[IPK] Giorgos Mitralias: Auf dem Weg zu Brauner Internationale?

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Mi Dez 14 18:18:51 CET 2022


Faschismus:

Auf dem Weg zu Brauner Internationale?
Online unter: https://www.inprekorr.de/614-mitr.htm

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Seit Ende des letzten Weltkrieges war die Bedrohung, die von einer aktiven,
aggressiven und fast überall wachsenden extremen Rechten ausgeht, noch nie
wieder so aktuell wie heute. Warum? Weil diese Bedrohung anders als in den
letzten 6 bis 7 Jahrzehnten jetzt nicht mehr von einigen kleinen Gruppen
oder auch kleinen Parteien von Nostalgiker*innen der Zwischenkriegszeit
kommt, sondern von einer neuen, ungehemmten Rechten, die sogar Länder
regiert oder sich anschickt, sie zu regieren, die zu den größten Mächten der
Welt gehören!

 

 

Von Giorgos Mitralias

 

 

Das Indien von Modi, das Russland von Putin, das Brasilien von Bolsonaro,
das Ungarn von Orban und […] das Italien von Giorgia Meloni und vielleicht
die Vereinigten Staaten von Trump II – die Liste ist alles andere als
erschöpfend, aber sie gibt doch eine Vorstellung davon, wie ernst und
umfassend die Bedrohung ist. Zwar sind diese Führer*innen alles andere als
ausgewiesene Nostalgiker oder „Erben“ des Faschismus und des Nazismus der
Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, aber sie teilen Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit, Autoritarismus, Islamophobie und Antisemitismus,
offene Ablehnung der parlamentarischen (bürgerlichen) Demokratie,
Frauenfeindlichkeit, Verherrlichung fossiler Brennstoffe und Klimaskepsis,
Militarismus, Missachtung demokratischer Rechte und Freiheiten, Vorstellung
einer von bösen Mächten gesteuerten Geschichte und Komplottismus [Glaube an
Verschwörungstheorien], Hass auf die LGBTQ-Menschen, Obskurantismus und
tiefe Verbundenheit mit dem Dreiklang „Familie-Vaterland-Religion“.

 

Sie „Populisten“ zu nennen, wie es systematisch alle europäischen Medien
tun, ist ein völlig unangebrachter Euphemismus, zumal dieselben Medien auch
die Linke „populistisch“ nennen, wenn sie es wagt, den neoliberalen
Kapitalismus in Frage zu stellen. Denn wenn Bolsonaro, Meloni oder Abascal
von der spanischen Vox „Populisten“ sind, warum dann nicht auch Mussolini,
Hitler oder Franco? Warum nicht die ganze Geschichte der letzten 100 Jahre
umschreiben und jeden Hinweis auf die braune Pest auslöschen und sie auf
einen fast harmlosen „Populismus“ reduzieren? Offensichtlich sind in der
Nacht der neoliberalen Konterrevolution alle Rassisten, Frauenhasser,
Pogromisten, Neofaschisten und andere Rechtsextremisten nicht mehr braun,
sondern … grau. Kurz gesagt, alles fast harmlose „Populisten“ …

 

Aber es liegt uns fern, der ganzen weiten Welt ohne Unterschied das Etikett
des (Neo-) Faschisten oder des (Neo-) Nazis aufzukleben. In Wirklichkeit
sind sie nicht alle gleich, sondern sie haben auch Differenzen, was übrigens
ihre Rivalitäten und die Kämpfe um Einfluss erklärt, die sie traditionell
austragen. Kurz gesagt, die europäische (und globale) extreme Rechte ist
nicht homogen, und obwohl sie als Ganzes stetig voranschreitet, ist es ihr
härtester und gewalttätigster Flügel, der derzeit am stärksten zulegt und
auf dem Vormarsch ist.

 

 

MADRIDER FORUM

 

Von diesem harten und gewalttätigen Flügel kommen auch die Initiativen zur
Strukturierung und Koordinierung dieser extremen Rechten auf internationaler
Ebene. Vox zum Beispiel, die durch ihren spektakulären Durchbruch in Spanien
gestärkt wurde, startet mit einigem Erfolg ihr „Madrider Forum“, um in
Lateinamerika alles einzusammeln, was es an faschistischen Putschisten sowie
rechtsextremen Parteien und Persönlichkeiten gibt. Es ist erwähnenswert,
dass der Grundklang der „Charta von Madrid“, die die Mitglieder dieses offen
faschistischen Forums unterzeichnen, der tiefe Hass auf die Indigenen ist,
deren Genozid (bei weitem der größte in der Geschichte der Menschheit) durch
die spanischen Konquistadoren als Akt der … „Befreiung vom blutrünstigen und
terroristischen Regime der Azteken“ gefeiert wird!

 

Was auf den ersten Blick an dieser an die spanischsprachigen Länder
gerichteten „Charta von Madrid“ merkwürdig erscheint, ist, dass sie auch von
rechtsextremen Parteien und Persönlichkeiten unterzeichnet ist, die nichts
mit Lateinamerika oder dem Kastilischen [der „spanischen“ Sprache] zu tun
haben. So finden wir unter ihren Anhänger*innen prominente Trumpisten der
nordamerikanischen Republikanischen Partei, die Partei Griechische Lösung
(etwa 5 % bei den letzten Wahlen) von Kyriakos Velopoulos, einem
Teleshopping-Betrüger, der berühmt wurde, als er monatelang sogar
„authentische Manuskripte“ von Jesus Christus verkaufte, oder die
postfaschistische Partei Fratelli d'Italia der künftigen [inzwischen
amtierenden, A. d. Red.] italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, die
übrigens sehr privilegierte Beziehungen zu ihren „Kameraden“ von der Vox
unterhält.

 

Dies ist also ein erster Versuch, die harten Kräfte der extremen Rechten zu
vereinen, was ein erster Schritt zur Bildung einer wirklichen Braunen
Internationale sein könnte, die viele rechtsextreme Parteien anscheinend ins
Leben rufen wollen. Dass es derzeit keine solche Internationale gibt,
bedeutet jedoch nicht, dass es keine begrenzte Zusammenarbeit zwischen
mehreren dieser extremistischen Kräfte gäbe. Schon jetzt gibt es zahllose
Treffen und andere „Gipfel“ ihrer Führer*innen. Ebenso viele Manifeste und
gemeinsame Erklärungen, mit denen sie enden. Ihre finanziellen
Unterstützungen, von der die bekannteste die der Banken des putinschen
Russlands an die Partei von Marine Le Pen ist, sind kein Geheimnis mehr. Und
manchmal überquert diese Finanzierung sogar den Atlantik, wenn es darum
geht, einen allzu lästigen Feind zu besiegen.

 

 

KAMPF GEGEN GRETA – UND DIE GANZE JUGEND

 

Zum Beispiel, wenn dieser Feind Greta Thunberg heißt, die Inspiratorin der
radikalen, weltweiten Jugendbewegung gegen die Klimakatastrophe. Dies
schrieben wir schon vor drei Jahren in einem Text mit dem mehr als
deutlichen Titel „Der Hass auf Greta: hier sind Namen und Adressen
derjenigen, die ihn finanzieren!
[http://www.cadtm.org/La-haine-contre-Greta-voici-ceux-avec-nom-et-adresse-q
ui-la-financent]“, in dem wir diejenigen präsentierten, die jenseits des
Atlantiks rechtsextreme europäische Parteien finanzierten, die gegen Greta
kämpften: „Erstens haben die europäischen Rechtsextremen oder zumindest
einige ihrer Schwergewichte enge Verbindungen zu – wenn nicht gar
Abhängigkeiten von –einem politischen und wirtschaftlichen Zentrum/Stab in
den USA, genauer gesagt zum Weißen Haus und zu den Finanziers und
Unterstützer*innen von Präsident Trump! Dann ist es kein Zufall, dass diese
‚Braune Internationale‘ zu dem Schluss gekommen zu sein scheint, dass die
Frage der Klimakatastrophe und insbesondere die – immer breitere und
radikalere – Jugendbewegung, die dagegen kämpft, die größte Bedrohung für
ihre Interessen und für die Herrschaft des kapitalistischen Systems in den
kommenden Jahren darstellt. Und schließlich ist es kein Zufall, dass diese
‚Braune Internationale‘, genauer gesagt ihre europäische ‚Sektion‘, ihre
Angriffe heute vorrangig auf die Person von Greta Thunberg konzentriert, der
unbestreitbaren Leitfigur, Theoretikerin und Koordinatorin der
Jugendmobilisierungen fast überall in Europa und darüber hinaus.“

 

 

„WIR MÜSSEN DIE BEWEGUNG UNSERER TRUPPEN KOORDINIEREN, WEIL WIR ALLE VOR DER
GLEICHEN AUFGABE STEHEN“ 

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verbindungen zwischen den
bestehenden rechtsextremen Gruppierungen stark sind und sich ebenso schnell
entwickeln wie ihr Wahleinfluss. Wird es dazu kommen, dass die extreme
Rechte in Europa und in der Welt an Fahrt gewinnt und die ersten Ansätze in
eine eigene ehrgeizige, gut strukturierte und gefährliche Internationale
umwandelt? Es mangelt nicht an Wünschen, und die kommen jetzt öffentlich zum
Ausdruck, wie bei Victor Orban, der am 4. August von Tausenden von
Trump-Republikaner*innen der Conservative Political Action Conference (CPAC)
in Dallas (Texas) stehenden Applaus erhält, als er sagt: „Wir müssen die
Bewegung unserer Truppen koordinieren, weil wir alle vor der gleichen
Aufgabe stehen … Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir unsere Kräfte
bündeln müssen!“

 

Zweifellos könnte der […] Sieg der extremen Rechten bei den italienischen
Wahlen vom 25. September die politische Landschaft und die politischen
Machtverhältnisse auf unserem Kontinent erheblich verändern. Es ist also
keineswegs ausgeschlossen, dass ein solches Ereignis den Aufstieg der einen
und die Krise der anderen beschleunigt. In Erwartung dieses Wahlsiegs der
Fratelli d 'Italia und ihrer Verbündeten schwenkten bereits Führer wie Orban
oder Abascal – und sogar Putin – zu einer viel roheren und offensiveren
Sprache, während auf der anderen Seite die Europäische Kommission es vorzog,
„konziliant“ zu sein und schon im Dezember 2021 sogar ihren Vizepräsidenten,
den Griechen Margaritis S'chinas, schickte, um sie bei einem jährlichen
Festival der italienischen Jugend
[https://www.politico.eu/article/giorgia-meloni-valdimir-putin-italy/] zu
vertreten: dem der extremen Rechten!

 

Das Ergebnis der italienischen Wahlen und die reale Aussicht, dass Putin in
zwei Jahren mit einem ins Weiße Haus zurückgekehrten Trump II eine
Verbindung aufbauen könnte, sollte daher von Antifaschist*innen und
Demokrat*innen auf der ganzen Welt, die ihre Antwort so schnell wie möglich
vorbereiten müssen, sehr ernst genommen werden. Ob mit oder ohne Braune
Internationale, die extreme Rechte stellt heute eine existenzielle Bedrohung
für uns alle dar.

 

 

30. August 2022 

 

Der Journalist *Giorgos Mitralias* ist einer der Gründer und Moderatoren des
griechischen Komitees gegen Schulden, Mitglied des internationalen
CADTM-Netzwerks und der griechischen Kampagne für Schuldenprüfung. Mitglied
der Wahrheitskommission für die griechischen Schulden und Initiator des
Aufrufs zur Unterstützung dieser Kommission.

 

Quelle:  <http://www.cadtm.org> www.cadtm.org
[https://www.cadtm.org/Vers-l-Internationale-Brune-de-l-extreme-droite-europ
eenne-et-mondiale]

 

Übersetzung aus dem Französischen, Zwischentitel und [Anmerkungen]: Björn
Mertens

 

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 1/2023 

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