BKA-Studie: Vorratsdatenspeicherung erhöht Aufklärungsquote bestenfalls um 0,06%
Patrick Breyer
presse at vorratsdatenspeicherung.de
Fr Feb 10 10:30:55 CET 2012
Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom
10.02.2012:
BKA-Studie: Vorratsdatenspeicherung erhöht Aufklärungsquote
bestenfalls um 0,06%
Um gerade einmal 0,06 Prozent könnte ein Gesetz zur verdachtslosen
Vorratsspeicherung aller unserer Telefon-, Handy-, E-Mail- und
Internetverbindungen die polizeiliche Aufklärungsquote erhöhen. Dies
ist aus den Ergebnissen einer Studie des Bundeskriminalamts
abzuleiten. Die von der Bundesjustizministerin vorgeschlagene
kurzfristige Vorratsspeicherung der Identität von Internetnutzern
(IP-Adressen) würde sogar ohne jegliche Auswirkung auf die
Aufklärungsquote bleiben.
Nach der letzte Woche veröffentlichten Studie des Bundeskriminalamts
konnten im Zeitraum vom 2. März 2010 bis 26. April 2011 genau 3962
Straftaten wegen fehlender Telekommunikationsdaten nicht oder nicht
vollständig aufgeklärt werden, darunter vor allem Betrugsdelikte.[1]
Bezogen auf die 5,9 Millionen jährlich registrierten Straftaten
hätte eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten
die Aufklärungsquote dementsprechend von zuletzt 56 Prozent[2] (ohne
Vorratsdatenspeicherung) auf gerade einmal 56,06 Prozent erhöhen
können! Eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung hätte also keinen
merklichen Einfluss auf die Aufklärungsquote, wie bereits das Max-
Planck-Institut festgestellt hat.[3]
"Es ist ein offensichtlich unverhältnismäßiger Eingriff in unsere
Grundrechte, das Kommunikations- und Bewegungsverhalten der gesamten
Bevölkerung zu protokollieren, um die Aufklärungsquote um minimale
0,06 Prozent steigern zu können", kommentiert Werner Hülsmann vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Die von
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagene
einwöchige Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen wäre laut
Bundeskriminalamt gar vollkommen untauglich gewesen: Erst ab einer
Speicherfrist von einem Monat wären laut BKA 236 zusätzliche IP-
Adressen zuzuordnen gewesen,[4] was die Aufklärungsquote allenfalls
um kaum messbare 0,004 Prozent hätte erhöhen können."
Laut Bundeskriminalamt handelte es sich bei den 3962 unaufgeklärten
Fällen vor allem um Betrug und Weitergabe kinderpornografischer
Darstellungen über das Internet. Bei diesen Delikten werden aber
schon ohne Vorratsdatenspeicherung weit über dem Durchschnitt
liegende Aufklärungsquoten von 74 Prozent (Internetbetrug) bzw. 84
Prozent (Kinderpornografie im Internet) erzielt.[5] Dass zusätzliche
Daten weiter führen würden, ist gerade bei professionellen
Internetbetrügern und Pädophilen unwahrscheinlich, weil diese ihre
Identität im Netz (IP-Adresse) mithilfe von Internetcafés,
ausländischen Anonymisierungsdiensten, anonymen Prepaidkarten oder
offenen WLAN-Internetzugängen häufig verschleiern. Tatsächlich
werden laut Max-Planck-Institut 72 Prozent der Ermittlungsverfahren
mit erfolgreicher Verkehrsdatenabfrage gleichwohl eingestellt.[6] Es
ist also vollkommen offen, ob die vom BKA angestrebten zusätzlichen
Datenauskünfte zur Überführung auch nur eines Straftäters geführt
hätten.
"Eine Vorratsspeicherung der Identität aller 52 Millionen
Internetnutzer, wie sie die Bundesjustizministerin vorschlägt, würde
die Aufklärung von Internetdelikten umgekehrt sogar erschweren, weil
Straftäter dann verstärkt auf selbst im Verdachtsfall nicht
überwachbare Kommunikationskanäle ausweichen würden", warnt Kai-Uwe
Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Nach Einführung
der sechsmonatigen Vorratsspeicherung im Jahr 2009 ist die
Aufklärungsquote bei Internetdelikten bereits von 79,8 Prozent auf
75,7 Prozent zurückgegangen.[7] Die Konsequenz aus den nun
vorliegenden Fakten kann für die Ministerin nur sein, ihren
Vorschlag der IP-Vorratsdatenspeicherung wieder vom Tisch zu
nehmen."
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnt, dass eine
Vorratsspeicherung aller Internetidentitäten (IP-Adressen) für
technisch unbedarfte Bürger das Ende der Anonymität im Internet
bedeuten würde. Sie würde es unbescholtenen Bürgern unmöglich
machen, das Internet durch Wahl eines datenschutzfreundlichen
Internet-Zugangsanbieters frei vom Risiko staatlicher Beobachtung
(z.B. auch wegen eines falschen Verdachts), missbräuchlicher
Offenlegung durch Mitarbeiter des Anbieters (Telekom-Skandal) und
versehentlichen Datenverlustes (z.B. T-Mobile-Datenverlust) zu
nutzen. Dadurch hätte ein Zwang zur IP-Vorratsdatenspeicherung
unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität
überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen
zu lassen (z.B. Opfer und Täter von Gewalt- oder Sexualdelikten),
ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände
bekannt zu machen (Presseinformanten, anonyme Strafanzeigen). Wer
Menschen in Not den geschützten und anonymen Zugang zu Hilfe und
Beratung verwehrt (z.B. Aidsberatung), setzt Menschenleben aufs
Spiel![8]
Nachweise:
[1]
<https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Mindestspeicherfrist/studie.pdf?__blob=publicationFile>
[2]
<http://www.bka.de/nn_193232/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pksJahrbuecher/pks2010,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/pks2010.pdf>
[3]
<https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/20120127_MPI_Gutachten_VDS_Langfassung.pdf?__blob=publicationFile>
[4]
<https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Mindestspeicherfrist/studie.pdf?__blob=publicationFile>,
Seite 14
[5]
<http://www.bka.de/nn_193232/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pksJahrbuecher/pks2010,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/pks2010.pdf>,
Seite 255
[6]
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/schriftsatz_2008-03-17.pdf>,
Seite 2
[7]
<http://www.bka.de/nn_193232/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pksJahrbuecher/pks2009,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/pks2009.pdf>,
Seite 243
[8]
<http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Bericht_Sicherheit-vor-Sammelwut.pdf>
Diese Pressemitteilung im Internet:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/539/79/lang,de/>
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