerlichen Macht des griechischen Staates als auch am
Funktionieren des kapitalistischen Systems in Europa und weltweit, von dem
die griechische Wirtschaft nur einen kleinen Teil darstellt. Nein, weder
Griechenland noch Europa können durch irgendwelche "linke Regierungen", die
einige Reformen für die Arbeitenden auf Grundlage des bestehenden Systems
durchführen wollten, gerettet werden. Der "bessere Kapitalismus" ist nicht
machbar. Das zeigen die ökonomischen Analysen von Karl Marx im "Kapital",
die Richtigkeit der Theorie der "langen Wellen" der kapitalistischen Krisen
von Ernest Mandel und zuletzt die Analysen von Robert Brenner (um hier nur
einige der interessantesten Ergebnisse der marxistischen Analyse zu
erwähnen).

Der Austritt aus der EU und der Eurozone hat nur dann Sinn und einen
konkreten Klasseninhalt, wenn er mit dem Bruch und dem tatsächlichen Sturz
des kapitalistischen Systems verbunden ist. Dies wird durch die Routine der
Parlamentswahlen, so wichtig diese auch als ein Spiegel der öffentlichen
Meinung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein mögen, nicht möglich sein.
Erforderlich ist die Selbstorganisation der Beschäftigten in den
Unternehmen, der breiten Bevölkerungsschichten in den Städten und
Stadtteilen, mit abrufbaren Delegierten auf zentraler und nationaler Ebene
in einem System realer Demokratie, die die Sphäre der Wirtschaft und die
demokratische Planung umfasst. Dieses System realer Basisdemokratie wird die
verfaulte parlamentarische "Demokratie", die nichts anderes als eine
getarnte Diktatur von Kreditgebern und Kapital ist, herausfordern und
schließlich zu Fall bringen. Ein solcher antikapitalistischer Umsturz wäre
die sozialistische Revolution (oder zumindest ihr Beginn) und zwangsläufig
der Kampf um die Eroberung der Macht durch die Arbeiterinnen, Arbeiter und
Unterdrückten. Und dieser Kampf kann erfolgreich sein, wenn die Solidarität
der anderen Völker Europas und der Welt zur Ausbreitung des
antikapitalistischen Umsturzes in ganz Europa und zur Errichtung der
sozialistischen Gesellschaften Europas führt.


Der Artikel ist die vom Autor angefertigte deutsche Übersetzung eines
Artikels der griechischen Zeitschrift /Spartakos/, März 2012.



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Aus:   Inprekorr Nr. 3/2012    (Internationale Pressekorrespondenz)
Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht
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[1] Portugal, Italien, Griechenland, Spanien -- d. Red.
[2] KOE, "Kommunistische Organisation Griechenlands", ist eine der größeren
linken Organisationen, die an SYRIZA beteiligt sind. SYRIZA wird allerdings
von der reformistischen Partei SYN dominiert, die aus dem Spektrum des
Eurokommunismus stammt. KOE ist stalinistischen Konzepten und Strategemen
verhaftet.
[3] Verschiedene Strömungen von SYRIZA und dem SYN sind uneins darüber, ob
der Austritt aus der Eurozone derzeit eine erstrebenswerte Forderung und
Perspektive darstellt. Der Abgeordnete Lafazanis ist entschiedener
Austritts-Verfechter, die Mehrheitsströmung des SYN unter dem
SYRIZA-Vorsitzenden Tsipras ist nicht dafür.
[4] ANTARSYA ist ein außerparlamentarisches
antikapitalistisch-revolutionäres Bündnis von Organisationen und
Unorganisierten. Zu seinen Bestandteilen zählen NAR, SEK (griechische
Sektion der IST), ARAS, ARAN und OKDE-Spartakos (griechische Sektion der
IV. Internationale).
[5] Ministerpräsident von 1996 bis 2004 -- d. Red.



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