[IPK] Nahost: Trumps offene Agenda

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Mo Jan 20 16:33:20 CET 2025


Nahost:

Trumps offene Agenda
Online unter: https://www.inprekorr.de/638-pal-trump.htm

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Die Nahost-Berater von Donald Trump lassen keine Zweifel an ihren Vorhaben,
was die Annexion weiterer palästinensischer Gebiete durch Israel und die
künftige Stellung der UNRWA angeht. Widerstand durch die Demokratische
Partei müssen sie dabei kaum befürchten. Interview von /+972 Magazine/ mit
Lara Friedman, Vorsitzende der Foundation for Middle East Peace und
langjährige Expertin für Israel und den Nahen Osten über die Aussichten nach
den US-Wahlen.

 

 

Interview mit Lara Friedman

 

 

 

?? Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Wahlergebnissen der letzten Woche?

 

Dies war offensichtlich eine Gelegenheit zur Abrechnung mit den Demokraten,
und der Krieg in Gaza hat eine Rolle dabei gespielt. Wenn man sich zum
Beispiel Senator Casey in Pennsylvania ansieht, der weniger Stimmen verloren
hat, als auf den Kandidaten der Grünen Partei, einen palästinensischen
Amerikaner, entfielen, dann ist allein dieses Wahlverhalten eindeutig von
Gaza beeinflusst. Ganz offensichtlich hat sich die Zahl der Nichtwähler noch
stärker ausgewirkt. Bei der sonst üblichen Wahlbeteiligung hätte [der Ärger
über die Gazapolitik] wahrscheinlich keine Rolle gespielt. Der prozentuale
Stimmenanteil der Grünen ist nicht größer als in den Vorjahren. Aber in
diesem Jahr hatte es einen definitiven Einfluss.

 

Wir warten noch auf die endgültigen Zahlen, aber ich denke, die
Wahlbeteiligung ist ein wichtiger Faktor. Die Demokratische Partei ging
fälschlicherweise davon aus, dass die Wahlbeteiligung ähnlich hoch sein
würde wie bei der letzten Biden-Wahl, als ihre Basis voller Energie steckte.
Die Desillusionierung dieser Basis ist auch auf die Gaza-Politik
zurückzuführen: der Zynismus, das Gefühl, dass „diese Partei sich nicht um
uns kümmert und uns nicht vertritt“. Viele Menschen sind entweder nicht zur
Wahl gegangen, haben einen Kandidaten einer anderen Partei gewählt oder
haben für Trump gestimmt. Und wir haben klare Beweise dafür, wo die
Demokraten bei den Wahlen besser abgeschnitten haben als Harris: [in
Michigan], einem Bundesstaat, in dem Harris verlor, aber Rashida Tlaib
gewann, oder [in Minnesota], wo Harris schlechter abschnitt als Ilhan Omar.
[…]

 

Sogar [die Abgeordnete Elissa] Slotkin, eine Jüdin, gewann einen Senatssitz
in Michigan, während Harris dort verlor. Niemand kann also behaupten, dass
es hier um Antisemitismus geht. Und Slotkin hat sich von Harris
unterschieden: Sie hat in Worten ihr Mitgefühl, Empathie und Sorge für die
Palästinenser zum Ausdruck gebracht. Auch wenn sie nicht so weit ging, wie
einige von uns es sich gewünscht hätten, sagten sich die Wähler
offensichtlich: „Ich glaube Ihnen, ich glaube, Sie sorgen sich wirklich.“
Und das macht einen Unterschied. […]

 

 

?? Ich möchte von den Wahlergebnissen zu der Frage übergehen, was uns
erwartet, wenn Trump im Januar sein Amt antritt. Könnten Sie zunächst die
voraussichtlichen politischen Prioritäten einer zweiten Trump-Regierung
gegenüber Israel-Palästina skizzieren?

 

Israel-Palästina war für Trump persönlich nie ein zentrales Thema, aber es
ist ein zentrales Thema für eine Reihe von Menschen, denen er sich
verantwortlich fühlt oder die ihm am Herzen liegen – angefangen bei Miriam
Adelson, die eine seiner wichtigsten Spenderinnen war.

 

Man muss sich anschauen, was von der Agenda [der ersten Trump-Regierung]
offen geblieben ist. Die Wahl von Mike Huckabee zum Botschafter in Israel
[der leugnet, dass Israel das Westjordanland überhaupt besetzt] beweist,
dass Trump die Träume messianisch-zionistischer Juden und evangelikaler
Christen von einem „Groß-Israel“ vorantreiben und umsetzen will. /Haaretz/
zitiert Hagit Ofran von Peace Now mit der Aussage, dass es noch vor der
Amtseinführung neue Siedlungen in Gaza geben werde.

 

Ich glaube, dass „Groß-Israel“ jetzt auf der politischen Tagesordnung steht.
Schon jetzt ist die Rede von Israels Recht, Gebiete zu annektieren, die zur
Selbstverteidigung eingenommen wurden, was natürlich ein kompletter Verstoß
gegen das internationale Recht ist. Mit dieser Argumentation erkannte [die
erste Trump-Regierung] Israels Annexion der Golanhöhen an und ich denke, das
wird auch auf Gaza zutreffen. Auch die Annexion des Westjordanlandes und von
Teilen des Libanon stehen m. E. auf der Tagesordnung. Man muss ihnen nur
zuhören …

 

Eugene Kontorovich [vom berüchtigten konservativen israelischen Think-Tank
Kohelet Policy Forum] präsentierte seine Vorstellungen, was die
Trump-Regierung tun sollte, um all die „Verfehlungen“ von Biden rückgängig
zu machen – angefangen mit der Beendigung der Sanktionen gegen Siedler, die
sie als eine Form von BDS betrachten. Da gibt man im Grunde dem
Siedlerterrorismus grünes Licht. Außerdem fordert Kontorovich, dass Trump
die ethnische Säuberung im Gazastreifen aktiv unterstützt, indem er ihnen
hilft, aus dem Kriegsgebiet zu fliehen. Trump müsse die Grenze zum
Gazastreifen genauso behandeln, wie Biden die Grenze zu Mexiko behandelt
hat, nämlich als eine angeblich offene Grenze. Man sollte also Ägypten
zwingen, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen, und dann Anreize schaffen
oder die Menschen zwingen, die Grenze zu überqueren und ein für alle Mal
fortzugehen.

 

Wenn man sich die jüdisch-amerikanischen Gruppen anschaut, steht auf fast
allen ihren Wunschlisten die [gesetzliche Verankerung der] IHRA-Definition
[von Antisemitismus] ganz oben. Ihnen geht es bekanntlich darum, Kritik an
Israel und dem Zionismus zu kriminalisieren, insbesondere – aber nicht nur –
an den Universitäten. Und dieser Punkt steht im Kongress bereits auf der
Tagesordnung, und zwar weitgehend parteiübergreifend: Die Republikaner
preschen vor, aber die Demokraten tun nichts, um dies zu verhindern. Sie
tragen es meist sogar mit, denn wer will nicht für die Bekämpfung des
Antisemitismus sein, selbst wenn das jetzt nur eine Umschreibung für die
Unterdrückung der Rede-, Gedanken- und Wissenschaftsfreiheit ist.

 

Trump wird m. E. alles zurücknehmen, was in irgendeiner Weise als
anti-israelisch an Bidens Politik verstanden werden könnte, was bedeutet,
dass Israel alle gewünschten Waffen bekommt, Annexionen und die Fortsetzung
des Krieges bis zum „Sieg“ anstelle eines Waffenstillstands. Man kann
darüber spekulieren, ob es Grenzen geben wird, weil Trump die USA nicht in
fremde Kriege verwickeln möchte, oder weil er sich über das Auftreten von
Netanjahu ärgert. Das mag alles wahr sein, aber für mich wiegt schwerer, was
seine Berater sagen, nämlich, dass „Israels Politik auch unsere Politik ist
und es keinen Unterschied geben darf“.

 

Die große Frage für mich ist der Iran, nämlich ob ein Präsident, der auch
darum gewählt wurde, um nicht in ausländische Kriege verwickelt zu werden,
am Ende von seinen eigenen Beratern und von Netanjahu in einen Krieg mit dem
Iran hineingezogen wird, was ich für sehr wahrscheinlich halte.

 

 

?? Wie Sie gesagt haben, widerlegt die bedingungslose Unterstützung, die
Israel unter Biden erhalten hat, all diese Argumente, mit denen Leute wie
Kontorovich die Biden-Politik als irgendwie „anti-israelisch“ darstellen.
Dient in Ihren Augen die bedingungslose Unterstützung Bidens für Israels
Krieg in Gaza und jetzt im Libanon ohne irgendwelche „rote Linien“ als
Wegbereiter für die Aushöhlung internationalen Rechts, der Institutionen und
der Diplomatie durch die Trump-Regierung?

 

Zweifellos. Die Demokraten sind – im Einklang mit den Republikanern –
bereits dabei, den Internationalen Strafgerichtshof zu sanktionieren, die
Mission des UNRWA zu beenden und Israel über das internationale Recht zu
stellen, damit es nicht für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden
kann. Vielleicht werden sich unter Trump mehr Demokraten dagegen stellen –
was ihnen zu Recht seitens der Republikaner den Vorwurf der Heuchelei
bescheren würde. Aber warum sollten Leute plötzlich Rückgrat zeigen, wenn
sie bisher keines hatten?

 

[Ein aktuelles Beispiel für die verlogene Politik der Biden-Regierung: Sie
hatte Israel Mitte Oktober aufgefordert, die humanitäre Lage im Gazastreifen
innerhalb von 30 Tagen erheblich zu verbessern und bspw. die tägliche
Einfahrt von mindestens 350 Lastwagen in den Gazastreifen und eine
Kampfpause für die Lieferung von Hilfsgütern gefordert. Auch war die
Aufhebung von Evakuierungsbefehlen für palästinensische Zivilisten Bedingung
des Ultimatums. Andernfalls drohe ein Verstoß gegen US-Gesetze zur
militärischen Unterstützung – was auch die amerikanische Militärhilfe für
Israel gefährdet hätte. Keiner dieser Forderungen ist Israel nachgekommen
und trotz der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen will die
US-Regierung weiterhin uneingeschränkte militärische Unterstützung an Israel
leisten. (Anm. d. Übers.)]

 

Kontorovich fordert übrigens nicht nur die Beendigung der UNRWA-Mission,
sondern auch, dass die US-Regierung die diplomatische Immunität des
Hilfswerks aufhebt, so dass Israel UNRWA-Mitarbeiter wegen Terrorismus
verklagen kann. Wenn Menschen, die für die UNO arbeiten, von einzelnen
Staaten wegen Terrorismus verklagt werden können, weil sie die humanitäre
Arbeit ihrer Organisation geleistet haben, ist dies das Ende des UN-Systems.
Wenn Israel die Menschen in den UNRWA-Konvois nach Belieben bombardieren
kann, kann dort niemand mehr arbeiten.

 

Am 4. November schrieben Senator Cruz und zehn weitere Republikaner im
Senat, die alle im nächsten Jahr [im Kongress] sitzen werden, einen Brief
als Reaktion auf die Bemühungen, Israel wegen systematischer Verletzung des
Völkerrechts, Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und
Völkermordes von der UN-Generalversammlung auszuschließen. Sie sagen im
Grunde, dass wir, wenn die Palästinenser dies verfolgen, alle möglichen
Sanktionen gegen die Palästinenser und alle Staaten oder Organisationen, die
mit ihnen zusammenarbeiten, zur Anwendung bringen werden. Im Grunde wird
damit nicht nur das Osloer Abkommen getilgt, sondern werden wir in die Zeit
vor Madrid [1991] zurückversetzt, als die USA jede Form von
palästinensischer Organisation oder damit zusammenhängender politischer
Aktivitäten als Terrorismus ansehen.

 

Und ich glaube nicht, dass die Demokraten im Senat sich dem widersetzen
werden, wenn sie das Gesetz durchsetzen. Es ist fast ein Glaubensartikel in
unserem Kongress, dass die UNO in allem, was mit Israel zu tun hat,
illegitim und antisemitisch ist, und dass es die Pflicht der USA ist, dies
zu verhindern, selbst wenn das möglicherweise bedeutet, die UNO zu Fall zu
bringen. Wir haben eine Gesetzgebung, die Jahrzehnte vor Madrid und Oslo
zurückreicht und immer noch in Kraft ist, die besagt, dass wir aus der UNO
austreten und ihr die Mittel entziehen, wenn die Palästinenser als
vollwertiger Staat zugelassen werden. Niemand, nicht einmal die Demokraten,
sind jemals bereit, dieses Gesetz zu überprüfen. […] Angesichts der
Arbeitsweise des Kongresses vermute ich, dass wir eine
Anti-UNRWA-Gesetzgebung haben werden, die mit Konsequenzen verbunden ist:
Wenn die UNO das UNRWA nicht auflöst, dann wird es Sanktionen geben.

 

Ich möchte sagen, dass eines der Dinge, die mich beunruhigen, ist, dass
selbst unter den Demokraten, die sich für das UNRWA einsetzen, viele von
ihnen Formulierungen wie „im Moment gibt es keine Alternative“ verwenden.
Sie tun dies mit der Begründung, es handele sich um eine humanitäre
Angelegenheit in Gaza, und sie verstehen nicht die politischen Gründe, warum
man versucht, das UNRWA zu zerstören. Aber hier geht es nicht nur um
humanitäre Hilfe.

 

Israel und die Trump-Regierung könnten die Demokraten erfolgreich [davon
überzeugen], dass es einen anderen Weg gibt, humanitäre Hilfe [nach Gaza] zu
bringen. Aber ich glaube nicht, dass sie das tun werden, denn [Israel] will
dort keine humanitäre Hilfe, sondern will die Menschen aus dem Gazastreifen
vertreiben; das wurde ganz klar gesagt. Und ich denke, die Trump-Regierung
wäre mit dieser Politik vollkommen einverstanden.

 

Zu Beginn des Krieges haben die Israelis die Räumung des Gazastreifens als
humanitäre Maßnahme dargestellt und angedeutet, dass sie in der Wüste Sinai
Lager errichten würden, in denen die Menschen alle Hilfe bekommen könnten,
die sie brauchen, sobald sie aus Gaza weg sind. Ich denke, darauf steuern
wir zu: humanitäre Hilfe als Umschreibung für ethnische Säuberung.

 

Ich höre immer wieder, wie wohlmeinende Menschen versuchen, den politisch
Verantwortlichen klarzumachen, dass das Ende der UNRWA-Mission, auch im
Westjordanland und in Ostjerusalem, eine humanitäre Katastrophe bedeuten
würde. Aber dies ist der springende Punkt. Die humanitäre Katastrophe ist
ein Merkmal, kein Fehler. Sie ist ein Instrument der ethnischen Säuberung.

 

Wenn [die Lage in Gaza] so schlimm wird, dass die internationale
Gemeinschaft schließlich einwilligt, [dass] alle Menschen den Gazastreifen
verlassen müssen, um Hilfe zu erhalten, ist das ein Gewinn für Israel. Wenn
die Situation im Flüchtlingslager Shuafat, die schon vorher schlimm war,
wirklich unerträglich wird und wir eine Polio-Epidemie haben, die es
erforderlich macht, die Menschen über die jordanische Grenze zu bringen, um
ihnen die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen, ist das ein
Gewinn für Israel. Israel würde das Flüchtlingslager gerne abreißen, denn
rundherum gibt es Siedlungen, die sich gerne in diesem Gebiet ausbreiten
würden. […]

 

 

Jonathan Adler ist Mitherausgeber des +972 Magazine

aus +972 Magazine vom 13.11.2024

Übersetzung (gekürzt): MiWe

 

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Aus:   die internationale Nr. 1/2025 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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