[IPK] Griechenland: Die Lohnabhängigen der /Eleftherotypia/ sind wieder da -- mit ihrer eigenen Zeitung!

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So Mai 20 21:08:21 CEST 2012


Griechenland:
Die Lohnabhängigen der /Eleftherotypia/ sind wieder da -- mit ihrer eigenen
Zeitung!
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Die Lohnabhängigen der /Eleftherotypia/, einer der größten und bedeutendsten
Tageszeitungen Griechenlands, starten mit der Herausgabe ihrer eigenen
Zeitung, der /Eleftherotypia der Lohnabhängigen/! 


Von Moisis Litsis


Seit dem 15. Februar hängt an allen Kiosken im ganzen Land neben den
gängigen Zeitungen eine, die von den Lohnabhängigen selbst geschrieben wird.
Eine Zeitung, die nicht nur über den Kampf ihrer eigenen Angestellten
informiert, sondern auch ein umfassendes Informationsorgan sein will gerade
heute, wo sich Griechenland in einer sehr schwierigen Lage befindet.

Die 800 Lohnabhängigen der Firma X. K. Tegopoulos, der Herausgeberin der
Zeitung, von den JournalistInnen über die TechnikerInnen bis zum
Reinigungspersonal und zu den Hauswarten befinden sich seit dem 22. Dezember
2011 in einem unbefristeten Streik, weil ihnen seit letztem August keine
Löhne mehr ausbezahlt wurden!

Als die Lohnabhängigen der /Eleftherotypia /erfuhren, dass ihr Unternehmer
die Anwendung von Art. 99 des Konkursgesetzes beantragt, um sich so vor
seinen Gläubigern zu schützen -- in Tat und Wahrheit vor seinen
Lohnabhängigen, denen er rund 7 Millionen Euro an nicht bezahlten Löhnen
schuldet! -- beschlossen sie, parallel zu den Mobilisierungen und
gerichtlichen Klagen ihre eigene Zeitung herauszugeben. Sie wird über das
Verteilernetz in ganz Griechenland für 1 EUR (anstatt 1,30 EUR der anderen
Zeitungen) verkauft, um so die Streikkasse zu füllen.

Da die Lohnabhängigen seit August keinen Lohn mehr erhalten haben, werden
sie von mehreren Organisationen und sogar von Einzelpersonen unterstützt,
die Geld oder Sachen spenden (Nahrungsmittel, Decken usw.). Ihr Streik ist
allein mit der Herausgabe ihrer Zeitung und mit dem Verkaufserlös, das
heißt, auch ohne zusätzliche Hilfe gesichert. Sie gehen in Richtung
Selbstverwaltung.

Am Anfang wurde die Zeitung in einem befreundeten Betrieb quasi geheim
produziert. Als die Direktion erfuhr, dass die JournalistInnen weitermachen,
wurde zuerst die Heizung, dann die ganze Anlage abgestellt, auf der die
RedakteurInnen ihre Artikel geschrieben hatten und schließlich wurde der
ganze Betrieb geschlossen, doch die Büros der Zeitung sind nach wie vor
zugänglich. Die /Eleftherotypia der Lohnabhängigen/ wird mit Hilfe der
Zeitungsgewerkschaften in einer anderen Druckerei gedruckt, weil die
DruckerInnen der eigenen Druckerei ihre Arbeitsplätze nicht besetzen
wollten.

Die Direktion droht mit Klagen, da sie sich vor dem Echo fürchtet, das die
selbstverwaltete Herausgabe der Zeitung auslösen könnte. Sie versucht
einzuschüchtern, indem sie droht, die Redaktionsmitglieder zu entlassen, die
von der Streikvollversammlung völlig demokratisch gewählt worden sind. Doch
das griechische Publikum und keineswegs bloß die Leserinnen und Leser der
/Eleftherotypia /wartet neugierig auf die nächste Ausgabe. Wir wurden von
Botschaften überschwemmt, die die Journalisten dazu ermuntern, die Zeitung
allein herauszugeben. Denn die Diktatur der Märkte ist an die Diktatur der
Medien gekoppelt, die die griechische Realität undurchsichtig gemacht hat.
Wenn die Medien 2010 der Unterzeichnung des ersten Memorandums durch die
Regierung Papandreou nicht in ihrer Mehrheit zugestimmt hätten -- mit der
Begründung, es gebe keine Alternative --, dessen Scheitern heute von allen
anerkannt wird, hätte sich das griechische Volk vielleicht früher gegen eine
Politik gewehrt, die für ganz Europa eine Katastrophe ist. 

Es gibt nicht nur /Eleftherotypia. /In Dutzenden von Privatbetrieben werden
seit langem keine Löhne mehr bezahlt, die Aktionäre haben sich von ihnen
abgewandt und hoffen auf bessere Zeiten ... Bei der Presse ist es sogar noch
schlimmer. Wegen der Krise gewähren die Banken den Unternehmen keine Kredite
mehr und die Unternehmer wollen nicht aus eigenem Sack bezahlen. Sie greifen
lieber zu Art. 99 -- mindestens 100 börsennotierte Gesellschaften haben dies
bereits getan --, um bis zu einem eventuellen Staatsbankrott und bis zum
wahrscheinlichen Austritt aus der Euro-Zone Zeit zu gewinnen. 

/Eleftherotypia/ [1] wurde 1975, im Jahr der Radikalisierung nach dem Sturz
der Diktatur von 1974, als "Zeitung ihrer Redakteure" gegründet. Heute, in
einer Zeit der neuen "Diktatur der internationalen Kreditgeber", wollen die
Lohnabhängigen der /Eleftherotypia /zum leuchtenden Beispiel für eine völlig
andere Information werden. Sie tun dies, indem sie dem "Terror" der
Unternehmer und der Medienbarone Widerstand leisten, die keinesfalls
zulassen wollen, dass die Lohnabhängigen das Schicksal der Information
selber bestimmen.


Moisis Litsis ist Wirtschaftsjournalist und Redaktionsmitglied bei der
Eleftherotypia der Lohnabhängigen sowie Ersatzmitglied im Verwaltungsrat der
Journalistengewerkschaft Griechenlands (ESHEA).
Übersetzung: Ursi Urech



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Aus:   Inprekorr Nr. 3/2012    (Internationale Pressekorrespondenz)
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[1]  Griechisch für: "Pressefreiheit" -- d. Red.



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