[IPK] Die AfD verbieten?
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Mi Jul 2 14:48:10 CEST 2025
Die AfD verbieten?
Online unter: https://www.inprekorr.de/644-afd.htm
Kein Vertrauen in Verfassungsschutz und bürgerliche Justiz
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Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) erlebt gerade ein Allzeithoch in den
Umfragen zu Parlamentswahlen, bei kommunalen Wahlen zu exekutiven Ämtern und
auch bei der Mitgliederrekrutierung.
Von Thies Gleiss
In einigen Wahl-Umfragen erreicht die AfD mittlerweile den Spitzenplatz.
Zusammen mit denen, die CDU/CSU wählen, erreichen die Wählerinnen und Wähler
der AfD mehr als die Hälfte aller Stimmen.
In einem Beschluss der „Internationalen Sozialistischen Organisation“ (ISO),
der Organisation der Vierten Internationale in Deutschland, vom Sommer 2023
heißt es:
„Der Aufschwung der Rechten geht einher mit einer Zunahme an rassistischen
Übergriffen und Anschlägen gegen Migrant:innen und Einrichtungen für
Migrant:innen, sowie mit Attacken gegen Linke und Menschenrechtsinitiativen
ebenso wie gegen queere Menschen und Personen mit Behinderungen. Er stellt
eine große Bedrohung und Herausforderung für die gesamte Linke dar. Wir sind
mit allen Opfern dieser rechten Politik solidarisch und setzen uns für
gemeinsame Schutzabkommen unter linken und gewerkschaftlichen Kräften ein.
Der gesellschaftliche politische Diskurs wird insgesamt nach rechts
verschoben.“
Das wurde in allen Parlamentswahlen seitdem bestätigt, einschließlich der
Bundestagswahl vom Februar 2025. In der konkreten Politik versuchen die
bürgerlichen Parlamentsparteien CDU, CSU, SPD, GRÜNE, FDP und als jüngste
Parteigründung die Rechtsabspaltung von der LINKEN das „Bündnis Sahra
Wagenknecht“ der AfD dadurch Stimmen wegzunehmen, dass sie deren politischen
Forderungen und Ziele zu ihren eigenen machen. Das trifft vor allem auf die
Vertreibungs- und Begrenzungspolitik gegenüber Migrantinnen und Migranten
sowie geflüchteten Menschen zu. In den – auch von der Europäischen Union
verfolgten – migrationspolitischen Maßnahmen gibt es die ganz große
Koalition in Deutschland, allein die LINKE steht gegen diese Politik.
Die AfD ist mit ihrer Zielsetzung, die alten bürgerlichen Parteien vor sich
herzutreiben, sehr erfolgreich, was ihr immer neuen Zustrom an Wählerinnen,
Wählern und auch Mitgliedern verschafft.
Im Beschluss der ISO heißt es weiter: „Die Debatte über Integration der AfD
in das Regierungsgeschäft wird beständig zunehmen. Die Zusammenarbeit der
bürgerlichen Parteien mit der AfD auf kommunaler und bald auch Landesebene
wird von der heutigen Ausnahme immer mehr zu einer Regel werden. Das muss
von der ISO regelmäßig entlarvt und bekämpft werden.“
Auch das ist bis heute Realität. Es gibt höchstens noch eine taktische
„Brandmauer“ zur AfD, die bei weiter wachsenden Problemen, arbeitsfähige
Regierungen auf Landes- und Bundesebene zustande zu bringen, immer wieder in
Frage gestellt wird.
Und schließlich fasst die ISO ihre Taktik so zusammen: „Es gibt keine
Gemeinsamkeiten zwischen der AfD und der Linken. Die ISO lehnt jedes
Zusammengehen mit der AfD in gemeinsamer Propaganda gegen die
Regierungspolitik ab. Wir unterschreiben keine gemeinsamen Appelle, wir
unterstützen nicht parlamentarische Initiativen und Anträge. Wir lehnen
ebenso eine Taktik ab, gemeinsame linke Aufrufe und Initiativen so
zusammenzustreichen und zu entpolitisieren, dass angeblich auch rechte
Kräfte mitmachen können. Auch mit Organisationen, die zu Propagandablöcken
mit AfD bereit sind, arbeitet die ISO nicht zusammen.
Wir treten für breite Aktionseinheiten ein, die unzweideutig keinen
Widerspruch zu unseren Positionen erzeugen. Wir rufen dazu in der Regel mit
eigenen Aufrufen der ISO oder uns sehr nahe verbundener Partner:innen auf.
Kommen zu diesen Aktionen auch Unterstützer:innen der AfD, so werden wir
verhindern, dass sie AfD-Banner und -Materialien verteilen. Das muss über
Ordnerdienste und ähnliche Absprachen im Vorfeld geklärt werden.
Ohne solche Erkennungsmerkmale werden wir keine Ausschlussmaßnamen oder
Gesinnungsprüfungen bei Teilnehmer:innen an von uns mitorganisierten
Aktionen durchführen.“
EINE GROSSPARTEI MIT MASSENEINFLUSS VERBIETEN?
Als zusätzliche Maßnahme gegen die AfD wird verstärkt über ein Verbot der
Partei diskutiert. Die Regierungsparteien verlassen sich dabei auf
konspirativ zusammengetragene Informationen, ob die AfD „rechtsextrem“ ist.
Eine durch das sogenannte Parteienprivileg geschützte Organisation kann in
Deutschland nicht per Order des Innenministers, sondern nur durch das
Bundesverfassungsgericht verboten werden. In der Vergangenheit hat dieses
Gericht wiederholt entschieden, dass geheimdienstliche Erkenntnisse,
insbesondere dann, wenn sie durch V-Leute des Verfassungsschutzes in den
Reihen der betreffenden Partei gesammelt wurden, nicht ausreichen, um ein
Verbot zu erlassen. Dennoch setzten die Regierungsparteien überwiegend nur
auf solche Vorermittlungen des Verfassungsschutzes.
Der hat jetzt in einem 1200 Seiten umfassenden Bericht, der mittlerweile auf
illegalen Wegen veröffentlich wurde, aber eigentlich als Verschlusssache
gilt, festgestellt, dass die AfD „gesichert rechtsextrem“ ist. Hauptelement
dieses „Rechtsextremismus“ ist laut Verfassungsschutz-Dossier ein
„völkischer Begriff von Nation“, der grundgesetzwidrig sei. Es würde dadurch
eine dauerhafte Bedrohung gegenüber nicht-deutschen Bürgern geschaffen.
öffentlich zugängliches Material.
Auf diesem Wege wurden bisher schon einzelne Gruppen innerhalb der AfD (vor
allem ihr Jugendverband, der inzwischen aufgelöst und neugegründet wurde)
und Landesverbände als „rechtsextrem“ eingestuft. Diese Einstufung ist noch
nicht ausreichend für ein Verbot, wohl aber für Maßnahmen unterhalb des
Verbotes wie Beschneidung von öffentlichen Geldern, Räumen, Werbezeit usw.
Nach dem Scheitern des zweiten Verbotsverfahrens gegen die NPD (was
vorrangig wegen der mittlerweile gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der
NPD verworfen wurde) wurde das Grundgesetz dahingehend geändert, dass die
staatliche Parteienfinanzierung für als „verfassungswidrig“ eingestufte und
entsprechend gerichtlich eingeordnete Parteien zeitweilig begrenzt werden
darf.
Einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht können Bundesregierung,
Bundestag oder Bundesrat einreichen. Es gibt eine Initiative für einen
entsprechenden Antrag an den Bundestag, der von genügend Abgeordneten aus
SPD, CDU, GRÜNEN und LINKEN unterstützt wird, dass er behandelt werden muss.
Offiziell sind die Parteiführungen von SPD und CDU/CSU gegen einen solchen
Verbotsantrag.
EINE MASSENPARTEI VERBIETEN?
Eine Partei mit 15–20 Millionen Wähler:innen und 52 000 Mitgliedern lässt
sich nicht per Verbot bekämpfen. Nur eine breite Kampagne, die den rechten
Inhalten und Praktiken eine linke Gegenkultur und -politik entgegenstellt,
wird die rechte Gesinnung aus den Köpfen und Herzen der Menschen vertreiben
können.
Wenn es eine glaubwürdige und politisch nützliche Referenzinstanz zur
Bewertung der „Alternative für Deutschland“ gibt, dann ist es ganz sicher
nicht der bundesdeutsche Verfassungsschutz. Dessen bis in jüngste Tage
dokumentierte Geschichte zeigt deutlich: Dieser Inlandsgeheimdienst ist
nicht die Lösung zur Bekämpfung der AfD und des Aufschwungs der Rechten,
sondern ein gravierender Teil des Problems.
Es ist kaum zu glauben, aber in den digitalen Foren gibt es tatsächlich
Leute, die meinen, der Verfassungsschutz sei eine demokratisch legitimierte
Institution, ja sogar solche, die vermuten, der VS wäre eine Unterabteilung
des Verfassungsgerichtes in Karlsruhe.
Der Verfassungsschutz ist ein schnöder Geheimdienst, der im Verborgenen
schnüffelt, um die gesellschaftliche Herrschaft der Herrschenden
abzusichern. Er hat ein strukturelles Problem mit Rassismus, er ist
gewerkschaftsfeindlich und Gegner der sozialistischen und
Arbeiter:innenbewegung. Er ist auf dem rechten Auge blind und sieht auf dem
linken wahlweise doppelt oder nur sein Spiegelbild. Er lebt von seiner
Unkontrollierbarkeit, man kann ihm nicht – so wie es einige
Regierungssozialist:innen der LINKEN mal versprachen – das Geheime nehmen.
Man kann ihn nur auflösen, und tut der Gesellschaft in jeder Hinsicht damit
einen Gefallen.
Um den politischen Charakter der AfD und anderer rechter Formationen
einzuschätzen, zu beobachten und zu bekämpfen, braucht es den
Verfassungsschutz nicht. Er stört dabei nur. Es braucht eine breite
aufgeklärte Zivilgesellschaft, wachsame demokratische Selbstorganisationen
und auch Selbstschutzeinrichtungen für die Linke und Arbeiter:innenbewegung.
Es braucht ein lebendiges Geschichtsbewusstsein und eine Wissenschaft, die
ihm dient.
In diesem Sinne ist das 1200 Seiten dicke „Gutachten“ des
Verfassungsschutzes, das die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einschätzt,
weniger wert als die „Kundenreferenzen“ am Ende der Produktdarstellung bei
Amazon oder Zalando im Internet.
Im schlechten Fall wird dieses „Gutachten“, zu dem „Schlechtachten“, das
sich die AfD wünscht, um ihre Märtyrerrolle und Prozesshanselei zu
zelebrieren, und das die „Gemeinschaft der Demokrat:innen“, die heute nichts
anderes kennt, als die von der AfD geforderte Politik vorauseilend schon mal
umzusetzen, als Gewissensberuhigung ebenfalls gut gebrauchen kann.
Die AfD ist in ihrer Kernabsicht der parlamentarische Arm einer breiten
gesellschaftlichen neofaschistischen Bewegung. Da, wo es schon geht, wird
die außerparlamentarische Praxis, die Politik gegen Linke,
Gewerkschafter:innen, Feministinnen, queere Leute, verschärft und mit dem
parlamentarischen Auftreten verzahnt. Da, wo das noch nicht geht, oder wo
taktische Zurückhaltung erforderlich ist, ist die gesamte Partei – nicht nur
ein „Höcke-“ oder anderer „Flügel“ – in einer präfaschistischen
Wartestellung.
Die AfD – und zwar gleichermaßen Mitgliedschaft und Wähler:innen – ist schon
lange keine Gemeinschaft von Enttäuschten, Protestierenden, Wutbürger:innen,
verlorenen Schafen usw. mehr. Sie ist mittlerweile die strategisch und
organisatorisch wahrscheinlich meist gefestigte Partei in Deutschland. Sie
ist nicht Abfallprodukt des Rechtrucks, sondern sie ist der
gesellschaftliche Rechtsruck.
Gegen Rechts hilft nur Links! – der Aufbau einer politischen Einheitsfront
gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck, eine wirklich alternative Politik
der sozialen Gerechtigkeit und der internationalen Solidarität. Eine
Politik, die dem Klassenkampf von oben und seiner Unterstützung durch ihre
Deklassierung fürchtende Mittelschichten einen konsequenten Klassenkampf von
unten entgegenstellt.
Eine Verbotskampagne gegen die AfD bindet viele Kräfte und lenkt die
Auseinandersetzung immer auf juristische Expertenkreise und in geschlossene
Zirkel. Jahrelang wird auf Abwarten und Hin-und-her-Abwägen orientiert.
Aber es gibt viele Institutionen und Personen, die sich eine andere Ebene
der Auseinandersetzung mit der AfD nicht vorstellen können. Dann soll eine
solche Verbotskampagne halt geschehen, ein Verkämpfen lohnt sich an dieser
Frage nicht. Aber die gesellschaftliche Linke sollte sie immer mit ihrer
eignen Kampagne „Gegen Rechts hilft nur Links“ unterstützen. Das gilt vor
allem für die Gewerkschaften, in denen eine breite und intensive Debatte
über die AfD geführt werden muss, damit die erschreckende Tatsache, dass
überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder die AfD wählen, ein Ende
findet.
07.06.2025
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Aus: die internationale Nr. 4/2025
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