Bayern und Bundesregierung uneins über Vorratsdatenspeicherung

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung presse at vorratsdatenspeicherung.de
Do Feb 7 12:13:06 CET 2019


Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 07.02.2019

Bayern und Bundesregierung uneins über Vorratsdatenspeicherung

Die Bundesregierung hält das ausgesetzte Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung für unbedenklich – doch der bayerische
Innenminister Dr. Herrmann widerspricht. Dies ergibt sich aus
Stellungnahmen an das Bundesverfassungsgericht, die der Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung erstmals veröffentlicht.

Die Bundesregierung stellt sich in ihrer Stellungnahme[1] auf den
Standpunkt, ihr Gesetz aus dem Jahr 2015 sehe keine ,,allgemeine und
unterschiedslose Vorratsspeicherung“ vor, die der Europäische
Gerichtshof verboten hat. Von einer „persönlich oder geografisch eng
eingegrenzten Speicherpflicht“ würde umgekehrt sogar „eine erhebliche
Stigmatisierungswirkung für die Betroffenen ausgehen“.

Dagegen schreibt der bayerische Innenminister dem
Bundesverfassungsgericht, einzelne Abstriche bei der
Vorratsdatenspeicherung könnten „nichts daran ... ändern, dass die
Datenspeicherung grundsätzlich anlasslos, generell und damit
flächendeckend zu erfolgen hat und somit den Regelfall und nicht die
Ausnahme darstellt“.[2] Es würden „auch Personen umfasst, bei denen in
den Worten des Europäischen Gerichtshofs ‚keinerlei Anhaltspunkt dafür
besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder
entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte‘“.
Fraglich erscheine auch, „ob eine Verkehrsdatenerhebung in Gestalt der
Funkzellenabfrage … insoweit mit den Vorgaben des Europäischen
Gerichtshofs vereinbar ist, nachdem dort zwangsläufig auch die Daten
unbeteiligter Dritter abgefragt werden“. IP-Adressen könnten zudem
entgegen den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs „auch bezüglich
solcher Personen gespeichert und abgerufen werden ..., die nicht einer
‚schweren Straftat‘ verdächtig sind“.

Gleichwohl fordert neben der Bundesregierung auch Bayern eine weitere
Entscheidung aus Luxemburg, weil „die Maßstäbe der [letzten]
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs … durchaus zu hinterfragen“
seien. Das bayerische Landeskriminalamt verwende Kommunikationsdaten
nicht für „Data Mining“, „Predictive Analytics“ oder „automatisierte
Mustererkennung“.

Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp und Prof. Dr. Frank Josef Braun, die eine
von Digitalcourage und Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung initiierte
Verfassungsbeschwerde vertreten, ermuntern das Bundesverfassungsgericht
in ihrer Erwiderung[3] dagegen zu einer „Fortentwicklung“ seines Urteils
aus dem Jahr 2010. Damals hatte das Gericht eine Vorratsdatenspeicherung
noch „mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar“ angesehen.

Mehr als acht Jahre nach dieser Entscheidung habe sich die Situation
dramatisch verändert. Heute werde „jeder Klick und jede Eingabe im Netz
protokolliert“. Das Parlament „strebt schrittweise eine immer weiter
reichende Erfassung und Registrierung der Freiheitswahrnehmung seiner
Bürger ohne jeden Anlass an“. Es gelte, „ein Übergreifen des Prinzips
einer permanenten, flächendeckenden Datensammlung ins Blaue hinein auf
immer weitere Lebensbereiche“ zu verhindern. Das
Bundesverfassungsgericht dürfe sich vom europäischen Niveau des
Grundrechtsschutzes nicht „abhängen“ lassen.

Hintergrund: Dem Bundesverfassungsgericht liegen seit 2016
Verfassungsbeschwerden gegen das schwarz-rote Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung vor, unter anderem eine von Digitalcourage und
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung unterstützte Beschwerde. Kurz vor
Inkrafttreten der Speicherpflicht Mitte 2017 setzten Gerichte das Gesetz
bis zur endgültigen Entscheidung wieder aus, weil es die Grundrechte der
ohne Anlass betroffenen Bürger verletze. Das Bundesverfassungsgericht
hat noch keinen Termin zur Verhandlung oder endgültigen Entscheidung
über die Verfassungsbeschwerden bekannt gegeben.

Aus Sicht der im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
zusammengeschlossenen Datenschützer, Bürgerrechtler und Internetnutzer
ist eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsspeicherung von
Telekommunikationsdaten für viele Bereiche der Gesellschaft höchst
schädlich: Sie beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen,
in denen Menschen auf Vertraulichkeit angewiesen sind (z.B. Kontakte zu
Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Eheberatern,
Kinderwunschzentren, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen
Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische
Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen aus
ihrem Umfeld. Wenn Journalisten Informationen elektronisch nur noch über
rückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet dies die
Pressefreiheit und beeinträchtigt damit elementare Funktionsbedingungen
einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Die
verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft
Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen
über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen.
Telekommunikationsdaten sind außerdem besonders anfällig dafür, von
Geheimdiensten ausgespäht zu werden und Unschuldige ungerechtfertigt
strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen.

Fußnoten/Nachweise:
[1] Stellungnahme der Bundesregierung:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/vb_breg_2018-05-15.pdf
[2] Stellungnahme des bayerischen Innenministers:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/vb_by_2018-04-03.pdf
[3] Erwiderung der Beschwerdeführer:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/bf_an_bverfg_vds_2018-12-03.pdf>


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