[IPK] Afghanistan: Die mutigste Frau Afghanistans - Sudaba organisiert erste Anti-Taliban-Demo

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Mo Aug 30 12:39:03 CEST 2021


Afghanistan:

Die mutigste Frau Afghanistans

Sudaba organisiert erste Anti-Taliban-Demo

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Onine:  <https://www.inprekorr.de/598-afgh-demo.htm>
https://www.inprekorr.de/598-afgh-demo.htm

 

 

Von Farooq Sulehria

 

 

Während die Welt entsetzt den Siegeszug der Taliban auf Kabul verfolgte,
hatten sich die Bewohner*innen der Stadt buchstäblich eingeschlossen. Am
nächsten Tag, als der Kabuler Flughafen von verängstigten Afghan*innen
bevölkert war, die versuchten, den Taliban zu entkommen, herrschte
andernorts in der Fünf-Millionen-Stadt eine Stecknadel-Stille. "Diese Stille
ist noch beängstigender als die Bombenexplosionen, die wir in den letzten 20
Jahren immer gehört haben", sagte ein Bekannter.

 

Inmitten dieser Angst und Panik beschlossen vier afghanische Frauen zu
protestieren, um Widerstand zu leisten. Spontan beschlossen sie eine
Demonstration zu veranstalten.

 

Dieser erste Akt des Widerstands am 17. August war peinlich klein, als sich
diese vier Frauen, alle Mitte 20, vor dem Präsidentenpalast versammelten.

 

In den Videoaufnahmen, die sich sofort verbreiteten, kann man sehen, wie sie
den Taliban Plakate entgegenhalten. Sie skandieren: "Es gibt uns. Wir sind
halb Afghanistan. Tut nicht so, als gäbe es uns nicht. Tut uns nichts an.
Unterstützt uns."

 

Die bewaffneten Taliban, die sichtlich nervös sind, wirken ratlos, da lokale
und internationale Medien über das Ereignis berichten.

 

Dieser Protest, der zwar klein ist, aber einen Mut so groß wie der Himalaja
aufbringt, beherrschte allmählich die Fernsehbildschirme und die
Blogosphäre. Verschwörungstheorien verbreiteten sich ebenso schnell. "Die
Taliban selbst haben die Manifestation gesponsert", kommentierten
Kritiker*innen ungläubig. Ungeachtet der abfälligen Verschwörungstheorien
hatte die Aktion viele Menschen im ganzen Land elektrisiert. In den
folgenden zwei Tagen fanden in vielen Städten Demonstrationen statt. In zwei
Fällen reagierten die Taliban mit Schüssen auf die Agitation. In
Dschalalabad gab es 3 Tote, in Asadabad 16 [die genaue Zahl der Todesopfer
ist noch nicht bekannt].

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

[Bild herunterladbar unter https://www.inprekorr.de/img/afgh-demo_320.png]

Video: https://twitter.com/ianbremmer/status/1427628095423623177

Frauenprotest in Kabul, 17. August 2021

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Wer sind diese vier tapferen Frauen? Diese Frage beschäftigte alle Menschen
in Afghanistan und vielleicht darüber hinaus. Sudaba Kabiri, die Initiatorin
der spontanen Demonstration, ist zufällig die Freundin eines in Kabul
lebenden Journalisten. Obwohl sie seit der verhängnisvollen Demonstration
untergetaucht war, erklärte sie sich bereit, meine Fragen auf WhatsApp zu
beantworten. "Ich werde Ihnen Sprachnotizen schicken", sagte sie mir in
einem kurzen WhatsApp-Anruf. Ihre sachlichen Antworten waren ebenso kurz,
aber auf den Punkt gebracht, wie ihr Anruf.

 

 

?? Erzählen Sie uns etwas über sich.

 

Ich bin Universitätsstudentin. Ich wurde in der Zeit der ersten
Taliban-Herrschaft (1997 bis 2001) geboren. Ich arbeite auch bei einem
privaten Arbeitgeber.

 

 

?? Wo wurde dieser Protest organisiert? Wie sind Sie auf die Idee des
Protests gekommen und wie viele weitere Freundinnen waren beteiligt?

 

Sie fand vor dem Präsidentenpalast statt. Wir waren eine Gruppe von
Studentinnen. Wir waren sehr aufgeregt. Unser Entschluss war plötzlich. Es
war keine im Voraus geplante Aktion. Alle Männer und Frauen haben Angst vor
den Taliban. Sie waren nicht bereit aus ihren Häusern zu gehen. Wir wollen
[mit dieser Aktion] unsere Rechte einfordern und andere ermutigen, ihre
Rechte einzufordern.

 

 

?? Bewaffnete Taliban waren anwesend. Was haben sie gesagt?

 

Ja, Taliban mit Gewehren waren da. Sie haben uns nicht respektiert. Sie
waren sehr wütend. Sie haben uns die Papiere und Handys abgenommen. Als aber
nationale und internationale Medienleute eintrafen, änderte sich ihr
Verhalten. Zuvor hatten sie mit ihren Waffen auf uns gezielt.

 

 

?? Sind Sie nach der Demo im Untergrund? Gab es Drohungen nach der Demo?

 

Wir sind im Untergrund. Jeden Tag ziehen wir anderswo hin um. Unsere
Familien bleiben jedoch in ihrem jeweiligen Zuhause. Sie haben Angst. Wir
sind alle in großen Schwierigkeiten. Das ist nachvollziehbar.

 

 

?? Glauben Sie, dass Ihr Protest zu weiteren Protesten geführt hat, die am
nächsten Tag begannen?

 

Diese Demonstration hatte erhebliche Auswirkungen auf die afghanische
Gesellschaft. Sie ermutigte vor allem die Frauen, aus ihren Wohnungen zu
kommen und die Demonstrationen anzuführen.

 

 

?? Wie geht es weiter? Planen Sie, Afghanistan zu verlassen?

 

Wir haben vor, so lange zu bleiben, bis sie nicht mehr drohen, uns zu töten.

 

 

?? Wie haben Ihre Familien reagiert, wussten sie im Voraus von Ihrer Aktion?

 

Unsere Familien wussten nichts. Sie wussten nicht einmal, dass wir aus den
Wohnungen herausgegangen waren. Als sie die Demonstration im Fernsehen
sahen, waren sie wütend auf uns. Wir können sie verstehen. Sie wollen, dass
wir in Sicherheit sind. Aber es ist eine kritische Zeit. Wir können nicht
schweigen.

 

 

Farooq Sulehria ist ein pakistanischer Journalist, der seit einigen Jahren
in Schweden lebt. Er hat die Labour Party Pakistan (LPP) unterstützt und
Tariq Alis Buch /Clash of Fundamentalisms:/ Crusades, Jihads and Modernity
(2002; dt.: /Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung: Die Krisenherde
unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln/, 2002) aus dem Englischen ins
Urdu, die Amtssprache in Pakistan, übersetzt.

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 5/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

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