Regierung unterdrückt Forschungsergebnisse: Bürgerrechtler fordern unabhängige Überwachungsforschung
presse at vorratsdatenspeicherung.de
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Di Apr 24 22:39:45 CEST 2012
Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 24.04.2012:
Regierung unterdrückt Forschungsergebnisse: Bürgerrechtler fordern
unabhängige Überwachungsforschung
Das Bundesjustizministerium hat 2007 massiv politischen Einfluss auf
einen kritischen Forschungsbericht zur damals geplanten
Vorratsdatenspeicherung genommen. Als Konsequenz fordert der
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Schaffung einer nur dem
Bundestag unterstellten unabhängigen Grundrechteagentur zur
systematischen Überprüfung aller Überwachungsgesetze.
Wie das ZDF-Magazin „Frontal21“ heute berichtete,[1] hat das
Bundesjustizministerium 2007 einen kritischen Forschungsbericht geheim
gehalten, bis der Bundestag das verfassungswidrige Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung verabschiedet und die Wissenschaftler ihre
Kritik daran abgeschwächt hatten. Aus heute vom AK Vorrat erstmals
veröffentlichten Aktenauszügen[2] ergibt sich, dass sich das mit dem
Forschungsprojekt beauftragte Max-Planck-Institut für internationales
und ausländisches Strafrecht gegenüber dem Bundesjustizministerium als
Auftraggeber massiv für seine inhaltlichen Aussagen und
Schlussfolgerungen zur staatlichen
Telekommunikationsverbindungsüberwachung rechtfertigen musste. Praktisch
jede Seite des Entwurfs des Abschlussberichts der Forscher wurde vom
Bundesjustizministerium scharf kritisiert, Empfehlungen der
Wissenschaftler wurden als „inakzeptabel“ verworfen. An den ersten 10
Seiten allein haben Bürokraten des Ministeriums über 40 Kritikpunkte
angebracht und einen großen Teils der vereinbarten Vergütung
zurückgehalten, solange die Forscher nicht ihren Abschlussbericht änderten.
Das Forschungsinstitut hat dem politischen Druck teilweise nachgegeben
und seine Kritik an der geplanten Vorratsdatenspeicherung deutlich
entschärft:
1. Dass die Vorratsdatenspeicherung „annähernd 300 Millionen
Menschen“ betreffen sollte, erschien in der Endfassung des
Forschungsberichts nicht mehr.
2. Dass im Internet Daten über „persönliche Präferenzen“ anfallen,
wurde ebenfalls gestrichen.
3. Dass heimliche Ermittlungsmaßnahmen „unerlässlich“ seien, wurde
plötzlich als „international konsentiert“ dargestellt.
4. Das Volkszählungsurteil war in der Endfassung des
Forschungsberichts kein Hindernis für eine verdachtslose
Vorratsdatenspeicherung mehr.
5. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat ihre Ziele in
der Endfassung des Forschungsberichts nicht mehr „deutlich verfehlt“,
sondern nur „noch nicht erreicht“.
6. Die Verbindungsdatenabfrage war in der Endfassung des
Forschungsberichts nicht mehr „auf dem Wege zu einer
Routineermittlungsmaßnahme“.
7. Die Funkzellenabfrage wies zuletzt plötzlich nicht mehr „deutliche
Merkmale der Rasterfahndung“ auf.
Aus dem vom AK Vorrat veröffentlichten Aktenauszug ergibt sich außerdem,
dass das Bundesjustizministerium der Projektleiterin des
Forschungsinstituts im Juni 2007 untersagte, Schaubilder zu
veröffentlichen, die den dramatischen Anstieg der staatlichen
Identifizierung von Internetnutzern (IP-Adressen) schon ohne
Vorratsdatenspeicherung offenbart hätten. Diese Schaubilder könnten
„nicht für eine Veröffentlichung genehmigt werden“, weil
„rechtspolitische Bedenken“ gegen eine Veröffentlichung „zum jetzigen
Zeitpunkt“ bestünden, beschied das Bundesamt für Justiz.[3] 2007
protestierten Zehntausende gegen die geplante Vorratsspeicherung aller
Telefon- und Internetverbindungsdaten.
„Ich bin entsetzt darüber, wie politisch gesteuert vermeintlich
unabhängige Ergebnisse regierungsfinanzierter Überwachungsforschung in
Deutschland sind“, kommentiert Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung. „Politisch unliebsame Forschungsergebnisse
wurden von der damaligen schwarz-roten Bundesregierung zensiert und bis
nach der Verabschiedung von Überwachungsgesetzen geheim gehalten – ein
Skandal! Eine unabhängige Überprüfung aller bestehenden
Überwachungsbefugnisse in Hinblick auf ihre Wirksamkeit,
Verhältnismäßigkeit, Kosten, schädliche Nebenwirkungen und Alternativen,
wie sie zehntausende von Bürgern auf unseren jährlichen Demonstrationen
gegen Überwachungswahn fordern,[4] ist unter diesen Bedingungen nicht
möglich. Wir fordern den Bundestag daher auf, eine neu zu schaffende,
unabhängige Grundrechteagentur mit dieser Aufgabe zu betrauen. Außerdem
müssen Entwurfsfassungen von Forschungsberichten künftig sofort und
unverändert veröffentlicht werden.“
Nachdem das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 2010 für
verfassungswidrig erklärt worden ist, arbeitet das
Bundesjustizministerium aktuell an der Wiedereinführung einer
verdachtslosen Vorratsspeicherung der Internet-Verbindungsdaten
sämtlicher Bürger Deutschlands.[5]
Weitere Informationen:
- Auszüge aus der Akte von Bundesamt/Bundesministerium der Justiz (23 MB):
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/BMJ-MPI-Aktenauszug.pdf>
- Gegenüberstellung der ursprünglichen und der veröffentlichten Fassung
des Forschungsberichts zur Auskunftserteilung über
Telekommunikationsverbindungsdaten:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/BMJ-MPI-Gegenueberstellung.pdf>
- Veröffentlichte Fassung des Forschungsberichts zur Auskunftserteilung
über Telekommunikationsverbindungsdaten:
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/084/1608434.pdf>
Fußnoten:
[1] <http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1627280>
[2] <http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/BMJ-MPI-Aktenauszug.pdf>
[3]
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/BMJ-MPI-Aktenauszug.pdf#page=134>,
Seite 134
[4] <http://blog.freiheitstattangst.de/unsere-forderungen/>
[5] <http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/574/189/lang,de/>
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