[IPK] Sozial-ökologische Transformationskonflikte

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Do Apr 27 10:17:16 CEST 2023


Ökologie:

Sozial-ökologische Transformationskonflikte
Online unter: https://www.inprekorr.de/618-prokla.htm

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In der jüngsten Ausgabe der PROKLA vom März 2023 gehen in insgesamt neun
Beiträgen die verschiedenen Autor*innen auf die unterschiedlichen
Konfliktkonstellationen von Umweltbewegung und abhängig Beschäftigten ein
und erörtern mögliche Strategien für ein gemeinsames Programm.

 

 

Von Jakob Schäfer

 

 

Bei der Suche nach wirkmächtigen Bündnispartner*innen ist /Fridays for
Future/ (FFF) schon vor fast drei Jahren auf den DGB zugegangen und hat eine
strategische Kooperation vorgeschlagen. Nach meinem eigenen Überblick sind
allerdings die Entscheidungsträger*innen in den Apparaten des DGB und seiner
Mitgliedsgewerkschaften bei sehr wenigen Ausnahmen nicht darauf eingegangen,
letztlich weil sich /vor allem/ in den Vorständen der Gewerkschaften die
Einschätzung eines unüberwindbaren Gegensatzes von sozialen und ökologischen
Interessen festgesetzt hat.

 

Der erste Beitrag [1] in diesem Heft der PROKLA verdeutlicht recht gut, dass
selbst dort, wo sich ein solches Bündnis anbietet, nämlich beim ÖPNV, die
naheliegenden unmittelbaren Forderungen nicht auf ungeteilte Zustimmung
stoßen. Immerhin hatte die Fachgruppe /Busse und Bahnen/ von /ver.di/ die
Kooperation bejaht und die Möglichkeit der gemeinsamen Stärkung der
jeweiligen Kernanliegen gesehen. Die Befragung von Aktivist*innen von FFF
und von Beschäftigten des ÖPNV in drei verschiedenen Regionen (vor und nach
dem Kampf für einen Tarifvertrag Nahverkehr) ergab, dass man sich zwar
annäherte, dass aber vor allem bei den Beschäftigten noch beachtliche
Vorbehalte bestehen blieben. Der Hauptgrund: Abstrakt ist man sich in der
Frage der Verkehrswende einig und beide Seiten meinen, dass dafür der ÖPNV
ausgebaut und vor allem die bundesweit 87 000 Beschäftigten im Fahrdienst
besser bezahlt werden müssen. Aber bedeutenden Widerspruch erfuhr die
Forderung nach einer kostenlosen Nutzung (bzw. der Einführung oder
Verlängerung des 9-Euro-Tickets). Die Beschäftigten haben große Angst vor
dem damit zu erwartenden Stress (zu volle Busse und Bahnen), vor den daraus
sich ergebenden weiteren krankheitsbedingten Ausfällen usw.

 

„In der Gesamtschau wird die gemeinsame Kampagne (weit) überwiegend positiv
eingeschätzt: So stimmt über die Hälfte der Aussage «Insgesamt schätze ich
die Kampagne als gelungen ein» zu (25 Prozent stehen dieser Aussage
unentschlossen, 24 Prozent ablehnend gegenüber.“ (S. 21)

 

 

AUTOINDUSTRIE

 

Bedeutend schwieriger ist es, ein Bündnis von Ökologiebewegung und
Beschäftigten der Autoindustrie zu schmieden. Im zweiten Beitrag des Heftes
[2] wird dies untersucht, ebenfalls basierend auf umfangreichen Befragungen
(in diesem Fall in drei verschiedenen Regionen Deutschlands). Die Ergebnisse
bestätigen, was man schon annehmen durfte: Die gemeinsamen Interessen werden
nur auf der abstrakten Ebene – also auf der Ebene einer ganz allgemeinen
Zielvorstellung – geteilt. Als unmittelbare gemeinsame Aktionslosung, die
sich auf eine mobilisierungsfähige Sofortforderung stützt, bietet sich hier
erst mal nicht viel an.

 

Wie wenig hilfreich bestimmte Losungen sind, wenn man Brücken bauen will,
macht die Autorin an folgender Parole deutlich: „Es gibt kein Recht auf
Kohlebaggerfahren.“ Mit einer solchen Formulierung wird die Existenzangst
der betroffenen Lohnabhängigen völlig ignoriert. Stattdessen – das führt die
Autorin nicht aus – wäre es sinnvoller, anderes zu skandieren, etwa
(sinngemäß): „Es gibt kein Recht, aus Profitinteressen Kohle abbaggern zu
lassen“ oder „Es gibt kein Recht, mit der Energieversorgung Profite zu
machen“ usw. (Natürlich muss so etwas für Sprechchöre geeignet umformuliert
werden.) Richtig ist allerdings – das will ich doch hinzufügen – sehr wohl
die Demolosung: „Es gibt kein Recht, SUV zu fahren!“, denn hier geht es
nicht um die Existenzsicherung, sondern um rücksichtslose, umweltschädliche
Autovernarrtheit, Prestigedenken usw.

 

Dass es auch völlig anders geht als so konfliktscheu wie in Deutschland,
schildert die Autorin mit der Darstellung des beispielhaften Kampfs des
/Colletivo di Fabbrica Gkn /in Campi Bisenzio (in der Nähe von Florenz). Am
9. Juli 2021 erhielten die Beschäftigten des Autozulieferers GKN per Mail
die Nachricht, dass sie von einem auf den nächsten Tag entlassen werden
sollten. Daraufhin besetzten sie das Werk und hielten sich seitdem im
Wesentlichen mit Kurzarbeitsgeld über Wasser (am 8. November wurde die
Zahlung eingestellt, womit der Druck auf die Belegschaft erhöht wird).

 

Von Anfang an arbeitet die Belegschaft intensiv an Konzepten für eine
Umstellung der Produktion, z. B. statt der bis dahin gefertigten Achswellen
für Verbrenner-PKW könnten es Achswellen für Busse und Züge sein oder
Elektrolyseure für die Herstellung von grünem Wasserstoff sein. (Aber auch
der neue Eigentümer hat daran kein Interesse.) Auf dieser inhaltlichen Basis
wurde das schon vorher existierende Bündnis mit FFF gefestigt und man konnte
z. B. im Oktober 2022 gemeinsam eine Demonstration gegen den Ausbau der
Autobahn bei Bologna organisieren.

 

Das Kollektiv im Betrieb setzte Anfang Dezember 2022 eine autonome
Volksabstimmung in Gang. Die Entscheidungsfrage: „Bist du für eine
staatliche Übernahme des Werks sowie für die Billigung des Kurzarbeitsgelds
unter der Bedingung, dass die Konversion einen ‚öffentlichen Nutzen‘
verfolgt und dass dabei Konversionsvorschläge sowohl von privaten Investoren
als auch von öffentlichen Akteuren inklusive der von den Arbeitern selbst
gegründeten Genossenschaft berücksichtigt werden?“ Innerhalb von zehn Tagen
kamen 16 500 Ja-Stimmen zusammen.

 

In dem Beitrag von Julia Kaiser wird aber auch deutlich: Ohne die gut
verankerte Arbeit des Kollektivs im GKN-Werk ist eine Verbindung mit der
Bewegung außerhalb nicht vorstellbar. Das Anliegen der
Klimagerechtigkeitsbewegung – vor allem der Kampf für eine Konversion – kann
nicht von außen an die Belegschaft herangetragen werden. Wenn es im Betrieb
keinen Kern gibt, der schon vorher für die Interessen der Belegschaft aktiv
ist, wird nichts aus dem angestrebten Bündnis von abhängig Beschäftigten und
Klimaschutzbewegung.

 

Völlig anders läuft es heute noch in Deutschland, was mit dem Bemühen um
eine Konversion im Bosch-Werk in München Berg am Laim (Herbst 2021) deutlich
wird. Dort gab es ein kurzzeitiges Interesse, sich für eine Konversion des
von Schließung bedrohten Werks einzusetzen und dafür ein Bündnis mit der
Klimaschutzbewegung einzugehen. Aber über die Bildung einer Arbeitsgruppe
von ein paar interessierten Kolleg*innen kam man letztlich nicht hinaus. Als
die Konzernleitung die Vorschläge ablehnte, schlief das Projekt rasch ein.
Außer symbolhafter Beschäftigung mit diesem Thema ist dabei nichts hängen
geblieben – ein wenig zwar bei der Klimabewegung, aber ganz wenig bis nichts
Messbares bei der IG Metall.

 

Ein weiterer Beitrag in diesem Heft befasst sich mit dem noch schwierigeren
Konflikt zwischen sozialen Interessen und ökologischen Zielsetzungen in der
südafrikanischen Kohleindustrie. [3] Ohne hier näher auf den Inhalt
einzugehen, will ich nur eine zusammenfassende Schlussfolgerung ziehen:
Nirgendwo sonst wird so deutlich, dass für einen sozial-ökologischen
Konflikt keine Lösung im Rahmen einer Branche zu finden ist.

 

 

QUALIFIZIERUNG: EIN KERNSTÜCK DER IGM-STRATEGIE

 

Wie wenig die Gewerkschaften bei uns an einer engagierten Konversionsdebatte
oder gar dem Aufbau einer aktiven Bewegung interessiert sind, wird daran
deutlich, dass man als wesentliches Instrument zur Bewältigung der
Konversion eine stärkere Qualifizierung anstrebt, in dem Fall die
systematischere Nutzung der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ (NWS).
Untersucht wird dies in dem dritten Beitrag des Hefts, der sich ebenfalls
auf eine Befragung stützt, die (wie die anderen) im Wesentlichen im Rahmen
von Forschungsprojekten an der Uni Jena (unter der Patronage von Klaus
Dörre) durchgeführt oder von dort begleitet bzw. ausgewertet wurde. [4]

 

Dort heißt es in der einführenden Zusammenfassung: „Qualifizierung ist Teil
fast jeder Politik, die sich als Lösung für die sozial-ökologische
Transformation präsentiert. Man hofft, die Konflikte zwischen ökologischen
und sozialen Belangen so zu befrieden. Der Beitrag untersucht, wie sich das
im Alltag der Thüringer Auto(zuliefer)industrie darstellt. Interviews
zeigen, dass Qualifizierungskonzepte kaum zur Anwendung kommen.
Weiterbildung ist umkämpft und findet nur ad hoc statt. Gründe dafür sind
ökonomische Strukturdefizite, die Unplanbarkeit der Marktlage, [sic] und
innerbetriebliche Spaltungslinien. Für eine Weiterbildungskultur bedarf es
mehr Beteiligung der Beschäftigten bei der Entwicklung von
Qualifizierungsstrategien.“ Die Autor*innen schürfen nicht gerade sehr tief,
wenn sie schreiben: „Unsere These ist, dass Qualifizierung allein keinen
wirksamen Hebel zur Lösung sozial-ökologischer Zielkonflikte im Sinne einer
weiten Transformation darstellt.“ (S. 57) 

 

Dass Weiterbildung oder gar umfassendere Qualifizierung sich strukturell mit
dem Interesse an kurzfristiger Erzielung des Maximalprofits beißt – erst
recht in Zeiten tendenziell zurückgehender Profitraten – wird von den
Autor*innen gar nicht erst thematisiert. Stattdessen fördern sie indirekt
noch die Illusion, man könne mit Qualifizierungskonzepten die Transformation
erleichtern und stützen damit einen wesentlichen Baustein der IG
Metall-Strategie. Dafür dann umfangreiche Befragungen durchzuführen, die nur
das zu erwartende Ergebnis (es wird kaum qualifiziert) bestätigen, ist dann
doch ein mageres Ergebnis.

 

 

POSTFOSSILER EXTRAKTIVISMUS

 

Besonders wertvoll ist hingegen ein ganz anderer Beitrag, nämlich der von
Anne Tittor. [5] Auch hier aus der einleitenden Zusammenfassung: „Die
Politiken, die derzeit die Dekarbonisierung vorantreiben, erzeugen
zusätzliche Bedarfe an unterschiedlichsten Rohstoffen (Lithium, Kupfer,
seltene Erden, Biomasse) und benötigen perspektivisch sehr viel Energie. Da
Energie überwiegend oder ausschließlich auf Grundlage erneuerbarer
Energieträger erzeugt werden soll, die allesamt eine viel geringere
Energiedichte haben als Kohle und Öl, geht damit ein immenser Landbedarf und
eine Zunahme der Nutzungskonflikte einher. Um die durch
Dekarbonisierungsprozesse bedingte Zunahme sozial-ökologischer
(Transformations-)Konflikte im globalen Süden zu fassen, wird in diesem
Artikel das Konzept des «postfossilen Extraktivismus» vorgeschlagen.“

 

Wichtig bei diesem Erklärungskonzept: Unter Extraktivismus ist nicht nur das
Fördern von Öl oder Metallen zu verstehen, sondern auch die mit der
Dekarbonisierung verbundene Landnahme (etwa um Pflanzen für die Erzeugung
von Biokraftstoffen anzubauen oder etwa Flächen für Solarkollektoren zu
okkupieren). „Um das Erdöl für die bundesdeutsche Kunststoffproduktion durch
nachwachsende Rohstoffe zu substituieren, wäre derzeit ein Drittel der
deutschen Ackerfläche nötig […] Hierbei geht es lediglich um
Kunststoffproduktion – die energetische Nutzung ist nicht mitgerechnet.“ (S.
78 f.) „Wenn man allein die Menge des reinen Wasserstoffs, den die deutsche
Industrie gegenwärtig benötigt, aus erneuerbaren Energien produzieren
wollte, wären 24 TWh pro Jahr regenerativer Strom nötig – das entspricht
etwa 18 großen Offshore Windparks [Quelle:] Remondis (2020) [6]. Für die
Produktion von grünem Stahl wären weitere 130 TWh erneuerbarer Strom
jährlich nötig HySteel (2021: 11) [7] – das entspräche weiteren 98
Offshore-Windparks.“ (S. 79). „Ab Mitte der 2030er Jahre hätte allein die
Chemieindustrie mit 685 TWh einen höheren Stromverbrauch, als Deutschland im
Jahr 2018 an Strom produziert hat.“ (ebenda)

 

Der postfossile Extraktivismus steigert letztlich den Energiebedarf und wird
mit den sozial-ökologischen Folgekosten die weitere Inwertsetzung von
Flächen vorantreiben, gerade weil die nachwachsenden Energieträger im
Vergleich zu den fossilen einen um das Vielfache höheren Landverbrauch
benötigen. Demzufolge drängt die kapitalistische Dekarbonisierungspolitik
nach Energiequellen im Globalen Süden. Anmerkung von mir: Dazu diente
letztlich auch die Reise von Habeck und Özdemir Mitte März 2023 nach
Brasilien. Hier sind übrigens die sonstigen ökologischen Folgen etwa von
Staudammprojekten noch gar nicht bewertet. 

 

Tittor macht bewusst, dass der Globale Norden mit einer Dekarbonisierung –
wenn sie nicht in ein tatsächliches klimagerechtes Gesamtkonzept eingebettet
ist – nur die Probleme exportiert, also die eh schon vorhandenen
Flächenkonflikte im Globalen Süden nur verschärft. Ich möchte es so
zusammenfassen: Je mehr unter kapitalistischen Bedingungen dekarbonisiert
wird, umso mehr wird dies auf Kosten der Bevölkerung im Globalen Süden
ablaufen.

 

 

„BEZAHLBAR UND KLIMAGERECHT WOHNEN?“

 

Ebenfalls erfreulich klar ist der Beitrag zur Wohnungspolitik. [8] Hier wird
sehr gut der Widerspruch zwischen Wohnraum als Ware und als Mittel zur
Befriedigung eines Grundbedürfnisses herausgearbeitet. Erfreulicherweise
entlarven die Autor*innen nicht nur die unsoziale Wohnungs-, sondern auch
die unsoziale Sanierungspolitik. Die Autor*innen machen deutlich, dass die
Sanierungspolitik für vermietete Wohnungen immer zu Lasten der Mieter*innen
geht und es den Vermietern ermöglicht, sich die Taschen voll zu machen (8 %
der Kosten können umgelegt werden, also machen die Vermieter*innen in aller
Regel nach wenigen Jahren ein sattes Plus). Vor allen Dingen den Konzernen
wird damit die Gentrifizierung von Häusern, Straßenzügen und ganzen
Stadtvierteln erleichtert. Die herrschende Wohnraumpolitik verschärft
erheblich die sozialen Probleme für große Teile der Bevölkerung.

 

Nicht zu sanieren ist allerdings auch keine Lösung. „Die Wohnraumversorgung
muss aber auch ökologisch transformiert werden, da ihre aktuelle Ausprägung
einen immer weiter steigenden Ressourcen- und Flächenverbrauch zur Folge
hat. Schließlich ist der Gebäudesektor – vor allem durch Heizen – für 35
Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent der CO2-Emissionen in
Deutschland verantwortlich.“ (S. 118) 

 

Die Autor*innen arbeiten drei grundsätzliche strategische Achsen heraus, die
es für einen Kampf um bezahlbares und klimagerechtes Wohnen zu beachten
gilt: Erstens muss sich die Bewegung für eine entsprechende
Transformationsperspektive auf ein klares Sofortprogramm verständigen.
Zweitens muss sie sich dabei auf eine breite Mobilisierung und Aktivierung
der Betroffenen (also vornehmlich der Mieter*innen) stützen. Ohne dies ist
alles andere Schall und Rauch. Und drittens muss das Programm der Bewegung
in eine Perspektive eingebettet sein, die klar auf eine Vergesellschaftung
der Wohnungskonzerne abzielt. Erst dann ist ein soziales und ökologisches
Wohnungsprogramm widerspruchsfrei zu vertreten.

 

Die Autor*innen stützen sich bei ihrer Argumentation auf die politischen
Erfahrungen der Berliner Kampagne /Deutsche Wohnen und Co enteignen./ Das
macht ihren Beitrag rund und macht ihn so empfehlenswert.

 

 

ÜBERFLÜSSIGE BEITRÄGE

 

Den Beitrag von Dennis Eversberg „Anpassung, Verteilung, Externalisierung.
Drei Dimensionen des sozial-ökologischen Transformationskonflikts“ hätte
sich die PROKLA-Redaktion sparen können, denn er hat null Erkenntniswert. Da
hilft es auch nicht, dass der Autor Befragungsergebnisse heranzieht, mit
denen „Mentalitäten im sozialen Raum“ referiert werden und bestimmten Lagern
zugeordnet werden („ökosoziales Lager“, „Liberal-steigerungsorientiertes
Lager“, „Progressiv-autoritäres Lager“). Wer von ihnen ist mehr
„antitransformatorisch, aktivbürgerlich“, wer ist in welchem Umfang
„prekär-defensiv“? Usw. Mit der Auswertung der Befragungen (vorgenommen im
Auftrag von BMU/UBA in den Jahren 2017 und 2019) kommt Eversberg zu solchen
Erkenntnissen wie der folgenden: „Wie der
/antitransformatorisch-aktivbürgerliche/ Typ zeigt, bilden auch und gerade
sozial privilegierte Gruppen umso stärkere Aversionen gegen
sozial-ökologische Veränderung aus, je mehr sich ihr Status /relativ/
stärker auf Eigentum als auf Bildung stützt.“ (S. 149) Dafür musste man
aufwändig Befragungen auswerten?

 

Nichts Neues bringt die Übersicht von Christiane Gerstetter
„Gerichtsverfahren und die Kämpfe um eine sozial-ökologische
Transformation.“ Ein Beitrag allerdings ist so schlecht, dass man ihn
wirklich nicht referieren mag: Michael Heine, Hansjörg Herr: „Nullwachstum.
Ökonomische Regulierung in der sozial-ökologischen Transformation“. Die
Autoren legen in einem keynesianischen, kapitalismuskonformen Ansatz dar,
wie man ihrer Meinung nach mittels zielgerichteter Investitionen zu einem
Nullwachstum kommen kann und damit Ressourcen sparen und den Ausstoß von
Klimagasen reduzieren kann. Abgesehen davon, dass die Autoren das Ausmaß der
angelaufenen Katastrophe offensichtlich nicht erfasst haben: Es ist
enttäuschend, dass die PROKLA-Redaktion einen solchen Beitrag aufgenommen
hat.

 

 

ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG DES HEFTS 210 DER PROKLA

 

Nicht jeder Beitrag in diesem Heft ist ein Gewinn, aber einige der Beiträge
sind eine Bereicherung ökosozialistischer Positionsbildung und Debatte.
Deshalb: /Die Lektüre des Hefts lohnt sich/!

 

Dennoch sei hier auf ein paar Leerstellen verwiesen, die das Heft m. E.
aufweist:

 

/Erstens/: In dem Beitrag zur Arbeit des Kollektivs im GKN-Werk in Campi
Bisenzio wie auch in dem Artikel zur Wohnungswirtschaft wird deutlich, dass
es auf die Selbstorganisierung ankommt. Bei einigen der anderen Artikel
werden direkt oder indirekt andere Schlussfolgerungen gezogen, nämlich
solche, die eher in Richtung Politikberatung gehen. Außerdem fehlt auch eine
Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie, die – nicht nur bei uns in
Deutschland, aber hier ganz besonders – aus Konfliktscheu jeglichen Kampf
für eine sozial-ökologische Konversion meidet.

 

/Zweitens/: Bei einem Teil der Artikel wird nicht ausreichend (zumeist sogar
überhaupt nicht) klargestellt, dass eine Lösung der vorhandenen Probleme
unter kapitalistischen Bedingungen völlig unvorstellbar ist. Man kann nicht
einfach bei der Beleuchtung dieser und jener „Transformationskonflikte“
stehen bleiben. Dem Heft hätte es deshalb gut angestanden, einen Beitrag
aufzunehmen – bzw. als Redaktion selbst beizusteuern –, der den Versuch
unternimmt, die in den Beiträgen angesprochenen Fragen so zusammenzubinden,
dass eine gesellschaftspolitische Gesamtalternative sichtbar wird.

 

/Drittens/ wird an keiner Stelle klar gemacht, dass es für die Einhaltung
der klimapolitischen Ziele, wie sie beispielsweise auf der Pariser Konferenz
deklariert wurden, nicht reichen wird, diese und jene Umstellungen auf
klimaneutrale Produktion zu bewerkstelligen. Für eine weitgehende Eindämmung
des Klimawandels braucht es eine massive Verringerung des Material- und
Energiedurchsatzes (indirekt kommt das noch am ehesten in dem sehr guten
Beitrag zum postfossilen Extraktivismus heraus). Die Probleme und die
Herausforderungen sind bedeutend größer, als es in dem hier vorgelegten Heft
der PROKLA zum Ausdruck kommt. Um eine drastische Reduzierung der Produktion
und des Verkehrs zu realisieren, braucht es eine konsequente
ökosozialistische Degrowth-Politik, Und die verdient ihren Namen nur, wenn
sie nicht auf Kosten der Armen überall (bzw. an vielen Stellen) kürzt, ohne
gleichzeitig soziale Sicherheit und die Grundlagen für ein gutes, ja
besseres Leben zu gewährleisten.

 

 

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 3/2023 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

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[1]  Kim Lucht, Stefan Liebig: „Sozial-ökologische Bündnisse als Antwort auf
Transformationskonflikte? Die Kampagne von ver.di und Fridays for Future im
ÖPNV“

[2]  Julia Kaiser: „Rückkehr der Konversionsbewegung? Potenziale und Grenzen
der Konversionsbestrebungen sozial-ökologischer Bündnisse rund um
Autozulieferwerke“

[3]  Tobias Kalt: „Zwischen Konfrontation und Kooperation. Der
Transformationskonflikt Arbeit versus Klima in der südafrikanischen
Energiewende“

[4]  Lennart Michaels, Thomas Rehfeldt, Geneviève Schreiber, Johanna Sittel:
„Konfliktlinien in der Thüringer Auto(zuliefer)industrie. Qualifizierung als
Lösungsansatz für die sozial-ökologische Transformation?“ 

[5]  Anne Tittor: „Postfossiler Extraktivismus? Die Vervielfältigung
sozial-ökologischer Konflikte im Globalen Süden durch Dekarbonisierung.“

[6]  Remondis (2020): „Grünen Stahl? Gibt es schon! Stahlproduktion mit
grünem Wasserstoff ist Zukunftsmusik – CO2-Einsparung durch Metallrecycling
heute schon Realität. URL: https://www.remondis-aktuell.de/, Zugriff:
3.9.2021 

[7]  HySteel, Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (2021):
Grüner Stahl. Die Wasserstoffrevolution der Stahlindustrie. Eckpunktepapier.

[8]  Rosalie Arendt, Tobias Gralke, Lisa Vollmer: „Bezahlbar und
klimagerecht wohnen? Antworten sozial-ökologischer Bewegungsakteur*innen auf
Zielkonflikte in der Wohnraumversorgung“

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