[IPK] USA: Zur Kandidatur von Bernie Sanders

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So Feb 28 18:50:48 CET 2016


USA:

Zur Kandidatur von Bernie Sanders

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Die folgende Erklärung wurde auf der Solidarity-Konferenz im Juli 2015
diskutiert und mit Stimmenmehrheit angenommen, mit einem zusätzlichen
Verweis darauf, dass die Organisation auch viele Mitglieder hat, die sich in
der Grünen Partei engagieren und wir ihre Arbeit und den Wahlkampf von Jill
Stein unterstützen. Diese Resolution soll ein Konzept dafür umreißen, wie
wir uns zur Kandidatur von Bernie Sanders und seinen Anhängerinnen und
Anhängern verhalten; es geht dabei nicht um eine Beurteilung von Sanders
selbst oder seiner politischen Ansichten.

 

 

Erklärung von Solidarity

 

 

Solidarity betont die strategische Notwendigkeit, eine Massenbasis für eine
unabhängige politische Aktivität der Arbeiterklasse zu organisieren, die die
arbeitenden Menschen, die unabhängigen sozialen Bewegungen und
Organisationen der Unterdrückten in einem Kampf um ihre gemeinsamen
Interessen gegen den Kapitalismus und seine politischen Vertreter vereinigt.

 

Im Gegensatz zu denen auf der Linken, die immer noch in der Demokratischen
Partei ein kleineres Übel sehen, das von innen beeinflusst werden könne,
betrachten wir die Partei als unreformierbar und fest darauf eingeschworen,
das neoliberale Projekt des Kapitals umzusetzen. Die Geschichte hat allzu
oft gezeigt, dass sie der Friedhof der sozialen Bewegungen bleibt.

 

Wir lehnen es ab, auf die Rutschbahn der Politik der Demokratischen Partei
zu geraten. Dennoch wird kein nennenswerter Schritt vorwärts hin zu einer
unabhängigen politischen Aktivität der Arbeiterklasse möglich sein ohne
Abspaltung der Massenbasis von der Partei. Als eine "Sparpolitik über
alles"-Partei hat die Demokratische Partei viel von ihrem Reiz eines
"kleineren Übels" verloren.

 

Wir stimmen absolut nicht mit Bernie Sanders Entschluss überein, zu den
Vorwahlen der Demokraten zu kandidieren und zu versprechen, am Ende die von
der Partei nominierte Person zu unterstützen. Es wäre jedoch ein Fehler für
die Linken, nicht die enorme Bedeutung und das Potenzial zu sehen, wenn
Millionen von Menschen rund um seine Kampagne aktiv werden und nach
Möglichkeiten zum Kampf gegen die Unternehmer und dem, was sie als
Kidnapping des demokratischen Prozesses empfinden, suchen.

 

Obwohl Sanders für die Demokratische Partei antritt, ist uns die Bedeutung
der breiten Unterstützung für seine Kernbotschaft bewusst. Es ist die
Botschaft von Occupy -- die 99 % gegen das eine Prozent -- die trotz acht
Jahren verheerender Rezession und verschärfter neoliberaler Sparpolitik
durch die Obama-Regierung immer noch sehr lebendig und im Bewusstsein großer
Schichten der US-Bevölkerung tief verwurzelt ist.

 

Dies gilt vor allem für junge Menschen, die, von Sanders Botschaft
inspiriert, gerade beginnen, sich im nationalen Wahlkampf zu engagieren. Wir
sollten dieses Aufblühen vom Kampfgeist begrüßen und versuchen gemeinsam an
den Problemen zu arbeiten, die von ihnen aufgeworfen werden, während wir
zugleich betonen, dass eine Orientierung auf die Demokratische Partei eine
Sackgasse wäre und sie stattdessen von der Notwendigkeit unabhängiger
Politik und des Aufbaus von Bewegungen, die die Gesellschaft verändern
können, überzeugen.

 

Wir fordern Solidarity-Mitglieder und andere revolutionäre Sozialistinnen
und Sozialisten auf, Möglichkeiten zu finden, um sich mit den Millionen von
Menschen zu verbinden, die von der Sanders-Kampagne angezogen werden, von
denen die meisten aber keine Geduld mit dem demokratischen Establishment
haben werden und noch viel weniger sich in einem längerfristigen Kampf um
die Führung der Partei sehen. Dies ist eine Kernzielgruppe, mit der man sich
verbinden und zu der man Brücken schlagen muss, um unabhängiger linker
Politik zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Viele Sanders-Unterstützerinnen und -Unterstützer sind bereits aktiv oder
können gewonnen werden für kontinuierliche Aktionen gegen Sparmaßnahmen und
andere soziale Bewegungen, für lokale unabhängige Wahlstrukturen und die
Bemühungen der Grünen Partei zum Aufbau einer nationalen unabhängigen Partei
/ Bewegung.

 

 

FÜR EINE OFFENE DISKUSSION IN DER ARBEITERBEWEGUNG

 

Wir unterstützen eigenständige Aktivitäten der Mitglieder innerhalb der
Gewerkschaften wie die unabhängige Basisgruppierung "Labor for Bernie"
(http://www.laborforbernie.org). Sie bieten die Möglichkeit zu diskutieren,
welches Programm und welche Ziele die politischen Entscheidungen der
Arbeiterbewegung bestimmen sollten.

 

Widerwillen und Protest gegen von Bürokraten gesteuerte,
wirtschaftszentrierte, ewiggleiche Politik schaffen Notwendigkeit und
Möglichkeit zum Aufbau von Basis-Netzwerken innerhalb der Arbeiterbewegung,
die einen wirklich demokratischen Prozess zur Entscheidung über Wahlaufrufe
verlangen und dafür kämpfen, dass die Bürokraten darauf verpflichtet werden,
nur Kandidierende zu unterstützen, die tatsächlich die Gewerkschaftspolitik
unterstützen.

 

Wahlaufrufe werden unsere Gewerkschaften oder die Arbeiterklasse nicht
"retten". Aber ein Kampf um interne Demokratie in unseren Gewerkschaften wie
der in der Lehrererinnen- und Lehrergewerkschaft "American Federation of
Teachers" (über deren frühzeitige Unterstützungszusage für Hillary Clinton
-- d. Red.) 

 

Unsere Aufgabe als Sozialistinnen und Sozialisten in der Arbeiterbewegung
umfasst eine Strategie der Förderung von Rissen in der sklavischen
Unterwerfung der Arbeiterbewegung unter das Establishment der Demokratischen
Partei. Ein Riss in Form eines Wahlaufrufs für Sanders ist eine gute Sache.
In diesen Kampf sind wir nicht neutral. Eine unabhängige Massenpartei der
Arbeiterklasse wird in diesem Land nicht entstehen ohne die Arbeit der
Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die die Sanders-Kampagne
unterstützen.

 

Dies ist auch das Milieu von Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die die
notwendige Aufgabe der Stärkung der politischen Fähigkeiten der
Arbeiterinnen und Arbeiter angehen -- etwas, was weit über den Rahmen von
Auseinandersetzungen über Wahlen hinausreicht.

 

 

DIE BEWEGUNG DIE WIR BRAUCHEN

 

Wir sollten Bewegungen und Mobilisierungen für konkrete Forderungen, die aus
der Sanders-Kampagne entstehen, aufgreifen. Es gibt jetzt einen Aufruf von
jungen Menschen, die durch die Kampagne aktiviert wurden, für einen
Studierendenmarsch auf Washington in diesem Herbst (2015 -- d. Üb.) zur
Abschaffung von Studiengebühren.

 

Was noch kommen muss, ist die Entstehung einer großen Bewegung gegen die
Sparpolitik und eine klare politische Alternative der Arbeiterbewegung auf
nationaler Ebene. Eine wirksame Politik, die erfolgreich sein und ein linkes
Programm umsetzen kann, erfordert eine organisatorische Infrastruktur und
politische Kultur, die momentan nicht existiert. Wegen des Fehlens einer
kontinuierlichen, erfolgreichen unabhängigen linken Politik müssen wir uns
der Realität stellen, dass Ärger über die Unternehmerkontrolle der Politik
sich in vagem Populismus und meist innerhalb der Demokratischen Partei
ausdrückt.

 

Wir stellen fest, dass Wahlinitiativen wie die von Kshama Sawant in Seattle,
Chokwe Lumumba in Mississippi, die Vermont Progressive Party, die Richmond
Progressive Alliance, die United Working Families in Chicago, Howie Hawkins
Kampagne für die Grüne Partei und andere trotz ihrer Begrenztheit und
Probleme die Kontrolle des Establishments der Demokratischen Partei
bedrohen. Wir unterstützen alle Bemühungen für Kandidaturen im Interesse der
Arbeiterbewegung als Unabhängige oder auf Stimmzetteln von
nicht-unternehmerkontrollierten Parteien.

 

Wir sind an der Zusammenarbeit mit Menschen interessiert, die von einer
Kampagne angezogen werden, die selber warnt: "Der beste Präsident in der
Weltgeschichte ... wird nicht die großen Krisen bewältigen können, vor denen
wir stehen, wenn es keine politische Massenbewegung gibt, wenn es keine
politische Revolution in diesem Land gibt."

 

Wir können Sanders' Aufruf zum Aufbau einer Bewegung, die auch über diese
Wahlkampagne hinaus weiterbesteht, nur zustimmen. Doch wir erwarten nicht,
dass die Sanders-Kampagne selbst eine dauerhafte Basisorganisation aufbauen
wird. Der Ball ist also im weitesten Sinne in unserem Feld.

 

Lasst uns diese Organisationsmöglichkeit ergreifen und Menschen, die durch
die Sanders-Kampagne begeistert sind, mit dieser Botschaft ansprechen:
"Lasst uns diesen Augenblick nicht verpassen, wo sich Leute um ein gegen die
Konzerne und gegen die Sparpolitik gerichtetes Programm sammeln, indem wir
am Ende jammernd Hillary wählen und dann Schluss machen. Lasst uns unsere
Kraft aufbauen." 

 

Die Tragödie wäre gar nicht so sehr, dass Leute einen Hebel für Clinton
ansetzen, sondern dass der massenhafte Aufschrei zerstreut und aufgelöst
würde und von allen Bemühungen der Basis nichts zurückbliebe. Trotz seiner
acht Millionen Stimmen im Jahr 1988 löste Jesse Jackson die angeblich
unabhängige Rainbow Coalition (Regenbogenbündnis) nach dem Verlust des
Kampfes um die Nominierung der Demokraten auf, so dass kein dauerhaftes
Bündnis die Arbeit zu Fragen der wirtschaftlichen und rassischen
Gerechtigkeit weiterführte, nachdem die Kampagne beendet war.

 

Dieses Mal sollte die Linke die Sanders-Unterstützerinnen und Unterstützer
drängen, den Kampf aufrechtzuerhalten und sich an Aktionen gegen
Sparmaßnahmen und an sozialen Bewegungen zu beteiligen oder lokale,
multi-ethnische Bündnisse einschließlich unabhängiger Wahlstrukturen
aufzubauen, die auch nach der Präsidentschaftskampagne weiterleben.

 

Wir stimmen Howie Hawkins zu, wenn er sagt: "Wir sollten darüber reden,
warum unabhängige Politik der beste Weg ist, eine progressive Kraft
aufzubauen, über die Demokratische Partei als dem historischen Friedhof von
fortschrittlichen Bewegungen und über die Notwendigkeit einer
fortschrittlichen Alternative bei den Wahlen 2016, wenn Sanders einknickt
und Clinton unterstützt. Ich erwarte nicht, dass man viele überreden kann,
die Sanders-Kampagne vor den Vorwahlen zu beenden. Aber ich erwarte, dass
viele von ihnen nach den Vorwahlen einen Plan B haben wollen, eine
fortschrittliche Alternative zu Clinton."

 

 

Übers.: Björn Mertens

 

 

 

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Aus: Inprekorr (Online-Ausgabe) Nr. 2/2016  (Internat.Pressekorrp.)

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