[IPK] Krise und Empire

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Fr Mai 23 13:07:11 CEST 2025


Ökonomie:

Krise und Empire
Online unter: https://www.inprekorr.de/644-krise.htm

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Die Politik der US-Administration unter Trump 2.0 ist nicht das Produkt
eines abgedrehten Wirrkopfs, sondern eine spezifische Form imperialistischer
Politik, eine Reaktion auf den drohenden Machtverlust der USA.

 

 

Von Jakob Schäfer

 

 

Ohne jeden Zweifel hat sich die allgemeine Weltlage innerhalb weniger Monate
deutlich verändert. Zwar konnten sich die anderen Regierungen schon
monatelang auf Trumps neue Amtszeit einstellen (er hat aus seinem Kurs nie
einen Hehl gemacht), dennoch sind Politiker, Medien und auch viele Linke
ratlos und können die neuen Verhältnisse nicht schlüssig einordnen. Ein
typisches Beispiel ist der Erklärungsversuch für Trumps Russlandpolitik,
wenn dabei mit der Wesensähnlichkeit der Charaktere dieser Autokraten
argumentiert wird. Die Politik der neuen US-Regierung ist jedoch kein
gedankenloser Wirrwarr, sondern wird von strategischen und taktischen
Überlegungen beherrscht, in dem Fall also von der Frage, wie die USA es
erreichen können, dass Russland nicht noch enger an China (den Hauptfeind
der USA) heranrückt. Das Zweckbündnis der USA mit Russland (keine
Zusatzzölle für Russland und das Bestreben, eine Waffenruhe in der Ukraine
hinzubekommen) kann sich gegebenenfalls sehr schnell auflösen, wenn es der
US-Regierung opportun erscheint. Am 21. Februar d. J. bezeichnete die
US-Administration Russland als einen „foreign adversary“ [1] (einen
ausländischen Gegner).

 

Das taktische Zugehen auf Moskau erklärt sich neben der strategischen Frage
(s.o.) vor allem aus Folgendem: Zum einen ist seit mindestens anderthalb
Jahren klar, dass die Ukraine ohne eine unübersehbare Eskalation des
US-Engagements den Krieg nicht gewinnen kann und deshalb das Verhältnis von
Input und Output zunehmend ein Minusgeschäft wird. Zum anderen können die
USA sich den Zugriff auf die ukrainischen Rohstoffe (vor allem Seltene
Erden) nur sichern (also den inzwischen abgeschlossenen Vertrag langfristig
für sich nutzen), wenn die Waffen schweigen. Für den dazu durchgedrückten
Deal ist dem Autokraten Trump jedes Arrangement mit Putin recht. Es ist
jetzt eine Frage der Taktik, wie die Verhandlungen mit dem Kreml
vorankommen. Ein Scheitern liegt nicht im Sinne der US-Strategie. Dies weiß
Putin und deshalb spielt er auf Zeit, um das Ausmaß der Zugeständnisse (vor
allem in der Frage ausländischer Truppen in der Ukraine) zu erhöhen. Ein
längerer Waffenstillstand oder gar ein Ende des Kriegs ist ohne eine
vertragliche Festlegung, dass die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen
wird, nicht vorstellbar.

 

 

RELATIVER ABSTIEG DER USA

 

China und Indien hatten in den 1970er Jahren zusammen einen Anteil von 5
Prozent am Welthandel. Bei den Warenexporten ist der Anteil der USA seit den
1970er Jahren von 12,2 Prozent auf 9,4 Prozent (2024), der Anteil Europas
(also mehr als nur der EU) von 51 auf 37 Prozent gefallen. [2]

 

Noch aussagekräftiger als der Welthandel sind die Zahlen des
kaufkraftbereinigten BIP. Die BRICS-Staaten ohne ihre Erweiterungen [3]
haben heute einen Anteil am kaufkraftbereinigten Welt-BIP von 35,8 % und
werden nach Schätzung des IWF 2029 einen Anteil von 38,2 % haben. Der Anteil
der G 7 wird im gleichen Zeitraum von 29 % auf 27 % sinken. Chinas Anteil
wird nach der gleichen Schätzung von 18,75 auf 19,64 % steigen, der Anteil
der USA von 15,05 % auf 14,26 % sinken.

 

Und mindestens genauso wichtig ist, dass selbst in der Hochtechnologie die
USA an Boden verlieren, wenn man von wenigen Bereichen der Cybertechnologie
und verwandter Sektoren absieht. Der US-Anteil an den weltweiten Ausfuhren
von Gütern der Hochtechnologie hat sich von fast 18 Prozent Ende der 1990er
Jahre auf heute rund 9 Prozent halbiert. (Japans Exporte brachen im gleichen
Zeitraum von 12 auf 4 Prozent ein, während sich Europa bei einem
Weltmarktanteil von etwa 13 Prozent halten konnte.) Chinas Marktanteil in
diesem Sektor stieg innerhalb von 20 Jahren von 2 auf 17 Prozent. In den
1980er Jahren machten die Investitionen in den USA noch 5 Prozent der
Weltwirtschaftsleistung (Welt-BIP) aus, heute sind es nur noch 3 Prozent.  

 

Seit über einem Jahrzehnt sind die USA vor allem mit der rasant wachsenden
Wirtschaftsmacht China konfrontiert, aber auch mit einer hohen
Staatsverschuldung, die die Handlungsfähigkeit des US-Imperialismus mittel-
bis langfristig gefährdet. 

 

 

KEIN ISOLIERTER NARR

 

Trump ist sicherlich ein Macho, ein Lügner, ein Rassist usw. aber seine
Politik stützt sich auf eine inzwischen weitgehend homogenisierte
Republikanische Partei und die dahinterstehenden Thinktanks (vor allem die
Heritage Foundation). Die rechten Strömungen in der Partei (nicht zuletzt
die Tea Party) haben im Verlauf der letzten 20 Jahre zunehmend an Einfluss
gewonnen, auch wenn sie nicht alle Teile des US-Kapitals repräsentieren.
Wichtige Teile favorisieren eine andere Strategie vor allem im Verhältnis
zum Ausland, aber sie haben eben nicht die politische Macht, die die
Republikaner sich mit einer populistischen Strategie bei den Wahlen sichern
konnten.

 

Die Republikaner in den USA, allen voran Stephen Miran, der inzwischen zum
Vorsitzenden des Council of Economic Advisors ernannt wurde und Trumps
wichtigster Berater ist, sehen in der seit mehr als 20 Jahren laufende
Deindustrialisierung des Landes eine Schwächung der nationalen Sicherheit.
(Die USA haben 2024 für 1 Billion $ mehr Waren importiert als exportiert.)
Schließlich werde damit die finanzielle, aber auch die technische Kapazität
der USA beeinträchtigt und darunter leide längerfristig auch ihre
militärische Macht. Diese sei aber letztendlich der Garant für die
Aufrechterhaltung der ökonomischen Macht. 

 

Miran vertritt in der US-Administration keine isolierte Position, sondern
die Mehrheitsmeinung der Republikaner, vor allem bei der Frage, wie es am
besten zu schaffen ist, die seit der Wirtschaftskrise 2007/2008 deutlich
hervortretende Schwächung der US-Dominanz aufzuhalten und den Aufstieg der
BRICS-Staaten, vor allem Chinas, zu bremsen. Oberstes Ziel der US-Regierung
ist es deshalb, mit aller Macht eine Reindustrialisierung des Landes
voranzutreiben. Die Importzölle zu erhöhen ist deshalb ein wichtiges
Standbein der neuen US-Politik. Unmittelbar wird dies zwar nicht die
Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie steigern, aber es schafft eine
Verhandlungsmasse, um auf anderen Gebieten Zugeständnisse zu erzwingen. Die
anderen Länder sollen ihre Zölle abbauen oder – was noch wichtiger ist –
ihre Währungen aufwerten. Bereits vor der Wahl hatte Trump angekündigt, die
Zölle kräftig anzuheben, und zwar für China auf 60 %, alle anderen um
mindestens 10 %.

 

Effektiv lagen die US-Importzölle bis Anfang 2025 bei 3 %, in Europa bei 5 %
und in China bei 10 % (dies alles sind Durchschnittswerte). Schon 2018-2019
unter Trump waren die Zölle erhöht worden, gefolgt allerdings von einer
weiteren Aufwertung des Dollars (was zwar zu beträchtlichen Einnahmen des
Finanzsektors führte, aber die US-Exportindustrie behinderte). Schließlich
hatte die Abwertung der chinesischen Währung gegenüber dem Dollar zur Folge,
dass chinesische Konsumenten weniger US-Waren kauften. Mit solcherlei
Maßnahmen (mäßige Erhöhung der Importzölle) war das Problem also nicht zu
meistern.

 

Das Grundproblem für die US-Wirtschaft liegt allerdings auf einer anderen
Ebene und ist auch mit einer protektionistischen Wirtschaftspolitik nicht zu
lösen. In der Tat nämlich ist der Dollar seit langem überbewertet, was den
Verkauf amerikanischer Waren drastisch erschwert. Die Überbewertung ist aber
eine Folge der Tatsache, dass der Dollar für weite Teile der Weltwirtschaft
die Leitwährung und gleichzeitig die mit Abstand wichtigste Reservewährung
ist. Anleger (andere Staaten und ihre Zentralbanken, institutionelle Anleger
und Privatpersonen) kaufen ständig Dollar (zur eigenen Absicherung, zur
Absicherung von Warenkäufen, zur allgemeinen Reserve) und zwar in einem Maß,
dem keine Gütertransaktionen gegenüberstehen. Der Dollar wird also quasi
unbeschränkt nachgefragt und unterliegt deswegen nicht dem normalen
Abwertungsmechanismus, der sich bei der Währung eines Landes ergibt, das ein
Handelsbilanzdefizit aufweist. (Die USA haben seit 1982 – mit der Ausnahme
von zwei Quartalen 1991 – permanent ein Handelsdefizit.)

 

Hinzu kommt: Die USA sind heute mit 36 Billionen Dollar verschuldet (das
entspricht 126 % des BIP, das Haushaltsdefizit liegt heute bei 7 % des BIP).
Staatsanleiten im Wert von 9 Billionen USD liegen in den Händen
ausländischer Anleger (zurzeit werden zehnjährige US-Staatsanleihen mit 4,25
% verzinst). Der Dollarkurs wird zum einen von der Zinspolitik der Fed (der
US-Zentralbank) bestimmt, zum anderen aber (und zwar hauptsächlich) durch
die Position des Dollars als Leit- und Reservewährung, nicht unerheblich
dadurch gestützt, dass der US-Imperialismus immer noch dominant ist und das
Land als sicherer Hafen für Geldanlagen gilt. Der Status der Reservewährung
führt also ständig zu einem zweifachen Defizit, nämlich im Staatshaushalt
und im Außenhandel. Unabhängig von den privaten Anlegern sind die
ausländischen staatlichen Dollarreserven heute beträchtlich: Eurozone 280
Mrd.; Schweiz 800 Mrd.; China 3 Billionen; Japan 1,2 Billionen, Indien 600
Mrd.; Taiwan 560 Mrd.; Saudi-Arabien 450 Mrd., Korea 420 Mrd. usw.

 

Warum ist die Bändigung des Haushaltsdefizits so wichtig? Das
„Steuersenkungs- und Jobgesetz“ [4] läuft 2026 aus. Soll es fortgeführt
werden, ohne das eh schon gewaltige Defizit zu erhöhen, dann müssen in 10
Jahren 5 Billionen Dollar irgendwo herkommen. Hier können zwar die
Zolleinnahmen helfen, aber nur zum Teil, zumal man nicht weiß, wie sich der
Handelskrieg entwickeln wird und wie stark er auf die USA zurückschlägt
(also bevor mit diesem Krieg China als Konkurrent niedergerungen ist, was
mehr als ungewiss ist).

 

Die USA sind also strukturell in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite sind
sie darauf angewiesen, dass das ständig steigende Defizit im Staatshaushalt
mit dem Geld ausländischer Anleger ausgeglichen wird. Auf der anderen Seite
wollen die USA nicht die damit zwangsläufig einhergehende Aufwertung des
Dollars haben, was die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Wirtschaft auf den
internationalen Märkten gravierend schwächt. Hier kommt der Widerspruch in
der US-Wirtschaft zum Ausdruck, auf der einen Seite die Interessen der
Reichen und des Finanzsektors (denen eine Aufwertung des Dollars sehr wohl
passt), auf der anderen Seite die des Industriesektors.

 

Dieses Dilemma ist nicht neu und wurde 1985 mit dem Plaza-Abkommen (zwischen
den Ländern F, D, GB, Japan und den USA) für ein paar Jahre aufgefangen. Die
beteiligten Länder, vor allem Deutschland und Japan, übten einen
kontrollierten Einfluss auf die Währungsmärkte aus, um den Dollar vor allem
gegenüber der DM und dem Yen abzuwerten. Eine Folge davon war übrigens, dass
die japanische Wirtschaft für zwei Jahrzehnte in eine tiefe Krise geriet,
weil die in der vorangegangenen Phase mächtig aufgebauten industriellen
Kapazitäten plötzlich nicht mehr hinreichend ausgelastet werden konnten und
viel Kapital vernichtet wurde. Eine Abwertung des Dollars würde allerdings
auch die Inflation in den USA in die Höhe treiben. [5]

 

Eine vergleichbare Abwertung des Dollars wie in den 1980ern strebt die neue
Regierung jetzt wieder an (nach Mirans Idee wird es inzwischen allgemein als
das von der US-Regierung angestrebte Mar-a-Lago-Abkommen bezeichnet). Miran
skizzierte sein Konzept schon letztes Jahr, darunter den Vorschlag,
US-Staatsanleihen in sehr langfristige Anleihen (am besten über hundert
Jahre) umzuwandeln, ohne dabei allerdings die Zinssätze flexibel zu halten.
In aller Regel würden damit die Gläubiger nur verlieren. Das zweite Element
eines solchen Projekts soll die Goldaufwertung sein, ein drittes ein
NATO-Schuldentausch und – allem voran – die Einführung hoher Zölle.

 

Das größte Hindernis bei diesem Plan liegt an der größeren Komplexität des
heutigen Welthandels, der nicht mit den 1980er Jahren zu vergleichen ist.
Heute gibt es mehr große Akteure als damals, die Geldwirtschaft ist durch
die allgemeine Deregulierung viel schwerer zu beeinflussen und vor allem:
Politisch ist die Welt heute viel widersprüchlicher. Die anderen Akteure
müssen für eine Dollarabwertung bis zu einem gewissen Grad mitspielen. In
Zeiten geringerer ökonomischer Spielräume kann man davon aber gerade nicht
bzw. nur in den wenigsten Fällen ausgehen.

 

 

ZWANGSMITTEL

 

Aus all diesen Gründen kommt den Zwangsmitteln größere Bedeutung zu. Dazu
setzt die Trump-Regierung auf zwei „Schirme“: Um das (befreundete) Ausland
zur Sicherung der US-Reserven zu bewegen, verknüpfen die USA die
Währungssicherheit mit dem Zurverfügungstellen von militärischer Sicherheit.
In beiden Bereichen soll eine „Lastenteilung“ durchgesetzt werden. Wer also
bei der Währungspolitik die USA unterstützt, darf damit rechnen, militärisch
geschützt zu werden.

 

Um die Länder zur Mitwirkung zu bewegen, setzt die US-Regierung auf Zucker
und Peitsche. Der „Zucker“ liegt im Hinweis auf die Stärke der USA: ein
großer Markt, der sichere Hafen für Geldanlagen, die Stärke der
(militärischen) Supermacht usw. Wer sich am Währungsschirm (Schirm zur
Abwertung des US-Dollars) beteiligt, wird am militärischen Schutzschirm
beteiligt, den die USA aufspannen. Das wichtigste Druckmittel der USA (die
Peitsche) sind nun die Zölle. Ihre Höhe sind Verhandlungsmasse, wobei
allerdings eines der Kennzeichen der neuen Regierung ist, dass sie keine auf
längere Sicht verlässliche Abkommen schließt. Die Unzuverlässigkeit und die
plötzlichen Wendungen lassen die anderen Regierungen zögern und erschweren
den Abschluss von Vereinbarungen.

 

Hinzu kommt, dass der Hauptfeind der USA, nämlich China, zwar von den
verringerten Importen der USA am stärksten betroffen ist, aber dieses Land
verfügt ebenfalls über Druckmittel und hat viele andere Handelspartner.
Diese anderen Länder müssen nun wählen, was ihnen wichtiger ist (bzw.
weniger schlimm ist): hohe Importzölle der USA oder hohe Importzölle Chinas.
Allerdings: Auf kürzere und mittlere Sicht sind die USA besser in der Lage,
einen Handelskrieg zu überstehen als der Hauptfeind China. 

 

Außerdem hat die US-Regierung noch andere Pfeile im Köcher. Sie erhöht den
Druck, um ungehinderten Zugriff auf Grönland (wegen der Bodenschätze) und
auf die ausschließliche Kontrolle der Nordwestroute zu bekommen (mit dem
Klimawandel wird diese Schifffahrtsroute immer wichtiger). Die Einnahmen des
Panamakanals zu kassieren, kann ebenfalls dazu beitragen, das
US-Haushaltsdefizit zu bändigen. Diese Vorhaben sind wichtige strategische
Ziele und mehr als eine nebensächliche Vergrößerung des Hinterhofs der USA.

 

Es gibt noch andere Zwangsmittel der USA: Aufgrund der nach wie vor
dominanten Rolle der USA können sie nicht nur Individuen, sondern auch
anderen Staaten Einschränkungen im Zahlungsverkehr auferlegen (SWIFT) oder
etwa Guthaben einfrieren, um diese Länder zumindest in einem gewissen Umfang
zu zwingen, sich der US-Politik zu fügen. Gleichzeitig steigt damit
allerdings auch der Druck, alternative Zahlungssysteme einzuführen und
andere Reservewährungen zu stärken (etwa CIPS in China). [6]

 

 

DIE VERSCHIEBUNG DER GEWICHTE IN DER US-POLITIK

 

Die neue Regierung hat zwar nur bedingt einen Kurswechsel im Vergleich zur
Vorgängerregierung unter Biden vollzogen, aber die Verschärfung der
protektionistischen Maßnahmen stellt doch einen qualitativen Sprung dar und
kann – erst recht, wenn die Unberechenbarkeit anhält – zu einer deutlichen
Vertiefung der Weltwirtschaftskrise beitragen. Selbst wenn es in absehbarer
Zeit einige Korrekturen oder mehr Berechenbarkeit geben wird, so wird sich
der grundlegende Kurs mit Sicherheit nicht ändern: Unter Trump 2.0. stehen
im Gegensatz zur Biden-Ära mehr die unmittelbaren wirtschaftlichen
Interessen im Vordergrund, weniger die sogenannte Sicherheitspolitik mit all
ihren unübersehbaren finanziellen Belastungen. Die anderen NATO-Staaten zu
mehr „Verteidigungsausgaben“ zu bewegen, hat für die US-Regierung vor allem
einen wirtschaftlichen Grund, denn auch weiterhin wird das Gros der
militärischen Ausrüstung der EU in den USA zu bestellen sein (zurzeit sind
es 63 %), auch wenn die EU dies mittelfristig ändern will. Die dadurch
erzielten Profite in der US-Rüstungsindustrie sollen natürlich auch dazu
dienen, in der Entwicklung von Militärtechnologie die Spitzenstellung zu
bewahren.

 

Die Trump-Regierung setzt auf jeden Fall darauf, den Dollar als Leitwährung
zu behalten. Nur so ist der Zufluss ausländischer Gelder zum ausreichenden
Ankauf von US-Staatsanleihen zu gewährleisten, von der daraus abgeleiteten
politischen Macht noch ganz abgesehen.

 

Die US-Konzerne – vor allem die digitalen Tech-Unternehmen – erfahren unter
Trump eine besondere Förderung. Sie sollen die Speerspitze für die
Durchdringung und Teilbeherrschung anderer Volkswirtschaften bilden bzw.
bleiben. Dazu gehört auch die gezielte Förderung von KI, um die
Hochtechnologien besser nutzen zu können.

 

Um all dies zu befeuern und den Dollarkurs zu senken, hat Trump den
Zollkrieg eröffnet. Ob es damit zu einer wirklichen Reindustrialisierung der
USA kommt, ist zu bezweifeln, nicht zuletzt, weil die Globalisierung nur
minimal zurückgedreht werden kann und der Aufstieg der BRICS-plus auf diese
Weise nicht aufzuhalten ist. Eine durchgängige militärische Beherrschung der
gesamten Welt (um ihr den US-Willen aufzuzwingen) ist unrealistisch, was
allerdings nicht heißt, dass die Kriegsgefahr nicht weiter steigt. Im
Gegenteil: Wenn alle Staaten mächtig aufrüsten, dann will früher oder später
die eine oder andere Macht diese Mittel auch einsetzen. Das liegt in der
Natur des dadurch gestärkten Militärs in diesen Ländern, aber auch an der
sich zuspitzenden wirtschaftlichen Krise des Kapitalismus. Wir wissen zum
Bespiel nicht, welche Konflikte aus der expansiven Politik Chinas und den
infrastrukturellen Abhängigkeiten, die sich aus der neuen Seidenstraße
ergeben, noch erwachsen werden.

 

Der neue US-Weg hat durchaus einige Erfolgsaussicht für das US-Kapital, aber
nur dann, wenn tatsächlich andere Staaten mindestens unter einen der beiden
angebotenen „Schirme“ flüchten. Dennoch bleibt die Entwicklung und vor allem
die Reaktion der BRICS-plus – unvorhersehbar. Eine tiefe Rezession der
Weltwirtschaft für die Dauer von zwei bis drei Jahren ist durchaus ein
realistisches Szenario.

 

Sicher sind auf absehbare Zeit die folgenden Leitplanken der Trump-Regierung
2.0:

 

* Es kommt zu einer schärferen Trennung zwischen Freund, Feind und
„Neutralen“ in der Handelspolitik der USA. Danach entscheidet sich, wer
unter welchen „Schirm“ kommt.

 

* Nicht nur die konkreten Positionen der US-Regierung im Zollkrieg (welche
Sätze werden ab wann gelten) wechseln heute sehr schnell, sondern auch das
konkrete Verhältnis zu diesem oder jenem Staat. Auch das lässt andere
Regierungen heute zögern und macht multilaterale Abkommen extrem schwierig.

 

* Aggressive Staaten könnten sich ermutigt sehen, gegen Länder vorzugehen,
die nicht unter dem US-Sicherheitsschirm sind. Damit steigt die Gefahr
regionaler Konflikte. Und wer sagt, dass sie sich nicht ausdehnen können?

 

* Insgesamt werden die internationalen Märkte (vor allem die Währungsmärkte)
„volatiler“ (also mit heftigeren und schnelleren Ausschlägen). Auch deshalb
werden die Bestrebungen zunehmen, andere Reservewährungen zu schaffen und
andere Leitwährungen zu stärken, die bisher nur regionale Bedeutung haben
(sicher werden zumindest Gold und Kryptowährungen an Gewicht gewinnen).

 

 

Es kann sein, dass der Dollar in der ersten Phase sogar noch zulegt, bevor
er wirklich wunschgemäß schwächer wird. Erst dann jedenfalls kann die
US-Regierung ihrem Ziel näherkommen, den internationalen Handel neu zu
strukturieren. 

 

Nicht alle Teile des US-Kapitals unterstützen den Kurs der neuen Regierung,
vor allem deswegen, weil heute aufgrund der komplizierten internationalen
Lieferketten ein Zoll- und Handelskrieg keine sicheren Gewinner erwarten
lässt.

 

 

MANGELNDE KAPITALVERWERTUNG

 

Ganz gleich, wie mit der US-Politik die Karten im internationalen Waren-,
Geld- und Kapitalverkehr neu gemischt werden, ein Ausweg aus der
kapitalistischen Krise wird damit nicht eröffnet. Es wird lediglich zu einer
Umverteilung kommen, im günstigsten Fall ohne einen Gesamtverlust im
Vergleich zu den Kapitalrenditen der letzten Jahre. Denn der innere Drang
des Kapitals geht – aufgrund des tendenziellen Falls der
Durchschnittsprofitrate – grundsätzlich in Richtung Marktausdehnung, deren
fortgeschrittenste Form schließlich die Globalisierung ist. Der
Protektionismus ist eine Verteidigungshaltung gegenüber stärker gewordenen
Konkurrenten, aber keine Perspektive für die Krise der kapitalistischen
Weltwirtschaft.

 

Das Wirtschaftswachstum der EU lag 2023 bei 0,4 %, 2024 bei 0,9 %
(Deutschland 2023: -0,3 %; 2024: -0,2 %). Auch in den BRICS-Staaten flacht
sich inzwischen die Wachstumskurve ab, vor allem in China, das der größte
Globalisierungsgewinner war und das von der neuen US-Politik am schärfsten
getroffen werden soll.

 

Das Kapital hat aufgrund der international gesteigerten Konkurrenz große
Probleme. Seit Jahren sinken die Profitraten, und zwar ganz im Einklang mit
der Logik, die sich aus der wachsenden organischen Zusammensetzung des
Kapitals ergibt. [7] Der Nachkriegsboom (Golden Age of Capitalism, in
Deutschland wurde er als Wirtschaftswunder tituliert) war im Grunde eine
Ausnahme für die Entwicklung des Kapitalismus. Aufgrund einer beispiellosen
Kapitalvernichtung durch den Zweiten Weltkrieg und den Auswirkungen der
dritten technologischen Revolution (Automation und Kybernetik) konnten
damals für den Spätkapitalismus außergewöhnliche Profitraten erzielt werden.
Laut Weltbank wuchs die Weltwirtschaft in den 1960er Jahren jährlich um 6,2
%. Heute sind es 3 bis 4 %. In Deutschland etwa wuchs die Wirtschaft in den
1950er Jahren jährlich im Schnitt um 8,2 %, in den 1960er Jahren um 4,4 %.
Danach ging das Wachstum von Zyklus zu Zyklus weiter zurück. 

 

Mit der Durchsetzung der neoliberalen Politik (v. a. mit dem Abbau von
sozialen Sicherungssystemen) ab den 1980er Jahren konnte stellenweise eine
leichte Profitsanierung erzielt werden, aber ab Mitte der 2000er Jahre
verallgemeinerte sich die Krise (eine erste große Delle kam mit dem Platzen
der Dotcom-Blase 2000–2002). Danach ließen die Effekte der neoliberalen
Politik zunehmend nach und die Auswirkungen der mangelnden Kapitalverwertung
schlugen zunehmend durch. Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise von
2008/2009 können wir von einer langanhaltenden Krise des Kapitalismus
sprechen. Sie wurde nur deswegen einige Jahre lang gedämpft, weil China mit
aller Wucht in den Weltmarkt eintrat und für viele Konzerne zur verlängerten
Werkbank wurde. Doch das konnte nur solange wirken, wie China technologisch
noch nicht ausreichend aufgeholt hatte und den eigenen Markt noch nicht voll
bedienen konnte.

 

All diese zeitweiligen Sondereffekte mit ihren begrenzten Wirkungen sind
inzwischen verpufft. Neue große Märkte, die plötzlich den Weltmarkt
vergrößern können, gibt es nicht mehr. Der Kapitalismus ist somit am Ende
seiner Möglichkeiten zur Steigerung (der Profitraten angekommen. Angesichts
der gewaltigen Produktionskapazitäten (Überakkumulation) werden die
Schwierigkeiten zunehmen. 

 

Eine Erhöhung der Mehrwertrate mittels erhöhter Auspressung der
Lohnabhängigen (Kürzung der Löhne oder der Renten usw.) kann die Krise nicht
lösen, denn dann fehlt die Kaufkraft, um die Waren in ausreichendem Maß zu
kaufen. Es sind auch keine nachhaltigen technischen Umbrüche zu erwarten.
Seit den 2000er Jahren steigt die Produktivität kaum noch oder gar nicht.
Der Anteil des kapitalistischen Dienstleistungssektors ist in den Metropolen
so hoch, dass der in der Industrie erzeugte Mehrwert auf zu viele Sektoren
verteilt werden muss. Die Krise der Kapitalverwertung bedeutet natürlich
nicht, dass das Kapital keine Profite mehr erzielt. Es hat nur eben
zunehmend Schwierigkeiten, die erzielten Profite im bis dahin üblichen Maß
gewinnbringend neu zu investieren.

 

Aus all diesen Gründen gewinnen die Propagandisten des Militärkeynesianismus
an Boden und tragen zum Hochschrauben der Rüstungsaufträge bei. Somit haben
wir zwei Ursachen für die wachsende Kriegsgefahr: So manche Mächte werden
bestrebt sein, sich durch einen Krieg beispielsweise Bodenschätze unter den
Nagel zu reißen oder für sie günstige Wirtschaftsabkommen durchzudrücken.
Ein weiteres Moment steigender Kriegsgefahr ergibt sich aus den rasant
wachsenden Waffenbestände. Das zurzeit in der Rüstungsindustrie investierte
Kapital wirft nur dann gute und dauerhafte Profite ab, wenn diese Waffen und
die Munitionsbestände periodisch ersetzt werden müssen.

 

 

WELCHE SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR UNS?

 

Ganz zweifellos ist die Politik der neuen US-Regierung ein größeres
Hindernis im Kampf gegen den Klimawandel (verstärkte Förderung von Öl und
Gas) oder mit seiner Unterstützung autoritärer Staaten und speziell der
völkermörderischen Regierung in Israel, als es die Vorgängerregierung war.
Und in der Sozial- und der Kulturpolitik ist noch längst nicht das Ende der
autoritären Maßnahmen erreicht.

 

Was bedeutet all dies für uns? Es wäre politisch höchst irreführend, in den
Chor derjenigen einzustimmen, die eine Lösung der hiesigen wirtschaftlichen
Probleme in einer Stärkung der EU sehen und meinen, mit entsprechenden
protektionistischen Maßnahmen (etwa hohen Zöllen auf US-Waren) oder gar mit
dem Aufbau einer „europäischen Verteidigungsindustrie“ sich dem Druck der
US-Regierung erwehren zu können. Gerade in den Gewerkschaften ist diese
falsche Position sehr verbreitet. Das wirkliche Übel ist nicht ein
„durchgeknallter US-Präsident“, sondern die tiefe Systemkrise des
Kapitalismus. Um dies breiteren Kreisen zu erläutern, müssen noch viele
Anstrengungen unternommen werden, zumal es darauf ankommt, an den jeweils
vorhandenen Kenntnissen (und Bewusstseinsständen) anzuknüpfen, um in
geeigneter Form die Funktionsweise des Kapitalismus und seine Krise zu
erklären. Hier wirkt nicht zuletzt, dass die politische Schulung in den
Gewerkschaften seit Jahren in beängstigendem Maß zurückgegangen ist (so gibt
es kaum noch Seminare zur Vermittlung des Interessengegensatzes von
Lohnarbeit und Kapital). Ohne diese Grundkenntnisse wird es schwer,
beispielsweise für eine Konversion der Rüstungsindustrie zu argumentieren.
Zurzeit läuft die Konversion eher in die entgegengesetzte Richtung (von
Autowerken zu Rüstungswerken).

 

Die wachsende Militarisierung in Deutschland und der EU wird zwar mit dem
Ukrainekrieg befördert, ihre zentrale Ursache liegt aber in der
kapitalistischen Krise. Überhaupt müssen wir immer wieder neu eine zentrale
Erkenntnis der Arbeiter:innenbewegung vermitteln und mit aktuellen
Beispielen untermauern: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die
Wolke den Regen“ (Jean Jaurès). Es gilt also, in den Gewerkschaften und weit
darüber hinaus, den Kapitalismus zu erklären und nicht zu meinen, wir
könnten die Welt friedlicher machen, ohne die zentrale Aufgabe des Bruchs
mit diesem System anzugehen.

 

 

5.5.2025

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 4/2025 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

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[1] https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_foreign_adversaries
[https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_foreign_adversaries]. Letzte
Aktualisierung am 8.4.2025. Die Auflistung stammt vom 18.7.2024 und wurde in
Bezug auf Russland am 21. 2.2025 erneuert. Mögliche Strafmaßnahmen lassen
sich also jederzeit daraus ableiten. 

[2]
https://unctadstat.unctad.org/datacentre/dataviewer/US.GoodsAndServicesBpm6
[https://unctadstat.unctad.org/datacentre/dataviewer/US.GoodsAndServicesBpm6
]; weitere Details unter
https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/aus
senhandel/welthandel.html
[https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/au
ssenhandel/welthandel.html]

[3]  Dieses lockere Bündnis der Staaten Brasilien, Russland, Indien und
China wurde 2006 gegründet und 2010 durch Südafrika erweitert. 2024 kamen
Iran, Ägypten, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate und 2025
Indonesien hinzu. Deshalb spricht man heute von BRICS-plus.

[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Tax_Cuts_and_Jobs_Act
[https://en.wikipedia.org/wiki/Tax_Cuts_and_Jobs_Act]. Dieses Gesetz gilt
seit 2018. Es führte zu beachtlichen Einsparungen der Firmen und hohen
Einkommen, hatte aber kaum Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. 

[5]  Siehe dazu die Ausführungen von Michael Roberts:
https://thenextrecession.wordpress.com/2025/04/25/there-will-be-blood/
[https://thenextrecession.wordpress.com/2025/04/25/there-will-be-blood/]

[6]  Der Euro kann den Dollar nicht ersetzen, vor allem weil der
Anleihen-Markt in Europa zu zersplittert ist und der Anteil der Euroländer
am Warenexport auf dem Weltmarkt noch mehr gesunken ist als der der USA,
nämlich zwischen 2006 und 2023 von 32,6 % auf 29,05 %.

[7]  Der vermehrte Ersatz lebendiger Arbeit durch tote Arbeit (also
Maschinen) lässt die Mehrwertrate und darüber die Profitrate sinken. Mehr
dazu in Karl Marx, /Das Kapital/, speziell im dritten Abschnitt von Bd. III.

-------------- nächster Teil --------------
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