[IPK] Kanada/Covid-19-Pandemie: Trucker im Schlepptau der extremen Rechten

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Kanada/Covid-19-Pandemie:

Trucker im Schlepptau der extremen Rechten

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Die Trucker-Bewegung in Kanada ist ein Reflex der Ablehnung der
Null-Covid-Politik durch die Linke.

 

 

Von Marc Bonhomme

 

 

Die Bewegung der selbständigen LKW-Fahrer*innen ist eine rechtsextreme
Bewegung, die -- so kann man es sagen -- die Frustration der Bevölkerung
wegen des neoliberalen Pandemie-Managements "Alles für die Wirtschaft --
nichts für die Gesundheit, die Toten sind uns egal" durch die Bundes- und
Provinzregierungen von Kanada aufgreift.

 

 

EIN GEMISCH RECHTSEXTREMER IDEOLOGIEN DRÜCKT DIE KONSERVATIVEN NACH RECHTS

 

Die heterogenen Ideologien dieser extremen Rechten, von staatsfeindlichem
Libertarismus über patriarchalisch-christlichen Fundamentalismus bis hin zu
elitärer Esoterik und vor allem migrationsfeindlichem und rassistischem
Identitarismus, ermöglichen ein weites Auswerfen der Netze. Dieses Abfischen
ermöglicht es, unzufriedene und frustrierte Menschen unter der Führung so
genannter charismatischer Führer*innen zusammenzuführen, die erbittert um
den ersten Platz kämpfen. Auf jeden Fall "ist es eine zutiefst
nicht-egalitäre Weltanschauung, die sich auf die ?Aussonderung der
Schwächsten' konzentriert", analysiert Martin Geoffroy [Soziologe und
Direktor von CEFIR]. "Wir haben da das ganze eugenische Denkmuster, das für
die extreme Rechte typisch ist. Es ist das Gesetz des Stärkeren ... oder von
dem, der denkt, er sei der Stärkste!", sagt er. [...] "Das heißt: ?Die
Alten, lasst sie sterben!?" [1]

 

Diese Bewegung kommt nicht aus dem Nichts. Von der tödlichen "Freiheit" der
Klimaleugner*innen zur "Freiheit" der Gegner*innen von Corona-Maßnahmen als
Reaktion auf das neoliberale Management dieser Krisen ist es nur ein
Schritt. Er wird von den Führer*innen der extremen Rechten gegangen, deren
soziale Basis die kleinen Unternehmer*innen sind, die vorgaukeln, für eine
Mehrheit des Volkes zu sprechen. Hinzu kommt die stillschweigende Duldung
durch die Polizei und die meisten rechtskonservativen Politiker:

 

"Die Mobilisierung von Truckern diente als Katalysator, um die Führungskrise
der Konservativen Partei Kanadas, der offiziellen Opposition in Ottawa,
voranzutreiben, die mit ihrem schlechten Abschneiden bei den
Bundestagswahlen 2021 begann. Deren Chef Erin O'Toole musste zurücktreten,
nachdem er lange mit einem Treffen mit einer Trucker-Delegation abseits des
Parlamentshügels gezögert hatte, was beide Flügel der Partei verärgerte. Die
Fusion zwischen der traditionellen (widersprüchlich benannten)
Progressiv-konservativen Partei und der Kanadischen Allianz Westkanadas im
Jahr 2003 hat die zwischen den ,Red Tories? und der harten Rechten hin- und
hergerissene konservative Partei nie wirklich vereint. Sofort kandidierte
der doktrinär-libertäre finanzpolitische Sprecher Pierre Poilievre, der die
Trucker eindeutig unterstützte, für die Führung". [3]

 

 

OMIKRON TÖTET GEFÄHRDETE MENSCHEN, ABER KEINE MÖRDERISCHEN REGIERUNGEN

 

Diese reaktionäre Bewegung füllt die Lücke des Schweigens der Linken, die
nie für eine (Fast-) Null-Covid-Politik wie in Neuseeland eingesetzt hat (10
Covid-Todesfälle pro Million, verglichen mit 902 in Kanada und 1564 in
Québec [Deutschland: 1430, Anm. d. Üb.], Stand 4. Februar 2022). Dennoch ist
Neuseeland eine neoliberale Wirtschaft, die sehr offen ist, aber ihre
Grenzen streng kontrolliert hat. Dieser Erfolg hat nichts damit zu tun, dass
es sich um eine Insel handelt, wie uns der parlamentarische Arm der
Unabhängigkeitsbefürworter*innen weismachen will, der immer nach Ausreden
sucht, um die Katastrophe in Québec zu rechtfertigen. Dieses Land ist nicht
das einzige, dem es besser geht als Québec. Neuseelands Leistung ist
vergleichbar mit der von China (3), Taiwan (36), Südkorea (134), Japan (152)
und deutlich besser als die von Norwegen (268) und Finnland (371).
(Un)glücklicherweise schneidet Québec gut ab im Vergleich mit den USA, dem
Klassenletzten (2708) unter den führenden Ländern, und etwas besser ab als
die EU (2158), dem Klassenzweitletzten. Dieses tödliche Pandemiemanagement
von Klassenletztem und Klassenzweitletztem, das mangels einer globalen
Null-Covid- Strategie und der Aufhebung der Impfstoffpatente zulässt, dass
sich immer neue Virus-Varianten vermehren, isoliert Neuseeland und andere,
was diese zweifellos letztendlich zu einem schwierigen Kurswechsel
verurteilen wird.

 

Um die pandemiebedingten Todesfälle zu rechtfertigen, sagen Zentristen von
rechts und links, Wirtschaft und Gesundheit müssten ausbalanciert werden,
und blenden dabei aber diejenigen aus, die aufgrund des überlasteten
Gesundheitssystems und der Erschöpfung seiner Mitarbeiter*innen vorzeitig an
anderen Ursachen sterben. Die Schätzung des /Economist/ [4] zur Zahl der
Übersterblichkeit gegenüber dem Normalwert ergibt eine Summe von 6 000 bis
10 000 Todesfällen pro Million oder 228 000 bis 380 000 Todesfälle insgesamt
für Kanada gegenüber einem negativen Wert für Neuseeland wegen der
Verringerung der sozialen Aktivitäten und der Hygienemaßnahmen. Dennoch
waren die vom /The Economist/ [5] berechneten sogenannten
Normalaktivitätsindizes im Vergleich zur Situation vor der Pandemie in
Neuseeland (und China) etwas höher als in Kanada. Es wäre schwierig, sich
die Entstehung einer ablehnenden Reaktion auf Hygienemaßnahmen im Kontext
einer erfolgreichen Gesundheitspolitik vorzustellen.

 

Diese Grafik aus der /New York Times/ vom 2. Februar 2022 zeigt deutlich,
dass Omikron tötet. Es ist eine Pandemie, die vor allem ältere und
immungeschwächte Menschen tötet, und ja, die Ungeimpften, die jedoch von
ideologischen "Impfverweigerern" zu unterscheiden sind. Nicht vergleichbar
mit einer einfachen Erkältung. Dies erfordert die Aufrechterhaltung von
Hygienemaßnahmen in einem Null-Covid-Geist.

 

------------ KASTEN -----------------------------------------------

[Bild herunterladbar unter https://www.inprekorr.de/604-ca-trucker_320.png]

Todesfälle pro Kopf während der Omikron-Welle

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Wer dies nicht tut, macht sich am Mord mitschuldig. Die Regierungen von
Kanada und noch mehr der USA und der EU sind mörderische Regierungen. Sie
geraten immer mehr ins Schlepptau der extremen Rechten, die die "Freiheit"
der Ausbeutung und Unterdrückung beanspruchen, so wie es die kleinen Bosse
wollen (mit der Unterstützung jener Beschäftigten, die sich im Stich
gelassen fühlen). Diese sogenannte Mittelklasse steckt zwischen dem Hammer
der Milliardäre und Milliardärinnen, die durch die Pandemie reicher denn je
gemacht werden, [6] und dem Amboss der Jo-Jo-Pandemiepolitik der
Regierungen, die sie verarmt und zugleich an ihren Nerven zerrt.

 

 

MIT ABLEHNUNG DER NULL-COVID-STRATEGIE ÜBERLÄSST DIE LINKE DAS FELD DER
EXTREMEN RECHTEN

 

Von einer Null-Covid-Strategie ist bei QS (und auch bei der NDP/NPD auf
Bundesebene) keine Rede. Dazu die Nachrichtenagentur La Presse canadienne
[7]: "Wie der umstrittene Éric Duhaime [Führer der rechtsextremen
Konservativen Partei von Quebec, die in Umfragen gerade einen kometenhaften
Aufstieg erlebt, Anm. d. Aut.] glauben die Parti québécois (PQ) und Québec
solidaire (QS), [8] es sei ?nicht normal?, so strenge Einschränkungen zu
erdulden, wo doch so wenige Patienten ausreichen, das Gesundheitssystem zu
überlasten." [9] Wenn sich QS in solch schlechter Gesellschaft befindet,
dann deshalb, weil sie angesichts der Krise im Gesundheitssystem nichts
anderes tun kann, als frühere Kürzungen zu verurteilen und gleichzeitig
unausgegorene Korrekturen vorzuschlagen, von denen einige widersinnig sind
wie die auf ihrer Website vorgeschlagenen "Ticket-Restaurants". Ein
Alternativplan hätte ein Gefühl der Hoffnung und einen Weg zur Mobilisierung
geschaffen, was auch der psychischen Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung
zugutegekommen wäre, die jetzt stattdessen vom Ruf der Rechtsextremen nach
"Freiheit" angelockt wird.

 

Welcher Alternativplan? Wir können/müssen die Pandemie nutzen, um den
Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu beginnen und nicht zurück
zu einer auf BIP-Wachstum basierenden Wirtschaft zurückzukehren Solange das
Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs steht -- und es wird noch
einige Zeit dauern, bis die Pandemie unter Kontrolle gebracht und zur
Endemie geworden ist -- und sich die Todesfälle häufen, können/müssen wir
alle nicht unverzichtbaren Produktionen und Dienstleistungen schließen (und
100 % der pandemiebedingten Extragewinne der unverzichtbaren besteuern, wenn
sie nicht enteignet werden), um die freigewordenen Arbeitskräfte dauerhaft
oder vorübergehend für die unverzichtbaren Produkte und Dienstleistungen
umzusetzen.

 

Wir denken zuallererst an die öffentliche Gesundheit: mehr Impfungen bis hin
zu Hausbesuchen, Kontaktnachverfolgung (die nicht mehr durchgeführt wird),
Neueinstellungen in Pflege- und Altenheimen sowie Krankenhäusern, von
Pflegenden bis zu Wartung und Küche, Unterstützung für Kranke, Menschen in
schlechter Verfassung und in Not unter der Aufsicht der kommunalen
Gesundheitszentren und der Gemeinschaft, Produktion von Schutzausrüstung
einschließlich FFP2-Masken für alle Beschäftigten in unverzichtbaren
Tätigkeiten. Wir denken auch an die Schulen, einschließlich der
Beschlagnahme von leerstehenden Räumlichkeiten, um angesichts mangelhafter
Belüftung, an der bewusst gespart wurde, die Klassenstärken zu senken, an
die Kindertagesstätten und nicht zuletzt an den Bau ökoeffizienter
Sozialwohnungen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir angesichts der großen
Ansteckungsgefahr in Schlachthöfen die Senkung der Fleischproduktion ins
Auge fassen können/müssen, auch wenn dies eine Rationierung bedeutet, da ja
Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse usw. zur Verfügung stehen.

 

Es geht nicht darum, die Wirtschaft, also die Gewinne der Unternehmer*innen,
zu retten, sondern kurz- und langfristig Menschenleben zu retten. Solch eine
an den Menschen orientierte Gesellschaft kann mit dem Kapitalismus nicht
funktionieren. In Ottawa, Québec und Vancouver haben schon Petitionen und
Gegendemonstrationen, auch von Beschäftigten des Gesundheitswesens in
Vancouver, damit begonnen, sich zu organisieren, auch wenn dies nur
sporadisch und in geringer Zahl stattfindet. Aber die Trucker der "Freiheit"
sind schließlich nur ein paar Tausend, deren angebliche Macht proportional
zur Größe ihrer Trucks und ihrer dröhnenden Hupen ist.

 

6. Februar 2022

Aus dem Französischen übersetzt von Björn Mertens

Quelle:
www.marcbonhomme.com[http://www.inprekorr.de/http://www.marcbonhomme.com/fil
es/la-mobilisation-des-camionneurs-artisans-00e0-la-remorque-de-l2019extr00e
ame-droite.pdf
<http://www.marcbonhomme.com[http:/www.inprekorr.de/http:/www.marcbonhomme.c
om/files/la-mobilisation-des-camionneurs-artisans-00e0-la-remorque-de-l2019e
xtr00eame-droite.pdf> ]

Marc Bonhomme betreibt den Blog "Pour une gauche anticapitaliste acide au
sein de Québec solidaire" und ist Mitglied des Kollektivs "Gauche
Socialiste" (Vierte Internationale) in QS.

 

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Aus: die internationale (Online-Ausgabe) Nr. 2/2022 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

Bestellungen:    die internationale, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln

E-Mail:                                    vertrieb(at)inprekorr.de

Einzelheft:  5 EUR;        Schnupperabo: Ein halbes Jahr für 10 EUR

Jahresabo:            25 EUR (Inland), 15 EUR (ermäßigt), E-Abo 50%

Artikel im Internet:                       https://www.inprekorr.de

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[1]  Alexi Ross, Complotisme: « Les mouvements d'extrême droite sont très
bons pour récupérer les mécontentements
»[http://www.inprekorr.de/https://pivot.quebec/2022/01/31/complotisme-les-mo
uvements-dextreme-droite-sont-tres-bons-pour-recuperer-les-mecontentements/]
, /Pivot/, 31.01.2022.

[2]  Emilie Nicolas, La grande
(con)fusion[http://www.inprekorr.de/https://www.ledevoir.com/opinion/chroniq
ues/669075/chronique-la-grande-con-fusion?&utm_medium=email&utm_source=32073
&utm_campaign=Le+Courrier+des+id%c3%a9es+-+4+f%c3%a9vrier+2022], /Le
Devoir/, 03.02.22

[3]  Radio-Canada, Pierre Poilievre se lance dans la course à la chefferie
conservatrice[http://www.inprekorr.de/https://ici.radio-canada.ca/nouvelle/1
860087/parti-conservateur-leadership-pierre-poilievre], 5.2.22

[4] The pandemic's true death
toll[http://www.inprekorr.de/https://www.economist.com/graphic-detail/corona
virus-excess-deaths-estimates]

[5] The global Normalcy
index[http://www.inprekorr.de/https://www.economist.com/graphic-detail/track
ing-the-return-to-normalcy-after-covid-19]

[6]  Denise Byrnes, Generaldirektorin von Oxfam-Québec, und fünf weitere
Unterzeichner, Le variant
milliardaire[http://www.inprekorr.de/https://www.lapresse.ca/debats/opinions
/2022-01-17/le-variant-milliardaire.php], /La Presse/, 17.01.2022

[7] QS et le PQ sont du même avis que Duhaime sur le
confinement[http://www.inprekorr.de/https://www.ledevoir.com/politique/quebe
c/668472/qs-et-le-pq-sont-du-meme-avis-que-duhaime-pour-le-confinement], /Le
Devoir/, 1.2.2022

[8]  Die Parti Québécois[http://www.inprekorr.de/https://pq.org/] (PQ,
Québec-Partei) tritt für die Unabhängigkeit Québecs und die Stärkung der
französischen Sprache ein; politisch steht sie sozialdemokratischen
Positionen nahe. Die Nouveau Parti
démocratique[http://www.inprekorr.de/https://www.npd.ca/] / New Democratic
Party[http://www.inprekorr.de/https://www.ndp.ca/] (NPD/NDP, Neue
Demokratische Partei) ist eine sozialdemokratische Partei auf kanadischer
Bundesebene. Québec
solidaire[http://www.inprekorr.de/https://quebecsolidaire.net/] (QS, Québec
solidarisch) versteht sich als "progressive Alternative" zu den bestehenden
Parteien in Québec. In ihrer
Grundsatzerklärung[http://www.inprekorr.de/https://quebecsolidaire.net/propo
sitions/nos-principes] bezeichnet QS sich als ökologisch, links,
demokratisch, feministisch und globalisierungskritisch und tritt für ein
vielfältiges, unabhängiges und solidarisches Québec ein. (Anm. d. Üb.)

[9]  Dazu QS-Fraktionschef Gabriel Nadeau-Dubois weiter: "Wir sind mit einer
der niedrigsten Krankenhauskapazitäten aller G7-Staaten in diese Krise
gegangen. Insgesamt gibt es in Europa mehrere Länder, in denen es mehr Fälle
und mehr Krankenhauseinweisungen gibt, aber das belastet ihr
Gesundheitssystem weniger, weil ihre Krankenhauskapazität größer ist".
PQ-Sprecher St-Pierre Plamondon forderte entweder eine Erhöhung der
Krankenhauskapazität oder andere Kriterien für Einschränkungen als die
Hospitalisierungsinzidenz.//(/Le Devoir/, a.a.O., Anm. d. Üb.)

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