Vorratsdatenspeicherung: Bundesdatenschutzbeauftragte warnt vor "detaillierter Überwachung" und "engmaschigen Bewegungsprofilen"

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung presse at vorratsdatenspeicherung.de
Mo Jan 14 09:26:10 CET 2019


Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 14.
Januar 2019:

Vorratsdatenspeicherung: Bundesdatenschutzbeauftragte warnt vor
"detaillierter Überwachung" und "engmaschigen Bewegungsprofilen"

Die inzwischen abgelöste Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff
(CDU) hält das schwarz-rote Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung
aller Verbindungs-, Bewegungs- und Internetzugangsdaten für
verfassungswidrig. Dies ergibt sich aus ihrer Stellungnahme an das
Bundesverfassungsgericht, die dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
vorliegt.[1]

"Eine effektivere Strafverfolgung und Wahrheitsermittlung im
Strafverfahren wird durch die Vorratsdatenspeicherung [...] nicht
erreicht", erklärt Voßhoff unter Verweis auf zahlreiche
Umgehungsmöglichkeiten für organisierte Kriminalität. Dagegen
ermöglichten es die flächendeckend zu speichernden Internetzugangsdaten
in Verbindung mit weiteren Informationen, "über mehrere Wochen das
Surfverhalten der Internetnutzer bei den jeweiligen Telemediendiensten
äußerst detailliert [zu] überwachen". Vosshoff fordert deshalb die
Einführung eines Richtervorbehalts für die Identifizierung von
Internetnutzern (sog. Bestandsdatenauskünfte zu IP-Adressen).

Bei Vorratsdatenspeicherung des Aufenthaltsorts von Smartphone-Nutzern
könne schon die bloße Anwesenheit bei einer Demonstration zu einer
Erfassung von Demonstranten als "Prüffall" führen, warnt die
Datenschutzbeauftragte. Das Bundeskriminalamt sammele bereits heute in
großer Zahl Aufenthaltsdaten aus Funkzellenabfragen der Länder in einer
zentralen Datenbank und gleiche sie miteinander ab. Ein
Mobilfunkanbieter stelle alle 15 Minuten automatisch eine neue
Internetverbindung her, bei der jeweils die aktuelle Funkzelle
gespeichert werde. Die Vorratsdatenspeicherung ermögliche auf diese
Weise "die Erstellung engmaschiger Bewegungsprofile" über einen Zeitraum
von vier Wochen.

Die Sicherheit von Vorratsdaten sei zudem nicht gewährleistet. Gerade
kleine und mittelständige TK-Anbieter verfügten nach Erfahrung der
Bundesdatenschutzbeauftragten "regelmäßig nicht über die personellen,
räumlichen und finanziellen Möglichkeiten zur Einhaltung der
Anforderungen" zur Datensicherheit. Als Telekommunikationsanbieter bei
Datenanforderungen auf Einhaltung der Gesetze durch Strafverfolger zu
bestehen, ziehe immer wieder das "In-Aussicht-stellen einer
Verfahrenseinleitung wegen Strafvereitlung sowie die Ankündigung,
Vorstandsmitglieder zu einer Zeugenvernehmung vorzuladen", nach sich,
berichtet Voßhoff.

Auch der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr.
Dieter Kugelmann kritisiert das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung
gegenüber dem Verfassungsgericht:[2] "Damit ist die totale und heimliche
Erfassbarkeit praktisch aller den täglichen Freiheitsgebrauch
betreffenden personenbezogenen Daten durch die Sicherheitsbehörden
grundsätzlich in den Bereich des Möglichen gerückt." Gesetze wie die
Vorratsdatenspeicherung seien verfassungswidrig, weil sie im
Zusammenspiel mit weiteren Eingriffen wie der Fluggastdatenspeicherung
"die Schwelle zur Option der Totalüberwachung überschreiten".

Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Thomas Petri weist
die Verfassungsrichter darauf hin, dass die Genauigkeit der auf Vorrat
zu speichernden Standortdaten wegen der IPv6-Technik und immer kleinerer
Funkzellen weiter steige. Nach eindeutigen Urteilen des Europäischen
Gerichtshofs zur Unzulässigkeit einer flächendeckenden
Vorratsdatenspeicherung hält er eine erneute Befassung des luxemburger
Gerichtshofs, die von der Bundesregierung gefordert wird, nicht für
geboten.[3]

Hintergrund: Dem Bundesverfassungsgericht liegen seit 2016
Verfassungsbeschwerden gegen das schwarz-rote Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung vor, unter anderem eine von Digitalcourage und
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung unterstützte Beschwerde.[4] Auch
der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hatte für
das Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gestimmt.
Kurz vor Inkrafttreten der Speicherpflicht Mitte 2017 setzten Gerichte
das Gesetz jedoch bis zur endgültigen Entscheidung wieder aus, weil es
die Grundrechte der ohne Anlass betroffenen Bürger verletze. Das
Bundesverfassungsgericht hat noch keinen Termin zur Verhandlung oder
endgültigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden bekannt gegeben.

Aus Sicht der im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
zusammengeschlossenen Datenschützer, Bürgerrechtler und Internetnutzer
ist eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsspeicherung von
Telekommunikationsdaten für viele Bereiche der Gesellschaft höchst
schädlich: Sie beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen,
in denen Menschen auf Vertraulichkeit angewiesen sind (z.B. Kontakte zu
Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Eheberatern,
Kinderwunschzentren, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen
Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische
Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen aus
ihrem Umfeld. Wenn Journalisten Informationen elektronisch nur noch
überrückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet dies die
Pressefreiheit und beeinträchtigt damit elementare Funktionsbedingungen
einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Die
verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft
Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen
über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen.
Telekommunikationsdaten sind außerdem besonders anfällig dafür, von
Geheimdiensten ausgespäht zu werden und Unschuldige ungerechtfertigt
strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen.

Fußnoten:
[1] Stellungnahme der ehem. Bundesdatenschutzbeauftragten:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/vb_bfdi_2018.pdf
[2] Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Landesdatenschutzbeauftragten:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/vb_ldi-rlp_2018.pdf
[3] Stellungnahme des bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/vb_lfd-by_2018-03-26.pdf
[4] Beschwerdeschrift gegen Vorratsdatenspeicherung:
<https://digitalcourage.de/sites/default/files/users/161/digitalcourage-verfassungsbeschwerde-gegen-vds.pdf>



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