[IPK] Gewerkschaften in Frankreich

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Gewerkschaften/Frankreich:

Gewerkschaften in Frankreich
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Wenn man sich mit den französischen Gewerkschaften beschäftigt, fällt auf,
dass sie zahlenmäßig schwach, gespalten und träge sind, obwohl die
Verwerfungen und Krisen, mit denen die Arbeiter*innen und Unterdrückten
konfrontiert sind, nachdrücklich zum Handeln zwingen.

 

 

Von Léon Crémieux

 

 

Die Gewerkschaftsbewegung ist Teil eines komplexen Beziehungssystems
zwischen den drei großen Akteuren der kapitalistischen Gesellschaft: dem
Staat (politische Parteien und Regierungen), den Unternehmer*innen
(innerhalb der von den internationalen Konzernen vorgegebenen Grenzen) und
den Arbeiter*innen (insbesondere vermittels der Gewerkschaften).

 

Die Geschichte der Gewerkschaftsorganisationen in Frankreich (wie auch in
den romanischen Ländern) ist geprägt durch eine relative Autonomie der
Basisstrukturen, einen geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und ein
vehementes Eintreten für ihre Forderungen. Die kommunistische Bewegung hat
zu einer starken politischen und organisatorischen Verbindung zwischen
Gewerkschaften und den Parteien geführt. Da sich gewerkschaftliche und
politische Kämpfe einander ergänzen, waren diese Gewerkschaften in beiden
Feldern aktiv und versuchten unter Rückgriff auf die Gesetzgebung, ein für
die Arbeiterklasse günstiges Kräfteverhältnis durchzusetzen. Mit
wiederholten großen politischen Streiks gingen sie dann dazu über, die
globalen Kräfteverhältnisse auf nationaler Ebene zu festigen. Verhandlungen
zwischen Gewerkschaften und Unternehmen standen nicht im Vordergrund,
sondern eher Gesetzesänderungen oder Regierungsentscheidungen.

 

 

HISTORISCHER ABRISS

 

Die 1895 gegründete CGT war lange Zeit hegemonial, und zwar bis nach dem
Zweiten Weltkrieg. Die anarcho-syndikalistischen und die von der II.
Internationale geprägten sozialistischen Traditionen wurden durch das
wachsende Gewicht der PCF nach den Streiks im Juni 1936 verschüttet. Diese
Streiks erzwangen bedeutsame soziale Errungenschaften (bezahlter Urlaub,
40-Stunden-Woche und 15 % Lohnerhöhung), die materiellen Grundlagen für ein
gewerkschaftliches Funktionärswesen wurden jedoch erst mit der Errichtung
von auf Gewerkschaftslisten gewählten Personalvertretungen auf breiter Ebene
und der Einführung von Tarifverträgen geschaffen. Die Gewerkschaftsbewegung,
die 1934 gespalten (CGT/CGTU) und geschwächt war und nur 800 000 Mitglieder
zählte, wuchs 1937 auf vier Millionen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinte die Regierung, an der die PCF beteiligt
war, Bourgeoisie und Arbeiterklasse für den „Wiederaufbau des Landes“. Durch
die Einführung der Sozialversicherung und der Betriebsräte, die
Verstaatlichungen und die Schaffung diverser Verhandlungsgremien wuchs der
CGT-Apparat enorm. Die brüske politische Wende durch den „Kalten Krieg“ und
die darauf folgende Absetzung der kommunistischen Minister führte dazu, dass
CGT und PCF eine Politik nach Art der „dritten Periode der Komintern“
wiederaufleben ließen, nachdem der Renault-Streik von 1947 sie um den Erhalt
ihrer Hegemonie fürchten ließ.

 

Diese Kehrtwende lieferte einer von den US-Gewerkschaften unterstützten
Minderheit den Vorwand für eine Spaltung, aus der die CGT-Force Ouvrière
hervorging. Der Lehrerverband der CGT (FEN) wandte sich gegen die
Aufspaltung in CGT und CGT-Force Ouvrière und entschied sich für eine –
eigentlich vorübergehende – Autonomie. Zum Zeitpunkt der Spaltung zählte die
CGT-FO nach eigenen Angaben 300 000 Mitglieder.

 

In der Nachkriegszeit trugen der politische Zickzackkurs der PCF, die die
Politik der CGT bestimmte, und die positiven Auswirkungen der dreißig
„Wirtschaftswunderjahre“ (trente glorieuses) zu einem stetigen
Gewichtsverlust der CGT bei, der durch die Protestbewegungen im Mai 68 oder
im Winter 95/96 kaum aufgefangen wurde. Mit dem Bergarbeiterstreik von 1963
äußerte sich die wieder auflebende Kampfbereitschaft in harten Streiks und
1966 wurde eine Aktionseinheit zwischen CGT und CFDT vereinbart.
Gleichzeitig bewies die Confédération française des travailleurs chrétiens
(CFTC), die auf ihrem Kongress 1964 den Bezug zum Katholizismus aufgab und
sich in CFDT umbenannte (nur 10 % der Delegierten sprachen sich gegen die
Aufgabe der Konfessionsgebundenheit aus und behielten die CFTC bei), dass
sie sich besser an die gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen konnte und
verzeichnete einen Anstieg ihrer Mitgliedschaft, die zu Beginn des 21.
Jahrhunderts mit der CGT gleichzog.

 

Ab Mitte der 1970er Jahre nahm die CFDT jedoch eine „Neuausrichtung“ vor –
offiziell hin zur Gewerkschaftsarbeit – bei der es sich in Wirklichkeit aber
um eine Distanzierung von den Mobilisierungen und den „linken“ Parteien
handelte. Diese Politik führt dazu, dass zahlreiche Aktivist*innen austraten
und die Gewerkschaften Solidaires unitaires démocratiques (SUD) gründeten,
die sich später unter dem Label Solidaires zusammenschlossen. Ihre
„Anpassungsfähigkeit“ führte dazu, dass sich die CFDT den Plänen der
jeweiligen Regierungen unterordnete, die zahlreiche von der CFDT
unterstützte Gegenreformen (Renten, Arbeitslosenversicherung, Arbeitsrecht)
durchführten. Der gleiche Anpassungsprozess fand Anfang der 1990er Jahre in
der FEN statt und führte zu einer großen Spaltung und der Gründung der FSU
(Fédération syndicale unitaire), die sehr schnell zur größten Gewerkschaft
im Bildungswesen wurde. Nachdem die CFDT 1995/96 eine geplante
„Rentenreform“ unterstützt hatte, verließen mehrere
Gewerkschaftsgliederungen die CFDT und wechselten zur CGT, zur FSU oder zu
Solidaires.

 

Bei der CGT führte die Schwächung der PCF im Gefolge des Falls der Berliner
Mauer zu einem „Balkanisierungsprozess“, der sich in einer relativen
politischen Autonomie der Departementsverbände oder der Berufsverbände
äußerte. Die Situation spitzte sich im Februar 2005 zu, als der Nationale
Gewerkschaftssausschuss (CCN), das „Parlament“ der Gewerkschaft, gegen den
Rat von Generalsekretär Bernard Thibault die Ablehnung der EU-Verfassung
empfahl, und anschließend in der Krise um die Nachfolge des
Generalsekretärs. Die Force Ouvrière, die lange Zeit in einem bloßen
Antikommunismus gefangen war, galt lange Zeit als reformistisch oder gar
kollaborationistisch gegenüber Unternehmern und Regierung. Anfang der 1990er
Jahre wurde auch die sozialdemokratisch orientierte UNSA (Union nationale
des syndicats autonomes) gegründet, in der sich mehrere autonome
Gewerkschaftsverbände um die FEN und einen autonomen Verband von
Polizeigewerkschaften vereinigten.

 

 

NEOLIBERALE OFFENSIVE

 

Seit Mitte der 1970er Jahre wird auch der französische Kapitalismus von der
umfassenden Neuorganisation auf globaler Ebene erfasst, die durch die
ständigen Wirtschaftskrisen und als Reaktion auf die Verunsicherung infolge
der Protestbewegungen Ende der 1960er Jahre erzwungen wurde. Die
Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen sind
überall gleich: Prekarisierung, Individualisierung, Intensivierung,
Verlängerung der Arbeitszeiten. Die massive Zunahme von Ausgliederungen und
Subunternehmen, insbesondere in den großen Industriekonzernen, von
Telearbeit und die Uberisierung zahlreicher Berufe führen zu einer
zunehmenden Zerschlagung der Arbeitskollektive, untergraben die Fähigkeit
zum kollektiven Widerstand und die Solidarität. Im privaten Sektor wird die
Schwächung der Gewerkschaften noch durch Repressionen verschärft. Im
öffentlichen Sektor führen Privatisierungen und wiederholte Eingriffe in
statuarische Absicherungsmechanismen zu sozialer Verunsicherung und
Repressionsandrohungen.

 

 

GEGENWÄRTIGE LAGE

 

Im Jahr 2019 gaben 10,3 % der Lohnabhängigen in Frankreich an, einer
Gewerkschaft anzugehören, 11,0 % der Männer und 9,5 % der Frauen. Die Stärke
einer Gewerkschaft hängt weitgehend von ihrer offiziellen Repräsentativität
ab, die zur Ernennung von Gewerkschaftsvertreter*innen berechtigt und es
ermöglicht, Tarifverträge auszuhandeln und zu genehmigen.

 

Diese Repräsentativität wird anhand von Kriterien bestimmt, die 2008 neu
festgelegt wurden:

 

* Achtung der republikanischen Werte (ersetzt die „patriotische Haltung
während der Okkupation“ aus dem Jahr 1946);

 

* Unabhängigkeit;

 

* Finanzielle Transparenz;

 

* Verankerung von mindestens zwei Jahren im jeweiligen beruflichen und
geografischen Sektor; 

 

* Einfluss, der vorrangig auf Aktivität und Erfahrung zurückgeht;

 

* Mitgliederzahl und Mitgliedsbeiträge;

 

* Die Quotierung für die jeweiligen Verhandlungsebenen basiert auf dem
Wahlergebnis in der ersten Runde der Wahlen zum Sozial- und
Wirtschaftsausschuss (der im Gesetz von 2018 den Betriebsrat ersetzt hat).
Insbesondere muss eine Gewerkschaft in einem Unternehmen oder einer
Einrichtung im privaten Sektor im ersten Wahlgang 10 % der Stimmen erhalten,
um als repräsentativ zu gelten und an den Verhandlungen teilnehmen zu
können. Diese Schwelle liegt bei 8 % aller Unternehmen einer Branche. Es
gibt über 300 Branchentarife, aber 50 Haupttarife.

 

 

Die Gewerkschaften CGT, CFDT, CGT-FO, CFTC und die Angestelltengewerkschaft
CFE-CGC sind auf nationaler Ebene repräsentativ. (Diese Repräsentativität
mit einer globalen Mindestschwelle von 8 % wird in der Privatwirtschaft seit
2012 alle vier Jahre neu berechnet.) Nach der Quotierung ist die CFDT (26,77
%) im öffentlichen und privaten Sektor nunmehr die größte
Gewerkschaftsorganisation vor der CGT (22,96 %), wobei beide
Gewerkschaftsverbände jeweils etwas mehr als 600 000 Mitglieder haben. FO
(15,24 %) weist 350 000 Mitglieder auf, CFE-CGC (11,92 %) und CFTC (9,50 %)
rund 140 000 Mitglieder. Die FSU ist der größte Gewerkschaftsverband im
Bildungswesen und hat 160 000 Mitglieder, wobei ihr Organisationsbereich
hauptsächlich den öffentlichen Dienst umfasst. Solidaires hat 110 000
Mitglieder und ist nur in einer begrenzten Anzahl von Branchen und
Unternehmen sowie im öffentlichen Dienst offiziell repräsentativ.

 

Die zahlenmäßige Schwäche der Gewerkschaftsbewegung in Frankreich ist
unübersehbar. Der durchschnittliche gewerkschaftliche Organisationsgrad der
Arbeiter*innen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union liegt bei 23
%; er schwankt je nach Land zwischen 10 % und über 70 % der Beschäftigten.
Diese Unterschiede sind in erster Linie auf historisch unterschiedliche
Formen des Gewerkschaftswesens und der Regulierung der Arbeitsbeziehungen
zurückzuführen. Die französischen Gewerkschaften verwalten weder die
Arbeitslosenversicherung noch die Zusatzkrankenversicherung oder die
Berufsbildung direkt. Außerdem werden die zwischen Gewerkschaften und
Unternehmerverbänden geschlossenen Vereinbarungen per Gesetz fast
systematisch auf alle Beschäftigten angewandt. Die Mitgliederzahlen und der
Einfluss der größten Gewerkschaftsverbände (CFDT, CGT, FO) sind seit Mitte
der 1970er Jahre drastisch gesunken.

 

Die großen Protestbewegungen von 1995 (Sozialversicherung und
Rentensonderregelungen), 2003 (Renten), 2006 (Ersteinstellungsvertrag für
Jugendliche), 2010 (Renten), 2017 (Reform des Arbeitsgesetzbuchs), 2018
(SNCF-Statut) und 2019 (Renten) haben die seit den 1990er Jahren geltende
Stagnation kaum beeinflusst. Während diese breiten Proteste meist von
Großdemonstrationen geprägt waren, verliefen die Streiks, abgesehen von
1995, eher ruhig und hauptsächlich im öffentlichen Sektor. Im Privatsektor
und insbesondere in der Industrie beschränkten sich die Kämpfe auf die
Verteidigung von Arbeitsplätzen und gegen Unternehmensschließungen. Bei
Continental, Sadefa, New Fabris und SBFM (Gießereien), Goodyear, Ford, PSA
Aulnay gab es massive, anhaltende Kämpfe mit breiter Unterstützung der
Bevölkerung, die es manchmal ermöglichten, Schließungen und Entlassungen
abzuwehren, ohne sie jedoch letztlich ganz zu verhindern. Die letzte große
Protestbewegung (vor der aktuellen, bei der es wieder um die Renten geht)
war die der Gelbwesten, die die Regierung eine Zeit lang in Atem hielt. Sie
war eine sozial heterogene Bewegung, die sich hauptsächlich gegen den
Verfall der Kaufkraft richtete und am Rande der Gewerkschaftsbewegung stand,
die sie wiederum erst spät und sehr unterschiedlich unterstützte.

 

Insgesamt hat die Gewerkschaftsbewegung schon seit Jahrzehnten darin
versagt, ihren Nutzen bei den zentralen Anliegen und großen
Protestbewegungen der Lohnabhängigen unter Beweis zu stellen. Stattdessen
konzentriert sie sich vorwiegend auf die Unternehmensebene. Lokale
Konflikte, Lohnkämpfe, individuelle Verteidigung der Beschäftigten und die
Verwaltung der sozialen und kulturellen Einrichtungen bilden das mehr oder
weniger radikale Aktionsfeld der Gewerkschaften. Sie sind immer stärker auf
die Unternehmen beschränkt und verfügen über institutionelle Mittel, die
jedoch durch die Reform des Arbeitsgesetzes von 2017 stark eingeschränkt
wurden: Personalvertreter*innen wurden abgeschafft, die Mittel des
Ausschusses für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen und der
Betriebsräte, die zu betrieblichen Sozialausschüssen wurden, wurden gekürzt
(im Grunde eine Halbierung der Anzahl der gewählten oder ernannten
Vertreter).

 

Das Rückgrat der großen Gewerkschaftsverbände sind die Branchen- und
Departementsverbände, wobei die großen Unternehmensgewerkschaften eine
erhebliche Schwächung erfahren haben: Renault, Energie-, Transport- und
Telekommunikationssektor. Diese Konstellation führt dazu, dass sich die
Apparate von den Aktivist*innen und den Arbeiter*innen entfernen und ihnen
durch den Beitragsrückgang wesentliche materielle Mittel entzogen werden,
bei gleichzeitig wachsender Abhängigkeit von den Strukturen des „sozialen
Dialogs“: zahlreiche Ausschüsse, Verhandlungen auf verschiedenen
geografischen Ebenen, in verschiedenen Branchen, enge Beziehungen zu
Agenturen für Wirtschaftsgutachten oder Arbeitsorganisation, zu
Krankenkassen, die Mitverwaltung der Zusatzrenten, der Berufsbildung etc.

 

Die sinkende Zahl der gewählten Vertreter*innen hat diese Entfremdung noch
weiter verstärkt und die Freistellungen auf wenige Vertreter*innen
beschränkt. Sie hat auch den Ortsverbänden Mittel entzogen, die insbesondere
in der CGT eine Stütze für die Aktivitäten in Industriegebieten,
Kleinbetrieben und unter prekär Beschäftigten sind. Und das in einer
politischen Situation, in der die jüngsten Regierungen ihre Politik
rücksichtslos durchzusetzen versuchen, ohne sich in die Mühen des sozialen
Dialogs und der Mediation zu begeben.

 

 

SCHRITTE ZUR VERÄNDERUNG?

 

Diese tiefgreifende Bürokratisierung trifft alle
Gewerkschaftsorganisationen, auch wenn Solidaires versucht, ihr halbwegs
bewusst zu entkommen, wobei sie jedoch nicht vor ähnlichen Fallstricken
gefeit ist. Die CFDT der 1960er und 1970er Jahre war in der Lage, sich an
die Entwicklungen in der Arbeiterschaft anzupassen, indem sie die Anliegen
von Frauen und Immigrant*innen, Einheit stiftende Forderungen oder den
Willen zur Selbstorganisation berücksichtigte. Dieses Kapitel ist seit Mitte
der 1970er Jahre zu Ende. Ebenso waren die in Solidaires
zusammengeschlossenen Strukturen in der Lage, die Kämpfe der Arbeitslosen,
der Wohnungslosen und die internationalistischen und
globalisierungskritischen Anliegen (WSF) in den 1990er und 2000er Jahren zu
berücksichtigen.

 

In den letzten Jahren waren die Gewerkschaftsverbände unfähig (oder haben
aufgegeben), sich mit der Parzellierung der Arbeiterschaft und der
wachsenden Vereinzelung auseinanderzusetzen. Die wiederholten Misserfolge
der breiten branchenübergreifenden Mobilisierungen haben die Tür für
Bewegungen geöffnet, die am Rande oder außerhalb der Gewerkschaften
entstanden sind. Im Transport- und Gesundheitswesen etc. haben sich
Koordinationen gebildet. Die „Stichwort- und Taktgeber“ der Demonstrationen
haben sich von den als zu apathisch empfundenen Gewerkschaftszügen
abgegrenzt. Und vor allem hat die Gelbwestenbewegung 2018/2019 die Kluft
zwischen der offiziellen Repräsentativität der Gewerkschaften und der
Realität der brutalen sozialen Verhältnisse deutlich gemacht, aber auch die
Bereitschaft breiter Gesellschaftsschichten, sich kämpferisch zu wehren.

 

Ein Problem ist nach wie vor, dass die Gewerkschaften in den großen
Unternehmen nur wenig Interesse daran haben, die gewerkschaftlichen
Aktivitäten in den unzähligen Zulieferbetrieben an den Standorten oder in
der Produktionskette zu unterstützen oder zu übernehmen. Die Beschäftigten
von Subunternehmen werden allzu oft als Konkurrenten betrachtet statt als
Beschäftigte mit schlechteren Arbeitsbedingungen und schlechteren Löhnen.

 

CGT und Solidaires haben sich immerhin die Kämpfe der Sans-Papiers teilweise
zueigen gemacht und zählen sie zu den Lohnabhängigen. Seit mehreren Jahren
engagieren sich die CGT, die FSU und Solidaires für feministische,
antisexistische und LGBTQ-Anliegen. Auch an der Gründung des Kollektivs „Nie
wieder“ waren sie beteiligt, das an der Seite mehrerer Organisationen wie
Greenpeace, Friends of the Earth, ATTAC, Confédération Paysanne und Oxfam
Umweltprobleme thematisiert. In der größten Gewerkschaft, der CGT, führt
dies jedoch zu Diskussionen und Unmut, auch wenn deren Engagement bloß
verhalten ist.

 

Die Mobilisierung gegen die Rentenreform der Regierung Macron vor dem
Hintergrund wichtiger Verteilungskämpfe stellt die Gewerkschaften vor große
Herausforderungen. Wird die notwendige Aktionseinheit den Spannungen
standhalten, die sich aus den unterschiedlichen Traditionen und sozialen
sowie politischen Bezugspunkten ergeben, und gelingt es dadurch, das
Vertrauen nicht nur der traditionellen Sektoren zurückzugewinnen, sondern
auch derjenigen, die sich seit Jahrzehnten als außerhalb der traditionellen
Arbeiterbewegung stehend empfinden?

 

Vom Erfolg dieser Mobilisierungen und von der Fähigkeit zum erfolgreichen
Widerstand hängt vieles ab, wobei sich die extreme Rechte in solchen
Situationen diskret zurückhält, aber bei Wahlen und im Kampf um die
ideologische Hegemonie aus der Reserve kommt.

 

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Übersetzung: MiWe

 

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Aus:   die internationale Nr. 2/2023 

Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht

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