[IPK] Wirecard und andere

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Ökonomie:

Wirecard und andere

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Online unter: https://www.inprekorr.de/594-wirecard.htm

 

Längere Zeit galt die Aschheimer Firma Wirecard, die sich ursprünglich mit
Bezahlmethoden für Glückspiele und Pornofilme einen Namen gemacht hatte, als
einer der wenigen Stars am deutschen Digitalisierungshimmel. Nach
Bekanntwerden massiven Betrugs schreit die offizielle Politik mal wieder
nach neuen Gesetzen.

 

 

Von Paul B. Kleiser

 

 

Ein Betrag von 1,9 Mrd. Euro hatte wohl nie existiert, trieb aber den
Aktienpreis auf fast 200 Euro, um dann auf weniger als zwei Euro abzustürzen
[1]. Doch wurde Wirecard von der Politik -- von allen Parteien außer der
Linken -- über Jahre in erheblichem Maße hofiert; man hoffte auf einen
zweiten deutschen digitalen "Weltkonzern" nach Art von SAP. Denn
Digitalisierungsideologie verpflichtet. Ein Untersuchungsausschuss des
Bundestages soll Licht in die Affäre bringen. Man kann Zweifel haben, ob die
korrupten Querverbindungen des Lobby-Sumpfes -- trotz des rühmlichen
Engagements einiger Abgeordneter wie des Linken Fabio de Masi -- aufgedeckt
werden; die Parteien der GroKo mauern aus gutem Grund. Es gibt sogar
Hinweise, dass de Masi von Geheimdiensten ausgespäht wurde. (SZ, 03.02.2021)

 

Der frühere bayerische Polizeipräsident Waldemar Kindler (natürlich mit
CSU-Parteibuch) wurde 2013 in den Ruhestand verabschiedet. Innenminister
Joachim Herrmann sagte beim Abschied, Kindler habe maßgeblich dazu
beigetragen, "Bayern zum deutschen Meister (darunter geht's nicht!) der
inneren Sicherheit zu machen". Doch was tut ein Spitzenbeamter, wenn ihm
seine nicht zu knappe Pension nicht ausreicht? Für 3 000 Euro im Monat
bietet er Wirecard seine Dienste an und engagiert sich als Türöffner und
Kontaktpfleger bis in die obersten Parteispitzen (der CSU) hinein. Er ließ
seine Kontakte spielen, damit der Fahrer von Markus Braun, CEO von Wirecard,
einen Waffenschein bekam, was wahrscheinlich illegal war und zunächst vom
Polizeipräsidium München auch abgelehnt worden war. (SZ, 12.02.2021)

 

Der Wirecard-Konzern hatte über Jahre hinweg ein breites Netzwerk von
Helfern aufgebaut, die der Politik weismachten, das Unternehmen sei "für den
Wirtschaftsstandort" Deutschland äußerst wichtig. Kein Geringerer als Ole
von Beust (CDU), zwischen 2001 und 2010 Erster Bürgermeister der Hansestadt
Hamburg, setze sich für den angeblichen Technologiekonzern ein. Noch im März
2020 schrieb er ans Kanzleramt, Wirecard sei eine der "weltweit am
schnellsten wachsenden digitalen Plattformen im Bereich Financial Commerce".
(SZ, 20.11.2020) Im früheren Bundesminister für Verteidigung Freiherr von
und zu Guttenberg (CSU) hatte Wirecard einen besonders aktiven und
engagierten Helfer. Er antichambrierte bei Merkel, weil Wirecard "eines der
global führenden Technologieunternehmen im Bereich der
Finanzdienstleistungen" sei und die Absicht verfolgte, beim chinesischen
AllScore Payment Service einzusteigen. So von Guttenberg instruiert, setzte
sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Chinabesuch im Frühjahr
2020 für Wirecard ein. Dabei war das Kanzleramt bereits informiert, dass die
Staatsanwaltschaft München ein Verfahren gegen Wirecard prüfte. (/Der
Spiegel/, Nr. 42/2020) 

 

Die "Austria Connection" zur FPÖ und deren Jungstar Johann Gudenus, der für
diese Partei zehn Jahre im Wiener Parlament saß, funktionierte ebenfalls
prächtig. Der Co-Chef des Konzerns, Jan Marsalek scheint vor den
Strafverfolgungsbehörden über Wien nach Minsk ausgeflogen zu sein, ohne dass
er an der Abreise gehindert wurde. Der frühere FPÖ-Nationalrats-Abgeordnete
Thomas Schellenbacher -- der seit Jahren wegen Korruptionsvorwürfen im
Visier der Strafverfolgungsbehörden steht -- hat inzwischen eingeräumt, für
Marsalek einen Flug nach Minsk organisiert zu haben. Einzigartig sei der
Skandal um Wirecard nur wegen seiner schrillen Details, schrieb /Der
Spiegel/ (Nr. 32/2020). Offenbar verfügte er über gute Verbindungen nicht
nur zum russischen Geheimdienst, sondern vor allem zum österreichischen
Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT), einer Behörde
mit üblem Ruf. (SZ, 01.10.2020 und 26.01.2021) Die vielschichtige
Verquickung von Wirtschaft und Politik zieht sich wie ein roter Faden durch
alle Wirtschaftsskandale der Republik, egal ob es um FlowTex, Siemens, die
Deutsche Bank, Mannesmann oder VW (Dieselskandal) ging. Überall entstanden
Schäden in Milliardenhöhe, die Privatleute oder der Staat zu bezahlen
hatten.

 

Einzigartig ist der Fall Wirecard nur, weil zwei oder mehr (österreichische)
Manager es bei der Bilanzfälschung offenbar besonders toll trieben. Und weil
sie Kritiker*innen der Geschäftspolitik unnachsichtig verfolgten, um sie zum
Schweigen zu bringen. Vor allem die beiden Wirtschaftsjournalisten der
/Financial//Times/ (FT), Dan McCrum und Stefania Palma, beschrieben über
Jahre hinweg die krummen Aktivitäten des "House of Wirecards" als ein bis
dahin in Deutschland "weder gesehenes noch überhaupt vorstellbares
wirtschaftliches Fehlverhalten". McCrum beschäftigte sich seit 2014 mit dem
Konzern und schrieb ein Jahr später die erste Serie von kritischen Artikeln.
Ende Januar 2019 erschien ein Artikel von McCrum in der FT, in dem er die
Ungereimtheiten des Singapurer Ablegers von Wirecard auflistete. [2] Der
Artikel führte umgehend zu einem Einbruch des Aktienkurses. Die deutsche
Wirtschaftspresse, allen voran das /Handelsblatt/, stellte sich
bedingungslos hinter den Konzern und beschimpfte die Briten. Die
Journalisten handelten sich sogar Strafanzeigen durch den inzwischen
einsitzenden Vorstandschef Markus Braun und den flüchtigen Jan Marsalek ein.
Die Finanzaufsicht BAFIN soll die beiden sogar aufgefordert haben,
strafrechtlich gegen die FT vorzugehen. Sie erstattete sodann selbst Anzeige
wegen Marktmanipulation bei der Münchner Staatsanwaltschaft, die sodann
Ermittlungen aufnahm. (SZ, 05.11.2020) Ironie der Geschichte: Mittlerweile
können sich Insolvenzverwalter Michael Jaffé und die Staatsanwaltschaft
München auf die Vorarbeiten der FT stützen.

 

Die Unternehmenskonstruktion von Wirecard mit mehr als fünfzig ineinander
verschachtelten Gesellschaften diente offensichtlich der Verschleierung der
realen (vergleichsweise bescheidenen) Geschäftstätigkeit. Denn ab 2006 wurde
in den USA die elektronische Zahlungsabwicklung von Onlineglücksspielen
verboten. Aus diesem Grund entfiel für Wirecard eine wichtige
Einnahmequelle. (/Der//Spiegel/ Nr. 30/2020) Daraufhin begannen die
Firmenchefs, in vielen Ländern Firmen (teilweise zu überhöhten Preisen, z.B.
bei der Übernahme der Gateway Payment Solutions) aufzukaufen, so in Indien,
Brasilien, Singapur und auf den Philippinen. Dadurch konnte die Gesamtbilanz
aufgebläht und der Aktienkurs massiv in die Höhe getrieben werden. Nach den
Untersuchungen der KPMG soll ein Mitarbeiter von Ernst & Young (EY) bereits
2016 auf einen möglichen Betrug durch Führungskräfte von Wirecard
hingewiesen haben. Damals ging es um die Übernahme von drei Firmen in Indien
über einen Fonds, an dem mehrere Führungskräfte wohl selbst beteiligt waren.
Der Kaufpreis war offenbar überhöht, weil die Umsätze aufgebläht worden
seien. Außerdem soll es einen Bestechungsversuch bei einem Mitarbeiter von
EY gegeben haben. Laut KPMG sollen die Untersuchungen 2018 vom Vorstand Jan
Marsalek höchstselbst beendet worden sein. (SZ, 01.10.2020) Inwiefern die
Prüfer von EY ihren Verpflichtungen nicht oder nur schlampig nachgekommen
sind -- wie das ein Papier eines KPMG-Prüfers nahelegt (SZ, 10.12.2020), ist
Teil der Untersuchung des Bundestags und dürfte wohl auch noch die
Staatsanwaltschaften beschäftigen. Denn viele Geschädigte stehen Gewehr bei
Fuß.

 

Nicht alle Anleger*innen folgten den Erzählungen vom sagenhaften Erfolg des
Unternehmens: Der auf Digital-Firmen spezialisierte "Digital Leaders Fund"
(DLF) z.B. prüfte ein Investment bei Wirecard nach dem Aufstieg in den Dax
und engagierte sich nicht, weil er die Firma für einen "Fummelladen" (FAZ
a.S., 06.12.2020) hielt: Händlerbank, Zahlungsabwicklung, digitale
Brieftasche, Issuing usw. Der Fonds wusste, dass man in diesem Bereich
gewinnbringende Geschäfte nur über riesige Zahlen oder Beziehungen zu den
Endkunden machen kann. Beides traf auf Wirecard nicht wirklich zu. Ansonsten
waren große Zahlungsabwickler aus Verbindungen mit großen Internethändlern
entstanden, so Paypal mit Ebay und Alipay mit Alibaba. Wirecard verfügte vor
allem über Kunden kleineren bis mittleren Umfangs.

 

 

GIER FRISST HIRN

 

Im Gegensatz zu DLF stellte sich der zur Deutschen Bank gehörende Fonds DWS
besonders dumm an und legte zehn Prozent seines Geldes in Wirecard-Aktien
an. [3] Nach der Pleite macht DWS Ansprüche von 600 Mio. Euro geltend -- das
meiste Geld werden sie wohl abschreiben können. Das gilt auch für die
Banken, die Wirecard Kredite gewährt haben -- häufig ohne zureichende
Sicherheiten. Dazu zählt auch die bundeseigene KfW, die -- durch Verkauf
ihrer Kredite -- von 100 Millionen Euro gerade mal noch 10,9 Mio. retten
konnte. Für ihre Geschäftspolitik interessiert sich bereits die
Staatsanwaltschaft. Ein Konsortium von 15 Banken hatte Wirecard zuletzt 1,6
Mrd. Euro geliehen, wovon Wirecard im ersten Halbjahr 2020 gut die Hälfte
abgerufen hatte. Zu den Kreditgebern gehörten neben der Deutschen Bank und
der Commerzbank auch die LABA Baden-Württemberg, die DZ-Bank und diverse
ausländische Banken wie die ING-Diba, Barclays und die Citibank. (SZ,
07.12.2020)

 

Das Wirecard-System funktionierte so lange, bis im Herbst 2019 der
japanische Technologiekonzern Softbank als Investor einsteigen wollte. Die
Japaner verlangten eine Sonderprüfung der Bilanzen, die diesmal von der KPMG
vorgenommen wurde. Es stellte sich heraus, dass die nach Dubai zu Card
Systems Middle East, das von Oliver Bellenhaus geführt wurde, transferierten
Gelder angeblich auf die Banken BDO und BPI auf den Philippinen
weitergeleitet worden waren. 

 

Dieses Land ist weitgehend vom internationalen Finanzsystem abgekoppelt,
denn es gilt als Hotspot der Geldwäsche. Die KPMG bat den philippinischen
Treuhänder Mark Tolentino, ein ranghoher Regierungsmitarbeiter, Belege über
die Einzahlungen auf den genannten Banken beizubringen. Nach längerem Zögern
bekam EY (Ernst&Young) Ende März schriftliche Saldenbestätigungen über
insgesamt 1,9 Mrd. Euro. Eine genauere Prüfung ergab aber, dass es sich bei
den Belegen um Fälschungen handelte. Daraufhin versagte EY am 18. Juni 2020
das Testat für die Bilanz 2019. Der Skandal nahm seinen Lauf. Bereits eine
Woche später musste Wirecard Insolvenz anmelden.

 

Der zur Überprüfung angestellte James Freis von der Deutschen Börse, der
lange in Washington für das US-Finanzministerium gearbeitet hatte und es bis
zum Direktor der obersten Behörde für Geldwäsche der USA gebracht hatte, kam
dem Betrugsversuch rasch auf die Schliche. Denn er fragte sich, warum Banken
in einem Land, das so stark vom Dollar geprägt ist wie die Philippinen,
Euro-Konten in Milliardenhöhe führen sollten. Außerdem schaute er sich die
Geschäftsberichte der beiden Banken an und konnte keine Angaben zu größeren
Euro-Beträgen in den Bilanzen feststellen. Selbst im Fall der Philippinen
gilt es als unwahrscheinlich, dass so umfangreiche Euro-Treuhand-Konten
außerhalb der Bilanzen geführt werden können. Und schließlich zeigten die
Kontoauszüge, dass die Gelder angeblich per Handy überwiesen worden waren,
was bei so hohen Summen kaum denkbar schien. Am 19. Juni 2020 brach das
Kartenhaus zusammen. Jan Marsalek reiste nach Wien, bestieg in Bad Vöslau
mit Seesack und Koffer ein kleines Privatflugzeug und rauschte Richtung
Minsk ab, wo sich seine Spur verliert. (vgl. SZ, 28./29.11.2020)

 

 

KAPITALISTISCHE TRÄUME UND DIE REALITÄT

 

Bei Wirecard mit immerhin 5 800 Angestellten gab es (natürlich) keinen
Betriebsrat [4] (man ist ja modern und selbstverantwortlich) und der
Aufsichtsrat um den 75 Jahre alten Wulf Matthias war ein Witz. Sein Vize
Stefan Klestil ist nicht nur der Sohn des früheren österreichischen
Bundespräsidenten Thomas Klestil (ÖVP), sondern wurde auch in Wien
hauptsächlich als "Türöffner" eingesetzt. Jan Marsalek, die Nummer zwei des
Unternehmens, hatte offenbar gute Verbindungen zu Geheimdiensten, vor allem
dem russischen, und träumte sogar vom Aufbau einer eigenen Privatarmee.
Träumen durften -- bis zum bitteren Erwachen -- längere Zeit auch die
Anleger*innen. [5] Der Wirecard-Skandal ist ein Extremfall, aber kein
Einzelfall im deutschen Kapitalismus.

 

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst&Young (EY) prüfte die Bilanzen von
Wirecard seit 2009. (Insofern würde auch der von Finanzminister Scholz
geplante Wechsel alle zehn Jahre keine Veränderung gebracht haben.) Diese
weltweit agierende Gesellschaft verschaffte Wirecard bis 2018 ein
uneingeschränktes Testat, obwohl in den vorangegangenen zehn Jahren
Aktionäre und Medien immer wieder auf Ungereimtheiten in den Bilanzen und
Geschäftspraktiken hingewiesen hatten. Drei Frauen im Aufsichtsrat stellten
sich sogar gegen die Geschäftsführung: Sie waren ziemlich schnell wieder
draußen. Die Bankerin Tina Kleingarn wollte Bürgschaften für zwei
eigenartige asiatische Geschäftspartner nicht genehmigen; sie konnte sich
nicht durchsetzen und schied 2017 aus.

 

2018 war Anastassia Lauterbach als Expertin für Cybersicherheit in den
Aufsichtsrat geholt worden. Sie stimmte 2019 gegen ein
Aktien-Rückkaufprogramm (zum Hochtreiben des Kurses) und wollte einen
Compliance-Ausschuss einrichten. McKinsey wurde beauftragt, die Strukturen
zu durchleuchten und stellte unzählige Mängel fest. Der Vorstand um Markus
Braun beendete die Zusammenarbeit umgehend.

 

Am 18. Juni 2019 fand in der Messe München die Jahreshauptversammlung von
Wirecard statt. Die meisten Aktionäre waren voll des Lobes für die
Geschäftsführung und die tolle Entwicklung des Aktienkurses. Ein naiv
kapitalismusgläubiger Vater meinte, er werde ab sofort das Kindergeld für
seine Tochter in diese Aktien stecken, "und glauben Sie mir, sie wird mir
dafür verdammt dankbar sein". (SZ, 01./02.08.2020)

 

Für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) trat die
schneidige Fachanwältin für Banken und Kapitalmarktrecht, Daniela Bergdolt
auf. Sie kündigte vor einer mehrheitlich hasserfüllten Versammlung an, den
Vorstand nicht entlasten zu wollen. Denn es hätten sich Berichte über
Betrugsfälle in Singapur gehäuft. Und: "Ihr Risiko-Management kann nicht
effizient sein, ihr Compliance-System kann nicht in Ordnung sein. Ihre
Strukturen sind leider immer noch nicht an die Größe des Unternehmens
angepasst." Wirecard sei ein Getriebener, der immer nur zugebe, was eh schon
bekannt sei. Ein sich als besonders schlau vorkommender Aktionär nannte sie
einen "digitalen Neandertaler" (männliche Form!).

 

Eigentlich hätte die für die Finanzaufsicht zuständige BAFIN bzw. ihre für
den Aktienhandel zuständige Unterabteilung Wirecard prüfen sollen. "Die
BAFIN habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und sei pflichtgemäß
Verdachtsmomenten nachgegangen", behauptete der Chef Felix Hufeld. Auf ihren
Schreibtischen lagen neben einer Reihe von Beschwerden Hinweise auf
Insiderhandel. Statt aber den Beschwerden nachzugehen, zeigte die BAFIN die
beiden Journalisten, die schon früh führend an der Aufklärung des Betruges
arbeiteten, bei der Staatsanwaltschaft an. Und was machen Angestellte dieser
Behörde außerdem? Sie zocken privat selbst mit Aktien eines Unternehmens,
das sie kontrollieren sollten. Allein 2020 soll es 153 Wirecard-Geschäfte
der Belegschaft gegeben haben; mit keiner anderen Aktie wurde in diesem
Umfang spekuliert. Bezeichnenderweise sind solche Geschäfte in Deutschland
-- im Unterschied zu anderen EU-Ländern und der EZB -- nicht einmal
verboten. Bisher führte das klägliche Versagen der BAFIN und ihres Chefs
Felix Hufeld nicht dazu, dass dort aufgeräumt wurde und Köpfe rollen. (SZ,
02.09. und 18.11.2020) Hufeld scheidet Ende März 2021 bei voller Pension
aus!

 

Wirecard hatte bei 15 Hausbanken, darunter der Commerzbank, der LBBW, der
ING, Barclays, der Citibank, bei kleineren österreichischen Banken sowie
sogar der staatlichen KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) insgesamt 3,2
Mrd. Euro an Krediten aufgenommen. Nach den kritischen Presseberichten im
Herbst 2019 legte der Konzern eine Anleihe von 1,4 Mrd. Euro auf und zahlte
damit alte Schulden zurück. Man tat so, als gebe es keine finanziellen
Probleme. Noch im Januar und sogar im April 2020 wurden weitere Kredite über
300 Mio. und 500 Mio. Euro aufgenommen. Bereits Ende April 2020 wurde der
verheerende Bericht der KPMG veröffentlicht. Da nur wenig Restvermögen
aufgefunden wurde (auf den Konten des Unternehmens fand der
Insolvenzverwalter gerade noch 26,8 Mio. Euro), dürfte sich die Schadenshöhe
auf deutlich über drei Milliarden Euro belaufen. Der von Wirecard
angerichtete Gesamtschaden geht in Richtung zwanzig Milliarden Euro!

 

Der Vertreter der Linken im Untersuchungsausschuss des Bundestages, de Masi,
meinte ganz zu Recht: "Wirecard ist ein Fenster in unsere Zeit". Viele
Menschen hätten sich von der Story und dem vermeintlich neuen (modernen)
Geschäftsmodell blenden lassen. "Ich bin nicht gegen Innovationen, sondern
gegen Innovation bei der Bilanzierung."

 

Besonders problematisch ist auch das deutsche System der Aufsichtsräte, wie
nicht nur der Fall Wirecard gezeigt hat. Häufig wechseln frühere
Vorstandsvorsitzende in den Aufsichtsrat, was bis vor kurzem bruchlos
möglich war; nun verlangt der Gesetzgeber immerhin eine "Abkühlphase". Oder
aber man bittet Kollegen (kaum Frauen) aus befreundeten Unternehmen oder von
Großkunden, solche Sitze einzunehmen. Eine wirkliche Kontrolle kann so nicht
stattfinden. Bekanntlich kratzt eine Krähe der anderen kein Auge aus.

 

 

DIE DEUTSCHLAND-AG

 

Die Liste von Korruptionsaffären deutscher Unternehmen ist lang. Bis 1999
war es nicht einmal ein Straftatbestand, im Ausland Gelder für die
Akquisition von Aufträgen zu verteilen. Erst danach wurden
Compliance-Abteilungen eingerichtet, die über das gesetzeskonforme Verhalten
wachen sollen.

 

Im Jahre 2006 wurde eine Korruptionsaffäre bei Siemens aufgedeckt. Hunderte
Millionen Euro waren in schwarzen Kassen angelegt worden, um einflussreiche
Personen und Behörden zu bestechen und so an möglichst große Aufträge zu
kommen. Der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft förderte zutage, dass
auch hochrangige Vorstandsmitglieder in das Korruptionssystem eingebunden
waren. Gegen kritische Betriebsräte der IG Metall hatte man sogar eine
firmeneigene Gewerkschaftsstruktur mit hörigen Räten aufgebaut. Insgesamt
sind wohl 1,3 Mrd. Euro an Schmiergeldern geflossen. Ob der seit 1992
amtierende CEO Heinrich von Pierer selbst in das System eingebunden war,
konnte nicht endgültig geklärt werden, gilt aber als sehr wahrscheinlich.
Unter seiner Ägide hätte jedenfalls noch nicht einmal die Aufklärungsarbeit
geleistet werden können, die es dann gab. Immerhin wird der Schaden auf
mindestens 2,5 Mrd. Euro geschätzt. (/Handelsblatt/, 25.01.2016) Vor einem
Athener Gericht wurde bis Herbst 2019 drei Jahre lang gegen Pierer und 21
andere (frühere) Vorstände verhandelt; in Griechenland hatte es der Konzern
bei der Digitalisierung der Telefongesellschaft OTE besonders toll
getrieben. Im November 2019 verhängte das Gericht Freiheitsstrafen zwischen
sechs und 15 Jahren wegen Bestechung und Geldwäsche. (/Die Zeit/,
02.12.2019) Aber natürlich schützt der deutsche Staat seine Schäfchen vor
dem Zugriff der griechischen Justiz.

 

Die Reduzierung der Zuarbeit für den Staat durch dessen Privatisierungen
(Post, Telekom) und die unklare Geschäftsausrichtung brachten für Siemens
eine fast permanente Ertragsschwäche mit sich. Besonders schlecht
entwickelte sich die Energiesparte, weil Siemens traditionell auf
Großtechnologien setzte. Der Umbau dieses Sektors auf eher dezentrale
Lösungen brachte es mit sich, dass Siemens für kleinteilige Lösungen wenige
Angebote hatte. Auch der Kauf des US-Kompressorenherstellers Dresser-Rand
durch Kaeser war zwar ein weiterer Schritt in Richtung Aufbau eines "global
players", ohne dass hier ein klares Konzept dahinterstand. Pierers
Nachfolger Peter Löscher konnte kein glaubwürdiges Gesamtkonzept entwickeln.
So fiel Siemens immer weiter hinter die Konkurrenz (General Electric)
zurück.

 

 

11.2.2021

 

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Vorabdruck aus: die internationale Nr. 3/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

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[1]  Der Wertverlust für die getäuschten Aktionäre ist schwer zu errechnen,
da ja unbekannt ist, zu welchem Preis die Aktien jeweils eingekauft wurden
und welche Rolle Leerverkäufe spielten. Geht man jedoch vom Höchststand aus,
dann gingen mindestens 13 Milliarden Euro den Bach runter.

[2]  Vgl. den ganzseitigen Artikel "Jäger und Sammler" über Dan McCrum in
der /Süddeutschen/ vom 03.02.2021. Mittlerweile hat er diverse
Auszeichnungen bekommen.

[3]  Der Aktienkurs der Deutschen Bank lag schon mal bei fast 120 Euro;
heute dümpelt er bei etwa acht Euro dahin!

[4]  Der Konzern nutzte eine Gesetzeslücke, wonach Mitarbeiter*innen von
Tochterunternehmen nicht automatisch dem Konzern zugerechnet werden. Dies
gilt, wenn die Töchter weniger als 500 Beschäftigte haben und kein formaler
"Beherrschungsvertrag" besteht.

[5]  Einige hatten ihr ganzes Vermögen in Aktien von Wirecard investiert.
Täglich gehen bei der Bundeskanzlerin Briefe und Mails ein, die um Hilfe
bitten (insgesamt viele Tausend, SZ 04.02.2021). So tragisch viele
Einzelschicksale sein mögen, diese Leute haben gegen das 1. Gebot der
Geldanlage verstoßen: Niemals alle Eier in einen Korb!

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