[IPK] Schweden: Jetzt brauchen wir eine sozialistische Erneuerung

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Sa Okt 1 13:55:36 CEST 2022


Schweden:

Jetzt brauchen wir eine sozialistische Erneuerung
Online unter: https://www.inprekorr.de/612-swe-int.htm

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Zeit für gründliches Nachdenken – der Widerstand muss sich zusammenschließen
– nicht länger die Augen vor Klimakrise und Kriegsgefahr verschließen.

 

 

Von Redaktion „Internationalen“

 

 

Nun hat also der neoliberale, nationalistische und konservative Rechtsblock
gewonnen. Sein Wahlkampf war aggressiv und zutiefst reaktionär. Wenn es um
Bandengewalt ging, wurde das immer mit Einwanderung verknüpft. Zwei
Millionen außereuropäische Einwanderer*innen wurden kollektiv für die
Schießereien verantwortlich gemacht. Auf die Frage, was gegen Kriminalität
zu tun sei, lautete die Antwort der Blau-Braunen: „Einwanderung reduzieren!“
Die SD [1] holten ihre alte Forderung nach „Rückwanderung“ wieder heraus und
twitterten: „One-Way-Ticket nach Kabul“.

 

Welche Klimapolitik können wir von der rechtsnationalistischen Regierung
erwarten? Die Antwort lautet: Keine. [SD-Chef] Åkesson nennt alle Maßnahmen
zur Bewältigung der Klimakatastrophe „Selbstquälerei“. Das Einzige, was er
sehen will, sind „technische Innovationen“. Kristersson (M) [2] hat
„Kernkraft“ als Lösung für alles. Nach Ansicht dieser Rechtsparteien muss
sich nichts ändern, außer dass wir auf Elektroautos umsteigen. Sie denken,
dass die Plünderung der Natur weitergehen kann, dass wir in Schweden weiter
konsumieren können, als hätten wir vier Erdkugeln, dass der
verschwenderische Konsum und die verschwenderische Produktion weitergehen
dürfen. Aber dann sausen wir weiter in Richtung völliger Katastrophe.

 

 

KINDERARMUT STEHT NICHT AUF DER TODO-LISTE DER RECHTEN

 

Steuersenkungen stehen ganz oben auf der Wunschliste der Bürgerlichen.
Gleichzeitig wollen sie eine gigantische Aufrüstung des Militärs.
Kristersson ist glasklar: Steuersenkungen und Rüstungen sollen durch
„Senkung der Beiträge“ finanziert werden. Und da meint er nicht RUT-Abzüge
[Steuerkürzung für haushaltsnahe Dienstleistungen] und Subventionen für
Unternehmen. Da spricht er über die Zuschüsse zum Lebensunterhalt und
Arbeitslosenversicherung. Die immer weiter verbreitete Kinderarmut steht
nicht auf der TODO-Liste der Rechten. Stattdessen bereiten sie harte
Angriffe auf diejenigen vor, denen es am schlechtesten geht.

 

Annie Lööf von der Zentrumspartei sah, wie sich die sozialdemokratische
Führung danach sehnte, die Blockpolitik zu beenden [und sich Zentrum und
Liberalen gegenüber zu öffnen]. Sie hatte große Erfolge im Januarabkommen
[3]. Das war eine schlaue Politik. Doch der Sieg der Linkspartei [4] in der
Frage der Marktmieten war ein herber Schlag. Aber Lööfs kluge Politik,
neoliberale Politik durch Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie
durchzusetzen, fand bei KD und M keinen Anklang. Ihre Linie bestand darin,
die Sozialdemokratie zu besiegen und mit Hilfe der SD selbst zu regieren.
Jetzt ist Kristersson an der kurzen Leine von Åkesson. Nach Lööfs Abgang
haben Strömungen in der Zentrumspartei, die die Feindseligkeit von KD und M
gegenüber allem teilen, was Arbeiterbewegung genannt wird, Auftrieb
bekommen.

 

Wenn es um den Wahlkampf der Sozialdemokraten geht, muss man sich die Frage
stellen: Wie oft haben wir während der Debatten [die sozialdemokratische
Ministerpräsidentin] Magdalena Andersson sagen hören: „Ich stimme Ulf
Kristersson zu“? Und jetzt, nach der Wahlniederlage, hält sie „den Moderaten
die Tür offen, wenn sie ihre Zusammenarbeit mit der SD überdenken wollen“.
Das Januarabkommen gab einen Vorgeschmack darauf, welchen Preis die
sozialdemokratische Führung zu zahlen bereit ist, um einige Ministerposten
zu behalten.

 

 

VIELE FRAGEN FÜR DIE LINKSPARTEI

 

Während des Kampfs gegen die Marktmieten hatte die Linkspartei
Stimmenanteile von rund 13 Prozent in den Umfragen. Bei der Wahl kam sie auf
6,7 Prozent. Das ist die Hälfte. Das muss aufgearbeitet werden. Es war
absolut richtig, sich an die Industriearbeiter*innen zu wenden, insbesondere
an die in den industriellen Kleinstädten [5]. Die Frage ist nur, wie es
gemacht wurde. Anstatt zu versuchen, sie für klassenkämpferische Politik und
sozialistische Lösungen zu gewinnen, passte die Partei sich einem fehlenden
Klassenbewusstsein und einem nicht vorhandenen Klimabewusstsein an.

 

Es gibt mehrere Fragen, die innerhalb der Linkspartei auf den Tisch kommen
müssen. Einige wichtige sind: Die Ablehnung der Sozialisierung von Banken
und Großindustrie durch die Parteivorsitzende. Die Unterstützung der enormen
Aufrüstung. Das Ziel, in einer Regierung zu sitzen, selbst wenn sie eine
bürgerliche Politik verfolgen würde.

 

Aber wir müssen auch verstehen, dass egal was die Linke tut, wir es gegen
den Wind tun. Die Arbeiterbewegung ist geschwächt und festgefahren.

 

Der Mangel an Kampf- und Solidaritätserfahrung über mehrere Jahrzehnte
fordert seinen Tribut. Die wenigen internationalen Inspirationsquellen sind
zu schnell versiegt. Die Arbeiterklasse ist durch wachsende Lohnunterschiede
und individuelle Lohnsysteme gespalten. Wir haben einen langen und gezielten
ideologischen Krieg seitens der Bourgeoisie hinter uns. Ein bürgerliches,
individualistisches Welt- und Lebensbild durchdringt die gesamte
Gesellschaft.

 

Aber der Widerstand existiert und der Widerstand muss aufgebaut werden. In
Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und innerhalb der Linkspartei. Jetzt
brauchen wir eine sozialistische Erneuerung

 

 

 

 

Leitartikel der von den schwedischen Mitgliedern der IV. Internationale
herausgegebenen Wochenzeitung „Internationalen“
[https://internationalen.se/ledare/2022/nu-behovs-det-en-socialistisk-fornye
lse/] am 22.09.2022

Übersetzung aus dem Schwedischen: Björn Mertens

[Anmerkungen] und Fußnoten vom Übersetzer

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 6/2022 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

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[1]  Die „Schwedendemokraten“ (SD) sind eine rechtspopulistische Partei,
vergleichbar mit der AfD in Deutschland.

[2]  Die „Moderaten“ entsprechen etwa der deutschen CDU; allerdings sind
bäuerliche (Zentrumspartei, C) und christliche (Christdemokraten, KD)
Strömung getrennt organisiert.

[3]  Nach einem Patt bei den Parlamentswahlen 2018 waren Liberale und
Zentrumspartei im Januar 2019 bereit, für Zugeständnisse eine rot-grüne
Regierung zu tolerieren.

[4]  Die Linkspartei (Vänsterpartiet, V) entspricht etwa der deutschen
Partei „Die Linke“. Sie tolerierte die bisherige sozialdemokratische
Regierung, stürzte sie aber, als sie die Mietbindung aufheben wollte; die
Nachfolgeregierung verzichtete dann auf die Mietfreigabe. Die schwedischen
Mitglieder der IV. Internationale sind auch Mitglied der Linkspartei.

[5]  „Bruksort“ (englisch: mill town) ist eine um einen einzigen Betrieb
herum gewachsene Kleinstadt fernab der großen Zentren.

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