[IPK] Die nächste Phase der "Corona-Krise": Vom Virologen-Staat zum Polizei-Staat

Inprekorr-Webmaster webmaster at inprekorr.de
Mo Apr 13 19:44:47 CEST 2020


Online unter: https://www.inprekorr.de/580-cor-pol.htm

 

Corona:

Die nächste Phase der "Corona-Krise"

Vom Virologen-Staat zum Polizei-Staat

-------------------------------------------------------------------

 

Die Monate, die hinter uns und wahrscheinlich auch noch vor uns liegen,
werden in die Geschichtsbücher mit Sicherheit als die Zeit der
"Corona-Krise" eingehen. Es begann als virale Pandemie, die neben der
massiven gesundheitlichen Bedrohung der Menschen überall auf der Welt vor
allem die hoffnungslose Überforderung der Gesundheitssysteme aufgezeigt hat,
die nach 40 Jahren neoliberaler ökonomischer Zurichtung, zwar zu einem
extrem profitablen Geschäft privater Unternehmen wurde, aber die elementare
Gesundheitsversorgung und Vorsorge für die Menschen immer weniger
garantieren konnten. 

 

 

Von Thies Gleiss und Jakob Schäfer

 

 

Die Regierungspolitik der bürgerlichen Parteien erwies sich als ziemlich
rat- und hilflos. Sie übertrug die Politik ihren (ausgesuchten)
medizinischen Expert*innen, die mit einem Trial-and-Error-Verfahren vor
allem die Geschwindigkeit der Ausbreitung der Pandemie reduzieren und damit
einem Zusammenbruch der Gesundheitssysteme verhindern wollte. 

 

Statt parlamentarischer und den sowieso schon bescheidenen demokratischen
Gepflogenheiten der kapitalistischen Demokratie entsprechender Gesetzgebung
gab es die sofortige Vollstreckungspolitik der Minister und ihrer Behörden,
die auf täglichen Pressekonferenzen verkündet wurde.

 

Es war absehbar und ist heute ein neuer zentraler Aspekt der "Corona-Krise",
dass diese Phase der Politik schnell und immer mehr von der schnöden
technischen und polizeilichen Durchsetzungsstrategie ergänzt und tendenziell
abgelöst wird. Damit muss sich auch die Linke auseinandersetzen, um bei
allem Respekt vor medizinischer Soforthilfe die politische Bewegungsfreiheit
als gesellschaftliche Opposition nicht völlig zu verlieren.

 

Die Erfahrungen vor allem in Ländern wie China, Ungarn und Russland aber
auch Frankreich zeigen, in welcher Form die Corona-Krise von den
Herrschenden genutzt wird. Bei der Beurteilung dieser Entwicklungen sollten
wir nicht unterschiedslos alles in einen Topf werfen, weil dann das jeweils
Besondere nicht mehr erkannt wird und sich daraus schlechter ableiten lässt,
worauf sich die Aufklärungsarbeit und die Organisierung des Widerstands am
stärksten konzentrieren sollte.

 

Es empfiehlt sich, zwischen verschiedenen Varianten autoritärer
Staatspolitik zu unterscheiden. In China und Ungarn oder auch Russland ist
die autoritäre Herrschaft am weitesten fortgeschritten. Hier gibt es noch
nicht mal den Anschein von Legalität für Oppositionelle. Anders ist es in
Frankreich, wo eher die Tendenz zum "Starken Staat" vorangetrieben wird. In
diesem bleibt die Opposition legal und formal relativ unbelästigt.
Oppositionspolitiker*innen laufen hier nicht unmittelbar Gefahr, inhaftiert
zu werden.

 

Gleichwohl wird auch hier die Repression auf der Straße (und tendenziell
auch in den Betrieben) verstärkt. Um diese Entwicklung zu kaschieren, frisst
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Kreide und erklärt vollmundig: /"Viele
sagen nun: ?Schaut, die autoritären Regime kommen besser klar ...?. Hier
müssen wir sehr aufpassen. Das wird ein Test für die Stabilität unserer
Demokratie. Wir müssen zeigen, dass wir unsere Bürger vor Pandemien schützen
können, ohne etwas von unseren Prinzipien preiszugeben."/ Das hindert die
Macron-Regierung aber in keiner Weise daran, gegen Protestbewegungen (nicht
nur die der "Gelbwesten") mit wachsender Repression vorzugehen.

 

Auch in Deutschland wird ein Kurs zunehmender autoritärer Politik eines
"Starken Staates" verfolgt. Im politischen Diskurs, unglücklicherweise auch
von einem Teil der LINKEN unkritisch übernommen, taucht dieser Begriff immer
häufiger auf. Vor einer Entwicklung wie in Ungarn (also offen autoritär)
hätten breiteste Kreise auch des mehr oder weniger liberalen Bürgertums
sicherlich große Abscheu, anders ist es jedoch mit weiteren Maßnahmen, die
in das Konzept des Starken Staates passen. Damit können die Regierenden
einigermaßen leicht am heute vorherrschenden Massenbewusstsein anknüpfen,
gerade in Zeiten einer sich abzeichnenden tiefen Krise, die von einer
Gesundheitsbedrohung mittlerweile zu einer der größten sozialen und
wirtschaftlichen Krisen Deutschlands und der EU werden könnte. 

 

 

"DIE REIHEN SCHLIESSEN SICH HINTER DER REGIERUNG."

 

Die Regierenden (vor allem auf Bundesebene) nutzen die gegenwärtige Lage, um
ihre Kontrolle über die Bevölkerung zu verstärken. Sie bauen dabei auf die
Bereitschaft breitester Bevölkerungskreise, im Kampf gegen die Pandemie
Einschränkungen der persönlichen und politischen Freiheiten hinzunehmen. Im
Windschatten einer Reihe von durchaus sinnvollen und notwendigen
gesundheitspolitischen Maßnahmen werden persönliche Grundrechte und
politische Rechte in einem Maß eingeschränkt, das in keinem Verhältnis zum
Anlass steht. Oft gibt es noch nicht mal einen tatsächlich begründeten
Zusammenhang.

 

Als Kollateral-Nutzen wird dabei gerne mitgenommen, dass ein neuer
Aufschwung an Legitimität der bürgerlichen Regierungen und des
entsprechenden Personals zu verzeichnen ist. Selbst abgehalfterte Figuren,
wie die Herren Scholz, Spahn und Söder werden zu akzeptierten Machern und
ihre Umfragewerte steigen. Zum ersten Mal seit 2017 hat auch die sogenannte
"Große Koalition" der Regierungsparteien in den Wahlumfragen wieder eine
tatsächliche Mehrheit. 

 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Mitte April 2020) sind den meisten Menschen in
unserem Land zwei Dinge vollkommen unklar. Erstens die Unverhältnismäßigkeit
und Unbegründetheit vieler dieser Maßnahmen und zweitens ist es bis in die
Reihen der Gewerkschaften und selbst so mancher linker Zusammenhänge hinein
nicht klar, dass hier nicht nur geprobt wird. Wird sich keine politische
Gegenbewegung entwickeln, dann droht nach Ende der Corona-Krise eine
anhaltende Einschränkung von Grundrechten und politischen Rechten wie
Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Neue Formen der Überwachung -- wie
die Tracing-Apps für Mobil-Telefone oder die Drohnen für Polizeieinsätze --
erfreuen die Polizeibehörden so sehr, dass sie kaum wieder ohne Druck
aufgegeben werden. Auch auf den Sofort-Vollzug für Demonstrationsverbote
wird von den Ordnungsbehörden, die bisher von langen
Verwaltungsgerichtsverfahren genervt wurden, nicht verzichtet werden.

 

Wie weit wir in den letzten Tagen und Wochen schon gekommen sind, lässt sich
sehr gut im "Tagebuch der Inneren Sicherheit" nachlesen:
https://www.cilip.de/institut/corona-tagebuch/.

 

 

WAS DROHT BEIM "STARKEN STAAT"?

 

Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in der BRD droht keine unmittelbare
Durchsetzung eines /offen/ autoritären Regimes. Das erscheint den
Herrschenden heute weder als dringend geboten, noch wäre abzuschätzen,
welche Gegenreaktionen das hervorrufen würde. Noch bauen die Regierenden in
diesem Land auf die Akzeptanz ihrer Politik in der breiten Bevölkerung. Das
schließt aber gerade /nicht/ aus, dass freiheitseinschränkende Maßnahmen
vorangetrieben werden, die unmittelbar mit der Seuchenbekämpfung begründet
werden und für die es recht schnell breite Zustimmung gibt.

 

Dazu gehören schon die diversen Vorstöße zur Handyüberwachung, zwecks
Erstellung von Bewegungsprofilen und anderem "Beifang". In Deutschland gibt
es zwar -- im Vergleich zu manchen anderen Ländern wie etwa Frankreich --
eine gewisse Sensibilität für das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung. Ein erster Vorstoß wurde sogar auf Regierungsebene noch
abgeblock. Aber die Vorstöße lassen nicht nach und werden nur schwer zu
stoppen sein, wenn sich die einschlägigen Kreise darin einig sind, dass die
Daten anonymisiert werden und nach einer gewissen Zeit gelöscht werden. Nur
werden wir es extrem schwer haben, die Einhaltung dieser Beschränkungen zu
überprüfen.

 

Ähnlich leicht lässt sich -- mindestens im Moment noch -- das Verfügen von
Ausgangssperren und deren Überwachung einüben. Hier werden durch die
Repressionskräfte wichtige Erfahrungen gesammelt und mit Sicherheit
zentralisiert ausgewertet. Dabei geht es heute nicht vorrangig darum,
Menschen bei Zuwiderhandlung zu inhaftieren. Aber zu wissen, welche
Repressionskräfte in welcher Zahl man wo am besten zum Einsatz bringt, kann
für spätere Ausnahmesituationen, also auch bei sozialen Unruhen, von großer
Bedeutung sein. Bayern schreitet hier ja schon kräftig voran. Kurzum: Die
"Kontrollmacht" (Foucault) des Staates soll ausgebaut werden. Und nur so
lässt sich auch erklären, warum die Regierung ihre Pläne im Kampf gegen das
Virus nicht der Öffentlichkeit mitteilt.

 

Die Beschränkung der Informationsfreiheit trifft heute sogar Arztpraxen.
"/Wir kritisieren die Kriegsrhetorik, die Überflutung von Laien mit
epidemiologischen Zahlen, die ohne Vergleichszahlen mit dem ?Normalen? dann
eben oft geradezu apokalyptische Visionen entstehen lassen und vor allem
eines tun: Angst und Panik verbreiten."/ So der Bericht des "MVZ
Praxiskollektiv Reiche 121 e.G." aus Berlin. Wer nun wie dieses
Praxiskollektiv informieren will und vor Panikmache warnt, wird mit
Verschwörungstheoretikern (die es ja leider auch gibt) ganz bewusst in einen
Topf geworfen. All dies dient der politisch-publizistisch besseren
Durchsetzung der Zwangsmaßnahmen, die wir als Teil einer verschärften
Tendenz in Richtung Starker Staat sehen müssen.

 

 

BESONDERS IM VISIER: UNABHÄNGIGE BERICHTERSTATTUNG

 

Mit Hilfe der an vielen Stellen vollkommen ungerechtfertigten Änderungen des
Infektionsschutzgesetzes werden heute längst nicht nur Kultur- oder
Sportveranstaltungen verboten. Auch Demonstrationen, bei denen die Menschen
den Mindestabstand von 2 Metern einhalten, werden rigoros verfolgt.
Entsprechende Berichte gibt es aus München und Rheinland-Pfalz oder auch von
Berlin und Nordrhein-Westfalen. Nur in wenigen Einzelfällen in NRW haben
Verwaltungsgerichte diese Verbote wieder aufgehoben. Jedes Mal hielten
jeweils 2 Menschen ein 2 Meter breites Transparent und waren dabei auch weit
von den nächsten Demonstrierenden entfernt. Trotzdem erhielten sie
Platzverweise oder wurden sogar festgenommen.

 

Geradezu kafkaesk ist das Verbot in Bayern, allein auf einer Parkbank zu
sitzen, weil das "die nicht erlaubte Gruppenbildung fördern würde". Menschen
den Rückzug in Zweit- und Wochenendwohnsitze zu verweigern, wie in
Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein geschehen, ist ebenfalls
Irrsinn des vorauseilenden Polizeivollzugs.

 

Besonders in Berlin wurden dabei die Pressevertreter (etwa am 28. März) in
ihrer Berichterstattung behindert, ohne dass es dafür auch nur die geringste
Rechtfertigung gab. Somit konnte es auch keinen breiten Aufschrei geben,
denn die Sache wurde nicht über die Medien bekannt. Begründet wird dies mit
den Notwendigkeiten, die sich aus dem Infektionsschutzgesetz ergeben, wobei
sich die Regierenden (im Moment jedenfalls noch) auf eine (passive)
Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten stützen können.

 

Es muss in nächster Zeit die vordringlichste Aufgabe aller systemkritischer
Linker sein, diese Gefahren herauszustellen und Wege für eine
Gegenmobilisierung zu erörtern. Denn neben der Propagierung einer anderen,
einer menschlichen Gesundheitspolitik -- Entprivatisierung des gesamten
Sektors, den Ausbau aller medizinischer Dienste einschließlich einer
besseren Bezahlung vor allem der Pfleger*innen -- muss hier in der nächsten
Zeit der Schwerpunkt unserer Aktivitäten liegen. 

 

Parallel dazu dürfen wir ein weiteres Feld nicht aus den Augen verlieren,
nämlich die Änderung der Arbeitsgesetzgebung. Hier laufen schon die ersten
Vorstöße zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes, einschließlich der Aussetzung
von geltenden Beschränkungen bei Überstundenregelungen usw.

 

Die nächste Stufe wird dann die Frage sein, welche Kündigungskonditionen von
Bestand sein müssen. Vorläufig wird man sicherlich nicht an die Bestimmungen
der Tarifautonomie herangehen. Schließlich ist dies bei den pflegeleichten
deutschen Gewerkschaften ja auch gar nicht nötig. Die Aussetzung von
Tarifrunden machen sie ja schon freiwillig. Mittlerweile haben fast eine
Million Unternehmen Kurzarbeit angemeldet, werden also aus den Sozialkassen
subventioniert. Fast ebenso viele Betriebe haben Unterstützung
ausstaatlichen Hilfsfonds von Bund und Ländern beantragt oder erhalten sie
schon. Es muss zur Regel werden, dass für alle Unternehmen, die solche Hilfe
erhalten, ein Entlassungsvorbot und verbesserte Mitbestimmungsverfahren
gelten. Für alle Investitionsentscheidungen muss ein Veto-Recht der
Belegschaften eingeführt, d. h. erkämpft werden.

 

Ein rechtliches Problem kann sich für die Regierung dann ergeben, wenn die
Frage aufkommt, ob bei bestimmten Maßnahmen weiterhin das EU-Recht Vorrang
hat. Aber erstens wird gegebenenfalls auch das EU-Recht angepasst oder
zeitweise ausgesetzt. Die EU wird sich gegen entsprechende Vorstöße kaum
wehren. Und zweitens laufen diese Überprüfungen in einem sehr aufwändigen
jahrelangen Verfahren beim EuGH. Und selbst bei einer "Verurteilung" der
Bundesregierung muss diese ja bekanntlich keine wirklichen Folgen fürchten.

 

Die Stabilitätsgrundsätze der EU-Verträge sind bereits außer Kraft gesetzt
und nationale Sonderwege werden bei allen Mitgliedsstaaten verfolgt. Am
skandalösesten dabei ist immer noch die Flüchtlingspolitik, die selbst bei
Ausbruch der Covid-19-Erkrankungen in den Flüchtlingslagern nicht deren
Auflösung zugunsten menschlicher Unterbringung betreiben.  Es ist nicht
gerade besonders unwahrscheinlich, dass die EU als eines der Opfer der
Corona-Krise in die Geschichte eingehen wird.

 

 

WIR MÜSSEN DIE POLITISCHE AUTONOMIE ZURÜCKGEWINNEN

 

Für die Linke gilt in dieser Situation vor allem eines: Sie darf sich weder
auf nationaler, noch auf EU-Ebene in irgendeine Art der
"Notstands-Einheits-Regierung" oder "Notstandsallianz" einreihen, auch wenn
der Druck anderer Parteien oder der Medien noch so groß ist. Es wird auch
für die Corona-Krise keine pro-kapitalistische Lösung geben, der sich die
Linke verschreiben müsste. Im Gegenteil, so wie jede Krise auch Ansätze
eines Systemwechsels und grundsätzlicher Änderungen in sich birgt, so kann
auch die Corona-Krise eine Chance sein, neue antikapitalistische Ideen und
Ansätze zu popularisieren. Dafür gibt es vor allem drei Ansatzpunkte:

 

Erstens die kritische Beobachtung aller politischer Vorhaben der
bürgerlichen Regierungen. Bei allen Maßnahmen müssen eine größtmögliche
Transparenz und unabhängige Kontrollmöglichkeiten sichergestellt werden.
Alle Eingriffe in individuelle oder kollektive soziale und politische
Freiheitsrechte müssen befristet sein und öffentlich diskutiert werden, wann
sie aufgehoben werden. Offenkundig unsinnige Maßnahmen müssen zügig beendet
werden, ohne Maßregelungen für Menschen, die sich nicht darangehalten haben.
Die Bußgeld-Ordnungen sind abzuschaffen und mehr auf Einsicht und
Vermittlung zu setzen. Die Ordnungskräfte müssen dafür geschult und
sensibilisiert werden.

 

Zweitens sollten aus der Krise und den aktuellen politischen
Reglementierungen neue Formen des politischen Widerstandes entwickelt und
für die Zukunft erhalten werden. Es gibt eine ungeahnte Ausdehnung von
Nachbarschaftshilfe, neue Formen der Versorgung mit Lebensmitteln, die ein
Bild entwerfen, wie eine zukünftige solidarische Gesellschaft aussehen
könnte. Der eingespielte "Sitzungssozialismus" ist nicht das Ende der
Weisheit. So manche linken Zusammenhänge erkennen heute, dass es
Alternativen, nicht zuletzt durch kreative Online-Verfahren gibt, die
weiterzuentwickeln sind. Wir fordern auch die Einführung neuer Formen der
direkten Demokratie: Warum sollen Belegschaften nicht ein klares Veto-Recht
bei der Fortführung der Produktion haben, wenn die Gesundheit gefährdet ist?
Individuell und halbgar gibt es dieses Veto-Recht aus Gesundheitsgründen
schon heute, es muss ausgebaut werden. Es ist nicht einsehbar, warum
bestimmte Fabriken und Büros mit engsten Menschenversammlungen weiterhin am
Laufen gehalten werden; warum dicht gedrängte Fahrten in Bussen und Bahnen
weiterhin geduldet werden, aber Fußballspielen im Park und Friseurbesuche
verboten werden. Warum sollen über solche Dinge nicht Nachbarschaftskomitees
und Verbraucherräte entscheiden?

 

Drittens schließlich, zeigt auch diese Krise die Grenzen des Kapitalismus
auf. Sie stellt die "Systemfrage" und die Linke sollte sie auch und sofort
stellen. Ganze Produktionszweige sind offenkundig nicht nur
gesundheitsschädlich oder klimazerstörend, sondern auch entbehrlich.
Produktionslinien können genauso offenkundig schnell umgestellt werden.
Dinge werden möglich, die noch vor Monaten sozialistisches Teufelszeug oder
niemals verwirklichbar sein sollten.

 

Die sozialen Bewegungen aus der Zeit vor der Krise sollten neue Kraft
schöpfen. Es ist heute nur ein "Zufallsprodukt", dass die klimaschädlichen
Emissionen aufgrund der Produktionsstillstände und des in bedeutenden Teilen
ruhenden Autoverkehrs um fast ein Drittel zurückgegangen sind. Das muss in
Zukunft beibehalten und die dazu notwendigen Maßnahmen sollten gefordert
werden. Die Gewerkschaften als alte soziale Bewegung müssen endlich den
zweiten Teil des Wortes Tarifpolitik umsetzen: Politische Veränderungen in
den Betrieben mit mehr Kontrolle und Selbstbestimmung der Belegschaften sind
möglich. Kein Unternehmen darf staatliche Hilfe oder Gelder aus den
Sozialkassen erhalten ohne solche neuen Formen der Belegschaftskontrolle.
Die Konversion von Produktionslinien ist keine Träumerei für morgen, sondern
kann offensichtlich als Tagespolitik auch tarifpolitisch umgesetzt werden. 

 

Die Krise als Chance nutzen, ist sicherlich ein oft gehörtes und
gesprochenes hohles Wort. Aber die Linke hätte durchaus die Chance, dass es
diesmal etwas mehr wird.

 

 

13. 4. 2020

 

 

 

-------------------------------------------------------------------

Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 2/2020 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

-------------------------------------------------------------------

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listen.jpberlin.de/pipermail/inprekorr-l/attachments/20200413/590dbca0/attachment-0001.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Inprekorr-l