[Presseverteiler] Der lange Arm türkischer Repressionsbehörden: Großprozesse und Auftrittsverbote gegen türkische und kurdische Linke in Deutschland
buvo-presse at rote-hilfe.de
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Mi Jun 15 22:26:12 CEST 2016
Der lange Arm türkischer Repressionsbehörden:
Großprozesse und Auftrittsverbote gegen türkische und kurdische Linke in
Deutschland
Die erneuten verbalen Entgleisungen des türkischen Präsidenten Recep
Tayyip Erdogan gegen türkisch-stämmige ParlamentarierInnen, mit denen er
in Bezug auf die längst überfällige Anerkennung des Völkermords an den
ArmenierInnen für Furore sorgte, führte zwar zu Kritik aus dem
Bundestag. Allerdings scheint diese Reaktion auch in diesem Fall keinen
Einfluss auf die strategische Zusammenarbeit der Repressionsbehörden
beider Länder zu haben, sind sie sich doch seit langem einig, wenn es um
die Bekämpfung linker und fortschrittlicher Bewegungen geht.
Erst vor wenigen Wochen hatte sich die Bundesregierung mit ihren
Stellungnahmen in der sog. „Böhmermann-Affäre“ bis auf die Knochen
blamiert. Zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen und
Ermordungen, den Ausnahmezuständen in den kurdischen Gebieten und
Massenfestnahmen schweigt die Bundesregierung hingegen beharrlich. Auch
die von inzwischen inhaftierten Journalisten nachgewiesene
Unterstützung, die Erdogan für die Terror-Gruppierung „Islamischer
Staat“ leistete, führte zu keinerlei ernstzunehmenden Reaktionen
deutscher Behörden.
Im Gegenteil: fast monatlich werden in der BRD AktivistInnen türkischer
und kurdischer linker Gruppen verhaftet und wegen angeblicher
Mitgliedschaft in „terroristischen Organisationen im Ausland“ (§129b
StGB) vor Gericht gestellt. So wird derzeit zehn kurdischen Aktivisten
in mehreren Bundesländern der Prozess gemacht, da sie der
„Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) angehören sollen.
In München beginnt am 17. Juni ein Großprozess gegen 10 Mitglieder der
„Konföderation der Arbeiter aus der Türkei“ (ATIK). Sie waren am 15.
April 2015 in einer europaweiten Razzia unter dem Vorwurf der
Mitgliedschaft in der „Kommunistischen Partei der
Türkei/Marxistisch-Leninistisch“ (TKP/ML) festgenommen worden und
befinden sich seitdem in Untersuchungshaft. Ein Prozess gegen
migrantische Linke in dieser Größenordnung hat seit den 1980er Jahren in
Deutschland nicht mehr stattgefunden.
Auch die ATIK-Mitglieder sollen nach den umstrittenen
Gesinnungsparagraphen 129a/b zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
werden. Dabei müssen den Angeklagten letztlich keine konkreten
Straftaten, sondern lediglich die Mitgliedschaft in den kriminalisierten
Organisationen nachgewiesen werden. Dazu herhalten sollen das Abhalten
politischer Seminare, die Vorbereitung und Teilnahme an Demonstrationen
und ähnliche alltägliche politische Aktivitäten.
Und damit nicht genug, wird nun auch „Grup Yorum“, einer seit 30 Jahren
bestehenden linken Musikgruppe aus der Türkei, die Einreise in den
Schengenraum verweigert. Ein für den 18. Juni in Gladbeck (NRW)
geplantes Konzert der Band, die in der Türkei zahlreichen Repressalien
ausgesetzt ist, soll mit allen Mitteln verhindert werden. Hier arbeiten
offenbar Stadtverwaltung, Inlandsgeheimdienst und rechtskonservative
türkische Verbände Hand in Hand und konstruieren ein Bedrohungsszenario
durch Grup Yorum, deren Konzerte in der Türkei von hunderttausenden
Menschen besucht werden. Statt des geplanten Festivals „Ein Herz und
eine Stimme gegen Rassismus“ wird nun eine Kundgebung in Gladbeck
stattfinden, auf der neben Grup Yorum auch zahlreiche andere Bands und
RednerInnen auftreten werden.
Bei weitem nicht erst seit dem als „Flüchtlingsdeal“ bezeichneten
Abkommen sind deutsche Behörden stets bemüht, die linke
Exilgruppierungen durch Gesinnungsparagraphen und Organisationsverbote
zu kriminalisieren. Die Beschleunigung der Festnahmen und Verurteilungen
nimmt allerdings bedrohliche Ausmaße an.
Aktuell bedarf es der Solidarität der gesamten Linken, Bürgerrechts- und
Friedensbewegung mit den angeklagten GenossInnen. Auf dem Spiel stehen
die Möglichkeit, sich als Exilopposition politisch zu betätigen, und das
Recht auf Widerstand gegen diktatorische Regime.
Die nach Erdogans jüngsten Ausfällen formulierte Kritik der
Bundesregierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass absolut kein
Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der türkischen
Präsidialdiktatur besteht. Allen Reden über Presse- und Meinungsfreiheit
zum Trotz hofiert sie ein Regime, das sämtliche Grundrechte mit Füßen
tritt und Krieg gegen weite Teile der eigenen Bevölkerung führt.
Die Rote Hilfe e.V. ruft zur Teilnahme an den Kundgebungen auf und
fordert die sofortige Freilassung und Entschädigung der Angeklagten
sowie die umgehende Beendigung der Repressalien gegen Grup Yorum sowie
die OrganisatorInnen des ursprünglich geplanten Festivals „Ein Herz und
eine Stimme gegen Rassismus“.
Kundgebung gegen den 129b-Prozess gegen ATIK-AktivistInnen mit
anschließender Prozessbeobachtung : Nymphenburgerstr. 16, 80335 München,
ab 9 Uhr
Kundgebung in Gladbeck: Festplatz Horster Straße, 45968 Gladbeck, 10-22
Uhr
H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.
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