[IPK] Dänemark: Coronakrise, Kapitalismus und Klassenkampf

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So Mär 29 19:57:24 CEST 2020


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Corona/Dänemark:

Coronakrise, Kapitalismus und Klassenkampf

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Das Coronavirus zeigt gerade die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems,
mit den faulen Früchten umzugehen, die es hervorbringt. Es ist eine
Krankheit aus derselben Familie wie "SARS", das den asiatischen Kontinent
vor allem in den Jahren 2002-2003 heimgesucht hat. Die Entwicklung eines
Impfstoffs wurde damals gestoppt, weil er nicht mehr als rentabel angesehen
wurde. Die Erforschung wirksamer Medikamente wurde eingestellt, obwohl es
eine Frage der Zeit war, bis die nächste Pandemie vor unserer Tür steht.
Dafür bezahlen wir jetzt den Preis.

 

 

Exekutivausschuss der SAP

 

 

Wie schon SARS ist Corona höchstwahrscheinlich durch die Übertragung eines
Virus von Wildtieren auf den Menschen entstanden. Wo und wie das geschehen
ist, wissen wir nicht, aber vieles deutet darauf hin, dass es im November
2019 in der Region Wuhan war. Die chinesischen Behörden erklären, dass das
Virus sich später auf dem Fisch- und Lebensmittelmarkt in Wuhan verbreitet
habe.

 

Eine Pandemie wie die, die wir derzeit erleben, war nur eine Frage der Zeit.
Verschiedene andere bedrohliche Pandemien sind in den letzten Jahrzehnten
aufgetaucht, wurden jedoch nicht ernst genommen.

 

Drei Faktoren haben die natürlichen Prozesse viraler Mutationen zu einem
tödlichen Cocktail gemacht: industrielle Landwirtschaft, Metropolenbildung
und Globalisierung. Das Kapital verhält sich wie in der Geschichte des
"Zauberlehrlings", der mit Kräften spielt, die er nicht kontrollieren kann.
Pandemien sind der Preis, den wir für das anhaltend enorme Wachstum der
industriellen Landwirtschaft zahlen, und wie der Lehrling in der Erzählung
weiß der Kapitalismus nicht, wie er die Krankheit der Erde wieder in den
Griff bekommen soll.

 

Zunächst unterdrückte die chinesische Regierung die Warnungen vor dem neuen
Virus. Daher verbreitete es sich über das globale Netzwerk, das mit Chinas
Rolle als "Werkbank der Welt" verbunden ist. Es waren z. B. Geschäftsleute,
die geholfen haben, Corona in den europäischen und amerikanischen Bürotürmen
und von da aus in der Welt zu verbreiten.

 

 

DIE KRISE MACHT DIE HANDLUNGSUNFÄHIGKEIT DER REGIERUNGEN SICHTBAR

 

Das Problem für die Regierungen ist auf der ganzen Welt das gleiche: Die
Bewältigung dieser Krise erfordert einen Stopp der Rentabilität der
Investitionen. Selbst wenn keine Maschinen zerstört und keine Ressourcen
vernichtet werden, verdampft der Profit des Kapitals in dem Moment, in dem
Millionen von Arbeiter*innen [1] nicht mehr täglich losgeschickt werden
können, um die Räder am Drehen zu halten. Es geht nicht darum, dass eine
einzige Investition ihren Wert verliert, sondern nur darum, dass sie für
einen begrenzten Zeitraum keine Gewinne erzielen kann. Trotzdem sinken die
Aktienkurse, so dass auch eine Finanzkrise droht. Die Gefahr des
Zusammenbruchs der Finanzmärkte zeigt, dass eine Gesellschaft, in der sie
einen Eckpfeiler bilden, nicht rational und gerecht funktionieren kann.

 

Derzeit liegen bis zu 245 Billionen Kronen [ca. 25 Billionen Euro] in
Steueroasen. Dieses Kapital muss sofort beschlagnahmt und zur Sicherung des
Lebens und der Gesundheit der Weltbevölkerung verwendet werden.

 

Praktisch alle Regierungen haben zu langsam und zu wenig reagiert. Obwohl
jeder gewusst hat, dass jahrzehntelange neoliberale Kürzungen und
Sparmaßnahmen das Gesundheitswesen für Spitzenbelastungen verletzlich
gemacht haben, wurden wir monatlich mit Zusicherungen gefüttert, dass die
Situation besser zu bewältigen sei als sie es in Wirklichkeit ist. Selbst
nachdem das Ausmaß der Krise allen klar wurde, haben viele Regierungen die
notwendigen Schritte hinausgezögert, um die Gesundheit der Menschen zu
schützen. In Ländern, in denen Menschen für einen Spaziergang bestraft
werden können, müssen Teile der Arbeiterklasse immer noch Fabriken aufsuchen
und sich einem hohen Infektionsrisiko aussetzen. Auch für Produktion, die
nicht absolut nötig ist.

 

Die Produktion muss danach organisiert werden, was gesundheitlich
verantwortlich ist, wobei den Bedürfnissen des Gesundheitssektors absoluter
Vorrang einräumen ist. Soforthilfe für diesen Sektor ist erforderlich,
einschließlich der Sicherung der Produktion von Beatmungsgeräten,
Schutzausrüstung und Testkits usw., falls erforderlich durch Anweisungen zur
Umstellung der Produktion.

 

 

DAS RECHT AUF PROFIT WÄHREND DER KRISE IN FRAGE STELLEN

 

Mit anderen Worten muss die Produktion während der Krise auf die
gesellschaftlich notwendigen Funktionen beschränkt werden. Die Zinsfrage
muss hingegen genau unter die Lupe genommen werden. Es sollte nicht erlaubt
sein, dass z. B. die Danske Bank derzeit mehr als 7 Mrd. Kronen an die
Aktionäre auszahlt -- und gleichzeitig Hilfen des Staates zur Bewältigung
der drohenden Wirtschaftskrise bekommen soll. Alle Ansprüche auf "Verzinsung
des Kapitals" müssen in dieser Situation zurückstehen. Niemand darf
bankrottgehen und niemand darf während der Krise auf die Straße gesetzt
werden, nur weil Investitionen in und Kredite für Wohnraum Zinsen abwerfen
sollen.

 

Im Gegensatz dazu müssen leere Gebäude und Hotels unabhängig von der
Eigentumsfrage genutzt werden, um Menschen ohne festen Wohnraum Schutz und
Sicherheit zu bieten -- sowohl denjenigen, die auf der Straße leben, als
auch denen, die auf Gastfreundschaft von Freunden und Familie angewiesen
sind. Ebenso müsste garantiert werden, dass alle Einwohner Dänemarks ein
Einkommensniveau behalten, das sicherstellt, dass sie Nahrung und andere
Notwendigkeiten erhalten können. Auch diejenigen, die obdachlos und aus
allen Systemen herausgefallen sind. Und zum Beispiel diejenigen, die aus
irgendeinem Grund kein Recht auf Arbeitslosengeld erworben haben.

 

 

VIRTUELLE BASISORGANISIERUNG

 

Die Parlamentarier*innen und Angestellten der Enhedslisten [2] leisten gute
Arbeit in der außergewöhnlichen Situation. Aber gerade in Krisenzeiten ist
es entscheidend, dass die gesamte Partei aktiv und lebendig ist. Wir fordern
alle, die aktiv sein wollen, auf, virtuelle Treffen darüber abzuhalten, was
getan werden kann. Und um Diskussionen, Informationen und Analysen zu
sichern, die wir mit anderen teilen können.

 

Es ist fantastisch, wie viele Initiativen zur gegenseitigen Hilfe sich in
Nachbarschaften und Wohnprojekten entwickeln, wo man sich gegenseitig hilft,
um die unzähligen Probleme zu lösen, die die Gesundheitskrise mit sich
bringt. Es wäre großartig, wenn die Ortsgruppen der Enhedslisten die Aufgabe
übernehmen würden, solche Netzwerke aufzubauen und daran teilzunehmen, weil
sie mit der Passivität brechen und den Grundstein für Organisierung,
Solidarität und Handeln legen können. Dies schafft auch die Möglichkeit,
Diskussionen, Analysen und Informationen über die Entwicklung der Krise zu
verbreiten. Wenn die Krise sich in die Länge zieht, können neue Aufgaben
entstehen. Zum Beispiel unangemessene Preiserhöhungen im Auge zu behalten,
wenn es zu Warenmangel kommt. Bereits jetzt muss man gegen den aufblühenden
Schwarzmarkthandel mit gehamsterten Waren wie Handdesinfektionsmitteln und
Einweghandschuhen vorgehen.

 

Auch an Arbeitsplätzen und in Gewerkschaften ist es wichtig, ein --
virtuelles -- Netzwerk zu sichern, wenn die Arbeitsplätze ganz oder
teilweise geschlossen werden. Ebenso in anderen Basisorganisationen.

 

Trotz des politischen Burgfriedens, wie er derzeit immer dargestellt wird,
besteht heute und in Zukunft ein großer Bedarf an Krisen-Basisorganisierung,
die nicht von staatlichen Institutionen kontrolliert wird. Nur aktives
Engagement und Beteiligung der Bevölkerung kann uns einen Ausweg aus der
Situation zeigen, bei dem die Bevölkerung ins Zentrum vor den
Kapitalinteressen gestellt wird. Bereits jetzt -- und noch mehr nach der
Krise -- steht ein Streit darüber an, wer die Rechnung bezahlen wird.

 

Im schlimmsten Fall kann eine autoritär-kapitalistische "Lösung" von
Laissez-faire über Halbherzigkeit bis hin zu totalitärer Panik kippen, um zu
versuchen, die Verluste der Kapitalisten zu begrenzen. Die Antwort darauf
ist unabhängige Basisorganisierung, Information und Solidarität.

 

 

KRISENBEWÄLTIGUNG IST KLASSENKAMPF

 

Bei all dem Gerede von "Die Dänen (sic!) passen aufeinander auf", was man
gerade häufig hört -- oft sogar in bester Absicht --, gibt es Grund, vor der
"Wir sitzen alle im selben Boot"-Ideologie zu warnen. Auch wenn das
Krisenpaket in Dänemark, unter anderem aufgrund des Drucks der Enhedslisten,
einige wichtige, positive Elemente enthält, ist es in solchen Krisen mehr
als offensichtlich, dass einige das Leben in der Achterkabine genießen,
während andere an den Rudern schuften und einige über Bord zu gehen drohen.
Damit werden wir uns nicht abfinden.

 

Wir schließen daher mit einer -- unvollständigen und vorläufigen -- Liste
von Maßnahmen / Forderungen, die eindeutig die Interessen der Bevölkerung
und nicht die des Kapitals in den Mittelpunkt stellen: Kein einziger
unnötiger Todesfall ist akzeptabel. Und die Kosten der Krise sollen nicht
von der Arbeiterklasse bezahlt werden.

 

* Organisiert Euch vor Ort, um mit der Krisensituation umzugehen und sich um
alle zu kümmern.

 

* Stopp aller verzichtbaren Produktion. Niemand sollte zur Arbeit gezwungen
werden, wenn er oder sie Angst um seine oder ihre Gesundheit hat.

 

* Kein Recht auf Profit auf Kosten der Gesellschaft: Stopp von
Aktiendividenden und Zinszahlungen durch Unternehmen, die
Krisenunterstützung erhalten.

 

* Öffnet die Kassen für das Gesundheitswesen. Wenn Krankenhauspersonal, das
aufgrund miserabler Arbeitsbedingungen seine Lebenssituation verändert hat,
zurückgelockt werden soll, muss es Zusicherungen für Verbesserungen und
weitere Investitionen nach der Krise geben.

 

* Das Fehlen von Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten, Testkits usw. muss
falls notwendig durch eine Zwangsumstellung der Produktion behoben werden.

 

* Private Krankenhäuser, Kliniken und Apotheken müssen unter staatliche
Kontrolle gestellt werden, damit die Gesundheitsressourcen optimal genutzt
werden können.

 

* Globale, offene (ohne Geheimhaltung und Patente) Zusammenarbeit bei der
Evaluierung, Entwicklung und Herstellung wirksamer Arzneimittel und
Impfstoffe für die Weltbevölkerung. Enteignung von Pharmakonzernen, die sich
nicht loyal daran beteiligen.

 

* Keine Entlassungen während der Krise.

 

* Sichere und hygienisch verantwortbare Bedingungen für alle, die während
der Krise arbeiten sollen.

 

* Aufrechterhaltung der Aktivitäten der Gewerkschaftsgruppen auf
elektronischem Wege und Nutzung der Stärke und des Netzwerks der
Gewerkschaften, um zu beobachten, dass keine Beschäftigten aufgrund der
Krise ausgebeutet werden.

 

* Ein vollständiges finanzielles Sicherheitsnetz für alle während der Krise.
Niemand darf ohne Einkommen zurückgelassen werden.

 

* Bereitstellung von Hotelzimmern und anderen ungenutzten Unterkünften für
Obdachlose, Opfer von Gewalt und andere Personen, die sich nicht unter
sicheren Bedingungen selbst isolieren können.

 

* Tests in und Aufteilung aller Flüchtlingslager in Dänemark.

 

* Internationale Maßnahmen gegen Steueroasen -- Beschlagnahme des
schmutzigen Kapitals und Nutzung des Geldes für internationale
Krisenbekämpfung.

 

* Internationale Maßnahmen zur Rettung der Bewohner*innen der während der
Pandemie noch tödlicheren Flüchtlingslager auf der ganzen Welt.

 

* Die Rechnung für die Kosten der Krise muss von den Reichen bezahlt werden.

 

* Aufrechterhaltung und Entwicklung elektronischer Versammlungsaktivitäten
in allen Arten von Basisorganisationen, koordinierte (hauptsächlich virale)
Verbreitung von Informationen und Debatte über die Entwicklung der Krise.

 

 

Lasst uns die Zeit der Isolation voneinander nutzen, um die stärksten
Bedingungen zu schaffen, um die Welt gemeinsam besser zu machen. Die
Enhedslisten in Dänemark ist die Kraft, die bei Initiativen dafür vorangehen
kann. Wir müssen versuchen, diese Aufgabe zu lösen.

 

 

Exekutivausschuss der SAP, 23. März 2020

 

 

Übersetzung aus dem Dänischen und Anmerkungen: Björn Mertens

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 2/2020 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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[1]  Im Dänischen sind spezielle weibliche Formen seit langem verpönt, weil
es keines besonderen Hinweises bedarf, dass ein Beruf oder eine Funktion von
einer Frau ausgeübt wird (beispielsweise sind aktuell /der/
Ministerpräsident sowie Innen- und Verteidigungsminister Frauen). Zur
Anpassung an deutsche Lesegewohnheiten "gendern" wird den Text dennoch
nachträglich

[2]  Enhedslisten -- De rød-grønne (Einheitsliste -- Die Rot-Grünen) ist
eine sozialistische und grüne Partei in Dänemark. Sie entstand 1989 zunächst
als Wahlbündnis der Kommunistischen Partei (DKP), der Linkssozialisten (VS),
der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP, dänische Sektion der Vierten
Internationale) und parteiloser Linker; die ehemals maoistische und
inzwischen aufgelöste Kommunistische Arbeiterpartei (KAP) kam 1991 hinzu,
Inzwischen wurde das Wahlbündnis in eine eigenständige Partei umgewandelt.
Bei den Wahlen 2019 erhielt die Enhedslisten 6,9 % der Stimmen und stützt
seither die sozialdemokratische Regierung von Mette Frederiksen.

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