[IPK] Weg mit dem Militärregime -- Solidarität mit den Völkern in Myanmar!

Inprekorr-Webmaster webmaster at inprekorr.de
Fr Mär 26 18:19:46 CET 2021


Weg mit dem Militärregime -- Solidarität mit den Völkern in Myanmar!

-------------------------------------------------------------------

Online unter: https://www.inprekorr.de/594-mya.htm

 

Vom Internationalen Komitee der IV. Internationale

 

 

Die burmesische Armee (Tatmadaw) steht seit 1962 ununterbrochen im Zentrum
der Macht, nicht erst seit dem Putsch vom 1. Februar 2021. Es geht dabei
auch nicht einfach um ein Gerangel zwischen verschiedenen Militärfraktionen,
wie dies in der Vergangenheit der Fall war, auch wenn es den politischen
Ambitionen von Stabschef Min Aung Hlaing zupasskommt, der dieses Jahr das
Rentenalter erreicht. Der Putsch dient vielmehr weitgehend der "Prävention",
da die politische Situation unkontrollierbar geworden ist. Burma (Myanmar)
wird von einer tiefen sozioökonomischen und politisch-institutionellen Krise
erschüttert, die die gewaltigen Umwälzungen in der Gesellschaft und die
Auswirkungen der Gesundheitskrise durch Covid-19 widerspiegelt, deren
Management durch das Regime katastrophal war.

 

Offensichtlich verkannte der Stab der Tatmadaw das Ausmaß dieser Umwälzungen
und rechnete nicht mit dieser immensen, zunächst weitgehend spontanen
Bewegung des zivilen Ungehorsams, die der Putsch auslöste. Die letzte
massive Mobilisierung gegen die Militärdiktatur, die vor allem von der
Studierendenbewegung und den Beamt*innen initiiert worden war, fand 1988
statt und wurde vom Regime damals blutig niedergeschlagen. Augenscheinlich
ist die gegenwärtige Mobilisierung breiter. Fast alle sozialen Schichten
stellen sich aktiv gegen den Putsch, ebenso wie die meisten Nationalitäten
der multiethnischen Union Myanmar. Anders als 1988 hat sie sich schnell eine
eigene Aktionsstruktur geschaffen, das Komitee für zivilen Ungehorsam (CDM).

 

Nach den Wahlen von 2015, die von Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für
Demokratie (NLD) gewonnen wurden, wurde im Folgejahr ein (höchst ungleiches)
Abkommen zur Teilung der Macht zwischen dem Militär und Suu Kyi getroffen,
das einen "friedlichen demokratischen Übergang" einleiten sollte. Der Putsch
vom 1. Februar besiegelt das Scheitern dieses Übergangs. Dennoch konnte sich
die Zivilgesellschaft in dieser Zeit festigen und neue Erfahrungen sammeln
und dabei die Dynamik vorantreiben, die bereits ein Jahrzehnt zuvor begonnen
hatte, als sich nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes ein
Industrieproletariat entwickelte -- darunter viele junge Frauen -- und
Gewerkschaften (vor allem im exportorientierten Bekleidungssektor), Verbände
und NGOs entstanden. Es entwickelt sich auch eine kritische oder
gewerkschaftsnahe Presse und schließlich wurden sogar Wahlen abgehalten.
Solidarische Beziehungen auf internationaler Ebene wurden geknüpft und der
Kampf für soziale und demokratische Rechte hat an Zustimmung gewonnen. Dabei
darf jedoch nicht übersehen werden, dass die NLD versucht hat, diese
Bewegungen ausschließlich für ihre wahltaktischen Belange zu
instrumentalisieren, und dass ihre Regierung Gesetze verabschiedet hat, die
die Freiheiten einschränkten.

 

Im Konflikt zwischen Aung San Suu Kyi und der Armee ging es nicht in erster
Linie um Fragen der allgemeinen politischen Ausrichtung. Das Militär
verdächtigt sicherlich Beijing, den Wahlkampf der NLD finanziert zu haben,
und hat in der Vergangenheit nationale Bewegungen, die von China unterstützt
wurden, bekämpft und wird dies wahrscheinlich auch weiterhin tun. Allerdings
muss sich das Militär mit der benachbarten Großmacht ins Benehmen setzen,
die massiv in dem Land investiert und die Infrastruktur ausbaut,
insbesondere den Tiefseehafen in der Region Rakine (Arakan). Für Xi Jinping
ist Burma von strategischer Bedeutung: Es stellt einen "Korridor" dar, der
ihm den Zugang zum Indischen Ozean ermöglicht, um die Straße von Malakka zu
umgehen, die ihm im Falle eines regionalen Konfliktes verschlossen werden
könnte.

 

Die Tragödie von 2017 bestätigt, dass sich die Krise zwischen der NLD und
dem Generalstab nicht an diesem Thema entzündet hat, ganz im Gegenteil.
Unter der Ägide von General Min Aung Hlaing griffen das Militär und
Paramilitärs die Rohingyas an, eine überwiegend muslimische Bevölkerung,
unter der ein regelrechtes Massaker angerichtet wurde, um dadurch leichter
die chinesischen und indischen Interessen auf diesem Territorium durchsetzen
zu können. Die extrem brutalen Verfolgungen hatten zum Massenexodus von 730
000 Mitgliedern dieser Gemeinschaft geführt. Weit davon entfernt, gegen
dieses Massaker zu protestieren, hat Aung San Suu Kyi -- noch kurz davor
Empfängerin des Friedensnobelpreises! -- das völkermörderische Regime, auch
auf internationaler Ebene, mit Zähnen und Klauen verteidigt und dabei jede
demokratische und humanitäre Glaubwürdigkeit verloren. In der Tat vertritt
Suu Kyi wie die Führung des Militärregimes den Ethnonationalismus der
Birmanen (der Mehrheitsbevölkerung Myanmars) und nahm dabei keinerlei
Rücksicht auf die Rohingyas, die sie noch nicht einmal bei ihrem Namen
nennen wollte. Die Rohingyas erhielten damals auch keine Unterstützung von
den anderen Nationalitäten des Vielvölkerstaats.

 

De facto fand das Kräftemessen zwischen Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing
auf institutioneller Ebene statt. Mit dem Kompromiss von 2016 war das
Problem der Verfassungsreform nicht gelöst worden. Laut der Verfassung von
2008 sind 25 % der Sitze im Parlament und im Senat dem Militär vorbehalten
(seine Vertreter werden vom Militärstab ernannt und nicht gewählt). Für eine
Verfassungsänderung sind mindestens 75 % der Stimmen erforderlich. Die von
oben ernannten Abgeordneten sind zusammen mit ihren Verbündeten in der Lage,
jeden Änderungsantrag zu blockieren, der ihren Interessen zuwiderlaufen
würde. Darüber hinaus hat die Junta, obwohl das Amt des Staatspräsidenten
von Rechts wegen einer Zivilperson zusteht, eine eigens entworfene Klausel
in die Verfassung aufgenommen, um zu verhindern, dass Aung San Suu Kyi den
Posten übernehmen kann: Personen mit ausländischem Ehepartner oder Kindern
(was bei ihr der Fall ist) können nicht dafür kandidieren. Sie war also --
als Ratsmitglied -- nur "faktisches" Staatsoberhaupt, nicht dem Titel nach.

 

Bei den freien Wahlen im November 2020 errang die NLD einen überwältigenden
Erfolg (83 % der Stimmen) auf Kosten der Partei der Militärs. Gestärkt durch
ihre wiederholten Wahlerfolge war Suu Kyi in der Lage, ein Ende des
institutionellen Stillstands zu fordern, was der Generalstab und Min Aung
Hlaing ablehnten. Gegen ihren Willen konnten keine Verfassungsänderungen
beschlossen werden, da sie über eine Sperrminorität an (nicht gewählten)
Parlamentssitzen verfügten. Da die Junta zunehmend an Legitimation einbüßte,
putschte sie präventiv.

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

 

AKTUALISIERUNG VOM 1.3.2021

 

Am Sonntag, den 28. Februar, schossen Bereitschaftspolizei und Soldaten in
vielen Teilen des Landes -- oft wahllos -- auf die Bevölkerung, töteten,
laut der burmesischen Tageszeitung /The Irrawady/, mindestens 13 Menschen
und verletzten viele andere schwer -- so die vorläufige Bilanz. Mit dieser
koordinierten Aktion soll die Bewegung des zivilen Ungehorsams zerschlagen
werden. Im Zuge einer neuen Verhaftungswelle wurden bereits mehr als 830
Personen festgenommen oder zur Fahndung ausgeschrieben. Auch am Montag, den
1. März, gab es weitere Verhaftungen, aber anscheinend hält sich die Armee
vorläufig mit weiteren schweren Angriffen zurück, während Demonstrant*innen
Barrikaden errichten, um ihre Stadtviertel zu schützen. Die Repression hat
eine neue Stufe erreicht, weswegen internationale Solidarität umso
dringlicher ist.

 

*Nachtrag 26.03.2021:* Inzwischen wurden über 200 Menschen erschossen.

-------------------------------------------------------------------

 

Dass sich die Zeiten jedoch geändert hatten, sah man an dem sofortigen
massiven Widerstand gegen den Militärputsch. Wieder einmal stehen junge
Menschen -- auch Schüler*innen -- an vorderster Front des Kampfes. Diese
sogenannte Generation Z ist ganz anders als ihre Vorgängerin bei den
Mobilisierungen von 1988. Sie ist sehr weltoffen, beherrscht die modernen
Kommunikationsmittel, ist sehr erfinderisch und reaktionsfreudig und greift
auf die gleichen Aktionsformen zurück wie ihre Pendants in der Region,
insbesondere in Thailand: vom Straßentheater bis zum Symbol der drei
himmelwärts gerichteten Finger, in Anlehnung an die Buch- und Filmserie "Die
Tribute von Panem". Hierin zeigt sich ganz besonders der Epochenwechsel,
zumal das Land lange Zeit durch das Militärregime isoliert gehalten wurde.

 

Auch Beschäftigte des Gesundheitswesens, Beamt*innen, Lehrer*innen,
Journalist*innen, öffentliche und private Angestellte, Müllwerker*innen,
Feuerwehrleute, Unternehmer*innen und Ladenbesitzer*innen -- mithin die
ganze Gesellschaft -- bekundeten ihren Widerstand. Der Dachverband der
Gewerkschaften von Myanmar (CTUM) rief für den 8. Februar zu einem
Generalstreik auf, von dem viele vom Militär kontrollierte Betriebe
betroffen waren. Die Bewegung hat sich auf die Bauernschaft ausgeweitet, die
durch den Zustrom ausländischer Investitionen in Mitleidenschaft gezogen
wurde. Lokale Gemeinden wehren sich gegen Bergbauprojekte oder den Bau von
Staudämmen. Zu denjenigen, die bei diesen Protesten eine besonders wichtige
Rolle spielen, gehören die Generation Z, die Älteren der Generation 88 und
die Gewerkschaftsbewegung, die im Komitee für zivilen Ungehorsam (CDM)
zusammenarbeiten. Sie propagieren einen (gewaltfreien) zivilen Ungehorsam
und führen parallel Streiks sowie "fließende" Aktionen oder
Massenkundgebungen durch. Der CDM hilft insbesondere bei der Organisierung
von Solidarität mit den Streikenden, die ohne Einkommen dastehen. Ein
weiterer Teil der Widerstandsbewegung ist die NLD, deren Führer*innen
systematisch von Repressionen betroffen sind. Die Mobilisierungen im
birmanischen Kernland finden oft unter den Fahnen der Liga und dem Porträt
von Aung San Suu Kyi statt.

 

Oppositionelle Bewegungen gibt es auch unter den meisten anderen
Nationalitäten. Auch wenn sie Suu Kyi, einer birmanischen
Ethnonationalistin, nicht vertrauen, befürchten sie, dass ihnen durch den
Putsch eine militärische Intervention drohen könnte. Da die Frage der
Verfassungsreform auf der Tagesordnung steht, erheben sie ihre eigenen
Forderungen, etwa nach einem echten Föderalismus. Die Rechte der
Nationalitäten sind ein Schlüsselthema für die Zukunft der Union Myanmar.

 

Die Generation der hochrangigen Offiziere an der Spitze der Armee hat nicht
die gleiche Laufbahn durchlebt wie diejenigen, auf die sich die burmesische
Diktatur früher gestützt hat. Sie kontrollieren zwei große Mischkonzerne,
deren Gewinne vom regionalen Handel abhängen und die die Hauptstütze des
"Khaki-Kapitalismus" sind, und daneben den lukrativen Handel mit Jade und
anderen Edelsteinen, Drogen und Holz. Die Militärspitze geht wohl (zu Recht)
davon aus, dass sich die asiatischen Nachbarn, Handelskammern und
transnationalen Konzerne mit dem Putsch arrangieren würden. Die Macht der
Widerstandsbewegung ist jedoch so groß, dass Burmas Wirtschaftspartner (mit
wenigen Ausnahmen wie China) nicht einfach wegsehen können. Vor allem
transnationale Unternehmen haben Angst, wie in der Vergangenheit von
Boykottkampagnen betroffen zu sein.

 

Die Junta setzt (zunächst) auf polizeiliche Repression, der (bis zum 24.2.)
fünf Menschen zum Opfer fielen. Mehr als 700 Personen wurden allein bis
dahin verhaftet. Sie demonstriert ihre Stärke, indem sie die Armee
aufmarschieren lässt. Aber dies radikalisiert die Proteste nur noch mehr.
Mittlerweile setzt die Junta wohl darauf, dass der Bewegung im Laufe der
Zeit die Luft ausgeht, zumal die Bevölkerung unter fürchterlicher Armut
leidet. Sie versucht, die Opposition zu spalten, indem sie einige bekannte
Personen ins Kabinett beruft. Auch Abkommen mit Vertretern verschiedener
Nationalitäten werden geschlossen. Da sich die klientelkapitalistischen
Strukturen über das ganze Land erstrecken, können Mitglieder der lokalen
Eliten kooptiert werden. Um die ausländischen Regierungen zu beruhigen,
werden (kontrollierte) Wahlen in Aussicht gestellt. Jedoch ist nicht
auszuschließen, dass sich das Regime zu gegebener Zeit für eine massive,
blutige Repression entscheiden wird.

 

 

 

*Unter diesen schwierigen Bedingungen bekräftigt die Vierte Internationale
ihre volle Solidarität mit der großartigen Bewegung des zivilen Ungehorsams,
deren Umfang, Engagement und Dynamik sie begrüßt.***

 

* Sie fordert die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen.

 

* Sie unterstützt die Nationalitäten bei der Verteidigung ihrer Rechte.

 

* Sie fordert die Aufhebung aller freiheitsraubenden Gesetze (insbesondere
im Bereich der Cybersicherheit), die eine grenzenlose Repression
ermöglichen, den Schutz der Demonstrant*innen und Streikenden sowie die
Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit, der Vereinigungsfreiheit, der
Gewerkschaftsrechte ...

 

* Myanmars Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, beginnend mit
der ASEAN, muss ausgesetzt werden, bis demokratische Wahlen stattgefunden
haben und eine zivile Regierung gebildet ist, die frei von militärischer
Bevormundung ist.

 

* Das Militär besitzt zwei riesige Mischkonzerne, die Myanmar Economic
Corporation (MEC) und die Myanmar Economic Holdings Limited (MEHL). Jegliche
Zusammenarbeit mit diesen Konzernen muss gestoppt und das Auslandsvermögen
von Mitgliedern der Junta und ihren Verbündeten eingefroren werden. Die
Produkte der vom Militär kontrollierten Industrien müssen boykottiert
werden.

 

* Die Bedingungen für eine weitreichende Verfassungsreform müssen geschaffen
werden. Eine bloße Rückkehr zur Situation vor dem 1. Februar ist sinnlos:
Die Armee stand damals bereits im Zentrum der Macht, sie war und wäre wieder
in der Lage, jeden demokratischen Übergang zu blockieren.

 

* Die Erfahrungen auf regionaler (Thailand etc.) und internationaler Ebene
zeigen, dass die zunehmend härtere Gangart autoritärer Regime auf den
(durchaus erfolgreichen) Widerstand der Bevölkerung trifft. Das Volk in
Myanmar erhielt sofort die Unterstützung der informellen "Milchtee-Allianz",
die in Hongkong, Taiwan, Burma und Thailand aktiv ist. Es ist Zeit für einen
neuen solidarischen Internationalismus!

 

 

 

24. Februar 2021

 

 

Übersetzung: M. Weis

 

 

-------------------------------------------------------------------

Vorabdruck aus: die internationale Nr. 3/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

-------------------------------------------------------------------

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listen.jpberlin.de/pipermail/inprekorr-l/attachments/20210326/c2784f65/attachment-0001.htm>


Mehr Informationen über die Mailingliste Inprekorr-l