[IPK] Solidarität mit den Protesten in China (Erklärung der Redaktion "Against the Current")

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Do Dez 8 15:05:15 CET 2022


China:

Solidarität mit den Protesten in China
Online unter: https://www.inprekorr.de/614-china-atc.htm

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Am vergangenen Wochenende wurden große chinesische Städte wie Urumqi,
Shanghai, Nanjing, Chengdu, Wuhan, Guangzhou und Peking sowie über 50
Universitäten – darunter Elite-Institutionen – von Unruhen,
Massendemonstrationen und Mahnwachen erschüttert. Eine Protestbewegung
dieser Größenordnung und mit so offen politischen Forderungen wie „Freiheit“
und „Demokratie“ hat es in China seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr
gegeben, und wir von der internationalen Linken sollten ihrer Entwicklung
große Aufmerksamkeit schenken und Solidarität anbieten.

 

 

Erklärung der Redaktion „Against the Current”

 

 

In den letzten Tagen wurden die Menschen durch Wut und Empörung über den Tod
von mindestens zehn Menschen (und weit mehr Verletzten, sowohl Han- als auch
Uiguren-Chines*innen) in Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, auf
die Straße getrieben. Die Todesfälle wurden durch einen Brand verursacht,
der drei Stunden lang in mehreren Stockwerken eines Hochhauses wütete, bevor
er gelöscht wurde. Die Bewohner*innen glaubten, dass die Verzögerung bei der
Rettung teilweise durch die Absperrung des Stadtviertels verursacht wurde,
die die Mobilität von Notfallhelfer*innen einschränkte.

 

Dies war der letzte Auslöser für eine Öffentlichkeit, die in den letzten
Monaten unter zunehmend drakonischen und willkürlichen COVID-Lock-downs
gelitten hat. Diese haben die Existenzgrundlage vieler Menschen angegriffen,
insbesondere arbeitender Menschen mit geringen Ersparnissen, und in einigen
Fällen zu unnötigen Todesfällen geführt. Staatliche Unterstützung für die
kapitalistische Ausbeutung chinesischer Arbeiter*innen, die bei Foxconn in
den Produktionsanlagen für elektronische Geräte eingesperrt wurden, ist ein
weiteres empörendes Beispiel für die Grausamkeit dieser Politik. Während die
Lock-downs in der frühen Phase der Pandemie sicherlich Leben in China
gerettet und breite öffentliche Unterstützung gefunden haben, sind die
Menschen skeptisch geworden und glauben nicht mehr, dass dies der humanste
oder effektivste Weg sei, mit Covid umzugehen. Aber ihre Stimmen wurden
ignoriert und ihre Beschwerden in den sozialen Medien zensiert, da sie in
einem der am stärksten überwachten Länder der Welt leben.

 

 

VIELFÄLTIGE FORDERUNGEN

 

Schließlich hat sich die seit Monaten aufgestaute öffentliche
Unzufriedenheit auf die Straßen ergossen. Im Laufe des Wochenendes
eskalierten die Proteste und drückten vielfältige Forderungen aus, die den
klassenübergreifenden Charakter der Bewegung widerspiegeln. Die
Demonstranten riefen Parolen wie „Aufhebung der Einschränkungen“,
„Freiheit“, „Demokratie“, „Würde“, „Ende der Diktatur“,
„Rechtsstaatlichkeit“, „Redefreiheit“ und in den extremeren Fällen
„Rücktritt der KPCh“ und „Rücktritt von Xi Jinping“, was sowohl die
gemeinsamen als auch die unterschiedlichen Anliegen der Demonstrant*innen
bei Massendemonstrationen zeigt. Im Wesentlichen wird jedoch nicht der Sturz
der Regierung, sondern ihre Demokratisierung gefordert; die Regierung soll
auf die Stimmen und Bedürfnisse des Volkes hören; Das sind keineswegs
sozialistische Forderungen, aber im chinesischen Kontext progressive – und
aus Sicht des Staates subversive – Forderungen, denen mit Unterdrückung
begegnet wird. Tatsächlich hat die Regierung bereits begonnen,
Demonstrant*innen festzunehmen und zu schikanieren und wichtige Protestorte
und öffentliche Plätze abzusperren, um Demonstrant*innen fernzuhalten.

 

Es ist mehr als nur der Lock-down, was diese Proteste motiviert, sondern das
Gefühl, von einem politischen System nicht gehört zu werden, das so arrogant
die öffentliche Meinung missachtet. Dieses Gefühl der Entfremdung vom
politischen System wurde weiter verstärkt, als Xi Jinping die
Amtszeitbeschränkungen abschaffte und sich seine dritte Amtszeit als
Parteisekretär sicherte. Das erklärt die politischen Forderungen nach
Demokratie.

 

 

DIE MENSCHEN IN CHINA MÜSSEN SELBST ENTSCHEIDEN

 

Um Masseninfektionen zu vermeiden, die sich aus der Aufhebung der
COVID-Beschränkungen ergeben können, werden sowohl eine höhere Impfrate als
auch effektivere Impfstoffe erforderlich sein. Es wird auch mehr
Investitionen in das Gesundheitssystem erfordern, um Zugang für alle und
bessere Pflege zu erreichen. Aber es steht uns nicht an, außerhalb Chinas
für die Menschen in China zu entscheiden, ob und wie die
COVID-Beschränkungen, die ihr Leben in einer Weise einschränken, die wir
nicht erleben, gelockert werden können. Und im Gegensatz zu den
rechtsgerichteten Lock-down- und Impfgegnern in den USA, Europa und anderswo
hat die chinesische Öffentlichkeit weder die Existenz des Virus oder seine
Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen bestritten noch die
Notwendigkeit von Impfungen in Frage gestellt. Sie sollten nicht mit
rechtsgerichteten Bewegungen im Westen verglichen werden, und wir sollten
Versuche ablehnen, die Demonstranten auf diese Weise zu charakterisieren, um
sie zu diskreditieren.

 

Unsere Solidarität mit den Demonstrierenden in China zu zeigen, sollte nicht
umstritten sein. Leider gab es entweder völliges Schweigen oder nur sehr
zögerliche Anerkennung von Teilen der Linken, die in der Vergangenheit den
chinesischen Staat und darüber hinaus sein autoritäres kapitalistisches
System verteidigt oder Kritik daran abgewiegelt haben. Wenn sich die
Menschen in China gegen eine brutale, unmenschliche Parteidiktatur erheben,
können wir nicht schweigen, oder schlimmer noch, die Protestbewegung
bagatellisieren oder ihre Bedeutung abtun. Als Sozialist*innen und
Internationalist*innen sollten wir bei diesen Protesten jedes Anzeichen
eindeutigen Widerstands gegen das herrschende Regime in China und
Forderungen nach Demokratie unterstützen.

 

Die Menschen in China, wie an vielen anderen Orten der Welt, fordern eine
gerechtere Regierung und Gesellschaft – mit anderen Worten: Demokratie. Ein
demokratisches System in China, in dem das Volk und nicht eine sich selbst
bejubelnde Elite das Sagen hat, ist auch entscheidend für den Kampf gegen
den Imperialismus aller Arten und für die Bewältigung der vom System
hervorgerufenen Umwelt- und Klimakrise. Von einer prinzipientreuen
internationalistischen sozialistischen Position aus bekunden wir unsere
Solidarität mit den an den Demonstrationen beteiligten Menschen und ihren
Zielen.

 

 

7. Dezember 2022

Against the Current ist die Zeitschrift von Solidarity, einer
radikalsozialistischen Gruppierung in den Vereinigten Staaten.

Quelle:  <https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7903>
https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7903
[https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7903]

Übersetzung: B. Mertens

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 1/2023 

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