[IPK] Solidarität mit der Protestbewegung im Iran

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Iran:

Solidarität mit der Protestbewegung im Iran
Online unter: https://www.inprekorr.de/612-iran-fi.htm

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Seit dem 16. September wird der Iran durch breite Proteste gegen die Politik
der herrschenden Clique in Aufruhr versetzt. Auslöser war der brutale Mord
an der jungen Frau Jîna Eminî (amtl. nur pers. Mahsa Amini erlaubt), die von
der „Sittenpolizei“ zu Tode geprügelt wurde.

 

 

Vom Büro der IV. Internationale

 

 

Die Dauer und die Ausdehnung der Demonstrationen auf alle Landesteile und
fast alle Bevölkerungsschichten zeugen von einer tiefsitzenden
Unzufriedenheit und Wut, die nicht nur in der Ablehnung der Kleiderordnung
für Frauen begründet ist. Die Ursachen liegen auch in einer seit Jahren sich
zuspitzenden Not für weite Bevölkerungsteile und in einer massiven
politischen Unterdrückung.

 

Anders als bei früheren Unruhen, etwa gegen Wahlbetrug (2009) oder gegen
steigende Treibstoffpreise (2019), steht heute der Ruf im Vordergrund:
„Nieder mit der Islamischen Republik!“ Nach einem Monat der Proteste hält
die Bewegung stand und breitet sich aus.

 

Im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten ist die soziale Not in der
Bevölkerung heute noch größer. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt
unterhalb des Existenzminimums und überlebt nur mit großen Schwierigkeiten.
Die Gesundheitsversorgung ist noch schlechter geworden als sie ohnehin schon
war. Die ökologischen Schäden sind enorm: Wasserknappheit, Wüstenbildung und
Entwaldung treffen vor allem die Landbevölkerung, und in den Städten ist die
Luft- und Wasserverschmutzung hoch.

 

/Auffallend und begeisternd/ ist, dass die Bewegung von jungen Frauen, auch
von Schülerinnen, angeführt wird. Dies erklärt sich durch die Geschichte der
Frauenkämpfe und -bewegungen im Iran seit den Tagen vor der Revolution von
1979. Die Unterstützung der Bevölkerung beruht auf einem inzwischen weit
verbreiteten Hass auf das Regime und die korrupte theokratische Clique, die
das Land beherrscht und ausbeutet und sich darüber zu Dollar-Milliardären
gemacht hat.

 

Die Tatsache, dass die Bewegung trotz der harten Repression so lange und so
breit anhält, lässt sich nur durch die Wut erklären, die vor allem die
jüngeren Generationen empfinden. Weite Teile der Studierenden und
Schüler*innen wehren sich gegen ihre Kasernierung und gehen für ein anderes
Leben auf die Straße. 

 

/Die zweite Besonderheit/ der heutigen Protestwelle ist, dass sie sich von
Jîna (Mahsa) Aminis Heimatstadt in Kurdistan über das ganze Land
ausgebreitet hat. Deshalb ist der kurdische Ruf „Jin Jiyan Azadi“, der ins
Persische mit „Zan Zendegi Azadi“ übersetzt wird, heute zur wichtigsten
Losung der Bewegung geworden. In Kurdistan haben die Ablehnung des
theokratischen Regimes und der Kampf um Selbstbestimmung eine lange
Tradition und treten jetzt mit Macht hervor. Neu ist das Ausmaß der Proteste
in Belutschistan, wo die soziale Unterdrückung und die Armut landesweit am
schlimmsten ist. Die Repression dort zeigte sich zum Beispiel am 7. Oktober,
als bei einer Demonstration in der Provinzhauptstadt Zahedan mehr als 100
Menschen erschossen wurden.

 

/Und ein drittes herausragendes Merkmal/ sollte nicht übersehen werden: Seit
einer Woche mehren sich die Aufrufe zum politischen Streik, wie es sie seit
mehr als 35 Jahren, seit dem Zerschlagen von Arbeiterräten und linken
Organisationen, nicht mehr gegeben hat. Ein erster Teil der Ölindustrie in
der südlichen Provinz Khuzistan befindet sich seit einer Woche im Streik,
was Erinnerungen an 1979 wachruft, als der Streik der Ölarbeiter den Auftakt
zu einem landesweiten Generalstreik bildete. Die Führungen der wichtigsten
unabhängigen Gewerkschaften befinden sich allerdings fast ausnahmslos im
Gefängnis. 

 

Es ist einzig und allein Sache des iranischen Volkes, sein Schicksal selbst
zu bestimmen, mit vollen demokratischen Rechten und der Gleichstellung der
Geschlechter, mit Religionsfreiheit und Säkularismus, mit der Verteidigung
der Rechte aller Minderheiten und dem Einsatz für soziale und
wirtschaftliche Gerechtigkeit. 

 

Deshalb rufen wir auf:

 

* Ausweitung der internationalen Unterstützung durch alle fortschrittlichen
und linken Kräfte für die Protest- und Aufstandsbewegung im Iran gegen die
religiöse Diktatur, für die Verteidigung der demokratischen Freiheiten und
für die Zerschlagung der Polizei und der Milizen, die die individuellen
Freiheiten, insbesondere der Frauen, unterdrücken.

 

* Internationalistische Solidaritätsbekundungen wie Grußbotschaften von
Frauenbewegungen, Gewerkschaften, Studierendenvereinigungen usw., um die
Bewegung politisch und moralisch zu unterstützen. Wir ermutigen die
Gewerkschaften, mit ihren Partnern praktische Formen der Solidarität zu
erörtern, wir rufen die Universitäten auf, ihre Partner aufzufordern, das
Leben und die Freiheit ihrer Studierenden zu schützen, und wir appellieren
an die Frauen- und Studierendenbewegungen, Verbindungen mit den Bewegungen
im Iran herzustellen.

 

* Von entscheidender Bedeutung ist auch die Unterstützung öffentlicher
Solidaritätsaktivitäten, die fortschrittliche Kräfte der iranischen Gemeinde
im Exil mit der Bewegung im Iran organisieren.

 

 

Wir fordern: 

 

* Die Beendigung aller Repressionen im Iran und die Untersuchung der
Verbrechen, die der Staat bei der Unterdrückung der Bevölkerung begeht,
durch Menschenrechtsorganisationen.

 

* Für das Recht auf humanitäre Visa vor allem für verfolgte Frauen und
Mädchen und LGBTIQ-Menschen, die vor der Repression im Iran fliehen.

 

 

*Frau, Leben, Freiheit!*

*Zan, Zendegi, Azadi*

*Jin, Jiyan, Azadî*

 

 

18. Oktober 2022

 

 

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 6/2022 

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