[IPK] In Palästina eskaliert die ethnische Säuberung -- Die USA sagen: "Bleibt ruhig"

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Mo Mai 17 10:39:00 CEST 2021


Israel/Palästina:

In Palästina eskaliert die ethnische Säuberung -- Die USA sagen: "Bleibt
ruhig"

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Online: https://www.inprekorr.de/594-pal-df.xml

 

Von David Finkel, für die Leitung von Solidarity (USA)

 

 

Die Geschichte wiederholt sich: Die erste palästinensische Intifada begann
im Dezember 1987, als Tagelöhner aus Gaza bei einem Verkehrsunfall an einem
israelischen Grenzübergang getötet wurden. Die zweite brach im September
2000 aus, nachdem Ariel Sharon, der sich um das Amt des israelischen
Premierministers bewarb, in Begleitung von 1000 schwer bewaffneten
Polizisten einen absichtlich provokativen Marsch zum "Tempelberg" in
Jerusalem inszenierte.

 

Die Ursprünge des aktuellen Ausbruchs sind keineswegs unklar.
Premierminister Benjamin Netanjahu, der inmitten seines Korruptionsprozesses
und Israels dysfunktionalem politischem Stillstand um seinen Machterhalt
kämpft, schickte zum heikelsten Zeitpunkt während der Gebete in den letzten
Tagen des Ramadan Armee und Polizei in die al-Aqsa-Moschee im Herzen des
besetzten Ostjerusalems.

 

Diese Provokation geschah, während gleichzeitig ultranationalistische
"Jewish Power"-Mobs durch die Stadt marschierten und arabische
Bewohner*innen gewaltsam angriffen und während eine Entscheidung über die
Massenenteignung palästinensischer Häuser im Viertel Scheich Dscharrah,
damit (auf der Grundlage von Eigentumsansprüchen aus dem 19. Jahrhundert)
Platz für israelische Siedler*innen geschaffen wird, in dem schwerfälligen
israelischen Gerichtssystem ansteht. Palästinenser*innen leisteten in den
Straßen Jerusalems Widerstand gegen die eskalierende israelische Repression
mit Gummigeschossen, giftigem Pfeffergas und "skunk water" [dem stark übel
riechenden Kampfmittel, das für "Crowd Control" wird], dabei wurden viele
Hundert verwundet und verhaftet.

 

Vom Gazastreifen aus, wo die Popularität der regierenden Hamas-Bewegung
abgenommen hat, feuern deren Kräfte Raketen auf israelische Städte ab. Die
unerwartete Reichweite der Hamas-Raketen steigert momentan das Prestige von
Hamas und wurde von Israel mit massiven Bombardierungen des Gazastreifens
beantwortet, dadurch sind bereits Dutzende von Kindern getötet worden. Wie
immer kommt das Hochfahren der militärischen Konfrontation dem israelischen
Staat zugute, da er auf dem militärischen Schauplatz eine absolute
einseitige Überlegenheit genießt -- und er hat den Vorwand, es gelte seine
Zivilbevölkerung gegen die Folgen seiner eigenen Gewalt zu "verteidigen".

 

Vielen Berichten zufolge ist die wachsende Beteiligung
palästinensisch-arabischer Bürger*innen von Israel an den Kämpfen und an der
Verteidigung Ostjerusalems gegen die eskalierende ethnische Säuberung ein
neues Merkmal der gegenwärtigen Kämpfe. Die langfristige Bedeutung dieser
Entwicklung, und ob der gegenwärtige Moment der Beginn einer neuen Intifada
oder eine weitere Drehung der Abwärtsspirale bei der Zerstörung Palästinas
durch das israelische Kolonial- und Apartheidregime ist, wird sich erst mit
der Zeit zeigen und kann von außen nicht vorhergesagt werden.

 

Etwas klarer ist dagegen die unmittelbare Reaktion des verrotteten Haufens,
der als "internationale Gemeinschaft" bezeichnet wird, wie immer angeführt
von den Vereinigten Staaten. Unter "normalen" Umständen bietet das, was in
Palästina/Israel passiert, kaum noch Anlass zu ernster Sorge für die
imperialistische Welt. Es ist Jahrzehnte her, dass der palästinensische
Kampf um Selbstbestimmung als revolutionäre Bedrohung der regionalen
Interessen der Großmächte wahrgenommen wurde. Die formale "Normalisierung"
der staatlichen Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Golfregimen
in einer politisch-militärischen Allianz gegen den Iran hat öffentlich
bekannt gemacht, was inoffiziell schon seit einigen Jahren geschieht. /Die
Sorge der Vereinigten Staaten ist, dass der gegenwärtige Gewaltausbruch
dieses wichtige Arrangement untergraben könnte./

 

Dementsprechend konzentrieren sich die Verlautbarungen der
Biden-Administration vor allem auf einen Punkt: "Stoppt die Gewalt (auf
beiden Seiten, versteht sich). Deeskaliert und stellt die Ruhe wieder her,
damit der Friedensprozess wiederbelebt wird."

 

In untergeordneten und kaum hörbaren Wendungen betont Washington natürlich
seine Besorgnis über die Vertreibungen aus palästinensischen Stadtteilen.
Was all dieser Müll wirklich bedeutet, ist klar: Israels ethnische Säuberung
von Scheich Dscharrah, Silwan, den südlichen Hebron-Hügeln und so vielen
anderen Orten in ganz Palästina ist nicht wirklich ein Problem, solange es
relativ unauffällig und "ruhig" geschieht. Spielt es für die imperialen
Eliten wirklich eine Rolle, wie viele Kugeln noch in den längst toten
Leichnam der "Zweistaatenlösung" abgefeuert werden? In der Fantasiewelt von
Diplomatie und Versessenen lässt sich die Behauptung, sie sei nach wie vor
relevant, unbegrenzt aufrechterhalten. Der israelische Staat weiß, dass das
Fundament seiner "besonderen Beziehung" zu den Vereinigten Staaten trotz
vorübergehender Unstimmigkeiten intakt bleibt.

 

In der realen Welt, in der die Palästinenser*innen verzweifelt darum
kämpfen, ihre Häuser und ihr Heimatland zu behalten, zählt, wie an der Basis
reagiert wird. In vielen US-Städten werden in kürzester Zeit Demonstrationen
und Kundgebungen von palästinensischen Aktivistengruppen und
Solidaritätsorganisationen wie "Jewish Voice for Peace" organisiert, um den
Widerstand zu unterstützen und den Jahrestag der Nakba (der
palästinensischen Katastrophe) des Krieges von 1948 zu begehen. Wir rufen
Aktivist*innen für soziale Gerechtigkeit und politische Aktivist*innen in
den USA dringend auf, diese Aktivitäten mitzutragen und sich ihnen
anzuschließen. Darüber hinaus gibt es kontinuierlich längerfristige
politische Kampagnen und Gesetzesvorstöße, die zu unterstützen sind.

 

Ein wichtiges Thema ist jetzt gerade der Gesetzentwurf HR 2407, der von der
Abgeordneten Betty McCollum (Democratic-Farmer-Labor Party, Minnesota) in
den Kongress eingebracht worden und unter der Bezeichnung "No Way to Treat a
Child" bekannt ist. [1] Er fordert die Streichung der US-Militärhilfe für
Länder, die Kinder gefangen halten. Israel ist in dieser Hinsicht besonders
berüchtigt, auch wegen der Inhaftierung von Kindern ohne Gerichtsverfahren
unter Bedingungen, die nach internationalem Recht der Folter gleichkommen.
Diese Initiative ist in einer Phase, in dem ihre Unterstützer*innen im
Kongress im Wesentlichen die bedingungslose Unterstützung der
Biden-Administration für Israel in Frage stellen, besonders wichtig.

 

Es ist auch entscheidend, dass die globale BDS-Kampagne (Boykott,
Desinvestitionen, Sanktionen) [2] zur Verteidigung der palästinensischen
Rechte ausgebaut und verteidigt wird. Um zu verstehen warum, sollte jeder
und jede den brisanten neuen Bericht von Human Rights Watch vom 27. April
2021 lesen: "Eine Schwelle überschritten: Israelische Behörden und die
Verbrechen der Apartheid und Verfolgung". [3]

 

Wir wissen nicht, wie lange die unmittelbare Krise, die die Schlagzeilen und
die Berichterstattung in der Welt beherrscht, andauern wird und ob sie zu
einer anhaltenden neuen Runde des Widerstands und zum Durchbrechen der
politischen Blockade auf der palästinensischen Seite oder womöglich zu einem
neuen Krieg und einer Massenvertreibung von Palästinenser*innen führen wird,
vor der aufmerksame Beobachter*innen in Israel gewarnt haben. Es ist jetzt
an der Zeit zu sprechen und zu handeln.

 

 

12. Mai 2021

 

 

Aus dem Englischen übersetzt von B. A.

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 3/2021 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

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[1] Eine Liste von mehr als zwei Dutzend Co-Sponsoren [darunter sind
Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Rashida Tlaib, Ayana Pressley, Jamaal
Bowman, Cori Bush] ist zusammen mit Fakten und Links zu
Menschenrechtsberichten zu finden unter
https://mccollum.house.gov./palestinianchildrensrights.

[2] https://bdsmovement.net/

[3]
https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-
and-crimes-apartheid-and-persecution

[Zusammenfassung des 213 Seiten umfassenden Berichts auf Deutsch:
https://www.hrw.org/de/news/2021/04/27/rechteverletzende-israelische-politik
-stellt-verbrechen-der-apartheid-und]

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