[IPK] Wie können die Städte klimaneutral geheizt werden?

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Mi Jul 12 17:50:37 CEST 2023


Ökologie:

Wie können die Städte klimaneutral geheizt werden?
Online unter: https://www.inprekorr.de/620-oeko.htm

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Laut dem Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) dürfen ab 2024 keine neuen
Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden. Seitdem dies bekannt geworden
ist, laufen rechte Parteien und Medien dagegen Sturm.

 

 

Von Klaus Meier

 

 

Ganz vorne dabei ist der Koalitionspartner FDP. Tatsächlich können aber die
Klimaziele ohne ein schnelles Umsteuern des Wärmesektors nicht erreicht
werden. Rund 20 Prozent aller deutschen Treibhausgas-Emissionen werden
allein durch den Wärmeverbrauch der Gebäude verursacht. Das ist ungefähr so
viel wie der Verkehrssektor ausstößt. Auch linke und ökologische Kräfte
müssen sich zu Habecks Wärmepolitik positionieren: Ist die vorrangige
Orientierung auf Wärmepumpen wirklich sinnvoll? Wie können die Städte
ökologisch geheizt werden? Und wer soll die Kosten der Wärmewende tragen?

 

 

HABECKS WÄRMEPOLITIK HAT DOPPELTE SCHLAGSEITE

 

Wärme für Gebäude und Warmwasser stehen für 32 % des deutschen
Endenergieverbrauchs. Das Schlimme daran: 91 % der Gebäudewärme wird immer
noch mit fossilen Gas- und Ölheizungen erzeugt. Doch das steht im krassen
Gegensatz zu allen Klimazielen. Hier offenbart sich ein Projekt von hoher
politischer Dringlichkeit. Doch leider haben die CDU- und SPD-geführten
Regierungen der letzten 20 Jahre alle möglichen ökologischen Umbaumaßnahmen
des Wärmesektors systematisch verschleppt. Es ist sicher zunächst einmal ein
Verdienst, dass der grüne Wirtschaftsminister Habeck das Projekt der
Wärmewende angefasst hat. Doch er droht damit zu scheitern. Das liegt vor
allem daran, dass er nur die technische Aufgabenstellung im Fokus hatte,
aber die klassenpolitischen Verhältnisse in diesem Lande weitestgehend
ignoriert hat. So orientiert Habecks Wärmewende vornehmlich auf
Besserverdienende, die in gepflegten Einfamilienhäusern leben. Sie können
sich Wärmepumpen und Haussanierungen leisten und erhalten dafür sogar noch
einen Großteil der staatlichen Fördermittel. Auf der anderen Seite der
Gesellschaft befinden sich die ärmeren Bevölkerungsschichten: Lohnabhängige
mit niedrigem Einkommen, Rentner:innen oder Alleinerziehende. Sie leben eher
in den gering gedämmten Wohnungen mit schlechten Energieeffizienzklassen und
müssen höhere Heizkosten aufbringen. Bereits die hohe Inflationsrate macht
ihnen zu schaffen. Wenn in dieser bereits angespannten Situation noch hohe
Kosten für den Einbau einer neuen Wärmepumpe drohen, macht sich bei vielen
Panik breit. Dies war Wasser auf die Mühlen der rechten Kräfte, die in der
Klimapolitik die Position vertreten: Nach uns die Sintflut. Insbesondere die
Springerpresse, die CDU, die FDP und natürlich die rechtsradikale AFD haben
die Sorgen der Bevölkerung mit gezielten Kampagnen immer weiter angeheizt.
Und sie waren dabei recht erfolgreich.

 

Neben diesem Gerechtigkeitsproblem hat Habecks Wärmepolitik aber noch eine
weitere Schlagseite. So betont er ganz zentral die Wärmepumpe, aber genau
die ist allein nicht ausreichend, sondern führt in dieser Form in eine
technische Sackgasse. Das gilt besonders für die verdichteten urbanen Räume,
wo die Masse der Bevölkerung wohnt. Wo liegt das Problem? Die
Platzverhältnisse sind hier beengt und es ist nicht vorstellbar, vor jede
Häuserzeile eine Luftwärmepumpe zu setzen, die dann womöglich noch einen
gewissen Lärmpegel erzeugt. Auch tiefe Bohrungen oder ein größerer Erdaushub
für die besonders effizienten Erdwärmepumpen sind aufgrund der Platzprobleme
nicht ohne weiteres möglich. Wenn also die klassischen Wärmepumpen hier nur
bedingt nutzbar sind, stellt sich die Frage, wie dann in den Städten und
urbanen Siedlungen ausreichend Heizwärme bereitgestellt werden kann. Habecks
Konzept liefert darauf keine wirklich gute Antwort. Das merken auch die
Eigentümer:innen oder Mieter:innen in den städtischen Wohnungen.

 

Wie könnte dann eine realistische Antwort aussehen, die diese Probleme mit
in den Fokus nimmt? Real kann unter den beengten Platzverhältnissen in den
Städten nur dann ausreichend Heizenergie bereitgestellt werden, wenn man
industrielle Abwärme, saisonale Wärmespeicher oder Tiefengeothermie nutzt.
Das ist technisch aber nur im großen Maßstab möglich. Wärmepumpen und
Wärmespeicher in privaten Kellern können das nicht leisten. Es gibt
allerdings eine Alternative, und das ist der Ausbau der Fernwärmenetze. Nur
damit ist eine ökologische Wärmewende auch in den urbanen Räumen schnell
umsetzbar. Leider bleiben in diesem Bereich die Handlungen der
Bundesregierung hinter den Notwendigkeiten zurück. So stehen bis 2026 gerade
mal 3 Milliarden Euro für Wärmenetze, Geothermie oder Solarthermie zur
Verfügung. Viel zu wenig für eine ökologische Wärmewende in den urbanen
Räumen.

 

Dabei haben Fern- und Nahwärmesysteme viele Vorteile: Eine zusätzliche
Heizungsanlage im Keller eines Wohnhauses ist nicht mehr erforderlich. Denn
die Wärmebereitstellung erfolgt durch den Anschluss an ein bestehendes Netz.
Und wenn die Fernwärmetemperatur ausreichend hoch ist, ist auch keine
vorherige thermische Sanierung der Häuser erforderlich. Problematisch ist
allerdings, dass in Deutschland erst 14 % der Wohnungen an Fernwärmenetze
angeschlossen sind.

 

 

IN DEN NORDEN SCHAUEN UND VON DÄNEMARK LERNEN

 

Unser nördliches Nachbarland Dänemark zeigt dagegen, wie man es machen kann.
63 Prozent der dänischen Haushalte werden heute bereits mit Fernwärme
versorgt, in Kopenhagen sind es sogar 98 Prozent. Diese Entwicklung war nur
möglich, weil der Staat die Wärmeversorgung in die Hände der Kommunen gelegt
hat und sie dazu verpflichtete, eine Wärmeplanung für die Stadtquartiere
durchzuführen. Nachteilig ist allerdings, dass die dänischen Wärmenetze in
der Vergangenheit mit fossilem Erdgas betrieben wurden. Doch die
zentralisierte Wärmeversorgung bietet für eine Dekarbonisierung einen großen
Vorteil: Statt die Heizungen in zehntausenden Kellern umzustellen, müssen
nur die Heizzentralen auf erneuerbare Energien umgestellt werden. So ist die
Wärmewende in Dänemark, anders als in Deutschland, wesentlich schneller
umsetzbar. Tatsächlich haben unsere nördlichen Nachbarn bereits 50 Prozent
der Fernwärmenetze dekarbonisiert. Die Wärmeversorgung von Kopenhagen soll
sogar schon 2025 CO2-neutral sein. Davon kann Berlin noch nicht einmal
träumen. Für die Umstellung wird z.B. Umweltwärme aus der Ostsee und
industrielle Abwärme mit Hilfe von Großwärmepumpen genutzt. Dazu fangen
ausgedehnte Solarthermieanlagen im Sommer große Wärmemengen ein, die in
großen saisonalen Wärmespeichern eingelagert und im Winter in die
Fernwärmenetze eingespeist werden. Neben den technischen Maßnahmen setzt
Dänemark für die Umstellung auch auf das Ordnungsrecht: Bereits 2013 wurden
Öl- und Gasheizungen im Neubau verboten. Seit 2016 gilt ein Verbot des
Austauschs alter fossiler Heizkessel gegen neue fossile Heizungen. Darüber
hinaus werden fossile Energieträger deutlich höher besteuert als in
Deutschland. Anders als in Deutschland ging diese Umstellung fast
geräuschlos über die Bühne. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass
Dänemark im Vorfeld auf Wärmenetze gesetzt hatte und Heizungen in privaten
Kellern vergleichsweise unbedeutend waren.

 

 

FERNWÄRME IN DEUTSCHLAND AUSBAUEN

 

Immerhin besitzt auch in Deutschland ein Viertel der Städte und Gemeinden
bereits eine Fernwärmeinfrastruktur. Dies gilt besonders für viele östliche
Bundesländer, denn in der DDR hatte die Versorgung mit Fernwärme einen hohen
Stellenwert. Stadtteile, in denen heute bereits Leitungen liegen, können als
Brücke dienen für die Ausweitung der bestehenden Wärmenetze. Eine
ausreichende finanzielle Förderung vorausgesetzt, ließe sich das Netz sehr
schnell ausbauen. Nach Ansicht des Energieeffizienzverbandes AGFW könnte der
Fernwärmeanteil in Deutschland bis 2030 auf 30 Prozent verdreifacht werden.
In den großen Städten mit über 100 000 Einwohner*innen könnte damit rund die
Hälfte des Wärmeverbrauchs gedeckt werden. In den mittelgroßen Städten mit
mehr als 20.000 Einwohner*innen wären es dann 20 Prozent und in den
Kleinstädten immerhin 10 Prozent. Das wäre ein Anfang.

 

 

DIE KÜHLUNG DER WOHNUNGEN IM SOMMER MITEINPLANEN

 

Das wird nicht allein mit klassischen Fernwärmenetzen erreichbar sei. Die
hohe Wassertemperatur von 80 °C bis über 100 °C erschwert die Integration
von erneuerbaren Wärmequellen, die meist auf einem niedrigeren
Temperaturniveau vorliegen. Neue Niedrigtemperaturnetze haben deswegen nur
Vorlauftemperaturen von ca. 40 °C, teilweise sogar nur 10 °C. Dadurch sind
die Verluste beim Wärmetransport niedriger und auch die Kosten der Netze
sinken. Die Frage stellt sich, wie man mit diesen eher kalten Netzen
ausreichend Wärme in die Wohnungen bekommt. Hier kommen dann Wärmepumpen ins
Spiel. Sie sind den einzelnen Wohnungen und Häusern vorgeschaltet und heben
die niedrigen Netztemperaturen auf das benötigte Wärmeniveau. Diese kühleren
Wärmenetze können, wenn sie mit saisonalen Wärmespeichern verbunden sind, im
Sommer die Wohnungen auch kühlen. Für die zu erwartenden künftigen
Hitzesommer wäre das eine wesentlicher Vorteil, besonders in den Städten.

 

 

WÄRME FÜR WOHNUNGEN AUS DER TIEFE DER ERDE HOLEN

 

Eine weitere Möglichkeit, die Wärmeversorgung in den urbanen Regionen zu
sichern, ist die Tiefengeothermie. Aktuelle Forschungen zeigen, dass damit
etwa die Hälfte der gesamten Wärmeversorgung für Wohnungen und andere
Gebäude abgedeckt werden könnte. Ein Hotspot für Tiefenwärme befindet sich
in Süddeutschland zwischen der Donau und den Alpen. Hier liegt in großer
Tiefe eine 600 Meter dicke Kalksteinformation, die zerklüftet und mit heißem
Thermalwasser gefüllt ist. Für die Wärmegewinnung wird das kochend heiße
Wasser aus rund 3000 Meter Tiefe hochgepumpt, die Wärme wird entnommen und
das Wasser wird an anderer Stelle wieder in die Tiefe injiziert, wo es sich
erneut aufheizt. Ein geschlossener Kreislauf. Ein Nutzungsbeispiel ist
Unterhaching im Landkreis München, wo seit 2007 die Tiefengeothermie für ein
geothermisches Heizkraftwerk genutzt wird. Das dortige Wasser stammt aus
3500 Metern Tiefe und ist 133 Grad heiß. Über 60 Prozent der in Unterhaching
benötigten Wärme wird mittlerweile aus dem angezapften Thermalwasser unter
der Stadt geholt und in das Fernwärme-netz der Stadt eingespeist. Auch im
Oberrheingraben, in verschiedenen Regionen von NRW und in ganz
Norddeutschland ist die Gewinnung von Tiefenwärme möglich. Bereits die DDR
begann angesichts ihres chronischen Ressourcenmangels damit,
tiefengeothermische Quellen für die Heizversorgung anzuzapfen. Ein Beispiel
ist Waren an der Müritz, wo 1984 Tiefbohrungen erfolgten und das so
gewonnene heiße Wasser für das lokale Fernwärmenetz genutzt wurde.

 

 

DIE WÄRMEWENDE ENG MIT DER LOKALEN EBENE VERZAHNEN

 

Wie kann nun die Wärmewende praktisch erreicht werden? Die bisherigen
Bundes- und Landesregierungen haben dabei völlig versagt. Der Wärmeumbau
wurde als eine Aufgabe in der Verantwortung der Wohnungseigentümer*innen
gesehen, die Regierungen hat es nicht gekümmert. Real passierte dann fast
nichts. Tatsächlich ist aber die Transformation der Wärmeversorgung eine
hochpolitische und strategische Aufgabe, in die sich auch linke Initiativen
lokal und bundesweit einmischen sollten. Die Absicht des
Bundeswirtschaftsministeriums, eine verpflichtende Wärmeplanung für Kommunen
einzuführen, könnte dazu genutzt werden. Dafür müssen lokal und regional
Flächen bereitgestellt werden: Für neue Wärmeleitungstrassen, saisonale
Wärmespeicher, Tiefengeothermie, die Erschließung von Umweltwärme oder
Flächen für solarthermische Großanlagen. Linke Kräfte sollten hier
intervenieren und frühzeitig eigene Pläne entwickeln, diese der lokalen
Öffentlichkeit vorstellen und die Verwaltungen damit konfrontieren. Sie
sollten dabei zusätzlich Vorschläge zur Demokratisierung und zur
gesellschaftlichen Kontrolle der Stadtwerke in die Diskussion einbringen.

 

 

DIE KOSTEN EINER WÄRMEWENDE

 

Die Kosten für den Aufbau einer ökologischen Wärmeinfrastruktur sind aber
nicht unerheblich. Tatsächlich sagen alle Zahlen, dass eine wirkliche
Wärmewende nicht umsonst zu haben ist. Es dürften Fördermittel bis zu einer
Dreiviertel Billion Euro innerhalb von 15 Jahren erforderlich werden. Das
Wuppertal-Institut hat in einer aktuellen Studie berechnet, dass sich die
Wärmewende (Wärmepumpen, Speicher, Solarthermie) einschließlich einer
großangelegten Wohnungssanierung bis 2035 komplett umsetzen ließe. Bis dahin
müsste der Staat aber jedes Jahr zusätzlich 50 Milliarden Euro zum Aufbau
der Infrastruktur bereitstellen. Also eine zentrale Aufgabe der Regierung.
Das Geld wäre dafür da, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr jedes Jahr
Gelder von über 50 Milliarden Euro sinnfrei verschlingt und dass der
deutsche Bundestag in 2022 irrwitzigerweise 100 Milliarden Euro extra für
die Aufrüstung des deutschen Militärs bewilligt hat. Dazu ließen sich auch
in anderen Sektoren Gelder für den ökologischen Umbau steuerlich abschöpfen:
So werden allein die 40 DAX-Konzerne in 2023 genauso wie im Vorjahr wieder
über 50 Milliarden Euro als Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten.

 

Halten wir fest: Der deutsche Staat könnte die erforderlichen Gelder für
eine Wärmewende prinzipiell aufbringen, aber es fehlt bei den Kapitaleignern
und den bürgerlichen Parteien schlicht der politische Wille, dies auch
umzusetzen. Wenn sich linke Kräfte allerdings dazu verleiten lassen, die
Finanzierung der Wärmewende dem ärmeren Teil der Bevölkerung anzulasten,
dann können sie nur verlieren. Das ist genau das Schicksal, das Robert
Habeck gerade erleidet.

 

 

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Klaus Meier ist aktiv im Netzwerk-Ökosozialismus
[https://netzwerk-oekosozialismus.de/].

 

 

 

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Aus:   die internationale Nr. 4/2023 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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