[IPK] Die Orientierung auf Elektroautos -- ein verhängnisvoller Irrweg

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So Jun 23 21:32:56 CEST 2019


Ökologie:

Die Orientierung auf Elektroautos -- ein verhängnisvoller Irrweg

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Im März 2019 erschien im Promedia-Verlag Winfried Wolfs neues Buch: "Mit dem
Elektroauto in die Sackgasse. Warum E-Mobilität den Klimawandel
beschleunigt".

 

 

Von Jakob Schäfer

 

 

Schon früher tauchte die Kritik an Elektroautos in Winfried Wolfs Büchern
auf, aber da war dies eher noch ein Thema für die Zukunft. Inzwischen wird
das E-Auto (vor allem durch die Regierung) dermaßen stark als
umweltverträgliche Lösung im Verkehrssektor hochgehypt, dass heute viele
Menschen tatsächlich meinen, dies sei ein tauglicher Beitrag zur
Verkehrswende. Genau dagegen schreibt W. Wolf seit gut einem Jahr in allen
möglichen Publikationen an, zunächst im isw-Report 112/113 und jetzt -- sehr
ausführlich und überzeugend -- mit seinem neuen Buch.

 

Dabei analysiert er (in den Kapiteln 3--5) -- in bester Tradition der Kritik
der politischen Ökonomie -- die Profitinteressen des ölbasierten Sektors
(das sind Ölindustrie, Automobilindustrie, Flugzeugindustrie und
Flugverkehr, Schiffbau, Warentransportsektor usw.). Vor allem wird hier die
Strategie der Automobilkonzerne wie auch die besondere Rolle Chinas bei der
gesteigerten Produktion von E-Autos herausgearbeitet. In diesen Abschnitten
wird auch deutlich, dass auf der Grundlage der herrschenden Politik keine
Verkehrswende möglich ist. Im Gegenteil, in Kapitel 9 wird gut belegt:
"Elektromobilität verstärkt die Macht der Autokonzerne und das Potenzial der
Zerstörung".

 

In Kapitel 6 wird dargelegt, dass das E-Auto -- entgegen der gängigen
Propaganda von Regierung und Autoindustrie -- alles andere als ein Fahrzeug
mit "Null Emissionen" ist. "Erstens startet ein Elektroauto mit einem
gewaltigen „elektrischen Rucksack“. Die Herstellung eines E-Pkw ist im
Vergleich mit der Herstellung eines traditionellen Pkw mit extrem viel mehr
Klima-Äquivalenten verbunden. Zweitens verbraucht ein Elektroauto auch
Energie. [...] Vor allem aber ist die Annahme, der Strom für
Elektromobilität sei ausschließlich oder primär Ökostrom, auf absehbare Zeit
-- in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren -- illusionär. [...] Drittens
sind Elektro-Pkw mit Rebound oder Bumerang-Effekten verbunden, die die
Umwelt- und Klimabelastungen zusätzlich erhöhen." (S. 93 f.)

 

Der Autor führt vier Rebound- oder Bumerang Effekte an: Erstens führt die
steuerliche Ungleichbehandlung von Benzin und Elektrizität zu einer Zunahme
von Verkehr. Zweitens entwickelt sich heute schon ein "funktionaler
Rebound", will heißen: Aufgrund der geringen Reichweite von E-Autos nutzen
"43 % der Käufer von Hybrid-PKW und sogar 59 % der Käufer reiner Batterie
Pkw" ihr Elektrofahrzeug als zusätzlichen Pkw. Drittens führt der "mentale
Rebound" dazu, dass das E-Auto (als angeblich umweltfreundliches Fahrzeug)
die Nutzung des ÖPNV negativ beeinflusst. Und viertens verlängern E-Autos
als angebliche Null-Emissionsautos den SUV Boom (= "regulatorischer
Rebound")

 

W. Wolf geht auch auf die die besondere Belastung bei der Herstellung der
Akkus und die begrenzten Ressourcen (z. B. des Kupfers für die gesamte
E-Motortechnik) ein wie auch auf die zu erwartende höhere Verkehrsdichte,
die steigenden Unfallgefahren usw.

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

[Bild herunterladbar unter https://www.inprekorr.de/img/eauto_228.jpg]

 

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Aber auch damit sind ja noch lange nicht alle Aspekte der zerstörerisch
wirkenden Autogesellschaft benannt. Es geht nämlich nicht nur erstens um den
Klimawandel und die technische Machbarkeit: "Zweitens manifestiert sich
diese Krise [der motorisierten Mobilität] als weltweite Krise der Städte.
Stichworte sind: Zerstörung der Stadtqualität bzw. „Urbanität“,
Feinstaubdebatten [...]". (S. 21)

 

Das Übel im Verkehrssektor schlechthin ist der motorisierte
Individualverkehr. Er sorgt (v. a. im Autoland Deutschland, wo es noch nicht
mal eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen gibt) für viele
Verkehrstote und -verletzte. Er frisst sich mit immer mehr Straßen in die
Landschaft hinein, sorgt für stundenlange Staus, macht die Städte
"unwirtlich" (Mitscherlich) usw.

 

 

VERKEHRSWENDE IST MÖGLICH

 

In Kapitel 10 legt Winfried Wolf einigermaßen umfassend und dennoch
übersichtlich die "Notwendigkeit einer Verkehrswende" dar. Dazu gehören z.
B. gerade nicht die zurzeit in einigen Städten anlaufenden Anschaffungen von
akkubetriebenen Bussen. Sie sind ein völliger Widersinn, denn nicht nur ist
ihre Reichweite (besonders im Winter, wenn der Bus auch geheizt werden muss)
viel zu gering, um in einer Großstadt auf die notwendige Verkehrsleistung zu
kommen (sie erreichen nur 200 km, statt der erforderlichen 300 bis 400 km).
Sie schleppen auch mit den riesigen Akkus eine enorme Last mit (was viel
Energie kostet) und das Aufladen dauert 8--12 Stunden, von den vielen dazu
erforderlichen Ladestationen noch ganz abgesehen.

 

Eine Verkehrswende muss zunächst auf die Verkürzung und so weit wie möglich
die Vermeidung von Wegen abzielen. Zweitens müssen die grünen Verkehrsarten
(im Gegensatz zur Realität in der Autogesellschaft) absoluten Vorrang haben:
Fußgänger*innen müssen geschützt werden, Fahrradwege müssen umfassend
ausgebaut werden usw.

 

Und parallel dazu müssen die öffentlichen Verkehrsmittel drastisch ausgebaut
und auf ökologisch sinnvolle Antriebssysteme umgestellt werden. Ökologisch
rangieren die Straßenbahnen an erster Stelle, die Oberleitungsbusse an
zweiter Stelle. Hierzu gehört natürlich auch der Ausbau des Bahnnetzes als
Flächenbahn und die Verbilligung von Bahnreisen. Und nicht zuletzt wollen
wir darauf hinweisen, dass der gesamte weltumspannende Warenverkehr
drastisch reduziert werden muss. Es ist eine Idiotie (und nur im
Kapitalinteresse macht es Sinn), dass Waren um den halben Erdball verschiff
oder geflogen werden, die andernorts auch herstellbar (oder auch
verzichtbar) wären.

 

Wenn also das Kerosin wie das Schweröl zum Befeuern der Schiffmotoren
besteuert würden, wenn Kurzstreckenflüge unter 1000 km (W. Wolf gibt keine
Zahl an) verboten würden, wenn es im städtischen öffentlichen Verkehr den
Nulltarif gibt, wenn die Menschen mindestens die Hälfte ihrer städtischen
Wege mit dem Fahrrad zurücklegen können, weil es nicht mehr gefährlich ist
..., dann können wir zu einer wirklichen Verkehrswende kommen.

 

Dies und vieles mehr wird in dem Buch gut nachvollziehbar dargelegt. Einen
Mangel müssen wir dennoch anmerken. Das Buch hat kein Stichwortregister und
noch nicht mal eine Literaturliste. Dem Buch ist eine zweite Auflage mit
diesen Ergänzungen zu wünschen, vor allem aber eine große Verbreitung. Denn
es ist ein höchst nützliches Buch in den Händen all jener, die sich für eine
Verkehrswende stark machen wollen. 

 

 

 

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Aus:   die internationale Nr. 4/2019 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

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