[IPK] Frankreich: Gelbwesten und Klimaschutz -- ein Lehrstück

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Do Jan 10 21:28:02 CET 2019


Frankreich:

   Gelbwesten und Klimaschutz -- ein Lehrstück

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Im Kampf gegen den Klimawandel setzt der Kapitalismus auf Pseudoreformen,
die die Reichen immer noch reicher machen, während er die Lasten auf die
Arbeiter*innen in Form von Steuern abwälzt, die ihnen den "rechten Weg"
weisen sollen. Die Gelbwestenbewegung aber zeigt uns, dass viele
Arbeiter*innen genug haben von diesen Moralvorschriften, mit denen der
Kapitalismus den Klimawandel vermeiden will. 

 

 

Von Andreas Malm

 

 

Wenn es noch einer Lektion bedürfte, wie man den Klimawandel nicht eindämmen
kann, muss man sich bloß Macron anschauen. Erst die Reichen von der Steuer
entlasten und dann die Benzinsteuern erhöhen -- so stellt man sich selbst
ein Bein auf dem Weg in eine grünere Zukunft. Die kapitalistische
Umweltpolitik hat natürlich bereits in den letzten beiden Jahrzehnten
glänzende Beispiele für solche Pseudoreformen geliefert, die Illusionen
schürten und zugleich kontraproduktiv waren. Dabei haben sie es immer
geschafft, die tatsächlichen Lasten letztlich den Armen aufzubürden, sei es,
dass sie Ackerland für die Erzeugung von Biosprit umwidmeten und so die
Nahrungsmittelpreise nach oben trieben oder dass sie als Kompensation für zu
hohe CO2-Emissionen in Uganda oder in einem anderen fernen Land Bäume
pflanzen und dafür die einheimischen Bauern von ihrem Land vertreiben
ließen. Oder aber den einfachen Verbrauchern im eigenen Land zu erzählen,
dass sie selbst für den zu hohen CO2-Ausstoß verantwortlich seien und sie
daher ihre Konsumgewohnheiten ändern (und dafür zumeist mehr Geld ausgeben)
müssten. Die neueste Wunderwaffe heißt Geo-Engineering und ist geeignet, das
ohnehin schon gefährdete Leben von Millionen von Menschen gänzlich zu
zerstören, nur um noch ein Weilchen länger business-as-usual betreiben zu
können.

 

Der jüngste Held in dieser traurigen Geschichte kapitalistischer
Klimapolitik heißt Macron. Als selbsternannter Hüter des Pariser Abkommens
hat er sich eine Aura als letzter Gralshüter auf der Welt verschafft, der
die Kosten für geringere Emissionen im Auge behält. Aber damit kommt er zu
spät, weil die Art von Regierungspolitik, die er so sehr schätzt, schon
längst ihren Offenbarungseid geleistet hat. Dafür mussten erst die
Gelbwesten auftauchen, um ihn -- zumindest für den Moment -- aus seinen
Träumen zu wecken: Der Klimawandel lässt sich nicht bekämpfen, indem man den
Reichen noch mehr freie Hand lässt, sich weiter zu bereichern, und dann der
lohnabhängigen Bevölkerung die Quittung serviert, damit sie, als einzige
Klasse in dem System, den rechten Weg ergreifen. Das hat so noch nie
funktioniert und wird es auch weiterhin nicht.

 

Leider hält sich diese Illusion noch immer unter der tonangebenden
bürgerlichen Strömung der Umweltschutzbewegung: Grüne Lobbyisten auf dem
COP24 nahmen Macrons Entscheidung, die "Ökosteuer" auf Benzin auszusetzen,
konsterniert zur Kenntnis. "Wenn Frankreich die CO2-Steuer bremst, dann
bremst er die Energiewende und sendet ein ungutes Signal aus", meinte Pierre
Cannet, der Verantwortliche für Klima- und Energiepolitik bei WWF in
Frankreich (wobei der Verband wohl später -- so wie Macron -- bemerkte, dass
er auf dem Holzweg war, und sich in einer Pressemitteilung von dieser Steuer
distanzierte).

 

Maxime Combes von Attac Frankreich hat sehr überzeugend dargelegt [1], dass
diese Steuer völlig ungeeignet ist, so etwas wie eine "Energiewende" auf den
Weg zu bringen. Frankreichs Automobilflotte wäre dadurch nicht frei von
Abgasschwaden geworden, sondern nur die ärmsten unter den Verbraucher*innen
hätten dies in ihrem Portemonnaie zu spüren bekommen, weil sie sich nicht
einfach ein neues, "sauberes" Auto kaufen können. 

 

Nichtsdestotrotz müssen die Autos dringend aus den Straßen verschwinden --
bloß wie? Indem wir zunächst den öffentlichen Personenverkehr in den Städten
und auf dem Land massiv ausbauen, alternative Transportmittel (E-Bikes,
Car-Sharing mit Elektroautos) auf breitester Ebene bereitstellen, private
Benziner und Diesel in den Städten verbieten, die Arbeitsplätze und
Gewerbegebiete wieder in die Stadt zurückholen, um eine weitere Zersiedelung
zu vermeiden und die dann noch notwendigen Fahrzeuge schnell auf
Elektroantrieb umstellen. Kurzum, öffentliche Investitionen und
Planungsschritte, die in Höhe und Zeitrahmen der drohenden Klimakatastrophe
angemessen sind. Dabei wäre es schon hilfreich, in Frankreich und woanders
die Autoindustrie zu zwingen, ihre Produktion nach den Erfordernissen dieses
Strukturwandels umzustellen, so wie dies im II. Weltkrieg der Fall war, als
die US-Industrie Panzer statt Autos produzieren musste.

 

Alle diese Maßnahmen erfordern keinerlei Opfer an Arbeitsplätzen oder
Lebensstandard unter der arbeitenden Bevölkerung, sondern können beides
sogar verbessern, wobei den Superreichen natürlich die Flügel gestutzt
werden müssten. Nun macht Macron nicht gerade den Eindruck, als würden ihn
solche Gedanken beim abendlichen Zubettgehen plagen. Der Präsident der
Reichen lässt lieber andere bis zum Abwinken für die Sünden der Besitzenden
büßen. Aber die Zeiten sind vergangen, in denen derlei Maßnahmen auch nur
den Eindruck erwecken könnten, sie würden am Klimawandel etwas ändern. Mit
anderen Worten: Die Zeit ist um, wo man die kapitalistische Klasse noch in
Frieden lassen kann. Jeder Schritt dorthin, den totalen Klimakollaps zu
vermeiden, erfordert nunmehr, dass wir ihre Paläste stürmen.

 

Darin besteht die zweite und nutzbringendere Lektion der vergangenen Wochen,
nämlich wie wir dafür kämpfen können. Jeder Fortschritt an der "Klimafront"
läuft nur über den Kampf, sei es dass der Verkehr blockiert oder der
Schulunterricht bestreikt wird, Hauptverkehrsstraßen besetzt oder die
umweltschädlichsten aller Konsumformen frontal angegangen werden, nämlich
die demonstrative Verschwendung und die Luxusorgien der Reichen. Oder -- und
warum eigentlich nicht -- die Autos in Brand stecken. Da weder Macron noch
irgendein anderer Präsident eines kapitalistischen Staates dazu bereit ist,
das zu tun, was getan werden muss, müssen diese Staaten eben dazu gezwungen
werden, durch genau solche Aktionen, mit denen die Gelbwesten die Macht der
Straße gezeigt haben.

 

Natürlich gibt es auch Umweltbewegungen, die in diesem Sinne aktiv sind,
namentlich "Ende Gelände", von denen sich Ende Oktober 2018 etwa 6000
Aktivist*innen (darunter etliche aus Frankreich) zu den Eisenbahnschienen
aufmachten, auf denen Stein- oder Braunkohle, diese schädlichsten aller
fossilen Brennstoffe, von den Bergwerken zu den Kraftwerken im Zentrum der
deutschen Industrie transportiert werden. Dort befördern die Schornsteine
zweierlei: endlose CO2-haltige Abgasschwaden und ordentliche Profite für die
Besitzer. Dem war nicht mehr so, als die Aktivist*innen die Gleise besetzten
und so mit ihren Körpern den Kohletransport verhinderten, um dadurch den
Druck auf Angela Merkel, Macrons Vorgängerin als Schutzpatronin
kapitalistischer Umweltpolitik, zu erhöhen, die Bergwerke ein für allemal zu
schließen. 

 

Als basisorganisierte Initiative hat "Ende Gelände" ohne polizeiliche
Genehmigung und in weißen Overalls statt in gelben Westen zwar nicht solche
Massen mobilisiert und auch nicht den Aufstand so weit vorangetrieben wie
die Gelbwesten, aber dies ist nur ein Grund mehr, von diesen zu lernen. Im
Zentrum von Paris konnte man umgekehrt unter den Losungen bei den Protesten
als Grafitti auf den Mauern auch die folgende lesen: Die Klimakrise ist ein
Krieg gegen die Armen. Dabei könnte man sich wünschen, dass unter den
Gelbwesten mehr Umweltaktivist*innen offensiv vertreten wären. Das genau ist
dringend geboten -- ein Zusammengehen der bestehenden Kämpfe.

 

Ungeachtet des Ausgangs lässt sich bereits eine Lektion aus der
Gelbwestenbewegung ziehen: Wenn mehr Völker als nur das französische eine
solche Protestkultur hätten und zu kämpfen verstünden, dann würden wir heute
nicht auf einem so fürchterlich heißen Planeten leben.

 

 

Übersetzung: MiWe

 

 

Andreas Malm ist Mitglied in der schwedischen Sektion der IV.
Internationale.

 

 

 

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Aus:   die internationale Nr. 1/2019 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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[1] ESSF (article 47100), France -- Yellow vests: Macron's fuel tax was no
solution to climate chaos.

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