[IPK] Büros der Vierten Internationale: Nein zum Diktat der Troika, Solidarität mit dem griechischen Volk

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Sa Jul 4 15:33:49 CEST 2015


Griechenland:

Nein zum Diktat der Troika, Solidarität mit dem griechischen Volk

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Diese Erklärung wurde vom Sekretariat des Büros der Vierten Internationale
am 29. Juni 2015 herausgegeben.

 

 

 

Die Ankündigung einer Volksabstimmung am 5. Juli durch Alexis Tsipras, in
der die Wählerschaft aufgefordert wird, den Entwurf eines Abkommens der
Troika zurückzuweisen, ist eine gute Nachricht für das griechische Volk und
für alle, die in Europa gegen die Sparpolitik kämpfen. Wir hoffen, dass am
Sonntagabend ein massives "Nein" zum europäischen Diktat aus den Wahlurnen
fallen wird.

 

Die Führer der EU haben damit noch einmal ihre Bereitschaft gezeigt, auf den
Grundrechten der griechischen Bevölkerung herumzutrampeln, indem sie
versuchen, ihnen ein solch schändliches Abkommen aufzuzwingen. Darüber
hinaus wagen sie es zu behaupten, dass die griechische Regierung eine rote
Linie überschritten habe, indem sie eine demokratische Befragung der
Bevölkerung in einem Referendum angekündigt hat. Die Herausforderung der
kommenden Tage ist entscheidend für Griechenland und ganz Europa. Alle
Kräfte der Arbeiterbewegung müssen solidarisch sein angesichts des
Frontalangriffs gegen die griechischen Menschen. Um ihre reaktionären
Institutionen und Banken zu retten, werden die europäischen Staats- und
Regierungschefs der Rechten und der Sozialdemokratie alle Anstrengungen
unternehmen, um die Möglichkeit einer "Nein"-Entscheidung  durch die
griechische Wählerschaft zu bekämpfen und versuchen, die Tsipras-Regierung
zur Kapitulation oder zum Rücktritt zu zwingen.

 

Sechs Monate lang waren die Ziele von EU und IWF einfach: Sie konnten nicht
akzeptieren, dass die griechische Regierung sich nicht ihren Forderungen
beugte, dass sie nicht kapitulierte und dem griechischen Volk neue
Sozialkürzungen, eine Rentenreform und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf
Waren des täglichen Verbrauchs und Energie auferlegte. Es kommt für die
europäischen Staats- und Regierungschefs nicht in Frage, dass ein Land sich
der Politik entzieht, die von den Kapitalisten, den Banken und den
Regierungen verfolgt wird, eine Politik des grenzenlosen Sozialabbaus. Daher
war es für Merkel, Hollande, Lagarde und Juncker wichtig, den anderen
Völkern Europas zu zeigen, dass es keine alternative Politik gibt, und um
auch zu zeigen, dass, unabhängig von ihrem Wahlentscheidungen in ihren
jeweiligen Ländern, demokratische Rechte dort ihre Grenze finden, wo das
allmächtige kapitalistische System beginnt.  Daher war es notwendig, auch
auf dem griechischen Volk klarzumachen, dass die mehrheitliche Wahl einer
Partei, die weiteren Sozialabbau ablehnt, nur in Scheitern oder Kapitulation
enden konnte und dass Tsipras entweder zurücktreten oder einer schändlichen
Vereinbarung zustimmen sollte, die seine Partei zerbrechen und ihn selbst in
ein Bündnis mit Sozialdemokratie und Rechten treiben sollte.

 

Durch die Wahl von Syriza am 25. Januar drückte die griechische Wählerschaft
klar ihre Ablehnung des Anstiegs von Armut und Arbeitslosigkeit seit 2010
aus.

 

Ein Drittel der Bevölkerung und zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner
leben unterhalb der Armutsgrenze, 28% der Arbeiterinnen und Arbeiter, 60%
der Jugendlichen sind arbeitslos. Das ist das Ergebnis der
Memorandum-Politik der Troika; es ist dieses unerträgliche Leben, dem das
griechische Volk durch die Abwahl der Parteien, die sie in diese Katastrophe
geführt haben, ein Ende setzen wollte.

 

Sechs Monate lang hat Tsipras ein unmögliches Ziel verfolgt: ein Abkommen
mit EU, EZB und IWF zu erreichen, das keine neuen Leiden für das griechische
Volk bedeuten würde; die pünktliche Zahlung aller Schuldenverpflichtungen
ohne verstärkte Sparpolitik; die Einhaltung der Verpflichtungen, die von
Syriza gegenüber der Wählerschaft und von den früheren griechischen
Regierungen gegenüber der Troika gemacht wurden. Am 20. Februar glaubten die
Führer der Eurogruppe, sie hatten das Spiel gewonnen, als Tsipras eine
Vereinbarung über neue Sparmaßnahmen akzeptierte, nachdem er sagte, er würde
alle Fristen für die Zahlung der Schulden gegenüber EZB und IWF einhalten.
Seitdem hat sich die griechische Regierung durch widersprüchliche
Entscheidungen manövriert: die Verpflichtung, zu einem Mindestlohn von 750
Euro zurückzukehren und die Wiederherstellung der Tarifverträge wurden
verschoben, die Privatisierung des Hafens von Piräus geht weiter, aber die
Regierung hat ERT wieder geöffnet, das griechische öffentlich-rechtliche
Fernsehen, dessen Schließung unter der Samaras-Regierung die durch die
europäischen Banken und die EU erzwungene Demütigung symbolisiert hatte. Und
im März verabschiedete das Parlament ein Gesetz gegen die humanitäre Krise
und ein weiteres zu den rückständigen Steuerzahlungen. Aber angesichts der
zunehmenden Arroganz der europäischen Staats- und Regierungschefs und unter
Berücksichtigung des Drucks der Bevölkerung und des Widerstand von
Abgeordneten und Mitgliedern der Syriza, hat Tsipras die Forderungen der
Troika, insbesondere eine Kürzung der Renten und Erhöhungen der
Mehrwertsteuer, nicht akzeptiert. 

 

Schließlich wurde keine Vereinbarung zwischen der griechischen Regierung und
ihren "Gläubigern" unterzeichnet. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungen
weigerte sich die Regierung am 5. Juni zum ersten Mal, die fällige Zahlung
von 300 Millionen Euro an den IWF zuzusagen, und drohte auch an, nicht den
vollen Betrag der im Juni fälligen Zahlung (1,6 Mrd.) zu leisten. Ende Juni
wurde als Termin sowohl für die Zahlung an den IWF als auch für die
Begleichung der letzten Rate des seit neun Monaten von der EZB blockierten
"Rettungsplans" in Höhe von 7,2 Milliarden Euro festgelegt.

 

Tsipras war schließlich nicht in der Lage, die vollständige Kapitulation,
die Lagarde, Hollande, Merkel und Juncker von ihm wollten, zu akzeptieren. 

 

Die Ankündigung des Referendums ist ein Schlag ins Gesicht für die
Regierungen und Institutionen der Europäischen Union. Im November 2011
hatten Sarkozy, Merkel und Barroso den Versuch von George Papandreou, damals
griechischer Ministerpräsident, ein Referendum zu organisieren, um zu
versuchen, politische Unterstützung für seine Kapitulation vor den
Forderungen der EU zu erhalten, mit ihrem Veto gestoppt. Heute haben die
europäischen Staats- und Regierungschefs keine Möglichkeit, eine
demokratische Konsultation zu verhindern, die mit einer Ablehnung der neuen
Diktate der Troika enden muss. 

 

 

JETZT BEGINNT DER ZWEITE AKT

 

In Griechenland und in Europa, werden die politischen Kräfte der
neoliberalen Linken und Rechten ihre Kräfte bündeln, um sicherzustellen,
dass dieses Referendum nicht einen neuen politischen Kurs in Griechenland
eröffnet. Die griechische Regierung war zu Kompromissen bereit, um
Zahlungsverzug und Bruch zu vermeiden. Vor allem aber wollte die Troika,
dass das Abkommen die politische Bedeutung einer Kapitulation Griechenlands
vor seinen Gläubigern haben sollte. Die Dynamik der kommenden Tage kann
einen anderen Weg öffnen, einen Bruch mit den Forderungen der Troika, eine
Einstellung der Schuldenzahlung, das radikale Bekenntnis zu einer
alternativen Politik, die Umsetzung des Programms, durch das Syriza die
Mehrheit gewonnen hatte. Aber das wird eine breite einigende Mobilisierung
der Kräfte der griechischen Arbeiterbewegung erfordern, um die
Sabotageversuche schnell zu blockieren, die bereits begonnen haben. Der
Druck auf die Regierung und das griechische Bankensystem wird sich am
Vorabend des Referendums verschärfen. Bereits in den letzten Tagen hat der
Direktor der griechischen Zentralbank, ein ehemaliger Minister unter
Samaras, einen alarmierenden Bericht mit dem alleinigen Zweck der Erhöhung
der Kapitalflucht aus der griechischen Banken veröffentlicht, obwohl
zwischen November 2014 und März 2015 bereits mehr als 30 Milliarden Euro
abgezogen wurden und der Umfang der privaten Investitionen großer
griechischer Firmen im Ausland jetzt auf mehr als 400 Milliarden geschätzt
wird. Obwohl sie immer noch nicht von der Verstaatlichung des Bankensystems
spricht, hat die Regierung nun Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. 

 

Die vom Parlament beauftragte Wahrheitskommission für die Staatsschulden
berichtete am 18. Juni, neben dem Nachweis des illegitimen und
verabscheuungswürdigen [1] Charakters dieser unmöglichen Schulden, dass
weniger als 10% der "Rettungsdarlehen" in laufende Ausgaben ging und dass
der Großteil deutschen und französischen Banken geholfen hat, sich von ihren
in den vergangenen Jahren abgeschlossenen Krediten  zu lösen. [2] Als
Ergebnis dieses Berichts stimmten 49 Mitglieder der Syriza für eine
Parlamentsdebatte, um die Nichtanerkennung des größeren Teils dieser
verabscheuungswürdigen und illegitimen Schulden zu beschließen. [3]

 

Die Herausforderung der kommenden Tage ist entscheidend für das griechische
Volk und für alle, die in Europa unter der Sparpolitik leiden.

 

Wir müssen eine europaweite Solidaritätsfront mit dem griechischen Volk
aufbauen. All unsere Kraft sollte gegen die Führer der Europäischen Union
und ihre Regierungen gerichtet werden, die, mit einem ausgeprägten Sinn für
die Interessen der Kapitalisten, befürchten, dass das griechische Volk am 5.
Juli seine Ablehnung ihrer Politik der Verachtung und des Sozialabbaus zum
Ausdruck bringen könnte, das zum Beispiel für die Arbeiterklasse in der
gesamten Europäischen Union werden könnte. Sie fürchten auch, dass dieser
Zusammenhang zu erneuten Mobilisierungen der Bevölkerung in Griechenland
führt, so dass es für Manöver wie eine Erdrosselung der Tsipras-Regierung
oder ihren Sturz noch schwieriger wird. Genau wie die jüngsten Erfolge von
Podemos im spanischen Staat mit der Wahl von gegen die Sparpolitik
eingestellten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in mehreren der
wichtigsten Städte des Landes zeigt die griechische Situation, dass soziale
Frustration in Europa auch eine andere politische Antwort finden kann als
die fremdenfeindlichen und faschistischen Lösungen der extremen Rechten.

 

 

 

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Aus: Inprekorr (Online-Ausgabe) Nr. 4/2015  (Internat.Pressekorrp.)

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[1]  Odious debts (auf Deutsch: verabscheuungswürdige Schulden, auch
Diktatorenschulden) ist ein von Alexander Nahum Sack in den 1920er Jahren
entwickelter völkerrechtlicher Begriff. Danach gelten Staatsschulden als
verabscheuungswürdig und illegitim und müssen daher nicht zurückgezahlt
werden, wenn sie ohne Zustimmung oder gegen den Willen der Bevölkerung
zustande gekommen sind und der Kreditgeber davon Kenntnis hatte. [Gekürzt
nach Wikipedia]

[2] Zusammenfassung des Berichts der Schulden-Wahrheitskommission:
http://greekdebttruthcommission.org/wp/?p=75

[3] Syriza-Abgeordnete fordern Parlamentsdebatte über den Bericht der
Schuldenkommission: http://internationalviewpoint.org/spip.php?article4095

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